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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Nietzsche

Was die schmerzliche Wollust der Tragödie ausmacht, ist Grausamkeit; was
im sogenannten tragischen Mitleiden, im Grunde sogar in allem Erhabnen,
bis hinauf zu deu höchsten und zartesten Schaudern der Metaphysik, angenehm
wirkt, bekommt seine Süßigkeit allein von der eingemischten Ingredienz der
Grausamkeit. Was der Römer in der Arena, der Christ in den Entzückungen
des Kreuzes, der Spanier angesichts von Scheiterhaufen und Stierkämpfen,
der Pariser Vorstadtarbeiter, der ein Heimweh nach blutigen Revolutionen hat,
die Wagnerianerin,die mit aufgehängten ^so!^ Willen Tristan und Isolde
über sich ergehen läßt, was diese alle genießen und mit geheimnisvoller
Brunst in sich hincinzutrinken trachten, das sind die Würztränke der großen
Circe Grausamkeit. Dabei muß man freilich die tölpelhafte Psychologie von
ehedem davon jagen, welche ^wie gehorsam er doch zeitlebens der Frau Cosima
geblieben ist!^ von der Grausamkeit nur zu lehren wußte, daß sie beim An¬
blicke fremden Leids entstünde; es giebt einen reichlichen, überreichlicher
Genuß auch am eignen Leiden." Bei der schon von andern gemachten
Entdeckung, daß die Askese sehr oft nur eine Art von grausamer Wollust
sei, verweilt er sehr häusig, ebenso bei dem Gedanken, daß es kein Glück
gebe, das sich mit dem des standhaft gebliebner Gefolterten vergleichen
lasse, der das Hochgefühl des Triumphs über seine Gegner genieße. Das
zweite gilt doch wohl nur für wenige unter den zahllosen Fällen; die armen
Hexlein werden nicht viel Hochgefühl empfunden haben, und der im zweiten
Artikel erwähnte Kanzler Brück hat beidemal, sowohl vor der Folterung als
vor der Vierteilung, unter Thränen gefleht, ihm die Marter zu erlassen.
Geltung hat der Satz für kriegsgefangne Indianer, die unter Martern hin¬
gerichtet wurden, und bei dieser frühern Sitte des beinahe ausgestorbnen
Volkes ist auch noch zu bemerken, daß die Marterung keine Handlung feiger
und gemeiner Grausamkeit war, was die Folterung oder sonstige Mißhandlung
wehrloser Opfer in geschlossenen Kerkern ist. Der Indianer wurde von früh
auf in der Erduldung körperlicher Schmerzen, die sein hartes Krieger- und
Jägerleben mit sich brachte, geübt, Virtuosität darin galt als höchster Ruhm,
und die Marternden wußten, daß sie dem Gemarterten einen Triumph be¬
reiteten, der umso größer war, als die Feier im Freien veranstaltet wurde
und der ganze feindliche Stamm den Zuschauerkreis bildete; und außerdem
wußten sie, daß sie jeden Tag von den Stammgenossen des Hingerichteten
dasselbe erleiden konnten. Nietzsche macht auch einmal die Bemerkung, daß
die wilden und grausamen Zeitalter im ganzen heiterer gewesen seien als die
zahmen. In der That müssen die Spanier in der Zeit der Autodafes von
ausgelassener Lustigkeit beseelt gewesen sein, wie ihre Theaterstücke aus jener



Die Wagnerianerin und das "Litternturweib" kriegenS gründlich von ihm; vom zweiten
sagt er sehr hübsch, seine Losung sei: ant libori, ant libri.
Friedrich Nietzsche

Was die schmerzliche Wollust der Tragödie ausmacht, ist Grausamkeit; was
im sogenannten tragischen Mitleiden, im Grunde sogar in allem Erhabnen,
bis hinauf zu deu höchsten und zartesten Schaudern der Metaphysik, angenehm
wirkt, bekommt seine Süßigkeit allein von der eingemischten Ingredienz der
Grausamkeit. Was der Römer in der Arena, der Christ in den Entzückungen
des Kreuzes, der Spanier angesichts von Scheiterhaufen und Stierkämpfen,
der Pariser Vorstadtarbeiter, der ein Heimweh nach blutigen Revolutionen hat,
die Wagnerianerin,die mit aufgehängten ^so!^ Willen Tristan und Isolde
über sich ergehen läßt, was diese alle genießen und mit geheimnisvoller
Brunst in sich hincinzutrinken trachten, das sind die Würztränke der großen
Circe Grausamkeit. Dabei muß man freilich die tölpelhafte Psychologie von
ehedem davon jagen, welche ^wie gehorsam er doch zeitlebens der Frau Cosima
geblieben ist!^ von der Grausamkeit nur zu lehren wußte, daß sie beim An¬
blicke fremden Leids entstünde; es giebt einen reichlichen, überreichlicher
Genuß auch am eignen Leiden." Bei der schon von andern gemachten
Entdeckung, daß die Askese sehr oft nur eine Art von grausamer Wollust
sei, verweilt er sehr häusig, ebenso bei dem Gedanken, daß es kein Glück
gebe, das sich mit dem des standhaft gebliebner Gefolterten vergleichen
lasse, der das Hochgefühl des Triumphs über seine Gegner genieße. Das
zweite gilt doch wohl nur für wenige unter den zahllosen Fällen; die armen
Hexlein werden nicht viel Hochgefühl empfunden haben, und der im zweiten
Artikel erwähnte Kanzler Brück hat beidemal, sowohl vor der Folterung als
vor der Vierteilung, unter Thränen gefleht, ihm die Marter zu erlassen.
Geltung hat der Satz für kriegsgefangne Indianer, die unter Martern hin¬
gerichtet wurden, und bei dieser frühern Sitte des beinahe ausgestorbnen
Volkes ist auch noch zu bemerken, daß die Marterung keine Handlung feiger
und gemeiner Grausamkeit war, was die Folterung oder sonstige Mißhandlung
wehrloser Opfer in geschlossenen Kerkern ist. Der Indianer wurde von früh
auf in der Erduldung körperlicher Schmerzen, die sein hartes Krieger- und
Jägerleben mit sich brachte, geübt, Virtuosität darin galt als höchster Ruhm,
und die Marternden wußten, daß sie dem Gemarterten einen Triumph be¬
reiteten, der umso größer war, als die Feier im Freien veranstaltet wurde
und der ganze feindliche Stamm den Zuschauerkreis bildete; und außerdem
wußten sie, daß sie jeden Tag von den Stammgenossen des Hingerichteten
dasselbe erleiden konnten. Nietzsche macht auch einmal die Bemerkung, daß
die wilden und grausamen Zeitalter im ganzen heiterer gewesen seien als die
zahmen. In der That müssen die Spanier in der Zeit der Autodafes von
ausgelassener Lustigkeit beseelt gewesen sein, wie ihre Theaterstücke aus jener



Die Wagnerianerin und das „Litternturweib" kriegenS gründlich von ihm; vom zweiten
sagt er sehr hübsch, seine Losung sei: ant libori, ant libri.
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[0451] Friedrich Nietzsche Was die schmerzliche Wollust der Tragödie ausmacht, ist Grausamkeit; was im sogenannten tragischen Mitleiden, im Grunde sogar in allem Erhabnen, bis hinauf zu deu höchsten und zartesten Schaudern der Metaphysik, angenehm wirkt, bekommt seine Süßigkeit allein von der eingemischten Ingredienz der Grausamkeit. Was der Römer in der Arena, der Christ in den Entzückungen des Kreuzes, der Spanier angesichts von Scheiterhaufen und Stierkämpfen, der Pariser Vorstadtarbeiter, der ein Heimweh nach blutigen Revolutionen hat, die Wagnerianerin,die mit aufgehängten ^so!^ Willen Tristan und Isolde über sich ergehen läßt, was diese alle genießen und mit geheimnisvoller Brunst in sich hincinzutrinken trachten, das sind die Würztränke der großen Circe Grausamkeit. Dabei muß man freilich die tölpelhafte Psychologie von ehedem davon jagen, welche ^wie gehorsam er doch zeitlebens der Frau Cosima geblieben ist!^ von der Grausamkeit nur zu lehren wußte, daß sie beim An¬ blicke fremden Leids entstünde; es giebt einen reichlichen, überreichlicher Genuß auch am eignen Leiden." Bei der schon von andern gemachten Entdeckung, daß die Askese sehr oft nur eine Art von grausamer Wollust sei, verweilt er sehr häusig, ebenso bei dem Gedanken, daß es kein Glück gebe, das sich mit dem des standhaft gebliebner Gefolterten vergleichen lasse, der das Hochgefühl des Triumphs über seine Gegner genieße. Das zweite gilt doch wohl nur für wenige unter den zahllosen Fällen; die armen Hexlein werden nicht viel Hochgefühl empfunden haben, und der im zweiten Artikel erwähnte Kanzler Brück hat beidemal, sowohl vor der Folterung als vor der Vierteilung, unter Thränen gefleht, ihm die Marter zu erlassen. Geltung hat der Satz für kriegsgefangne Indianer, die unter Martern hin¬ gerichtet wurden, und bei dieser frühern Sitte des beinahe ausgestorbnen Volkes ist auch noch zu bemerken, daß die Marterung keine Handlung feiger und gemeiner Grausamkeit war, was die Folterung oder sonstige Mißhandlung wehrloser Opfer in geschlossenen Kerkern ist. Der Indianer wurde von früh auf in der Erduldung körperlicher Schmerzen, die sein hartes Krieger- und Jägerleben mit sich brachte, geübt, Virtuosität darin galt als höchster Ruhm, und die Marternden wußten, daß sie dem Gemarterten einen Triumph be¬ reiteten, der umso größer war, als die Feier im Freien veranstaltet wurde und der ganze feindliche Stamm den Zuschauerkreis bildete; und außerdem wußten sie, daß sie jeden Tag von den Stammgenossen des Hingerichteten dasselbe erleiden konnten. Nietzsche macht auch einmal die Bemerkung, daß die wilden und grausamen Zeitalter im ganzen heiterer gewesen seien als die zahmen. In der That müssen die Spanier in der Zeit der Autodafes von ausgelassener Lustigkeit beseelt gewesen sein, wie ihre Theaterstücke aus jener Die Wagnerianerin und das „Litternturweib" kriegenS gründlich von ihm; vom zweiten sagt er sehr hübsch, seine Losung sei: ant libori, ant libri.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/451>, abgerufen am 23.07.2024.