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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neues zur Litteratur über Dante

Verehrern des Dichters wohl sympathischer sein wird, als die pedantischen
Versuche, auch eine örtliche Beschreibung der Hölle, des Fegefeuers und des
Paradieses graphisch herzustellen, scheint durch Bassermanns Forschungen, in
den Grundzügen wenigstens, endgiltig abgethan zu sein. Neben den Forschungen
in der Natur hatte sich Bassermann, wie schon vorhin erwähnt worden ist,
aber noch eine zweite Aufgabe gestellt: eine Charakteristik von Dantes Be¬
ziehungen zur Kunst seiner Zeit und seines Einflusses auf die Kunst der spätern
Jahrhunderte bis auf die Neuzeit. Eine treffliche Vorarbeit dazu lag in einer
Schrift Volkmanns, Bildliche Darstellungen zu Dantes viviua, (Zoiniuöäia
(Leipzig, 1892) vor. Aber Wassermann ist es gelungen, in italienischen Biblio¬
theken noch manche illustrirten Dantehandschriften aufzufinden, die der Forschung
bisher entgangen waren. Interessante Proben davon bieten die seinem Werke
beigegebnen Tafeln. Allerdings handelt es sich dabei weniger um wirkliche Kunst¬
werke, als um mehr oder weniger geschickte Versuche, die Nätselsprache des
Dichters durch bildliche Darstellungen faßlich zu machen.

Während Bassermann Dantes Beziehungen zur Kunst aber vorzugsweise
vom Standpunkt des Danteforschers oder spezieller des "Dantephilologen" be¬
trachtet und darnach den Wert der verschiednen Danteillustrationen abschätzt, hat
sie nach ihm Franz Xaver Kraus, der Verfasser des zweiten neuern Werks, das
in der Dantelitteratur von epochemachender Bedeutung zu werden verspricht,^)
als Kunsthistoriker behandelt. Er ist, wie er in der Vorrede sagt, "der Dante¬
forschung von zwei Seiten zugeführt worden: einmal von Seiten der Kirchen-,
dann von Seiten der Kunstgeschichte." Das entspricht den beiden Gebieten
der Wissenschaft, die er seit Jahrzehnten litterarisch pflegt, und auf denen er
auch als Hochschullehrer, jetzt an der Universität Freiburg i. B., thätig ist.
Durch diese Studien war Kraus zu der Überzeugung gekommen, daß Dante
nicht bloß den Höhepunkt christlicher Dichtung bezeichnet, sondern daß sein
Geist "auch der treueste Spiegel aller wissenschaftlichen und politischen Er¬
kenntnis seiner Zeit" ist. "Seine wahre Bedeutung aber für alle Folgezeit
liegt darin, daß er die Wurzeln des Verderbnisscs, welches die mittelalterliche
Kirche angriff und die Gesellschaft des vierzehnten Jahrhunderts rasch ihrem
Niedergang entgegenführte, früher und klarer als ein andrer erkannte: kein
zweiter Mensch hat mit deutlicheren Bewußtsein den Finger auf die Wunde
gelegt, deren Heilung die Einheit der abendländischen Kirche gerettet haben
würde."

Nachdem Kraus einmal zu dieser Erkenntnis gelangt war, ergab sich für
ihn die Notwendigkeit, Dantes Dichtungen von neuem zu untersuchen, daraus
seine "Seelengeschichte" zu entwickeln und, da diese ohne eine Kenntnis von



Drute, Sein Leben und sein Werk, sein Verhältnis zur Kunst und zur Politik, Mit
zahlreichen Illustrationen, Berlin, G, Grote,
Neues zur Litteratur über Dante

Verehrern des Dichters wohl sympathischer sein wird, als die pedantischen
Versuche, auch eine örtliche Beschreibung der Hölle, des Fegefeuers und des
Paradieses graphisch herzustellen, scheint durch Bassermanns Forschungen, in
den Grundzügen wenigstens, endgiltig abgethan zu sein. Neben den Forschungen
in der Natur hatte sich Bassermann, wie schon vorhin erwähnt worden ist,
aber noch eine zweite Aufgabe gestellt: eine Charakteristik von Dantes Be¬
ziehungen zur Kunst seiner Zeit und seines Einflusses auf die Kunst der spätern
Jahrhunderte bis auf die Neuzeit. Eine treffliche Vorarbeit dazu lag in einer
Schrift Volkmanns, Bildliche Darstellungen zu Dantes viviua, (Zoiniuöäia
(Leipzig, 1892) vor. Aber Wassermann ist es gelungen, in italienischen Biblio¬
theken noch manche illustrirten Dantehandschriften aufzufinden, die der Forschung
bisher entgangen waren. Interessante Proben davon bieten die seinem Werke
beigegebnen Tafeln. Allerdings handelt es sich dabei weniger um wirkliche Kunst¬
werke, als um mehr oder weniger geschickte Versuche, die Nätselsprache des
Dichters durch bildliche Darstellungen faßlich zu machen.

Während Bassermann Dantes Beziehungen zur Kunst aber vorzugsweise
vom Standpunkt des Danteforschers oder spezieller des „Dantephilologen" be¬
trachtet und darnach den Wert der verschiednen Danteillustrationen abschätzt, hat
sie nach ihm Franz Xaver Kraus, der Verfasser des zweiten neuern Werks, das
in der Dantelitteratur von epochemachender Bedeutung zu werden verspricht,^)
als Kunsthistoriker behandelt. Er ist, wie er in der Vorrede sagt, „der Dante¬
forschung von zwei Seiten zugeführt worden: einmal von Seiten der Kirchen-,
dann von Seiten der Kunstgeschichte." Das entspricht den beiden Gebieten
der Wissenschaft, die er seit Jahrzehnten litterarisch pflegt, und auf denen er
auch als Hochschullehrer, jetzt an der Universität Freiburg i. B., thätig ist.
Durch diese Studien war Kraus zu der Überzeugung gekommen, daß Dante
nicht bloß den Höhepunkt christlicher Dichtung bezeichnet, sondern daß sein
Geist „auch der treueste Spiegel aller wissenschaftlichen und politischen Er¬
kenntnis seiner Zeit" ist. „Seine wahre Bedeutung aber für alle Folgezeit
liegt darin, daß er die Wurzeln des Verderbnisscs, welches die mittelalterliche
Kirche angriff und die Gesellschaft des vierzehnten Jahrhunderts rasch ihrem
Niedergang entgegenführte, früher und klarer als ein andrer erkannte: kein
zweiter Mensch hat mit deutlicheren Bewußtsein den Finger auf die Wunde
gelegt, deren Heilung die Einheit der abendländischen Kirche gerettet haben
würde."

Nachdem Kraus einmal zu dieser Erkenntnis gelangt war, ergab sich für
ihn die Notwendigkeit, Dantes Dichtungen von neuem zu untersuchen, daraus
seine „Seelengeschichte" zu entwickeln und, da diese ohne eine Kenntnis von



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/499>, abgerufen am 23.07.2024.