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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neue Aunstlitteratur

Chr. V. Nielsen, Architekt und Dozent an der Kunstakademie zu Kopen¬
hagen, hat unter dem Titel: Dürer und sein Verhalten zur Perspektive
(dänisch, Kopenhagen, Wilhelm Tryde) eine größere Abhandlung herausgegeben
mit Tafeln und Textabbildungen, worin gezeigt wird, wie genau es Dürer auf
den betreffenden Holzschnitten, Kupferstichen und Gemälden bis in die Einzel¬
heiten der landschaftlichen Hintergrunde mit dem Horizont, dem Verschwindungs-
punkt usw. genommen hat. Darauf beruht auch mit der Eindruck der Sicher¬
heit, mit der seine Figuren hingestellt erscheinen. Das Buch ist einfach, fehr
sachlich und höchst belehrend.

Von Albrecht Dürer handelt zumeist auch ein lange bekanntes Buch von
eigentümlicher Schönheit: Noriea, das sind Nürnbergische Novellen aus alter
Zeit. Nach einer Handschrift des sechzehnten Jahrhunderts von August Hagen.
Der Verfasser wurde vor hundert Jahren geboren, und jetzt erlebt das 1829
zuerst erschienene Büchlein die siebente Auflage (Leipzig. I. I. Weber)! Tiecks
Künstlernovellen sind längst vergessen, und keiner wird sie mehr lesen, die
Noriea, die übrigens viel besser sind als irgend eine von ihnen, nicht nur im
Inhalt, sondern auch im Tone, sind noch lebensfähig. Die Fiktion der "alten
Handschrift," die vor fünfzig Jahren den englischen Übersetzer zu einer ernst¬
haften Widerlegung veranlaßte, wird noch heute auf die Leser wirken. Jakob
Heller aus Frankfurt schildert nach den Eindrücken seiner Nürnberger Besuche
das Leben Dürers und seiner Freunde, der bekannten Nürnberger Bildhauer.
An diese tagebuchartigen Berichte sind Mitteilungen Pirkheimers angeschlossen.
Die Darstellung ist so angenehm und zart in der Form, daß es keine bessere
erste Einführung in die Geschichte der deutschen Kunst geben kann. Für die
sicher zu erwartende achte Auflage müßten allerdings mancherlei offenbare Un¬
richtigkeiten und einige Druckfehler in den Jahreszahlen beseitigt werden, wofür
wir gern das Verzeichnis unsrer Wünsche zur Verfügung stellen.

Auf ein noch wenig bebautes Gebiet führt uns eine schöne Publikation
des E. A. Seemannschen Verlags in Leipzig. Jeder weiß, wie reich Schleswig-
Holstein an Schnitzwerken ist. Brüggemanns Altar in Schleswig ist schon mehr¬
fach wissenschaftlich bearbeitet worden. Hier erhalten wir nun zum erstenmal
eine zusammenfassende, lichtvolle Behaudlung eines Barockkünstlers aus einer
dieser alten Schnitzerfamilien, mit neunzehn großen Tafeln in deutlichem Licht¬
druck und vielen Textabbildungen: Hans Gudewerdt, ein Beitrag zur Kunst¬
geschichte Schleswig-Holsteins von Gustav Brandt. Gudewerdt war selb¬
ständiger Meister im väterlichen Geschäft in Eckernförde seit 1634 und starb
1671. Seine Hauptwerke fallen in die Zeit des großen Krieges, der in dem
übrigen Deutschland die Kunstthätigkeit meist zum Stehen brachte. Es sind
zwei sehr stattliche Schnitzaltäre ohne Bilder in Eckernförde (1640) und Koppeln
(1641); viel geringer in der Arbeit sind zwei ähnliche in Preetz (ans Dänischen-
hagen) und Schönkirchen von 1653 und 1656. Dazu kommen noch die Gek-


Neue Aunstlitteratur

Chr. V. Nielsen, Architekt und Dozent an der Kunstakademie zu Kopen¬
hagen, hat unter dem Titel: Dürer und sein Verhalten zur Perspektive
(dänisch, Kopenhagen, Wilhelm Tryde) eine größere Abhandlung herausgegeben
mit Tafeln und Textabbildungen, worin gezeigt wird, wie genau es Dürer auf
den betreffenden Holzschnitten, Kupferstichen und Gemälden bis in die Einzel¬
heiten der landschaftlichen Hintergrunde mit dem Horizont, dem Verschwindungs-
punkt usw. genommen hat. Darauf beruht auch mit der Eindruck der Sicher¬
heit, mit der seine Figuren hingestellt erscheinen. Das Buch ist einfach, fehr
sachlich und höchst belehrend.

Von Albrecht Dürer handelt zumeist auch ein lange bekanntes Buch von
eigentümlicher Schönheit: Noriea, das sind Nürnbergische Novellen aus alter
Zeit. Nach einer Handschrift des sechzehnten Jahrhunderts von August Hagen.
Der Verfasser wurde vor hundert Jahren geboren, und jetzt erlebt das 1829
zuerst erschienene Büchlein die siebente Auflage (Leipzig. I. I. Weber)! Tiecks
Künstlernovellen sind längst vergessen, und keiner wird sie mehr lesen, die
Noriea, die übrigens viel besser sind als irgend eine von ihnen, nicht nur im
Inhalt, sondern auch im Tone, sind noch lebensfähig. Die Fiktion der „alten
Handschrift," die vor fünfzig Jahren den englischen Übersetzer zu einer ernst¬
haften Widerlegung veranlaßte, wird noch heute auf die Leser wirken. Jakob
Heller aus Frankfurt schildert nach den Eindrücken seiner Nürnberger Besuche
das Leben Dürers und seiner Freunde, der bekannten Nürnberger Bildhauer.
An diese tagebuchartigen Berichte sind Mitteilungen Pirkheimers angeschlossen.
Die Darstellung ist so angenehm und zart in der Form, daß es keine bessere
erste Einführung in die Geschichte der deutschen Kunst geben kann. Für die
sicher zu erwartende achte Auflage müßten allerdings mancherlei offenbare Un¬
richtigkeiten und einige Druckfehler in den Jahreszahlen beseitigt werden, wofür
wir gern das Verzeichnis unsrer Wünsche zur Verfügung stellen.

Auf ein noch wenig bebautes Gebiet führt uns eine schöne Publikation
des E. A. Seemannschen Verlags in Leipzig. Jeder weiß, wie reich Schleswig-
Holstein an Schnitzwerken ist. Brüggemanns Altar in Schleswig ist schon mehr¬
fach wissenschaftlich bearbeitet worden. Hier erhalten wir nun zum erstenmal
eine zusammenfassende, lichtvolle Behaudlung eines Barockkünstlers aus einer
dieser alten Schnitzerfamilien, mit neunzehn großen Tafeln in deutlichem Licht¬
druck und vielen Textabbildungen: Hans Gudewerdt, ein Beitrag zur Kunst¬
geschichte Schleswig-Holsteins von Gustav Brandt. Gudewerdt war selb¬
ständiger Meister im väterlichen Geschäft in Eckernförde seit 1634 und starb
1671. Seine Hauptwerke fallen in die Zeit des großen Krieges, der in dem
übrigen Deutschland die Kunstthätigkeit meist zum Stehen brachte. Es sind
zwei sehr stattliche Schnitzaltäre ohne Bilder in Eckernförde (1640) und Koppeln
(1641); viel geringer in der Arbeit sind zwei ähnliche in Preetz (ans Dänischen-
hagen) und Schönkirchen von 1653 und 1656. Dazu kommen noch die Gek-


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[0455] Neue Aunstlitteratur Chr. V. Nielsen, Architekt und Dozent an der Kunstakademie zu Kopen¬ hagen, hat unter dem Titel: Dürer und sein Verhalten zur Perspektive (dänisch, Kopenhagen, Wilhelm Tryde) eine größere Abhandlung herausgegeben mit Tafeln und Textabbildungen, worin gezeigt wird, wie genau es Dürer auf den betreffenden Holzschnitten, Kupferstichen und Gemälden bis in die Einzel¬ heiten der landschaftlichen Hintergrunde mit dem Horizont, dem Verschwindungs- punkt usw. genommen hat. Darauf beruht auch mit der Eindruck der Sicher¬ heit, mit der seine Figuren hingestellt erscheinen. Das Buch ist einfach, fehr sachlich und höchst belehrend. Von Albrecht Dürer handelt zumeist auch ein lange bekanntes Buch von eigentümlicher Schönheit: Noriea, das sind Nürnbergische Novellen aus alter Zeit. Nach einer Handschrift des sechzehnten Jahrhunderts von August Hagen. Der Verfasser wurde vor hundert Jahren geboren, und jetzt erlebt das 1829 zuerst erschienene Büchlein die siebente Auflage (Leipzig. I. I. Weber)! Tiecks Künstlernovellen sind längst vergessen, und keiner wird sie mehr lesen, die Noriea, die übrigens viel besser sind als irgend eine von ihnen, nicht nur im Inhalt, sondern auch im Tone, sind noch lebensfähig. Die Fiktion der „alten Handschrift," die vor fünfzig Jahren den englischen Übersetzer zu einer ernst¬ haften Widerlegung veranlaßte, wird noch heute auf die Leser wirken. Jakob Heller aus Frankfurt schildert nach den Eindrücken seiner Nürnberger Besuche das Leben Dürers und seiner Freunde, der bekannten Nürnberger Bildhauer. An diese tagebuchartigen Berichte sind Mitteilungen Pirkheimers angeschlossen. Die Darstellung ist so angenehm und zart in der Form, daß es keine bessere erste Einführung in die Geschichte der deutschen Kunst geben kann. Für die sicher zu erwartende achte Auflage müßten allerdings mancherlei offenbare Un¬ richtigkeiten und einige Druckfehler in den Jahreszahlen beseitigt werden, wofür wir gern das Verzeichnis unsrer Wünsche zur Verfügung stellen. Auf ein noch wenig bebautes Gebiet führt uns eine schöne Publikation des E. A. Seemannschen Verlags in Leipzig. Jeder weiß, wie reich Schleswig- Holstein an Schnitzwerken ist. Brüggemanns Altar in Schleswig ist schon mehr¬ fach wissenschaftlich bearbeitet worden. Hier erhalten wir nun zum erstenmal eine zusammenfassende, lichtvolle Behaudlung eines Barockkünstlers aus einer dieser alten Schnitzerfamilien, mit neunzehn großen Tafeln in deutlichem Licht¬ druck und vielen Textabbildungen: Hans Gudewerdt, ein Beitrag zur Kunst¬ geschichte Schleswig-Holsteins von Gustav Brandt. Gudewerdt war selb¬ ständiger Meister im väterlichen Geschäft in Eckernförde seit 1634 und starb 1671. Seine Hauptwerke fallen in die Zeit des großen Krieges, der in dem übrigen Deutschland die Kunstthätigkeit meist zum Stehen brachte. Es sind zwei sehr stattliche Schnitzaltäre ohne Bilder in Eckernförde (1640) und Koppeln (1641); viel geringer in der Arbeit sind zwei ähnliche in Preetz (ans Dänischen- hagen) und Schönkirchen von 1653 und 1656. Dazu kommen noch die Gek-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/455>, abgerufen am 23.07.2024.