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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das ungarlcindischc Deutschtum und das Deutsche Reich

Slawentum stärkt. Ungarn mit seinem magyarischen Chauvinismus ist keines¬
wegs ein Felsen im brandenden slawischen Meer. Aus einem getreuen An¬
hänger des Deutschtums, wozu ihn die Geschichte seit Jahrhunderten gezwungen
hat, ist der Magyar zum wildesten Verfolger des Deutschen geworden, obwohl
dieser allein ihn vor dem übermütigen, gefährlichen Slawen retten kann.

Aufrichtige Freunde hat das Deutschtum überhaupt nicht unter den Ma¬
gyaren, trotz aller schönen Reden. Undankbarkeit ist das hervorstechendste
politische Zeichen der Ungarn und ihrer rationalisirten Regierung. Der
Schwob und der Sachse müssen sich unter der Stephanskrone selbst helfen,
und die Volksgenossen diesseits der Leitha wie des Böhmerwaldes dürfen nicht
müßig zuschauen, sondern wenigstens mit geistigen Waffen den bedrängten
Brüdern beistehen. Auf die Dauer ivird deshalb auch die offizielle deutsche
Welt bei diesem Völkerringen Farbe bekennen müssen, will sie nicht ein neues
und schlimmeres Olmütz erleben.

Die Sachlage hat sich gegenwärtig leider noch verschlimmert; es ist nicht
zu leugnen, daß die deutsche Kaiserrede in Pest zu der erneuten Vergewalti¬
gung des Deutschtums Gelegenheit gegeben hat. Freilich ist die Art und
Weise, wie der zuständige Preßbeamte des ungarischen Ministerpräsidiums
diesen folgenschweren Höflichkeitsaustausch zu magyarischen Zwecken mißbraucht,
in den amtlichen Gepflogenheiten eines Staates unerhört und nnr aus den
halbasiatischen Verhältnissen dort zu erklären, die Europas Höflichkeit bloß
dürftig übertüncht hat. Der Preßreferent, Ministerialrat und Sektionschef
G. Belsies, also selbst ein Slowake, schreibt offiziös wörtlich: "Der germa¬
nische Kaiser hat ostwärts der Leitha alles Deutschtum aufgegeben. Keine
unsrer Nationalitäten kann noch auf eine Stütze im Auslande rechnen. Keine
Wirkung von außen her wird also noch die Einheit der ungarischen Nation
hindern. Heute können wir alles thun." Dies ist eine amtliche Schamlosig¬
keit schlimmster Art, der Gedanke liegt nahe, ob nicht von Amts wegen dieser
Auslegung der Kaiserrede entgegenzutreten ist. Der Kaiser des "größern
Deutschlands." wie sich Kaiser Wilhelm II. ausdrücklich genannt hat, kann
niemals, auch nur unbewußt ein Minderer des Deutschtums sein. Am stärksten
muß aber diese ungarische Auslassung in Wien verstimmen, da der Preßbeamte
des ungarischen Ministerpräsidenten den österreichischen Kaiser als nichtdeutschen
Herrscher ansteht und daher überhaupt unbeachtet läßt. Man möge in Wien
daraus den sichern Schluß ziehen, daß die Krone im eignen Interesse ihr an¬
gestammtes deutsches Volkstum nicht nur in Österreich, sondern auch in Ungarn
schützen muß, will sie nicht tschechische Zustände erleben, die unmittelbar die
Einheit des Reichs bedrohen.

Daß min in Ungarn nicht nur die altehrwürdigen deutscheu Gemeindennmen
amtlich magyarisirt werden, sondern auch die Magyarisirung der Familiennamen
stempelfrei erfolgen soll, kann kaum noch befremden. Den Gipfel des Deutschen-


Das ungarlcindischc Deutschtum und das Deutsche Reich

Slawentum stärkt. Ungarn mit seinem magyarischen Chauvinismus ist keines¬
wegs ein Felsen im brandenden slawischen Meer. Aus einem getreuen An¬
hänger des Deutschtums, wozu ihn die Geschichte seit Jahrhunderten gezwungen
hat, ist der Magyar zum wildesten Verfolger des Deutschen geworden, obwohl
dieser allein ihn vor dem übermütigen, gefährlichen Slawen retten kann.

Aufrichtige Freunde hat das Deutschtum überhaupt nicht unter den Ma¬
gyaren, trotz aller schönen Reden. Undankbarkeit ist das hervorstechendste
politische Zeichen der Ungarn und ihrer rationalisirten Regierung. Der
Schwob und der Sachse müssen sich unter der Stephanskrone selbst helfen,
und die Volksgenossen diesseits der Leitha wie des Böhmerwaldes dürfen nicht
müßig zuschauen, sondern wenigstens mit geistigen Waffen den bedrängten
Brüdern beistehen. Auf die Dauer ivird deshalb auch die offizielle deutsche
Welt bei diesem Völkerringen Farbe bekennen müssen, will sie nicht ein neues
und schlimmeres Olmütz erleben.

Die Sachlage hat sich gegenwärtig leider noch verschlimmert; es ist nicht
zu leugnen, daß die deutsche Kaiserrede in Pest zu der erneuten Vergewalti¬
gung des Deutschtums Gelegenheit gegeben hat. Freilich ist die Art und
Weise, wie der zuständige Preßbeamte des ungarischen Ministerpräsidiums
diesen folgenschweren Höflichkeitsaustausch zu magyarischen Zwecken mißbraucht,
in den amtlichen Gepflogenheiten eines Staates unerhört und nnr aus den
halbasiatischen Verhältnissen dort zu erklären, die Europas Höflichkeit bloß
dürftig übertüncht hat. Der Preßreferent, Ministerialrat und Sektionschef
G. Belsies, also selbst ein Slowake, schreibt offiziös wörtlich: „Der germa¬
nische Kaiser hat ostwärts der Leitha alles Deutschtum aufgegeben. Keine
unsrer Nationalitäten kann noch auf eine Stütze im Auslande rechnen. Keine
Wirkung von außen her wird also noch die Einheit der ungarischen Nation
hindern. Heute können wir alles thun." Dies ist eine amtliche Schamlosig¬
keit schlimmster Art, der Gedanke liegt nahe, ob nicht von Amts wegen dieser
Auslegung der Kaiserrede entgegenzutreten ist. Der Kaiser des „größern
Deutschlands." wie sich Kaiser Wilhelm II. ausdrücklich genannt hat, kann
niemals, auch nur unbewußt ein Minderer des Deutschtums sein. Am stärksten
muß aber diese ungarische Auslassung in Wien verstimmen, da der Preßbeamte
des ungarischen Ministerpräsidenten den österreichischen Kaiser als nichtdeutschen
Herrscher ansteht und daher überhaupt unbeachtet läßt. Man möge in Wien
daraus den sichern Schluß ziehen, daß die Krone im eignen Interesse ihr an¬
gestammtes deutsches Volkstum nicht nur in Österreich, sondern auch in Ungarn
schützen muß, will sie nicht tschechische Zustände erleben, die unmittelbar die
Einheit des Reichs bedrohen.

Daß min in Ungarn nicht nur die altehrwürdigen deutscheu Gemeindennmen
amtlich magyarisirt werden, sondern auch die Magyarisirung der Familiennamen
stempelfrei erfolgen soll, kann kaum noch befremden. Den Gipfel des Deutschen-


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[0471] Das ungarlcindischc Deutschtum und das Deutsche Reich Slawentum stärkt. Ungarn mit seinem magyarischen Chauvinismus ist keines¬ wegs ein Felsen im brandenden slawischen Meer. Aus einem getreuen An¬ hänger des Deutschtums, wozu ihn die Geschichte seit Jahrhunderten gezwungen hat, ist der Magyar zum wildesten Verfolger des Deutschen geworden, obwohl dieser allein ihn vor dem übermütigen, gefährlichen Slawen retten kann. Aufrichtige Freunde hat das Deutschtum überhaupt nicht unter den Ma¬ gyaren, trotz aller schönen Reden. Undankbarkeit ist das hervorstechendste politische Zeichen der Ungarn und ihrer rationalisirten Regierung. Der Schwob und der Sachse müssen sich unter der Stephanskrone selbst helfen, und die Volksgenossen diesseits der Leitha wie des Böhmerwaldes dürfen nicht müßig zuschauen, sondern wenigstens mit geistigen Waffen den bedrängten Brüdern beistehen. Auf die Dauer ivird deshalb auch die offizielle deutsche Welt bei diesem Völkerringen Farbe bekennen müssen, will sie nicht ein neues und schlimmeres Olmütz erleben. Die Sachlage hat sich gegenwärtig leider noch verschlimmert; es ist nicht zu leugnen, daß die deutsche Kaiserrede in Pest zu der erneuten Vergewalti¬ gung des Deutschtums Gelegenheit gegeben hat. Freilich ist die Art und Weise, wie der zuständige Preßbeamte des ungarischen Ministerpräsidiums diesen folgenschweren Höflichkeitsaustausch zu magyarischen Zwecken mißbraucht, in den amtlichen Gepflogenheiten eines Staates unerhört und nnr aus den halbasiatischen Verhältnissen dort zu erklären, die Europas Höflichkeit bloß dürftig übertüncht hat. Der Preßreferent, Ministerialrat und Sektionschef G. Belsies, also selbst ein Slowake, schreibt offiziös wörtlich: „Der germa¬ nische Kaiser hat ostwärts der Leitha alles Deutschtum aufgegeben. Keine unsrer Nationalitäten kann noch auf eine Stütze im Auslande rechnen. Keine Wirkung von außen her wird also noch die Einheit der ungarischen Nation hindern. Heute können wir alles thun." Dies ist eine amtliche Schamlosig¬ keit schlimmster Art, der Gedanke liegt nahe, ob nicht von Amts wegen dieser Auslegung der Kaiserrede entgegenzutreten ist. Der Kaiser des „größern Deutschlands." wie sich Kaiser Wilhelm II. ausdrücklich genannt hat, kann niemals, auch nur unbewußt ein Minderer des Deutschtums sein. Am stärksten muß aber diese ungarische Auslassung in Wien verstimmen, da der Preßbeamte des ungarischen Ministerpräsidenten den österreichischen Kaiser als nichtdeutschen Herrscher ansteht und daher überhaupt unbeachtet läßt. Man möge in Wien daraus den sichern Schluß ziehen, daß die Krone im eignen Interesse ihr an¬ gestammtes deutsches Volkstum nicht nur in Österreich, sondern auch in Ungarn schützen muß, will sie nicht tschechische Zustände erleben, die unmittelbar die Einheit des Reichs bedrohen. Daß min in Ungarn nicht nur die altehrwürdigen deutscheu Gemeindennmen amtlich magyarisirt werden, sondern auch die Magyarisirung der Familiennamen stempelfrei erfolgen soll, kann kaum noch befremden. Den Gipfel des Deutschen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/471>, abgerufen am 23.07.2024.