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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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fange des revolutionären Nationalstaats durch eine besondre Jubiläumsbotschast
anerkannt. Der Völkerfrühling des Jahres 1848, den in Österreich der Kaiser
mit Recht nicht feiert, obgleich das Metternichsche System zum Heil des
Gesamtstaats zusammenbrach, war in Ungarn nicht ein Kampf der Aufklärung
und das Erwachen idealer Volkskräfte, sondern lediglich ein aufrührerischer
Versuch landesverräterischer Magyaren. Die Willkürherrschaft der Magnaten
wurde zwar beschränkt, aber noch ist Ungarn das feudalste Land Europas, und
die liberale Verfassung dient bloß einer Oligarchie verschuldeter Aristokraten,
jüdischer Geldleute und käuflicher Journalisten. Die Agrarunruhen und die
lügnerischen Preßberichte aus Budapest sind der untrügliche Beweis für diese
jammervollen Zustände. Nur deutsche Harmlosigkeit kann daher in redlicher
liberaler Gesinnung den kaiserlichen Erlaß feiern, worin die freiheitliche Ent¬
wicklung Ungarns seit dem Nevolutionsjahr bloß als eine Verbrämung sür den
magyarischen Chauvinismus aufgeputzt wird. Vanffys Uuterdrückungsregiment
bildet doch einen allzu starken Widerspruch gegen den Inhalt der Botschaft.
Freilich der deutsche liberale Zeitungsinichel ist auf diesen Leim gegangen, da
er wohl die tönenden Worte gehört, nicht aber deren geschickt versteckten Sinn
verstanden hat.

Die magyarische Negierung nutzt die Schwäche der national zerrissenen
Schwesterhülfte des Habsburgischen Reichs mit anerkennenswerten Geschick sür
ihre Zwecke aus, und das deutsche Volkstum muß auch jenseits der Leitha die
Zeche bezahlen. Kroaten und Walachen wehren sich tapfer und mit Erfolg ihrer
Haut. Der friedfertige, gebildete Deutsche wagt es kaum, sich zu verteidigen.

Der Liberalismus schwärmt auch im Deutschen Reiche für Ungarn, ohne
zu ahnen, daß dessen Verfassung die reaktionärste aller europäischen Staaten
außer Rußland und der Türkei ist. Denn das Abgeordnetenhaus ist dort keine
Volksvertretung, sondern nur eine Wahlmaschine der Regierung. Das arg
beschränkte Wahlrecht liegt ganz in der Hand der Regierung nach dem Muster
der andern halbasiatischen Staaten Osteuropas, und ein klarer Volkswille aller
Stämme kann hierdurch nie zum Ausdruck kommen. Leisten im Abgeordneten¬
hause deutsche Liberale der Parteiregierung Schergendienste, so handeln im
Magnatenhause deutsche Konservative als Schleppenträger ihrer magyarischen
Standesgenossen und jüdischer Großgrundbesitzer nicht anders, obgleich das
numerische Verhältnis trotz der deutsch-kroatisch-walachischeu Mehrheit das
denkbar ungünstigste für diese Volksstümme ist. Der ritterliche magyarische
Liberalismus hat das Kunststück fertig gebracht, unter der heuchlerischen Phrase
der Gleichheit dem eignen Volkstum trotz der absoluten Minderzahl ein unan¬
greifbares Übergewicht zu sichern. An der Maguatentafel sitzen fast nur Voll¬
blutmagyaren und Juden.

Mit Österreich-Ungarn verbinden uns wichtige Lebensinteressen, einerseits
das gemeinsame Volkstum des bisher führenden Kultnrstmnms, andrerseits das


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fange des revolutionären Nationalstaats durch eine besondre Jubiläumsbotschast
anerkannt. Der Völkerfrühling des Jahres 1848, den in Österreich der Kaiser
mit Recht nicht feiert, obgleich das Metternichsche System zum Heil des
Gesamtstaats zusammenbrach, war in Ungarn nicht ein Kampf der Aufklärung
und das Erwachen idealer Volkskräfte, sondern lediglich ein aufrührerischer
Versuch landesverräterischer Magyaren. Die Willkürherrschaft der Magnaten
wurde zwar beschränkt, aber noch ist Ungarn das feudalste Land Europas, und
die liberale Verfassung dient bloß einer Oligarchie verschuldeter Aristokraten,
jüdischer Geldleute und käuflicher Journalisten. Die Agrarunruhen und die
lügnerischen Preßberichte aus Budapest sind der untrügliche Beweis für diese
jammervollen Zustände. Nur deutsche Harmlosigkeit kann daher in redlicher
liberaler Gesinnung den kaiserlichen Erlaß feiern, worin die freiheitliche Ent¬
wicklung Ungarns seit dem Nevolutionsjahr bloß als eine Verbrämung sür den
magyarischen Chauvinismus aufgeputzt wird. Vanffys Uuterdrückungsregiment
bildet doch einen allzu starken Widerspruch gegen den Inhalt der Botschaft.
Freilich der deutsche liberale Zeitungsinichel ist auf diesen Leim gegangen, da
er wohl die tönenden Worte gehört, nicht aber deren geschickt versteckten Sinn
verstanden hat.

Die magyarische Negierung nutzt die Schwäche der national zerrissenen
Schwesterhülfte des Habsburgischen Reichs mit anerkennenswerten Geschick sür
ihre Zwecke aus, und das deutsche Volkstum muß auch jenseits der Leitha die
Zeche bezahlen. Kroaten und Walachen wehren sich tapfer und mit Erfolg ihrer
Haut. Der friedfertige, gebildete Deutsche wagt es kaum, sich zu verteidigen.

Der Liberalismus schwärmt auch im Deutschen Reiche für Ungarn, ohne
zu ahnen, daß dessen Verfassung die reaktionärste aller europäischen Staaten
außer Rußland und der Türkei ist. Denn das Abgeordnetenhaus ist dort keine
Volksvertretung, sondern nur eine Wahlmaschine der Regierung. Das arg
beschränkte Wahlrecht liegt ganz in der Hand der Regierung nach dem Muster
der andern halbasiatischen Staaten Osteuropas, und ein klarer Volkswille aller
Stämme kann hierdurch nie zum Ausdruck kommen. Leisten im Abgeordneten¬
hause deutsche Liberale der Parteiregierung Schergendienste, so handeln im
Magnatenhause deutsche Konservative als Schleppenträger ihrer magyarischen
Standesgenossen und jüdischer Großgrundbesitzer nicht anders, obgleich das
numerische Verhältnis trotz der deutsch-kroatisch-walachischeu Mehrheit das
denkbar ungünstigste für diese Volksstümme ist. Der ritterliche magyarische
Liberalismus hat das Kunststück fertig gebracht, unter der heuchlerischen Phrase
der Gleichheit dem eignen Volkstum trotz der absoluten Minderzahl ein unan¬
greifbares Übergewicht zu sichern. An der Maguatentafel sitzen fast nur Voll¬
blutmagyaren und Juden.

Mit Österreich-Ungarn verbinden uns wichtige Lebensinteressen, einerseits
das gemeinsame Volkstum des bisher führenden Kultnrstmnms, andrerseits das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/473>, abgerufen am 23.07.2024.