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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Siams Aulturbestrebnngen und Deutschlands Anteil

hierhergegangen, sondern sie sind fast immer als junge Offiziere aus unserm Heere
ausgeschieden. Das stehende Heer, das größtenteils in Bangkok seine Garnison
hat, zählt 6000 Mann; sie sind hauptsächlich nach deutschem Muster aus¬
gebildet, mit Mannlichergewehren ausgestattet und tragen als Kopfbedeckung
Helme, die den preußischen Pickelhauben gleichen; natürlich sind die Helme aus
leichterm Stoffe, wie es das südliche Klima erfordert, hergestellt.

Auch in andern hervorragenden Stellungen begegnen wir den Deutschen.
So ist der Hafendirektor in Bangkok ein Deutscher; Generaldolmetscher ist
Dr. Frankfurter, ein vorzüglicher Kenner der altindischen Palisprache. Ein
Architekt Namens Scindreczki, der künstlerisch sehr begabt ist, baut das Palais
des Kronprinzen- Auch der Leibarzt des Königs ist ein Deutscher. Ein von
einem Trierer ganz nach europäischer Weise geschultes königliches Orchester
verschafft deutscher Musik in Siam Eingang. Neben leichterer Musik werden
den Sicimesen in den Konzerten auch Stücke aus den Wagnerschen, Beethovenschen,
Mozartschen und Weberschen Opern vorgeführt. Handwerker findet man nicht
unter den Deutschen, denn anstrengender körperlicher Arbeit würden sie in den
Tropen nicht gewachsen sein. Das Handwerk liegt in den Händen der überaus
zahlreichen Chinesen. Nur ein aus Stralsund stammender Goldschmied,
Grählert, ist hier ansässig. Er sertigt die schönsten Gold- und Silberarbeiten
in altsiamesischem Stile. In seiner Werkstatt bildet er tüchtige, jüngere Leute
heran. Deu Erzeugnissen deutschen Gewerbefleißes begegnet man überall, so¬
wohl in deu großen Kaufhäusern der Hauptstraße, wie in dem Palaste des
Königs. Sind doch auch die im Lande umlaufenden Münzen vor einigen
Jahren in Deutschland hergestellt worden.

Besonders erwähnenswert ist noch das Werk eines Deutsch-Österreichers,
des aus Wien gebürtigen Erwin Müller. Seine Thätigkeit ist für die Zukunft
Siams von höchster Wichtigkeit. Er hat begonnen, durch ein Netz von Kannten
in unmittelbarster Nähe von Bangkok ein viele Quadratmeilen umfassendes,
von Dschungeln und Präriegras bedecktes Urwaldgebiet in fruchtbares Acker¬
land zu verwandeln. Jetzt wohnen auf ihm, nach vierjähriger Arbeit, schon
40000 Menschen, die sich durch Reisbau ernähren. Der Hauptkanal, der die
beiden größten Flüsse, den Meran und den Nakvukajok verbindet, hat eine Länge
von sechzig Kilometern, eine Breite von sechzehn und eine Tiefe von vier Metern.
Sechzehn kleinere Kanäle zweigen sich von ihm ab und spenden das befruch¬
tende Naß. Von den 1500 Kilometern, die gebaut werden sollen, sind bisher
300 Kilometer sertig gestellt. Eine in Deutschland gebaute und unter Aufsicht
eines Lübeckers stehende Trockenbaggermaschiue, die in zehn Stunden 2000 Kubik¬
meter Erde auswerfen kann, hilft die Wildnis in Kulturland umgestalten.

Die deutsche Kolonie Bangkoks ist ungefähr siebzig Mann stark. Außer
Postbeamten, Offizieren, Ingenieuren und Baumeistern umfaßt sie noch Apotheker.
Schiffskapitäne, Photographen und Kaufleute. Ihre Mitglieder sind fast alle


Siams Aulturbestrebnngen und Deutschlands Anteil

hierhergegangen, sondern sie sind fast immer als junge Offiziere aus unserm Heere
ausgeschieden. Das stehende Heer, das größtenteils in Bangkok seine Garnison
hat, zählt 6000 Mann; sie sind hauptsächlich nach deutschem Muster aus¬
gebildet, mit Mannlichergewehren ausgestattet und tragen als Kopfbedeckung
Helme, die den preußischen Pickelhauben gleichen; natürlich sind die Helme aus
leichterm Stoffe, wie es das südliche Klima erfordert, hergestellt.

Auch in andern hervorragenden Stellungen begegnen wir den Deutschen.
So ist der Hafendirektor in Bangkok ein Deutscher; Generaldolmetscher ist
Dr. Frankfurter, ein vorzüglicher Kenner der altindischen Palisprache. Ein
Architekt Namens Scindreczki, der künstlerisch sehr begabt ist, baut das Palais
des Kronprinzen- Auch der Leibarzt des Königs ist ein Deutscher. Ein von
einem Trierer ganz nach europäischer Weise geschultes königliches Orchester
verschafft deutscher Musik in Siam Eingang. Neben leichterer Musik werden
den Sicimesen in den Konzerten auch Stücke aus den Wagnerschen, Beethovenschen,
Mozartschen und Weberschen Opern vorgeführt. Handwerker findet man nicht
unter den Deutschen, denn anstrengender körperlicher Arbeit würden sie in den
Tropen nicht gewachsen sein. Das Handwerk liegt in den Händen der überaus
zahlreichen Chinesen. Nur ein aus Stralsund stammender Goldschmied,
Grählert, ist hier ansässig. Er sertigt die schönsten Gold- und Silberarbeiten
in altsiamesischem Stile. In seiner Werkstatt bildet er tüchtige, jüngere Leute
heran. Deu Erzeugnissen deutschen Gewerbefleißes begegnet man überall, so¬
wohl in deu großen Kaufhäusern der Hauptstraße, wie in dem Palaste des
Königs. Sind doch auch die im Lande umlaufenden Münzen vor einigen
Jahren in Deutschland hergestellt worden.

Besonders erwähnenswert ist noch das Werk eines Deutsch-Österreichers,
des aus Wien gebürtigen Erwin Müller. Seine Thätigkeit ist für die Zukunft
Siams von höchster Wichtigkeit. Er hat begonnen, durch ein Netz von Kannten
in unmittelbarster Nähe von Bangkok ein viele Quadratmeilen umfassendes,
von Dschungeln und Präriegras bedecktes Urwaldgebiet in fruchtbares Acker¬
land zu verwandeln. Jetzt wohnen auf ihm, nach vierjähriger Arbeit, schon
40000 Menschen, die sich durch Reisbau ernähren. Der Hauptkanal, der die
beiden größten Flüsse, den Meran und den Nakvukajok verbindet, hat eine Länge
von sechzig Kilometern, eine Breite von sechzehn und eine Tiefe von vier Metern.
Sechzehn kleinere Kanäle zweigen sich von ihm ab und spenden das befruch¬
tende Naß. Von den 1500 Kilometern, die gebaut werden sollen, sind bisher
300 Kilometer sertig gestellt. Eine in Deutschland gebaute und unter Aufsicht
eines Lübeckers stehende Trockenbaggermaschiue, die in zehn Stunden 2000 Kubik¬
meter Erde auswerfen kann, hilft die Wildnis in Kulturland umgestalten.

Die deutsche Kolonie Bangkoks ist ungefähr siebzig Mann stark. Außer
Postbeamten, Offizieren, Ingenieuren und Baumeistern umfaßt sie noch Apotheker.
Schiffskapitäne, Photographen und Kaufleute. Ihre Mitglieder sind fast alle


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[0421] Siams Aulturbestrebnngen und Deutschlands Anteil hierhergegangen, sondern sie sind fast immer als junge Offiziere aus unserm Heere ausgeschieden. Das stehende Heer, das größtenteils in Bangkok seine Garnison hat, zählt 6000 Mann; sie sind hauptsächlich nach deutschem Muster aus¬ gebildet, mit Mannlichergewehren ausgestattet und tragen als Kopfbedeckung Helme, die den preußischen Pickelhauben gleichen; natürlich sind die Helme aus leichterm Stoffe, wie es das südliche Klima erfordert, hergestellt. Auch in andern hervorragenden Stellungen begegnen wir den Deutschen. So ist der Hafendirektor in Bangkok ein Deutscher; Generaldolmetscher ist Dr. Frankfurter, ein vorzüglicher Kenner der altindischen Palisprache. Ein Architekt Namens Scindreczki, der künstlerisch sehr begabt ist, baut das Palais des Kronprinzen- Auch der Leibarzt des Königs ist ein Deutscher. Ein von einem Trierer ganz nach europäischer Weise geschultes königliches Orchester verschafft deutscher Musik in Siam Eingang. Neben leichterer Musik werden den Sicimesen in den Konzerten auch Stücke aus den Wagnerschen, Beethovenschen, Mozartschen und Weberschen Opern vorgeführt. Handwerker findet man nicht unter den Deutschen, denn anstrengender körperlicher Arbeit würden sie in den Tropen nicht gewachsen sein. Das Handwerk liegt in den Händen der überaus zahlreichen Chinesen. Nur ein aus Stralsund stammender Goldschmied, Grählert, ist hier ansässig. Er sertigt die schönsten Gold- und Silberarbeiten in altsiamesischem Stile. In seiner Werkstatt bildet er tüchtige, jüngere Leute heran. Deu Erzeugnissen deutschen Gewerbefleißes begegnet man überall, so¬ wohl in deu großen Kaufhäusern der Hauptstraße, wie in dem Palaste des Königs. Sind doch auch die im Lande umlaufenden Münzen vor einigen Jahren in Deutschland hergestellt worden. Besonders erwähnenswert ist noch das Werk eines Deutsch-Österreichers, des aus Wien gebürtigen Erwin Müller. Seine Thätigkeit ist für die Zukunft Siams von höchster Wichtigkeit. Er hat begonnen, durch ein Netz von Kannten in unmittelbarster Nähe von Bangkok ein viele Quadratmeilen umfassendes, von Dschungeln und Präriegras bedecktes Urwaldgebiet in fruchtbares Acker¬ land zu verwandeln. Jetzt wohnen auf ihm, nach vierjähriger Arbeit, schon 40000 Menschen, die sich durch Reisbau ernähren. Der Hauptkanal, der die beiden größten Flüsse, den Meran und den Nakvukajok verbindet, hat eine Länge von sechzig Kilometern, eine Breite von sechzehn und eine Tiefe von vier Metern. Sechzehn kleinere Kanäle zweigen sich von ihm ab und spenden das befruch¬ tende Naß. Von den 1500 Kilometern, die gebaut werden sollen, sind bisher 300 Kilometer sertig gestellt. Eine in Deutschland gebaute und unter Aufsicht eines Lübeckers stehende Trockenbaggermaschiue, die in zehn Stunden 2000 Kubik¬ meter Erde auswerfen kann, hilft die Wildnis in Kulturland umgestalten. Die deutsche Kolonie Bangkoks ist ungefähr siebzig Mann stark. Außer Postbeamten, Offizieren, Ingenieuren und Baumeistern umfaßt sie noch Apotheker. Schiffskapitäne, Photographen und Kaufleute. Ihre Mitglieder sind fast alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/421>, abgerufen am 28.12.2024.