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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Doktorfrage

unter dieser Voraussetzung wird der gegenwärtig völlig bedeutungslose Doktor¬
titel eine Bedeutung erhalten. Überaus charakteristisch ist es gegenwärtig, daß
Professoren eine der Fakultät vorgelegte Erstlingsarbeit zur Erteilung der
Würde als genügend ansehen, während dieselben Professoren als Herausgeber
einer wissenschaftlichen Zeitschrift die Aufnahme dieser Arbeit ablehnen, weil
sie eine solche Erstlingsarbeit den Lesern einer wissenschaftlichen Zeitschrift
uicht zu bieten wagen. Aber die Erteilung einer wisfenschciftlichen Würde
sür eine solche Leistung erscheint angemessen!

Daß sich der Bewerber um die gelehrte Würde zum Nachweis seiner
Würdigkeit einer mündlichen Prüfung vor der Fakultät zu unterziehen hat,
wird man gleichfalls für notwendig erachten müssen. Nur wird sich, da bei
der oben vvrgeschlagnen Regelung der Bewerber seine allgemeine wissenschaft¬
liche Ausbildung schon durch die abgelegten Staatsprüfungen nachgewiesen
haben muß, die Fakultätsprüfung natürlich darauf zu richten haben, ob sich der
Prüfung in einem oder in einzelnen (von ihm vorzuschlagenden) Souderfächern
die eingehenderu, gründlichen Kenntnisse verschafft hat, dnrch die sich der
Gelehrte von dem bloß wissenschaftlich Gebildeten unterscheidet.

Und nun, was ebenso wichtig ist: die Promotionsgebühren müssen weg¬
fallen; die Erlangung des Titels muß kostenfrei sein. Gegenwärtig kostet eine
Doktorpromotion an deutschen Universitäten etwa 300 bis 400 Mark, eine
Summe, die in Deutschland sür zahlreiche zu den wissenschaftlich gebildeten
Kreisen gehörende sehr hoch ist. Daß die Erlangung wissenschaftlicher
Kenntnisse dem Unbemittelten ungleich schwieriger ist als dem Bemittelten, ist
eine notwendige Folge der bestehenden Ungleichheit der Vermögensverhültnisse.
Daß aber auch der bloße Nachweis der Kenntnisse dem Unbemittelten so
erschwert wird gegenüber dem Bemittelten, ist um so ungerechtfertigter, als
bei den gegenwärtigen Verhältnissen die Erlangung des Titels in zahl¬
reichen Fällen, insbesondre bei Ärzten, zum Zweck des bessern Fortkommens,
geradezu notwendig ist. Dieser Umstand ist in einer Zeit, wo soviel über
den Ausgleich der bestehenden sozialen Ungleichheit geschrieben wird, völlig
unerklärlich. Nichts schadet dem Ausehen der gelehrten Würde in den Augen
berufner und unberufner Beurteiler so sehr, als daß sich die Fakultät für die
Erteilung der Doktorwürde einen recht hohen Geldbetrag zahlen läßt. Unsre
deutscheu Professoren werden ideal genug sein, den "Meisterschlag," den "Adel
der Gelehrsamkeit" dem wahrhaft Würdigen zu erteilen, auch wenn ihnen
hiervon kein Vorteil in Geld erwächst. Geradezu klüglich ist die Bestimmung
der Satzungen verschiedner Fakultäten, wonach der eingezahlte Geldbetrag ganz
oder teilweise dem Bewerber zurückgezahlt wird, wenn er die Prüfung nicht
besteht; diese Bestimmung ist geradezu ein Anreiz für schwächliche Professoren,
die Prüfung für bestanden gelten zu lassen, weil das Nichtbestehen für sie
einen Geldverlust zur Folge hat. Eine derartige Festsetzung erinnert stark an


Die Doktorfrage

unter dieser Voraussetzung wird der gegenwärtig völlig bedeutungslose Doktor¬
titel eine Bedeutung erhalten. Überaus charakteristisch ist es gegenwärtig, daß
Professoren eine der Fakultät vorgelegte Erstlingsarbeit zur Erteilung der
Würde als genügend ansehen, während dieselben Professoren als Herausgeber
einer wissenschaftlichen Zeitschrift die Aufnahme dieser Arbeit ablehnen, weil
sie eine solche Erstlingsarbeit den Lesern einer wissenschaftlichen Zeitschrift
uicht zu bieten wagen. Aber die Erteilung einer wisfenschciftlichen Würde
sür eine solche Leistung erscheint angemessen!

Daß sich der Bewerber um die gelehrte Würde zum Nachweis seiner
Würdigkeit einer mündlichen Prüfung vor der Fakultät zu unterziehen hat,
wird man gleichfalls für notwendig erachten müssen. Nur wird sich, da bei
der oben vvrgeschlagnen Regelung der Bewerber seine allgemeine wissenschaft¬
liche Ausbildung schon durch die abgelegten Staatsprüfungen nachgewiesen
haben muß, die Fakultätsprüfung natürlich darauf zu richten haben, ob sich der
Prüfung in einem oder in einzelnen (von ihm vorzuschlagenden) Souderfächern
die eingehenderu, gründlichen Kenntnisse verschafft hat, dnrch die sich der
Gelehrte von dem bloß wissenschaftlich Gebildeten unterscheidet.

Und nun, was ebenso wichtig ist: die Promotionsgebühren müssen weg¬
fallen; die Erlangung des Titels muß kostenfrei sein. Gegenwärtig kostet eine
Doktorpromotion an deutschen Universitäten etwa 300 bis 400 Mark, eine
Summe, die in Deutschland sür zahlreiche zu den wissenschaftlich gebildeten
Kreisen gehörende sehr hoch ist. Daß die Erlangung wissenschaftlicher
Kenntnisse dem Unbemittelten ungleich schwieriger ist als dem Bemittelten, ist
eine notwendige Folge der bestehenden Ungleichheit der Vermögensverhültnisse.
Daß aber auch der bloße Nachweis der Kenntnisse dem Unbemittelten so
erschwert wird gegenüber dem Bemittelten, ist um so ungerechtfertigter, als
bei den gegenwärtigen Verhältnissen die Erlangung des Titels in zahl¬
reichen Fällen, insbesondre bei Ärzten, zum Zweck des bessern Fortkommens,
geradezu notwendig ist. Dieser Umstand ist in einer Zeit, wo soviel über
den Ausgleich der bestehenden sozialen Ungleichheit geschrieben wird, völlig
unerklärlich. Nichts schadet dem Ausehen der gelehrten Würde in den Augen
berufner und unberufner Beurteiler so sehr, als daß sich die Fakultät für die
Erteilung der Doktorwürde einen recht hohen Geldbetrag zahlen läßt. Unsre
deutscheu Professoren werden ideal genug sein, den „Meisterschlag," den „Adel
der Gelehrsamkeit" dem wahrhaft Würdigen zu erteilen, auch wenn ihnen
hiervon kein Vorteil in Geld erwächst. Geradezu klüglich ist die Bestimmung
der Satzungen verschiedner Fakultäten, wonach der eingezahlte Geldbetrag ganz
oder teilweise dem Bewerber zurückgezahlt wird, wenn er die Prüfung nicht
besteht; diese Bestimmung ist geradezu ein Anreiz für schwächliche Professoren,
die Prüfung für bestanden gelten zu lassen, weil das Nichtbestehen für sie
einen Geldverlust zur Folge hat. Eine derartige Festsetzung erinnert stark an


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[0439] Die Doktorfrage unter dieser Voraussetzung wird der gegenwärtig völlig bedeutungslose Doktor¬ titel eine Bedeutung erhalten. Überaus charakteristisch ist es gegenwärtig, daß Professoren eine der Fakultät vorgelegte Erstlingsarbeit zur Erteilung der Würde als genügend ansehen, während dieselben Professoren als Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift die Aufnahme dieser Arbeit ablehnen, weil sie eine solche Erstlingsarbeit den Lesern einer wissenschaftlichen Zeitschrift uicht zu bieten wagen. Aber die Erteilung einer wisfenschciftlichen Würde sür eine solche Leistung erscheint angemessen! Daß sich der Bewerber um die gelehrte Würde zum Nachweis seiner Würdigkeit einer mündlichen Prüfung vor der Fakultät zu unterziehen hat, wird man gleichfalls für notwendig erachten müssen. Nur wird sich, da bei der oben vvrgeschlagnen Regelung der Bewerber seine allgemeine wissenschaft¬ liche Ausbildung schon durch die abgelegten Staatsprüfungen nachgewiesen haben muß, die Fakultätsprüfung natürlich darauf zu richten haben, ob sich der Prüfung in einem oder in einzelnen (von ihm vorzuschlagenden) Souderfächern die eingehenderu, gründlichen Kenntnisse verschafft hat, dnrch die sich der Gelehrte von dem bloß wissenschaftlich Gebildeten unterscheidet. Und nun, was ebenso wichtig ist: die Promotionsgebühren müssen weg¬ fallen; die Erlangung des Titels muß kostenfrei sein. Gegenwärtig kostet eine Doktorpromotion an deutschen Universitäten etwa 300 bis 400 Mark, eine Summe, die in Deutschland sür zahlreiche zu den wissenschaftlich gebildeten Kreisen gehörende sehr hoch ist. Daß die Erlangung wissenschaftlicher Kenntnisse dem Unbemittelten ungleich schwieriger ist als dem Bemittelten, ist eine notwendige Folge der bestehenden Ungleichheit der Vermögensverhültnisse. Daß aber auch der bloße Nachweis der Kenntnisse dem Unbemittelten so erschwert wird gegenüber dem Bemittelten, ist um so ungerechtfertigter, als bei den gegenwärtigen Verhältnissen die Erlangung des Titels in zahl¬ reichen Fällen, insbesondre bei Ärzten, zum Zweck des bessern Fortkommens, geradezu notwendig ist. Dieser Umstand ist in einer Zeit, wo soviel über den Ausgleich der bestehenden sozialen Ungleichheit geschrieben wird, völlig unerklärlich. Nichts schadet dem Ausehen der gelehrten Würde in den Augen berufner und unberufner Beurteiler so sehr, als daß sich die Fakultät für die Erteilung der Doktorwürde einen recht hohen Geldbetrag zahlen läßt. Unsre deutscheu Professoren werden ideal genug sein, den „Meisterschlag," den „Adel der Gelehrsamkeit" dem wahrhaft Würdigen zu erteilen, auch wenn ihnen hiervon kein Vorteil in Geld erwächst. Geradezu klüglich ist die Bestimmung der Satzungen verschiedner Fakultäten, wonach der eingezahlte Geldbetrag ganz oder teilweise dem Bewerber zurückgezahlt wird, wenn er die Prüfung nicht besteht; diese Bestimmung ist geradezu ein Anreiz für schwächliche Professoren, die Prüfung für bestanden gelten zu lassen, weil das Nichtbestehen für sie einen Geldverlust zur Folge hat. Eine derartige Festsetzung erinnert stark an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/439>, abgerufen am 23.07.2024.