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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die voktorfrage

liehen gleich, mag die Prüfungsbehörde nun eine preußische oder eine sächsische
oder eine bayrische sein. Verschiedenheiten, die hier doch viel begreiflicher
wären, sind nur als vorübergehende, durch die Einzelanschauungen des einen
oder andern Prüfenden erklärliche Schwankungen zu bezeichnen und nicht als
dauernde Einrichtungen aufzufassen.

Die beschriebnen Zustünde gereichen den Universitäten und der deutschen
Wissenschaft sicher nicht zur Ehre, und eine Beseitigung der Mißstände läßt
sich nur erreichen, wenn die Anforderungen, die an die Erteilung der Doktor¬
würde gestellt werden, einheitlich für das ganze Reich geregelt werden. Dabei
ist allerdings klar, daß die Reichsgesetzgebung zu einem Einschreiten in dieser
Frage nicht zuständig ist; es bedarf auch keines Einschreitens der Gesetzgebung.
Vielmehr genügt zur Herstellung des gewünschten Ergebnisses eine Überein¬
stimmung der beteiligten Bundesstaaten; denn die Universitäten stehen unter der
obersten Unterrichtsbehörde und sind daher verpflichtet, den von dieser über
die Promotionen gegebnen Anweisungen Folge zu leisten. Selbst wenn man
dieses' als einen unzulässigen Eingriff in das den Universitäten zustehende
Selbstverwaltungsrecht auffassen wollte, so müßte doch thatsächlich ein Wider¬
spruch der Universitäten gegen ein solches im Interesse der Universitäten und
der Wissenschaft erfolgendes Vorgehen für ausgeschlossen gelten.

Der Doktortitel wird gegenwärtig zumeist geführt von Männern, die zu¬
gleich die zu einem eine wissenschaftliche Vorbildung erfordernden Amte not¬
wendige Prüfung vor einer staatlichen Behörde bestanden haben, also von
Lehrern höherer Lehranstalten, von höhern Justiz- und Verwaltungsbeamten,
Ärzten usw. Fragt man, welche besondern Fähigkeiten und Leistungen diese
Promovirten vor ihren nichtpromovirten Berufsgenossen nachgewiesen haben,
um hierfür einen wissenschaftlichen Titel zu führen, so muß man sagen: gar
keine. Dieselben Kenntnisse, auf Grund deren man die Staatsprüfungen
bestanden hat, genügen im allgemeinen zur Erlangung des wissenschaftlichen
Titels, und wer die Prüfung bestanden hat, ist regelmäßig auch den Titel
zu erlangen in der Lage. Gegenwärtig ist also der Doktortitel -- dies muß
offen ausgesprochen werden -- in diesem Falle nur ein Beweis, daß der
ihn führende wohlhabend und eitel genug war, neben seiner Amts- oder
Berufsbezeichnung noch einen wissenschaftlichen Titel zu erstreben. Zustünde
dieser Art entsprechen aber nicht der Würde der Universitäten. Zwar sind die
Zeiten vorbei, in denen der Doktortitel genügte, daß man eine Stelle als ordent¬
licher Lehrer an einer Universität, als Richter an den höchsten Gerichten bekleiden
konnte, in denen die voetore^ dem Adel gleichstanden und von der ordentlichen
Gerichtsbarkeit "eximirt" waren. Immerhin soll aber der Doktor ein äoows
sein, ein Gelehrter; und wenn man an einen solchen Titel keine wesentlich
andern Anforderungen stellt, als sie der Staat an die stellt, die einen eine
wissenschaftliche Vorbildung erfordernden Beruf ausüben, so ist der Wert des


Die voktorfrage

liehen gleich, mag die Prüfungsbehörde nun eine preußische oder eine sächsische
oder eine bayrische sein. Verschiedenheiten, die hier doch viel begreiflicher
wären, sind nur als vorübergehende, durch die Einzelanschauungen des einen
oder andern Prüfenden erklärliche Schwankungen zu bezeichnen und nicht als
dauernde Einrichtungen aufzufassen.

Die beschriebnen Zustünde gereichen den Universitäten und der deutschen
Wissenschaft sicher nicht zur Ehre, und eine Beseitigung der Mißstände läßt
sich nur erreichen, wenn die Anforderungen, die an die Erteilung der Doktor¬
würde gestellt werden, einheitlich für das ganze Reich geregelt werden. Dabei
ist allerdings klar, daß die Reichsgesetzgebung zu einem Einschreiten in dieser
Frage nicht zuständig ist; es bedarf auch keines Einschreitens der Gesetzgebung.
Vielmehr genügt zur Herstellung des gewünschten Ergebnisses eine Überein¬
stimmung der beteiligten Bundesstaaten; denn die Universitäten stehen unter der
obersten Unterrichtsbehörde und sind daher verpflichtet, den von dieser über
die Promotionen gegebnen Anweisungen Folge zu leisten. Selbst wenn man
dieses' als einen unzulässigen Eingriff in das den Universitäten zustehende
Selbstverwaltungsrecht auffassen wollte, so müßte doch thatsächlich ein Wider¬
spruch der Universitäten gegen ein solches im Interesse der Universitäten und
der Wissenschaft erfolgendes Vorgehen für ausgeschlossen gelten.

Der Doktortitel wird gegenwärtig zumeist geführt von Männern, die zu¬
gleich die zu einem eine wissenschaftliche Vorbildung erfordernden Amte not¬
wendige Prüfung vor einer staatlichen Behörde bestanden haben, also von
Lehrern höherer Lehranstalten, von höhern Justiz- und Verwaltungsbeamten,
Ärzten usw. Fragt man, welche besondern Fähigkeiten und Leistungen diese
Promovirten vor ihren nichtpromovirten Berufsgenossen nachgewiesen haben,
um hierfür einen wissenschaftlichen Titel zu führen, so muß man sagen: gar
keine. Dieselben Kenntnisse, auf Grund deren man die Staatsprüfungen
bestanden hat, genügen im allgemeinen zur Erlangung des wissenschaftlichen
Titels, und wer die Prüfung bestanden hat, ist regelmäßig auch den Titel
zu erlangen in der Lage. Gegenwärtig ist also der Doktortitel — dies muß
offen ausgesprochen werden — in diesem Falle nur ein Beweis, daß der
ihn führende wohlhabend und eitel genug war, neben seiner Amts- oder
Berufsbezeichnung noch einen wissenschaftlichen Titel zu erstreben. Zustünde
dieser Art entsprechen aber nicht der Würde der Universitäten. Zwar sind die
Zeiten vorbei, in denen der Doktortitel genügte, daß man eine Stelle als ordent¬
licher Lehrer an einer Universität, als Richter an den höchsten Gerichten bekleiden
konnte, in denen die voetore^ dem Adel gleichstanden und von der ordentlichen
Gerichtsbarkeit „eximirt" waren. Immerhin soll aber der Doktor ein äoows
sein, ein Gelehrter; und wenn man an einen solchen Titel keine wesentlich
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[0436] Die voktorfrage liehen gleich, mag die Prüfungsbehörde nun eine preußische oder eine sächsische oder eine bayrische sein. Verschiedenheiten, die hier doch viel begreiflicher wären, sind nur als vorübergehende, durch die Einzelanschauungen des einen oder andern Prüfenden erklärliche Schwankungen zu bezeichnen und nicht als dauernde Einrichtungen aufzufassen. Die beschriebnen Zustünde gereichen den Universitäten und der deutschen Wissenschaft sicher nicht zur Ehre, und eine Beseitigung der Mißstände läßt sich nur erreichen, wenn die Anforderungen, die an die Erteilung der Doktor¬ würde gestellt werden, einheitlich für das ganze Reich geregelt werden. Dabei ist allerdings klar, daß die Reichsgesetzgebung zu einem Einschreiten in dieser Frage nicht zuständig ist; es bedarf auch keines Einschreitens der Gesetzgebung. Vielmehr genügt zur Herstellung des gewünschten Ergebnisses eine Überein¬ stimmung der beteiligten Bundesstaaten; denn die Universitäten stehen unter der obersten Unterrichtsbehörde und sind daher verpflichtet, den von dieser über die Promotionen gegebnen Anweisungen Folge zu leisten. Selbst wenn man dieses' als einen unzulässigen Eingriff in das den Universitäten zustehende Selbstverwaltungsrecht auffassen wollte, so müßte doch thatsächlich ein Wider¬ spruch der Universitäten gegen ein solches im Interesse der Universitäten und der Wissenschaft erfolgendes Vorgehen für ausgeschlossen gelten. Der Doktortitel wird gegenwärtig zumeist geführt von Männern, die zu¬ gleich die zu einem eine wissenschaftliche Vorbildung erfordernden Amte not¬ wendige Prüfung vor einer staatlichen Behörde bestanden haben, also von Lehrern höherer Lehranstalten, von höhern Justiz- und Verwaltungsbeamten, Ärzten usw. Fragt man, welche besondern Fähigkeiten und Leistungen diese Promovirten vor ihren nichtpromovirten Berufsgenossen nachgewiesen haben, um hierfür einen wissenschaftlichen Titel zu führen, so muß man sagen: gar keine. Dieselben Kenntnisse, auf Grund deren man die Staatsprüfungen bestanden hat, genügen im allgemeinen zur Erlangung des wissenschaftlichen Titels, und wer die Prüfung bestanden hat, ist regelmäßig auch den Titel zu erlangen in der Lage. Gegenwärtig ist also der Doktortitel — dies muß offen ausgesprochen werden — in diesem Falle nur ein Beweis, daß der ihn führende wohlhabend und eitel genug war, neben seiner Amts- oder Berufsbezeichnung noch einen wissenschaftlichen Titel zu erstreben. Zustünde dieser Art entsprechen aber nicht der Würde der Universitäten. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen der Doktortitel genügte, daß man eine Stelle als ordent¬ licher Lehrer an einer Universität, als Richter an den höchsten Gerichten bekleiden konnte, in denen die voetore^ dem Adel gleichstanden und von der ordentlichen Gerichtsbarkeit „eximirt" waren. Immerhin soll aber der Doktor ein äoows sein, ein Gelehrter; und wenn man an einen solchen Titel keine wesentlich andern Anforderungen stellt, als sie der Staat an die stellt, die einen eine wissenschaftliche Vorbildung erfordernden Beruf ausüben, so ist der Wert des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/436>, abgerufen am 23.07.2024.