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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Schutz der persönlichen Freiheit

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(M^kxL^meer welchen Voraussetzungen darf ich verhaftet werden? Wer
ist zur Verhaftung befugt? Bin ich selber zur Festnahme eines
andern berechtigt, und wann bin ich es? Das sind Fragen,
die immer, auch in Laienkreisen, auf Interesse Anspruch machen
dürfen, ganz besonders aber jetzt, wo so viel von Übergriffen
"Subalterner Polizeiorgane" die Rede ist.

In Betracht kommt hier natürlich nur der Fall, wo noch kein rechtskräftiges
Urteil auf eine Freiheitsstrafe vorliegt, wo also ein plötzlicher, unvermuteter
Eingriff in die Freiheit des Einzelnen stattfindet. Wie weit hier die Organe
des Staates und der Einzelne gehen dürfen, diese überaus schwierige Frage
ist bisher in folgender Weise geregelt. Artikel 5 der preußischen Verfassung
bestimmt: "Die persönliche Freiheit ist gewährleistet, die Bedingungen und
Formen, unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondre eine Ver¬
haftung zulässig ist, werden durch das Gesetz bestimmt." Als solche Gesetze
kommen vor allem in Betracht das preußische Gesetz zum Schutze der per¬
sönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850 und die Strafprozeßordnung vom
1. Februar 1877. Aber auch die Zivilprozeßordnung und manche andern
Gesetze enthalten einschlägige Bestimmungen. Man muß folgende Begriffe
streng auseinander halten: die Verhaftung im engern Sinne des Wortes,
die vorläufige Festnahme, die Verwahrung oder Sistirung und die Zwangs¬
gestellung.

Die Verhaftung im engern Sinne findet statt, um eine begangne straf¬
bare Handlung zu verfolgen. Das Recht zur Verhaftung steht einzig und
allein dem Richter zu. Und zwar ist in der Regel der Amtsrichter der zu¬
ständige Richter. Nur wenn eine Voruntersuchung schon eröffnet ist, ist auch der
Untersuchungsrichter und uach der Eröffnung des Hauptverfahrens in dringenden
Fällen der Vorsitzende des erkennenden Gerichts einen Haftbefehl zu erlassen
berechtigt. So kann es kommen, daß, wenn z. B. ein Zeuge einen offenbaren
Meineid vor dem Schwurgericht leistet, der Gerichtshof nicht zur Verhaftung
des Thäters berechtigt ist. Wohl aber könnte der etwa beisitzendc Amtsrichter
sofort einen Haftbefehl erlassen. Die Verhaftung erfolgt auf Grund eines
schriftlichen, dem Verhafteten bekannt zu gebenden Haftbefehls, worin der




Der Schutz der persönlichen Freiheit

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(M^kxL^meer welchen Voraussetzungen darf ich verhaftet werden? Wer
ist zur Verhaftung befugt? Bin ich selber zur Festnahme eines
andern berechtigt, und wann bin ich es? Das sind Fragen,
die immer, auch in Laienkreisen, auf Interesse Anspruch machen
dürfen, ganz besonders aber jetzt, wo so viel von Übergriffen
„Subalterner Polizeiorgane" die Rede ist.

In Betracht kommt hier natürlich nur der Fall, wo noch kein rechtskräftiges
Urteil auf eine Freiheitsstrafe vorliegt, wo also ein plötzlicher, unvermuteter
Eingriff in die Freiheit des Einzelnen stattfindet. Wie weit hier die Organe
des Staates und der Einzelne gehen dürfen, diese überaus schwierige Frage
ist bisher in folgender Weise geregelt. Artikel 5 der preußischen Verfassung
bestimmt: „Die persönliche Freiheit ist gewährleistet, die Bedingungen und
Formen, unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondre eine Ver¬
haftung zulässig ist, werden durch das Gesetz bestimmt." Als solche Gesetze
kommen vor allem in Betracht das preußische Gesetz zum Schutze der per¬
sönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850 und die Strafprozeßordnung vom
1. Februar 1877. Aber auch die Zivilprozeßordnung und manche andern
Gesetze enthalten einschlägige Bestimmungen. Man muß folgende Begriffe
streng auseinander halten: die Verhaftung im engern Sinne des Wortes,
die vorläufige Festnahme, die Verwahrung oder Sistirung und die Zwangs¬
gestellung.

Die Verhaftung im engern Sinne findet statt, um eine begangne straf¬
bare Handlung zu verfolgen. Das Recht zur Verhaftung steht einzig und
allein dem Richter zu. Und zwar ist in der Regel der Amtsrichter der zu¬
ständige Richter. Nur wenn eine Voruntersuchung schon eröffnet ist, ist auch der
Untersuchungsrichter und uach der Eröffnung des Hauptverfahrens in dringenden
Fällen der Vorsitzende des erkennenden Gerichts einen Haftbefehl zu erlassen
berechtigt. So kann es kommen, daß, wenn z. B. ein Zeuge einen offenbaren
Meineid vor dem Schwurgericht leistet, der Gerichtshof nicht zur Verhaftung
des Thäters berechtigt ist. Wohl aber könnte der etwa beisitzendc Amtsrichter
sofort einen Haftbefehl erlassen. Die Verhaftung erfolgt auf Grund eines
schriftlichen, dem Verhafteten bekannt zu gebenden Haftbefehls, worin der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/429>, abgerufen am 23.07.2024.