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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Doktorfrage

unterricht nicht praktisch genug sei. Die bloß theoretischen Kenntnisse eines
jungen Juristen bewertet der Staat in der Weise, daß er ihn für befähigt hält,
die Dienste eines Gerichtsschreibers zu versehen; für juristische Fakultäten ge¬
nügen derartige Kenntnisse, um den Titel eines "Rechtsgelehrten" zu verleihen!
Bei der hier vorgeschlagnen Regelung, nach der die Staatsprüfungen vor
der Erlangung der Doktorwürde zu machen sind, würde es nun allerdings für
gewisse Personenklassen schlechthin unmöglich sein, die Würde zu erwerben, so
für Ausländer. Apotheker, Rabbiner, Landwirte, Architekten usw. Abgesehen
nun davon, daß diese Ausschließung schon an sich kein Unglück wäre, so steht
es diesen ja frei, ihre Studien derart zu erweitern, daß ihnen zuerst die Ab¬
legung der staatlichen Prüfungen ermöglicht und dann die Erlangung der
eine weitere Ausbildung erfordernden gelehrten Würde offen gelassen wird.
schlimmstenfalls mag jeder Fakultät das Recht beigelegt werden, beim Nach¬
weise hervorragender wissenschaftlicher Leistungen von der Forderung abzusehen.

Daß der Bewerber um den wissenschaftlichen Titel seine Würdigkeit
vor allem durch eine fachwissenschcistliche Abhandlung nachzuweisen hat, wird
nicht zweifelhaft sein, und gerade an dieser Stelle ist eine gänzliche Wandlung
des jetzigen Zustandes notwendig. Gegenwärtig zerfallen in dieser Beziehung
die Universitäten in zwei Gruppen. Die eine begnügt sich mit Vorlegung
einer Arbeit, die sich als eine bloße Zusammenstellung fremder Ansichten, als
jeder wissenschaftlichen Selbständigkeit bar darstellt, etwa von derselben Güte,
wie sie ein Nechtskandidat zur ersten Staatsprüfung zu leisten hat. Die andre
Gruppe, zu der fast sämtliche altpreußische Universitäten gehören, stellt an die
Doktordissertation den Anspruch einer selbständigen wissenschaftlichen Leistung,
sei es in der Auffindung neuer oder in der Begründung schon gewisser fest¬
stehender Ergebnisse. Demnach ist auch die Veröffentlichung der Arbeit vor¬
geschrieben. Es ist aber nicht zu leugnen, daß auch bei diesen strengern An¬
forderungen die Doktordissertation, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen,
immerhin nur eine "nutzlose Überschwemmung des Büchermarkts" ist, daß sie
nur von wenigen beachtet wird und für die Wissenschaft größtenteils ohne
entsprechenden Nutzen ist. Es kann dies auch gar nicht anders sein, da
die Dissertation gegenwärtig die Erstlingsarbeit junger Leute ist, die ihre
Studien eben erst vollendet haben; man wird nicht behaupten können, daß diese
swcliorum xrimitms eines Virchow, Koch oder Mommsen eine wissenschaftliche
Bedeutung beanspruchen können. Soll aber der Doktortitel keine bloße Form
sein, soll er vielmehr zur Ehre der Universitäten eine Auszeichnung für wissen¬
schaftliche Leistungen sein, so müssen an die sogenannte Doktordissertation ganz
andre Anforderungen gestellt werden. Man verlange eine Arbeit, wie sie etwa
als Habilitationsschrift verlangt wird, also eine Arbeit, deren Veröffentlichung
im Interesse der Wissenschaft wünschenswert ist. Nur wer eine Arbeit dieser
Art geleistet hat, hat Anspruch auf den Titel eines "Gelehrten," und nur


Die Doktorfrage

unterricht nicht praktisch genug sei. Die bloß theoretischen Kenntnisse eines
jungen Juristen bewertet der Staat in der Weise, daß er ihn für befähigt hält,
die Dienste eines Gerichtsschreibers zu versehen; für juristische Fakultäten ge¬
nügen derartige Kenntnisse, um den Titel eines „Rechtsgelehrten" zu verleihen!
Bei der hier vorgeschlagnen Regelung, nach der die Staatsprüfungen vor
der Erlangung der Doktorwürde zu machen sind, würde es nun allerdings für
gewisse Personenklassen schlechthin unmöglich sein, die Würde zu erwerben, so
für Ausländer. Apotheker, Rabbiner, Landwirte, Architekten usw. Abgesehen
nun davon, daß diese Ausschließung schon an sich kein Unglück wäre, so steht
es diesen ja frei, ihre Studien derart zu erweitern, daß ihnen zuerst die Ab¬
legung der staatlichen Prüfungen ermöglicht und dann die Erlangung der
eine weitere Ausbildung erfordernden gelehrten Würde offen gelassen wird.
schlimmstenfalls mag jeder Fakultät das Recht beigelegt werden, beim Nach¬
weise hervorragender wissenschaftlicher Leistungen von der Forderung abzusehen.

Daß der Bewerber um den wissenschaftlichen Titel seine Würdigkeit
vor allem durch eine fachwissenschcistliche Abhandlung nachzuweisen hat, wird
nicht zweifelhaft sein, und gerade an dieser Stelle ist eine gänzliche Wandlung
des jetzigen Zustandes notwendig. Gegenwärtig zerfallen in dieser Beziehung
die Universitäten in zwei Gruppen. Die eine begnügt sich mit Vorlegung
einer Arbeit, die sich als eine bloße Zusammenstellung fremder Ansichten, als
jeder wissenschaftlichen Selbständigkeit bar darstellt, etwa von derselben Güte,
wie sie ein Nechtskandidat zur ersten Staatsprüfung zu leisten hat. Die andre
Gruppe, zu der fast sämtliche altpreußische Universitäten gehören, stellt an die
Doktordissertation den Anspruch einer selbständigen wissenschaftlichen Leistung,
sei es in der Auffindung neuer oder in der Begründung schon gewisser fest¬
stehender Ergebnisse. Demnach ist auch die Veröffentlichung der Arbeit vor¬
geschrieben. Es ist aber nicht zu leugnen, daß auch bei diesen strengern An¬
forderungen die Doktordissertation, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen,
immerhin nur eine „nutzlose Überschwemmung des Büchermarkts" ist, daß sie
nur von wenigen beachtet wird und für die Wissenschaft größtenteils ohne
entsprechenden Nutzen ist. Es kann dies auch gar nicht anders sein, da
die Dissertation gegenwärtig die Erstlingsarbeit junger Leute ist, die ihre
Studien eben erst vollendet haben; man wird nicht behaupten können, daß diese
swcliorum xrimitms eines Virchow, Koch oder Mommsen eine wissenschaftliche
Bedeutung beanspruchen können. Soll aber der Doktortitel keine bloße Form
sein, soll er vielmehr zur Ehre der Universitäten eine Auszeichnung für wissen¬
schaftliche Leistungen sein, so müssen an die sogenannte Doktordissertation ganz
andre Anforderungen gestellt werden. Man verlange eine Arbeit, wie sie etwa
als Habilitationsschrift verlangt wird, also eine Arbeit, deren Veröffentlichung
im Interesse der Wissenschaft wünschenswert ist. Nur wer eine Arbeit dieser
Art geleistet hat, hat Anspruch auf den Titel eines „Gelehrten," und nur


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[0438] Die Doktorfrage unterricht nicht praktisch genug sei. Die bloß theoretischen Kenntnisse eines jungen Juristen bewertet der Staat in der Weise, daß er ihn für befähigt hält, die Dienste eines Gerichtsschreibers zu versehen; für juristische Fakultäten ge¬ nügen derartige Kenntnisse, um den Titel eines „Rechtsgelehrten" zu verleihen! Bei der hier vorgeschlagnen Regelung, nach der die Staatsprüfungen vor der Erlangung der Doktorwürde zu machen sind, würde es nun allerdings für gewisse Personenklassen schlechthin unmöglich sein, die Würde zu erwerben, so für Ausländer. Apotheker, Rabbiner, Landwirte, Architekten usw. Abgesehen nun davon, daß diese Ausschließung schon an sich kein Unglück wäre, so steht es diesen ja frei, ihre Studien derart zu erweitern, daß ihnen zuerst die Ab¬ legung der staatlichen Prüfungen ermöglicht und dann die Erlangung der eine weitere Ausbildung erfordernden gelehrten Würde offen gelassen wird. schlimmstenfalls mag jeder Fakultät das Recht beigelegt werden, beim Nach¬ weise hervorragender wissenschaftlicher Leistungen von der Forderung abzusehen. Daß der Bewerber um den wissenschaftlichen Titel seine Würdigkeit vor allem durch eine fachwissenschcistliche Abhandlung nachzuweisen hat, wird nicht zweifelhaft sein, und gerade an dieser Stelle ist eine gänzliche Wandlung des jetzigen Zustandes notwendig. Gegenwärtig zerfallen in dieser Beziehung die Universitäten in zwei Gruppen. Die eine begnügt sich mit Vorlegung einer Arbeit, die sich als eine bloße Zusammenstellung fremder Ansichten, als jeder wissenschaftlichen Selbständigkeit bar darstellt, etwa von derselben Güte, wie sie ein Nechtskandidat zur ersten Staatsprüfung zu leisten hat. Die andre Gruppe, zu der fast sämtliche altpreußische Universitäten gehören, stellt an die Doktordissertation den Anspruch einer selbständigen wissenschaftlichen Leistung, sei es in der Auffindung neuer oder in der Begründung schon gewisser fest¬ stehender Ergebnisse. Demnach ist auch die Veröffentlichung der Arbeit vor¬ geschrieben. Es ist aber nicht zu leugnen, daß auch bei diesen strengern An¬ forderungen die Doktordissertation, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, immerhin nur eine „nutzlose Überschwemmung des Büchermarkts" ist, daß sie nur von wenigen beachtet wird und für die Wissenschaft größtenteils ohne entsprechenden Nutzen ist. Es kann dies auch gar nicht anders sein, da die Dissertation gegenwärtig die Erstlingsarbeit junger Leute ist, die ihre Studien eben erst vollendet haben; man wird nicht behaupten können, daß diese swcliorum xrimitms eines Virchow, Koch oder Mommsen eine wissenschaftliche Bedeutung beanspruchen können. Soll aber der Doktortitel keine bloße Form sein, soll er vielmehr zur Ehre der Universitäten eine Auszeichnung für wissen¬ schaftliche Leistungen sein, so müssen an die sogenannte Doktordissertation ganz andre Anforderungen gestellt werden. Man verlange eine Arbeit, wie sie etwa als Habilitationsschrift verlangt wird, also eine Arbeit, deren Veröffentlichung im Interesse der Wissenschaft wünschenswert ist. Nur wer eine Arbeit dieser Art geleistet hat, hat Anspruch auf den Titel eines „Gelehrten," und nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/438>, abgerufen am 23.07.2024.