Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Her Schutz der persönlichen Freiheit

Mahnten Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzüge
liegt. Es bedarf hier also nicht des Ergreifens auf frischer That oder bei
der unmittelbaren Verfolgung.

Von der vorläufigen Festnahme zum Zwecke der Strafverfolgung ver¬
schieden ist nun wieder das Recht der Staatsanwaltschaft, der Polizei und
der Wachtmaunschaften, Personen in polizeiliche "Verwahrung" zu nehmen.
Dies Recht haben die genannten Behörden dann, wenn der eigne Schutz der
festgenommenen Personen oder die Aufrechterhaltung der "öffentlichen Sitt¬
lichkeit, Sicherheit und Ruhe" diese Maßregel dringend erfordern. Auch um
eine bei der VerÜbung strafbarer Handlungen, z. B. ruhestörenden Lärms, fest¬
genommene Person von der Verübung weiterer Strafthaten abzuhalten, sollen
die genannten Behörden nach einer Entscheidung des Reichsgerichts zur Fest¬
nahme berechtigt sein. Immer aber sind die Behörden verpflichtet, die fest¬
genommene Person im Laufe des folgenden Tages in Freiheit zu setzen oder
das Erforderliche zu veranlassen, um sie der zuständigen Behörde -- dem
Gericht, der Vormundschaftsbehörde, der Militärbehörde usw. -- zu überweisen.

Endlich können die Behörden noch insoweit in die persönliche Freiheit
des Einzelnen eingreifen, als sie zum Teil berechtigt sind, die Personen vor¬
führen zu lassen, die ihrer Ladung nicht Folge leisten. So kann das Gericht
uuter Umstünden den Beschuldigten oder die Zeugen, die auf orduuugsmüßige
Ladung uicht erschienen sind, vorführen lassen. Dasselbe Recht steht auch der
Polizeibehörde bei der Handhabung der ihr übertragnen Exekutivgewalt und
andern Behörden zu.

Man sieht aus diesen Bestimmungen, zu denen noch die harten Strafen
wegen unrechtmäßiger Freiheitsberaubung hinzutreten, daß es an einschlägigen
Gesetzen nicht fehlt, und daß vor allem gegen eine unrechtmäßige Verhaftung
alle nur erforderlichen Bürgschaften geboten sind. Andrerseits läßt es sich
nicht leugnen, daß der Polizei durch die Bestimmungen über vorläufige Fest¬
nahme und Verwahrung eine überaus weitgehende Macht eingeräumt ist.
Denn der Begriff: so weit es die öffentliche Sicherheit und Ruhe erfordert,
ist natürlich in "das pflichtgemäße Ermessen" der Beamten gestellt. Unter
diesen Begriff läßt sich aber so ziemlich alles bringen, von dem angeheiterten
Studio, der auf der Straße singt, bis zum Redakteur, der in kritischer Zeit
einen sensationellen Leitartikel geschrieben hat. Auch die Berechtigung, die
wegen Sittenvergehens festgenommenen Frauenspersonen körperlich untersuchen
zu lassen, stützt sich, meines Wissens, nur auf diese Bestimmungen.

Die Vorschriften über die "vorläufige Festnahme" können leicht dazu
führen, daß jemand eine Nacht unrechtmäßig festgehalten wird. Man denke:
Auf der Straße wird Lärm gemacht oder irgend ein Unfug verübt. Der
herbeieilende Wächter hält einen zufälligen Passanten für den Thäter und
nimmt ihn mit zur Wache. Kann dieser sich hier nicht legitimiren, so muß


Her Schutz der persönlichen Freiheit

Mahnten Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzüge
liegt. Es bedarf hier also nicht des Ergreifens auf frischer That oder bei
der unmittelbaren Verfolgung.

Von der vorläufigen Festnahme zum Zwecke der Strafverfolgung ver¬
schieden ist nun wieder das Recht der Staatsanwaltschaft, der Polizei und
der Wachtmaunschaften, Personen in polizeiliche „Verwahrung" zu nehmen.
Dies Recht haben die genannten Behörden dann, wenn der eigne Schutz der
festgenommenen Personen oder die Aufrechterhaltung der „öffentlichen Sitt¬
lichkeit, Sicherheit und Ruhe" diese Maßregel dringend erfordern. Auch um
eine bei der VerÜbung strafbarer Handlungen, z. B. ruhestörenden Lärms, fest¬
genommene Person von der Verübung weiterer Strafthaten abzuhalten, sollen
die genannten Behörden nach einer Entscheidung des Reichsgerichts zur Fest¬
nahme berechtigt sein. Immer aber sind die Behörden verpflichtet, die fest¬
genommene Person im Laufe des folgenden Tages in Freiheit zu setzen oder
das Erforderliche zu veranlassen, um sie der zuständigen Behörde — dem
Gericht, der Vormundschaftsbehörde, der Militärbehörde usw. — zu überweisen.

Endlich können die Behörden noch insoweit in die persönliche Freiheit
des Einzelnen eingreifen, als sie zum Teil berechtigt sind, die Personen vor¬
führen zu lassen, die ihrer Ladung nicht Folge leisten. So kann das Gericht
uuter Umstünden den Beschuldigten oder die Zeugen, die auf orduuugsmüßige
Ladung uicht erschienen sind, vorführen lassen. Dasselbe Recht steht auch der
Polizeibehörde bei der Handhabung der ihr übertragnen Exekutivgewalt und
andern Behörden zu.

Man sieht aus diesen Bestimmungen, zu denen noch die harten Strafen
wegen unrechtmäßiger Freiheitsberaubung hinzutreten, daß es an einschlägigen
Gesetzen nicht fehlt, und daß vor allem gegen eine unrechtmäßige Verhaftung
alle nur erforderlichen Bürgschaften geboten sind. Andrerseits läßt es sich
nicht leugnen, daß der Polizei durch die Bestimmungen über vorläufige Fest¬
nahme und Verwahrung eine überaus weitgehende Macht eingeräumt ist.
Denn der Begriff: so weit es die öffentliche Sicherheit und Ruhe erfordert,
ist natürlich in „das pflichtgemäße Ermessen" der Beamten gestellt. Unter
diesen Begriff läßt sich aber so ziemlich alles bringen, von dem angeheiterten
Studio, der auf der Straße singt, bis zum Redakteur, der in kritischer Zeit
einen sensationellen Leitartikel geschrieben hat. Auch die Berechtigung, die
wegen Sittenvergehens festgenommenen Frauenspersonen körperlich untersuchen
zu lassen, stützt sich, meines Wissens, nur auf diese Bestimmungen.

Die Vorschriften über die „vorläufige Festnahme" können leicht dazu
führen, daß jemand eine Nacht unrechtmäßig festgehalten wird. Man denke:
Auf der Straße wird Lärm gemacht oder irgend ein Unfug verübt. Der
herbeieilende Wächter hält einen zufälligen Passanten für den Thäter und
nimmt ihn mit zur Wache. Kann dieser sich hier nicht legitimiren, so muß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228067"/>
          <fw type="header" place="top"> Her Schutz der persönlichen Freiheit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1186" prev="#ID_1185"> Mahnten Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzüge<lb/>
liegt. Es bedarf hier also nicht des Ergreifens auf frischer That oder bei<lb/>
der unmittelbaren Verfolgung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1187"> Von der vorläufigen Festnahme zum Zwecke der Strafverfolgung ver¬<lb/>
schieden ist nun wieder das Recht der Staatsanwaltschaft, der Polizei und<lb/>
der Wachtmaunschaften, Personen in polizeiliche &#x201E;Verwahrung" zu nehmen.<lb/>
Dies Recht haben die genannten Behörden dann, wenn der eigne Schutz der<lb/>
festgenommenen Personen oder die Aufrechterhaltung der &#x201E;öffentlichen Sitt¬<lb/>
lichkeit, Sicherheit und Ruhe" diese Maßregel dringend erfordern. Auch um<lb/>
eine bei der VerÜbung strafbarer Handlungen, z. B. ruhestörenden Lärms, fest¬<lb/>
genommene Person von der Verübung weiterer Strafthaten abzuhalten, sollen<lb/>
die genannten Behörden nach einer Entscheidung des Reichsgerichts zur Fest¬<lb/>
nahme berechtigt sein. Immer aber sind die Behörden verpflichtet, die fest¬<lb/>
genommene Person im Laufe des folgenden Tages in Freiheit zu setzen oder<lb/>
das Erforderliche zu veranlassen, um sie der zuständigen Behörde &#x2014; dem<lb/>
Gericht, der Vormundschaftsbehörde, der Militärbehörde usw. &#x2014; zu überweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1188"> Endlich können die Behörden noch insoweit in die persönliche Freiheit<lb/>
des Einzelnen eingreifen, als sie zum Teil berechtigt sind, die Personen vor¬<lb/>
führen zu lassen, die ihrer Ladung nicht Folge leisten. So kann das Gericht<lb/>
uuter Umstünden den Beschuldigten oder die Zeugen, die auf orduuugsmüßige<lb/>
Ladung uicht erschienen sind, vorführen lassen. Dasselbe Recht steht auch der<lb/>
Polizeibehörde bei der Handhabung der ihr übertragnen Exekutivgewalt und<lb/>
andern Behörden zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1189"> Man sieht aus diesen Bestimmungen, zu denen noch die harten Strafen<lb/>
wegen unrechtmäßiger Freiheitsberaubung hinzutreten, daß es an einschlägigen<lb/>
Gesetzen nicht fehlt, und daß vor allem gegen eine unrechtmäßige Verhaftung<lb/>
alle nur erforderlichen Bürgschaften geboten sind. Andrerseits läßt es sich<lb/>
nicht leugnen, daß der Polizei durch die Bestimmungen über vorläufige Fest¬<lb/>
nahme und Verwahrung eine überaus weitgehende Macht eingeräumt ist.<lb/>
Denn der Begriff: so weit es die öffentliche Sicherheit und Ruhe erfordert,<lb/>
ist natürlich in &#x201E;das pflichtgemäße Ermessen" der Beamten gestellt. Unter<lb/>
diesen Begriff läßt sich aber so ziemlich alles bringen, von dem angeheiterten<lb/>
Studio, der auf der Straße singt, bis zum Redakteur, der in kritischer Zeit<lb/>
einen sensationellen Leitartikel geschrieben hat. Auch die Berechtigung, die<lb/>
wegen Sittenvergehens festgenommenen Frauenspersonen körperlich untersuchen<lb/>
zu lassen, stützt sich, meines Wissens, nur auf diese Bestimmungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1190" next="#ID_1191"> Die Vorschriften über die &#x201E;vorläufige Festnahme" können leicht dazu<lb/>
führen, daß jemand eine Nacht unrechtmäßig festgehalten wird. Man denke:<lb/>
Auf der Straße wird Lärm gemacht oder irgend ein Unfug verübt. Der<lb/>
herbeieilende Wächter hält einen zufälligen Passanten für den Thäter und<lb/>
nimmt ihn mit zur Wache.  Kann dieser sich hier nicht legitimiren, so muß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] Her Schutz der persönlichen Freiheit Mahnten Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzüge liegt. Es bedarf hier also nicht des Ergreifens auf frischer That oder bei der unmittelbaren Verfolgung. Von der vorläufigen Festnahme zum Zwecke der Strafverfolgung ver¬ schieden ist nun wieder das Recht der Staatsanwaltschaft, der Polizei und der Wachtmaunschaften, Personen in polizeiliche „Verwahrung" zu nehmen. Dies Recht haben die genannten Behörden dann, wenn der eigne Schutz der festgenommenen Personen oder die Aufrechterhaltung der „öffentlichen Sitt¬ lichkeit, Sicherheit und Ruhe" diese Maßregel dringend erfordern. Auch um eine bei der VerÜbung strafbarer Handlungen, z. B. ruhestörenden Lärms, fest¬ genommene Person von der Verübung weiterer Strafthaten abzuhalten, sollen die genannten Behörden nach einer Entscheidung des Reichsgerichts zur Fest¬ nahme berechtigt sein. Immer aber sind die Behörden verpflichtet, die fest¬ genommene Person im Laufe des folgenden Tages in Freiheit zu setzen oder das Erforderliche zu veranlassen, um sie der zuständigen Behörde — dem Gericht, der Vormundschaftsbehörde, der Militärbehörde usw. — zu überweisen. Endlich können die Behörden noch insoweit in die persönliche Freiheit des Einzelnen eingreifen, als sie zum Teil berechtigt sind, die Personen vor¬ führen zu lassen, die ihrer Ladung nicht Folge leisten. So kann das Gericht uuter Umstünden den Beschuldigten oder die Zeugen, die auf orduuugsmüßige Ladung uicht erschienen sind, vorführen lassen. Dasselbe Recht steht auch der Polizeibehörde bei der Handhabung der ihr übertragnen Exekutivgewalt und andern Behörden zu. Man sieht aus diesen Bestimmungen, zu denen noch die harten Strafen wegen unrechtmäßiger Freiheitsberaubung hinzutreten, daß es an einschlägigen Gesetzen nicht fehlt, und daß vor allem gegen eine unrechtmäßige Verhaftung alle nur erforderlichen Bürgschaften geboten sind. Andrerseits läßt es sich nicht leugnen, daß der Polizei durch die Bestimmungen über vorläufige Fest¬ nahme und Verwahrung eine überaus weitgehende Macht eingeräumt ist. Denn der Begriff: so weit es die öffentliche Sicherheit und Ruhe erfordert, ist natürlich in „das pflichtgemäße Ermessen" der Beamten gestellt. Unter diesen Begriff läßt sich aber so ziemlich alles bringen, von dem angeheiterten Studio, der auf der Straße singt, bis zum Redakteur, der in kritischer Zeit einen sensationellen Leitartikel geschrieben hat. Auch die Berechtigung, die wegen Sittenvergehens festgenommenen Frauenspersonen körperlich untersuchen zu lassen, stützt sich, meines Wissens, nur auf diese Bestimmungen. Die Vorschriften über die „vorläufige Festnahme" können leicht dazu führen, daß jemand eine Nacht unrechtmäßig festgehalten wird. Man denke: Auf der Straße wird Lärm gemacht oder irgend ein Unfug verübt. Der herbeieilende Wächter hält einen zufälligen Passanten für den Thäter und nimmt ihn mit zur Wache. Kann dieser sich hier nicht legitimiren, so muß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/431>, abgerufen am 23.07.2024.