Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Neue Kunstlitteratur

ischcrs vielbändige berühmte 1846 bis 1857 erschienene Ästhetik
ist das einzige Werk dieses Titels, aus dem sich etwas über
die bildende Kunst lernen läßt, alle andern sind von Philosophen
für ganz andre Zwecke geschrieben morden. Aber auch Bischers
Werk war sür die meisten selbst ernsten Leser viel zu schwer,
namentlich in seinen ersten beiden Teilen, die die philosophische Grundlage,
das Naturschöne und die Phantasie, behandeln, und es dürfte heute mit Aus¬
nahme solcher, die wieder eine Ästhetik schreiben wollen, nur außerordentlich
wenig Menschen geben, die in diesen beiden Teilen auch nur hin und her
gelesen haben. Mit so schweren Brocken durfte aber der geistvolle Mann
seinen Zuhörern am Stuttgarter Polytechnikum nicht kommen, und für sie
fand er daher in vieljähriger Vorlesungspraxis eine besonders glückliche Art,
über Kunst zu belehren, ohne den Wortvorrat der Philosophen ganz in Anspruch
zu nehmen. Weil im Wesen und in der Wirkung der Kunst so vieles unmeßbar
und unbestimmbar, mehr zu empfinden, als mit Worten zu beweisen ist, so
thut anstatt der dogmcitisircnden Verschleierung der Philosophen eine einfachere
Besprechung, die die Grenzen ihrer Fähigkeit erkennt und auch bekennt, doppelt
not, und wenn diese zugleich noch unterhaltend und anregend ist, so sind alle
billigen Wünsche erfüllt. Bischer hat dies alles, wie kein andrer, geleistet in
seinen Vorlesungen über Kunstlehre (die ja nicht mit Kunstgeschichte verwechselt
werden darf), das sieht man aus dem Buche, das sein Sohn, der Göttinger
Kunsthistoriker, nach Heften von Zuhörern des Vaters kürzlich herausgegeben
hat unter dem Titel: Das Schöne und die Kunst, zur Einführung in die
Ästhetik. Vorträge von Friedrich Theodor Bischer (Stuttgart, Cotta Nach¬
folger). Dem Inhalte nach entspricht es den zwei ersten Teilen des frühern
Werkes, dessen dritter, die einzelnen Künste behandelnder demnächst wieder in
einer neuen Auflage bei Cotta zu haben fein wird; hier weichen die Vor¬
lesungen nicht so sehr von dem ältern Werke ab, daß ihr Druck not¬
wendig wäre.

Diese neue, handliche Psychologie des Schönen wird nun hoffentlich ihre
klaren und leicht verständlichen Gedanken überall verbreiten, wo es Menschen
giebt, die gern über Kunst nachdenken mögen, ohne gleich mit dem Urteil fertig




Neue Kunstlitteratur

ischcrs vielbändige berühmte 1846 bis 1857 erschienene Ästhetik
ist das einzige Werk dieses Titels, aus dem sich etwas über
die bildende Kunst lernen läßt, alle andern sind von Philosophen
für ganz andre Zwecke geschrieben morden. Aber auch Bischers
Werk war sür die meisten selbst ernsten Leser viel zu schwer,
namentlich in seinen ersten beiden Teilen, die die philosophische Grundlage,
das Naturschöne und die Phantasie, behandeln, und es dürfte heute mit Aus¬
nahme solcher, die wieder eine Ästhetik schreiben wollen, nur außerordentlich
wenig Menschen geben, die in diesen beiden Teilen auch nur hin und her
gelesen haben. Mit so schweren Brocken durfte aber der geistvolle Mann
seinen Zuhörern am Stuttgarter Polytechnikum nicht kommen, und für sie
fand er daher in vieljähriger Vorlesungspraxis eine besonders glückliche Art,
über Kunst zu belehren, ohne den Wortvorrat der Philosophen ganz in Anspruch
zu nehmen. Weil im Wesen und in der Wirkung der Kunst so vieles unmeßbar
und unbestimmbar, mehr zu empfinden, als mit Worten zu beweisen ist, so
thut anstatt der dogmcitisircnden Verschleierung der Philosophen eine einfachere
Besprechung, die die Grenzen ihrer Fähigkeit erkennt und auch bekennt, doppelt
not, und wenn diese zugleich noch unterhaltend und anregend ist, so sind alle
billigen Wünsche erfüllt. Bischer hat dies alles, wie kein andrer, geleistet in
seinen Vorlesungen über Kunstlehre (die ja nicht mit Kunstgeschichte verwechselt
werden darf), das sieht man aus dem Buche, das sein Sohn, der Göttinger
Kunsthistoriker, nach Heften von Zuhörern des Vaters kürzlich herausgegeben
hat unter dem Titel: Das Schöne und die Kunst, zur Einführung in die
Ästhetik. Vorträge von Friedrich Theodor Bischer (Stuttgart, Cotta Nach¬
folger). Dem Inhalte nach entspricht es den zwei ersten Teilen des frühern
Werkes, dessen dritter, die einzelnen Künste behandelnder demnächst wieder in
einer neuen Auflage bei Cotta zu haben fein wird; hier weichen die Vor¬
lesungen nicht so sehr von dem ältern Werke ab, daß ihr Druck not¬
wendig wäre.

Diese neue, handliche Psychologie des Schönen wird nun hoffentlich ihre
klaren und leicht verständlichen Gedanken überall verbreiten, wo es Menschen
giebt, die gern über Kunst nachdenken mögen, ohne gleich mit dem Urteil fertig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228089"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_227635/figures/grenzboten_341867_227635_228089_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Kunstlitteratur</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1241"> ischcrs vielbändige berühmte 1846 bis 1857 erschienene Ästhetik<lb/>
ist das einzige Werk dieses Titels, aus dem sich etwas über<lb/>
die bildende Kunst lernen läßt, alle andern sind von Philosophen<lb/>
für ganz andre Zwecke geschrieben morden. Aber auch Bischers<lb/>
Werk war sür die meisten selbst ernsten Leser viel zu schwer,<lb/>
namentlich in seinen ersten beiden Teilen, die die philosophische Grundlage,<lb/>
das Naturschöne und die Phantasie, behandeln, und es dürfte heute mit Aus¬<lb/>
nahme solcher, die wieder eine Ästhetik schreiben wollen, nur außerordentlich<lb/>
wenig Menschen geben, die in diesen beiden Teilen auch nur hin und her<lb/>
gelesen haben. Mit so schweren Brocken durfte aber der geistvolle Mann<lb/>
seinen Zuhörern am Stuttgarter Polytechnikum nicht kommen, und für sie<lb/>
fand er daher in vieljähriger Vorlesungspraxis eine besonders glückliche Art,<lb/>
über Kunst zu belehren, ohne den Wortvorrat der Philosophen ganz in Anspruch<lb/>
zu nehmen. Weil im Wesen und in der Wirkung der Kunst so vieles unmeßbar<lb/>
und unbestimmbar, mehr zu empfinden, als mit Worten zu beweisen ist, so<lb/>
thut anstatt der dogmcitisircnden Verschleierung der Philosophen eine einfachere<lb/>
Besprechung, die die Grenzen ihrer Fähigkeit erkennt und auch bekennt, doppelt<lb/>
not, und wenn diese zugleich noch unterhaltend und anregend ist, so sind alle<lb/>
billigen Wünsche erfüllt. Bischer hat dies alles, wie kein andrer, geleistet in<lb/>
seinen Vorlesungen über Kunstlehre (die ja nicht mit Kunstgeschichte verwechselt<lb/>
werden darf), das sieht man aus dem Buche, das sein Sohn, der Göttinger<lb/>
Kunsthistoriker, nach Heften von Zuhörern des Vaters kürzlich herausgegeben<lb/>
hat unter dem Titel: Das Schöne und die Kunst, zur Einführung in die<lb/>
Ästhetik. Vorträge von Friedrich Theodor Bischer (Stuttgart, Cotta Nach¬<lb/>
folger). Dem Inhalte nach entspricht es den zwei ersten Teilen des frühern<lb/>
Werkes, dessen dritter, die einzelnen Künste behandelnder demnächst wieder in<lb/>
einer neuen Auflage bei Cotta zu haben fein wird; hier weichen die Vor¬<lb/>
lesungen nicht so sehr von dem ältern Werke ab, daß ihr Druck not¬<lb/>
wendig wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1242" next="#ID_1243"> Diese neue, handliche Psychologie des Schönen wird nun hoffentlich ihre<lb/>
klaren und leicht verständlichen Gedanken überall verbreiten, wo es Menschen<lb/>
giebt, die gern über Kunst nachdenken mögen, ohne gleich mit dem Urteil fertig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] [Abbildung] Neue Kunstlitteratur ischcrs vielbändige berühmte 1846 bis 1857 erschienene Ästhetik ist das einzige Werk dieses Titels, aus dem sich etwas über die bildende Kunst lernen läßt, alle andern sind von Philosophen für ganz andre Zwecke geschrieben morden. Aber auch Bischers Werk war sür die meisten selbst ernsten Leser viel zu schwer, namentlich in seinen ersten beiden Teilen, die die philosophische Grundlage, das Naturschöne und die Phantasie, behandeln, und es dürfte heute mit Aus¬ nahme solcher, die wieder eine Ästhetik schreiben wollen, nur außerordentlich wenig Menschen geben, die in diesen beiden Teilen auch nur hin und her gelesen haben. Mit so schweren Brocken durfte aber der geistvolle Mann seinen Zuhörern am Stuttgarter Polytechnikum nicht kommen, und für sie fand er daher in vieljähriger Vorlesungspraxis eine besonders glückliche Art, über Kunst zu belehren, ohne den Wortvorrat der Philosophen ganz in Anspruch zu nehmen. Weil im Wesen und in der Wirkung der Kunst so vieles unmeßbar und unbestimmbar, mehr zu empfinden, als mit Worten zu beweisen ist, so thut anstatt der dogmcitisircnden Verschleierung der Philosophen eine einfachere Besprechung, die die Grenzen ihrer Fähigkeit erkennt und auch bekennt, doppelt not, und wenn diese zugleich noch unterhaltend und anregend ist, so sind alle billigen Wünsche erfüllt. Bischer hat dies alles, wie kein andrer, geleistet in seinen Vorlesungen über Kunstlehre (die ja nicht mit Kunstgeschichte verwechselt werden darf), das sieht man aus dem Buche, das sein Sohn, der Göttinger Kunsthistoriker, nach Heften von Zuhörern des Vaters kürzlich herausgegeben hat unter dem Titel: Das Schöne und die Kunst, zur Einführung in die Ästhetik. Vorträge von Friedrich Theodor Bischer (Stuttgart, Cotta Nach¬ folger). Dem Inhalte nach entspricht es den zwei ersten Teilen des frühern Werkes, dessen dritter, die einzelnen Künste behandelnder demnächst wieder in einer neuen Auflage bei Cotta zu haben fein wird; hier weichen die Vor¬ lesungen nicht so sehr von dem ältern Werke ab, daß ihr Druck not¬ wendig wäre. Diese neue, handliche Psychologie des Schönen wird nun hoffentlich ihre klaren und leicht verständlichen Gedanken überall verbreiten, wo es Menschen giebt, die gern über Kunst nachdenken mögen, ohne gleich mit dem Urteil fertig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/453>, abgerufen am 23.07.2024.