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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neues zur Litteratur über Dante

von denen Dante allerdings gewisse Anschauungen, Gedanken und poetische
Ausdrucksformen unzweifelhaft übernommen hat, habe sich der Dichter der
5snov3. vitg. und der Göttlichen Komödie eine Herrin gewählt, die für ihn
eine Allegorie war wie etwa die Musen für die griechischen und römischen
Dichter. Sogar den Namen Beatrice habe er, zum Teil des Wohlklangs
wegen, zum Teil weil er sich glücklich in seine Versmaße einfügte, den Trou¬
badours entlehnt, bei denen er häufig vorkommt; daß diese den wirklichen
Namen ihrer Herrinnen, unter denen sich auch manche nicht ganz allein auf
Seelenfreundschaft gestimmte Damen befanden, in ihren Liedern verschwiegen
und durch einen andern ersetzt haben, ist bekannt. Was wir von Dantes
persönlichen Verhältnissen wissen, beschränkt sich demnach auf die Kenntnis von
seinen Eltern, von seiner Heirat mit einer Frau aus angesehener Familie, mit
der er in Frieden gelebt und mehrere Kinder gehabt hat, und auf seine Teil¬
nahme an den politischen Angelegenheiten seiner Zeit, die für sein persönliches
Behagen unglücklich, sür seinen Ruhm glücklich auffiel. Daraus schöpfte er
jenen gewaltigen Groll, jene souveräne Menschenverachtung, die ihn zur Gött¬
lichen Komödie nicht bloß begeistert, sondern geradezu gedrängt haben.

Bei diesem Mangel an urkundlichen Mitteilungen ist der Wunsch nach
einer authentischen Vorstellung von Dantes äußerer Erscheinung umso be¬
rechtigter. Aber sobald sich der Kritiker, der es mit der Wahrheit ernst und
ehrlich nimmt, auf dieses Gebiet begiebt, stößt er auch wieder allenthalben auf
Hindernisse und Schwierigkeiten. Die Untersuchung über die Bildnisse Dantes
ist eines der besten Kapitel in Kraus Werk. Mit Spannung folgt der Leser
seiner einschneidenden Kritik, die eigentlich nur die allgemeinen Umrisse von
dem populär gewordnen Dantekopf übrig läßt. Selbst das berühmte Fresko
im Bargello in Florenz, das früher für ein Werk Giottos, also eines Zeit¬
genossen Dantes, gehalten wurde, kann vor der Kritik nicht mehr bestehen.
Es ist von einem Schüler Giottos, Taddeo Gaddi, und als es 1840 wieder
ausgefunden wurde, fiel es alsbald einer ungeschickten Auffrischung und Über¬
malung zum Opfer. Einige vorher darnach gemachte Zeichnungen sind künst¬
lerisch so schwach, daß man ihnen mir wenig Vertrauen schenken kann. Es
kommen dann noch ein paar Bildnisse in Handschriften in Betracht; aber ihre
Entstehungszeit ist von Dante noch weiter entfernt als die Wandmalerei im
Bargello. Aus ihnen geht nur soviel hervor, daß schon frühzeitig zwei Dante¬
typen, ein jugendlicher und ein älterer, neben einander hergingen und den
Künstlern als Muster dienten. Auf den ältern geht auch die berühmte Bronze¬
büste im Museo Nazionale in Neapel zurück, die Kraus, wohl mit Recht, in
die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts setzt. Ihr Schöpfer ist un¬
bekannt; es muß aber ein sehr hervorragender Künstler und Dantekenner ge¬
wesen sein. Denn in dieser Büste haben seitdem alle, die sich mit Dante näher
befaßt haben, insbesondre unsre deutschen Landsleute die vollkommenste Ver-


Neues zur Litteratur über Dante

von denen Dante allerdings gewisse Anschauungen, Gedanken und poetische
Ausdrucksformen unzweifelhaft übernommen hat, habe sich der Dichter der
5snov3. vitg. und der Göttlichen Komödie eine Herrin gewählt, die für ihn
eine Allegorie war wie etwa die Musen für die griechischen und römischen
Dichter. Sogar den Namen Beatrice habe er, zum Teil des Wohlklangs
wegen, zum Teil weil er sich glücklich in seine Versmaße einfügte, den Trou¬
badours entlehnt, bei denen er häufig vorkommt; daß diese den wirklichen
Namen ihrer Herrinnen, unter denen sich auch manche nicht ganz allein auf
Seelenfreundschaft gestimmte Damen befanden, in ihren Liedern verschwiegen
und durch einen andern ersetzt haben, ist bekannt. Was wir von Dantes
persönlichen Verhältnissen wissen, beschränkt sich demnach auf die Kenntnis von
seinen Eltern, von seiner Heirat mit einer Frau aus angesehener Familie, mit
der er in Frieden gelebt und mehrere Kinder gehabt hat, und auf seine Teil¬
nahme an den politischen Angelegenheiten seiner Zeit, die für sein persönliches
Behagen unglücklich, sür seinen Ruhm glücklich auffiel. Daraus schöpfte er
jenen gewaltigen Groll, jene souveräne Menschenverachtung, die ihn zur Gött¬
lichen Komödie nicht bloß begeistert, sondern geradezu gedrängt haben.

Bei diesem Mangel an urkundlichen Mitteilungen ist der Wunsch nach
einer authentischen Vorstellung von Dantes äußerer Erscheinung umso be¬
rechtigter. Aber sobald sich der Kritiker, der es mit der Wahrheit ernst und
ehrlich nimmt, auf dieses Gebiet begiebt, stößt er auch wieder allenthalben auf
Hindernisse und Schwierigkeiten. Die Untersuchung über die Bildnisse Dantes
ist eines der besten Kapitel in Kraus Werk. Mit Spannung folgt der Leser
seiner einschneidenden Kritik, die eigentlich nur die allgemeinen Umrisse von
dem populär gewordnen Dantekopf übrig läßt. Selbst das berühmte Fresko
im Bargello in Florenz, das früher für ein Werk Giottos, also eines Zeit¬
genossen Dantes, gehalten wurde, kann vor der Kritik nicht mehr bestehen.
Es ist von einem Schüler Giottos, Taddeo Gaddi, und als es 1840 wieder
ausgefunden wurde, fiel es alsbald einer ungeschickten Auffrischung und Über¬
malung zum Opfer. Einige vorher darnach gemachte Zeichnungen sind künst¬
lerisch so schwach, daß man ihnen mir wenig Vertrauen schenken kann. Es
kommen dann noch ein paar Bildnisse in Handschriften in Betracht; aber ihre
Entstehungszeit ist von Dante noch weiter entfernt als die Wandmalerei im
Bargello. Aus ihnen geht nur soviel hervor, daß schon frühzeitig zwei Dante¬
typen, ein jugendlicher und ein älterer, neben einander hergingen und den
Künstlern als Muster dienten. Auf den ältern geht auch die berühmte Bronze¬
büste im Museo Nazionale in Neapel zurück, die Kraus, wohl mit Recht, in
die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts setzt. Ihr Schöpfer ist un¬
bekannt; es muß aber ein sehr hervorragender Künstler und Dantekenner ge¬
wesen sein. Denn in dieser Büste haben seitdem alle, die sich mit Dante näher
befaßt haben, insbesondre unsre deutschen Landsleute die vollkommenste Ver-


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[0502] Neues zur Litteratur über Dante von denen Dante allerdings gewisse Anschauungen, Gedanken und poetische Ausdrucksformen unzweifelhaft übernommen hat, habe sich der Dichter der 5snov3. vitg. und der Göttlichen Komödie eine Herrin gewählt, die für ihn eine Allegorie war wie etwa die Musen für die griechischen und römischen Dichter. Sogar den Namen Beatrice habe er, zum Teil des Wohlklangs wegen, zum Teil weil er sich glücklich in seine Versmaße einfügte, den Trou¬ badours entlehnt, bei denen er häufig vorkommt; daß diese den wirklichen Namen ihrer Herrinnen, unter denen sich auch manche nicht ganz allein auf Seelenfreundschaft gestimmte Damen befanden, in ihren Liedern verschwiegen und durch einen andern ersetzt haben, ist bekannt. Was wir von Dantes persönlichen Verhältnissen wissen, beschränkt sich demnach auf die Kenntnis von seinen Eltern, von seiner Heirat mit einer Frau aus angesehener Familie, mit der er in Frieden gelebt und mehrere Kinder gehabt hat, und auf seine Teil¬ nahme an den politischen Angelegenheiten seiner Zeit, die für sein persönliches Behagen unglücklich, sür seinen Ruhm glücklich auffiel. Daraus schöpfte er jenen gewaltigen Groll, jene souveräne Menschenverachtung, die ihn zur Gött¬ lichen Komödie nicht bloß begeistert, sondern geradezu gedrängt haben. Bei diesem Mangel an urkundlichen Mitteilungen ist der Wunsch nach einer authentischen Vorstellung von Dantes äußerer Erscheinung umso be¬ rechtigter. Aber sobald sich der Kritiker, der es mit der Wahrheit ernst und ehrlich nimmt, auf dieses Gebiet begiebt, stößt er auch wieder allenthalben auf Hindernisse und Schwierigkeiten. Die Untersuchung über die Bildnisse Dantes ist eines der besten Kapitel in Kraus Werk. Mit Spannung folgt der Leser seiner einschneidenden Kritik, die eigentlich nur die allgemeinen Umrisse von dem populär gewordnen Dantekopf übrig läßt. Selbst das berühmte Fresko im Bargello in Florenz, das früher für ein Werk Giottos, also eines Zeit¬ genossen Dantes, gehalten wurde, kann vor der Kritik nicht mehr bestehen. Es ist von einem Schüler Giottos, Taddeo Gaddi, und als es 1840 wieder ausgefunden wurde, fiel es alsbald einer ungeschickten Auffrischung und Über¬ malung zum Opfer. Einige vorher darnach gemachte Zeichnungen sind künst¬ lerisch so schwach, daß man ihnen mir wenig Vertrauen schenken kann. Es kommen dann noch ein paar Bildnisse in Handschriften in Betracht; aber ihre Entstehungszeit ist von Dante noch weiter entfernt als die Wandmalerei im Bargello. Aus ihnen geht nur soviel hervor, daß schon frühzeitig zwei Dante¬ typen, ein jugendlicher und ein älterer, neben einander hergingen und den Künstlern als Muster dienten. Auf den ältern geht auch die berühmte Bronze¬ büste im Museo Nazionale in Neapel zurück, die Kraus, wohl mit Recht, in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts setzt. Ihr Schöpfer ist un¬ bekannt; es muß aber ein sehr hervorragender Künstler und Dantekenner ge¬ wesen sein. Denn in dieser Büste haben seitdem alle, die sich mit Dante näher befaßt haben, insbesondre unsre deutschen Landsleute die vollkommenste Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/502>, abgerufen am 23.07.2024.