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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neues zur Litteratur über Dante

sinnlichung des Dichters nach dem Ideal, das sie sich selbst gebildet, erkannt.
Diese Büste ist denn auch in Nachbildungen soweit verbreitet worden wie kein
zweites Bildnis des Dichters.

Alle großen Künstler der italienischen Renaissance sind auch große Kenner
oder doch große Freunde Dantes gewesen. Für Lucci Signorelli, für Naffael
und Michelangelo haben wir monumentale Beweise dafür. Sandro Votticelli
hat sogar eine ganze Dantehandschrift illustrirt, die uns ein glücklicher Zufall
erhalte" hat. Sie gilt als ein Hauptwerk des Meisters, der in neuester Zeit
durch die "Modernen," die ihn auf dem Umweg über die englischen Prä-
raffaeliten plötzlich kennen und wegen seiner weibischen Charakterlosigkeit, seiner
schwindsüchtiger Gestaltungsart anbeten gelernt haben, zu einer übertriebnen
Schätzung gelangt ist. Es ist übrigens bemerkenswert, daß Wassermann von
Bottieellis Verständnis für das Dantische Gedicht sehr wenig hält, und daß
er ihn darum keineswegs zu den Dante-Illustratoren rechnet, die den höchsten
Anforderungen entsprechen. Kraus ist andrer Meinung. Er sagt, daß "Sandro
Bottieellis Werk unter allen Illustrationen der Commedia den ersten Platz
einnimmt, ... nachdem Michelangelos Schöpfung zu Grunde gegangen." Hier
macht sich aber der treffliche Gelehrte eines kleinen Widerspruchs schuldig.
Denn wenige Seiten später läßt er deutlich erkennen, daß er an die freilich
nicht alte Überlieferung, daß Michelangelo eine Danteausgabe illustrirt habe,
daß dieser kostbare Schatz aber im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bei
einem Schiffbruch zu Grunde gegangen sei, nicht glaube. Er kann recht haben;
aber das Schweigen der Zeitgenossen allein spricht nicht dagegen. Denn
Michelangelo war eine verschlossene Natur, ebenso wie sein großer Nebenbuhler
Leonardo da Vinci, für den Kraus auch kein Zeugnis anzuführen weiß, daß
er sich mit Dante beschäftigt habe. Es ist aber gerade eines vorhanden, noch
dazu eines, das uns die beiden großen Künstler im Streite über Dante vor¬
führt. In einer aus dem ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts stammenden
Biographie Leonardos wird erzählt, daß beide Männer, als man sie eines
Tages -- es muß in Florenz um 1505 gewesen sein -- als große Dante¬
kenner aufforderte, einen Streit über eine dunkle Stelle zu schlichten, hart
an einander geraten seien. Es ist auch noch nicht ausgeschlossen, daß man in
den Zeichnungen Leonardos noch einige finden wird, die den Beweis liefern
werden, daß er sich auch mit dem Gedanken einer Jllustriruiig Dantes trug.
Auf einem Blatte hat man schon jetzt eine Beatrice zu erkennen geglaubt.

Der kunstgeschichtliche Teil des Kransschen Werkes wird also voraus¬
sichtlich noch mehr Erweiterungen und Berichtigungen erhalten. Im übrigen
kann man aber getrost sagen, daß er alles, was wir jetzt über Dante wissen,
zusammengefaßt und geklärt hat. Der Gegenstand läßt überraschende Ent¬
deckungen nach jahrzehntelanger Durchforschung aller italienischen Archive und
Bibliotheken nicht mehr erwarten. Wir haben also auf lange Zeit hinaus


Neues zur Litteratur über Dante

sinnlichung des Dichters nach dem Ideal, das sie sich selbst gebildet, erkannt.
Diese Büste ist denn auch in Nachbildungen soweit verbreitet worden wie kein
zweites Bildnis des Dichters.

Alle großen Künstler der italienischen Renaissance sind auch große Kenner
oder doch große Freunde Dantes gewesen. Für Lucci Signorelli, für Naffael
und Michelangelo haben wir monumentale Beweise dafür. Sandro Votticelli
hat sogar eine ganze Dantehandschrift illustrirt, die uns ein glücklicher Zufall
erhalte» hat. Sie gilt als ein Hauptwerk des Meisters, der in neuester Zeit
durch die „Modernen," die ihn auf dem Umweg über die englischen Prä-
raffaeliten plötzlich kennen und wegen seiner weibischen Charakterlosigkeit, seiner
schwindsüchtiger Gestaltungsart anbeten gelernt haben, zu einer übertriebnen
Schätzung gelangt ist. Es ist übrigens bemerkenswert, daß Wassermann von
Bottieellis Verständnis für das Dantische Gedicht sehr wenig hält, und daß
er ihn darum keineswegs zu den Dante-Illustratoren rechnet, die den höchsten
Anforderungen entsprechen. Kraus ist andrer Meinung. Er sagt, daß „Sandro
Bottieellis Werk unter allen Illustrationen der Commedia den ersten Platz
einnimmt, ... nachdem Michelangelos Schöpfung zu Grunde gegangen." Hier
macht sich aber der treffliche Gelehrte eines kleinen Widerspruchs schuldig.
Denn wenige Seiten später läßt er deutlich erkennen, daß er an die freilich
nicht alte Überlieferung, daß Michelangelo eine Danteausgabe illustrirt habe,
daß dieser kostbare Schatz aber im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bei
einem Schiffbruch zu Grunde gegangen sei, nicht glaube. Er kann recht haben;
aber das Schweigen der Zeitgenossen allein spricht nicht dagegen. Denn
Michelangelo war eine verschlossene Natur, ebenso wie sein großer Nebenbuhler
Leonardo da Vinci, für den Kraus auch kein Zeugnis anzuführen weiß, daß
er sich mit Dante beschäftigt habe. Es ist aber gerade eines vorhanden, noch
dazu eines, das uns die beiden großen Künstler im Streite über Dante vor¬
führt. In einer aus dem ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts stammenden
Biographie Leonardos wird erzählt, daß beide Männer, als man sie eines
Tages — es muß in Florenz um 1505 gewesen sein — als große Dante¬
kenner aufforderte, einen Streit über eine dunkle Stelle zu schlichten, hart
an einander geraten seien. Es ist auch noch nicht ausgeschlossen, daß man in
den Zeichnungen Leonardos noch einige finden wird, die den Beweis liefern
werden, daß er sich auch mit dem Gedanken einer Jllustriruiig Dantes trug.
Auf einem Blatte hat man schon jetzt eine Beatrice zu erkennen geglaubt.

Der kunstgeschichtliche Teil des Kransschen Werkes wird also voraus¬
sichtlich noch mehr Erweiterungen und Berichtigungen erhalten. Im übrigen
kann man aber getrost sagen, daß er alles, was wir jetzt über Dante wissen,
zusammengefaßt und geklärt hat. Der Gegenstand läßt überraschende Ent¬
deckungen nach jahrzehntelanger Durchforschung aller italienischen Archive und
Bibliotheken nicht mehr erwarten. Wir haben also auf lange Zeit hinaus


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[0503] Neues zur Litteratur über Dante sinnlichung des Dichters nach dem Ideal, das sie sich selbst gebildet, erkannt. Diese Büste ist denn auch in Nachbildungen soweit verbreitet worden wie kein zweites Bildnis des Dichters. Alle großen Künstler der italienischen Renaissance sind auch große Kenner oder doch große Freunde Dantes gewesen. Für Lucci Signorelli, für Naffael und Michelangelo haben wir monumentale Beweise dafür. Sandro Votticelli hat sogar eine ganze Dantehandschrift illustrirt, die uns ein glücklicher Zufall erhalte» hat. Sie gilt als ein Hauptwerk des Meisters, der in neuester Zeit durch die „Modernen," die ihn auf dem Umweg über die englischen Prä- raffaeliten plötzlich kennen und wegen seiner weibischen Charakterlosigkeit, seiner schwindsüchtiger Gestaltungsart anbeten gelernt haben, zu einer übertriebnen Schätzung gelangt ist. Es ist übrigens bemerkenswert, daß Wassermann von Bottieellis Verständnis für das Dantische Gedicht sehr wenig hält, und daß er ihn darum keineswegs zu den Dante-Illustratoren rechnet, die den höchsten Anforderungen entsprechen. Kraus ist andrer Meinung. Er sagt, daß „Sandro Bottieellis Werk unter allen Illustrationen der Commedia den ersten Platz einnimmt, ... nachdem Michelangelos Schöpfung zu Grunde gegangen." Hier macht sich aber der treffliche Gelehrte eines kleinen Widerspruchs schuldig. Denn wenige Seiten später läßt er deutlich erkennen, daß er an die freilich nicht alte Überlieferung, daß Michelangelo eine Danteausgabe illustrirt habe, daß dieser kostbare Schatz aber im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bei einem Schiffbruch zu Grunde gegangen sei, nicht glaube. Er kann recht haben; aber das Schweigen der Zeitgenossen allein spricht nicht dagegen. Denn Michelangelo war eine verschlossene Natur, ebenso wie sein großer Nebenbuhler Leonardo da Vinci, für den Kraus auch kein Zeugnis anzuführen weiß, daß er sich mit Dante beschäftigt habe. Es ist aber gerade eines vorhanden, noch dazu eines, das uns die beiden großen Künstler im Streite über Dante vor¬ führt. In einer aus dem ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts stammenden Biographie Leonardos wird erzählt, daß beide Männer, als man sie eines Tages — es muß in Florenz um 1505 gewesen sein — als große Dante¬ kenner aufforderte, einen Streit über eine dunkle Stelle zu schlichten, hart an einander geraten seien. Es ist auch noch nicht ausgeschlossen, daß man in den Zeichnungen Leonardos noch einige finden wird, die den Beweis liefern werden, daß er sich auch mit dem Gedanken einer Jllustriruiig Dantes trug. Auf einem Blatte hat man schon jetzt eine Beatrice zu erkennen geglaubt. Der kunstgeschichtliche Teil des Kransschen Werkes wird also voraus¬ sichtlich noch mehr Erweiterungen und Berichtigungen erhalten. Im übrigen kann man aber getrost sagen, daß er alles, was wir jetzt über Dante wissen, zusammengefaßt und geklärt hat. Der Gegenstand läßt überraschende Ent¬ deckungen nach jahrzehntelanger Durchforschung aller italienischen Archive und Bibliotheken nicht mehr erwarten. Wir haben also auf lange Zeit hinaus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/503>, abgerufen am 27.12.2024.