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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Kunst in deutscher Bearbeitung

der vortreffliche Morelli war nicht ganz frei von dergleichen auf Eifersucht
zurückzuführenden kritischen Anwandlungen. In Hans Trogs eben erschienener
Biographie von Jakob Burckhardt, auf die wir demnächst zurückkommen werden
(Basel. Reich), kann mau es ja lesen, wie spät sich die Herren Akademiker von
San Luca, und die sich einst um ihres Scharfblicks willen als Luchse be¬
namsten, die Lincei, entschlossen, den zu ihrem Ehrenmitgliede zu machen,
durch den ihnen selbst erst das Verständnis ihrer eignen Kunst war erschlossen
worden. Oder sollten sie die vielen Wendungen einer rührenden litterarischen
Bescheidenheit, mit denen der feinfühlende Fremde sich gewissermaßen als Ein¬
dringling in das Besitztum der Berechtigten vorzustellen und zu entschuldigen
pflegt, sollten sie sich das wirklich dahin ausgelegt haben, als verstünden sie
das alles noch viel besser? Warum hat denn keiner von ihnen etwas ähn¬
liches geschrieben, und warum lebt man in Italien bis auf den heutigen Tag
von den übersetzten Handbüchern der Fremden? Cavaleaselle ist tot, Adolfo
Venturi ist ein weißer Rabe, die Kupferstichschätze der italienischen Samm¬
lungen muß ein junger deutscher Gelehrter ordnen. -- So hart und unfreund¬
lich das klingt -- aber man kann doch nicht jemand immer bloß deshalb
verehren, weil seine Väter ihm recht viel hinterlassen haben, womit er nicht
umzugehen weiß oder Lust hat!

Ein Buch, aus dem die Italiener aufs neue sehen können, wie man in
Deutschland die herrliche alte Kunst ihres Landes nicht nur zu schätzen, sondern
auch zu bearbeiten versteht, ist die kürzlich erschienene Festschrift zu Ehren
des kunsthistorischen Instituts in Florenz, dargebracht vom kunsthistorischen
Institut der Universität Leipzig, ein stattlicher, reich illustrirter Folioband
(Leipzig, Liebeskind) mit nicht weniger als neun Aufsätzen oder vielmehr
Bündeln von einzelnen Abhandlungen, die der Leipziger Professor der Kunst¬
geschichte, A. Schmarsow, aus seinen frühern Arbeiten ausgewählt und in
neuer Überarbeitung zusammengestellt hat. Schmarsow wird an Vielseitigkeit
nur von wenigen seiner deutschen Fachgenossen erreicht; er hat sich mit
nordischer sowohl wie italienischer Kunst, mit Architektur nicht minder als mit
Skulptur und Malerei sowie mit vielen Zweigen der Kunstdekoration ein¬
gehend und erfolgreich beschäftigt. Er kennt aber auch, wie wenige, die zeit¬
geschichtliche Litteratur und verwertet sie mit historischem Blick zur Erläuterung
des einzelnen Kunstwerks, und er weiß ebenso gut in dem heutigen Leben die
Fäden zu finden, durch die die Kunst mit Landes- und Volksart zusammenhängt.
So ordnet anstatt willkürlich üsthetisirender Betrachtung die wissenschaftliche,
historische Auffassung alle einzelnen Überbleibsel zu einem wieder lebendig ge-
wordnen Ganzen.

Um nur vou dem Wichtigsten des reichen Inhalts in einer kurzen Über¬
sicht eine Vorstellung zu geben, sei zunächst auf eine Charakteristik der Bild¬
hauer Niccolc" und Giovanni Pisano hingewiesen, in der der Versuch gemacht


Italienische Kunst in deutscher Bearbeitung

der vortreffliche Morelli war nicht ganz frei von dergleichen auf Eifersucht
zurückzuführenden kritischen Anwandlungen. In Hans Trogs eben erschienener
Biographie von Jakob Burckhardt, auf die wir demnächst zurückkommen werden
(Basel. Reich), kann mau es ja lesen, wie spät sich die Herren Akademiker von
San Luca, und die sich einst um ihres Scharfblicks willen als Luchse be¬
namsten, die Lincei, entschlossen, den zu ihrem Ehrenmitgliede zu machen,
durch den ihnen selbst erst das Verständnis ihrer eignen Kunst war erschlossen
worden. Oder sollten sie die vielen Wendungen einer rührenden litterarischen
Bescheidenheit, mit denen der feinfühlende Fremde sich gewissermaßen als Ein¬
dringling in das Besitztum der Berechtigten vorzustellen und zu entschuldigen
pflegt, sollten sie sich das wirklich dahin ausgelegt haben, als verstünden sie
das alles noch viel besser? Warum hat denn keiner von ihnen etwas ähn¬
liches geschrieben, und warum lebt man in Italien bis auf den heutigen Tag
von den übersetzten Handbüchern der Fremden? Cavaleaselle ist tot, Adolfo
Venturi ist ein weißer Rabe, die Kupferstichschätze der italienischen Samm¬
lungen muß ein junger deutscher Gelehrter ordnen. — So hart und unfreund¬
lich das klingt — aber man kann doch nicht jemand immer bloß deshalb
verehren, weil seine Väter ihm recht viel hinterlassen haben, womit er nicht
umzugehen weiß oder Lust hat!

Ein Buch, aus dem die Italiener aufs neue sehen können, wie man in
Deutschland die herrliche alte Kunst ihres Landes nicht nur zu schätzen, sondern
auch zu bearbeiten versteht, ist die kürzlich erschienene Festschrift zu Ehren
des kunsthistorischen Instituts in Florenz, dargebracht vom kunsthistorischen
Institut der Universität Leipzig, ein stattlicher, reich illustrirter Folioband
(Leipzig, Liebeskind) mit nicht weniger als neun Aufsätzen oder vielmehr
Bündeln von einzelnen Abhandlungen, die der Leipziger Professor der Kunst¬
geschichte, A. Schmarsow, aus seinen frühern Arbeiten ausgewählt und in
neuer Überarbeitung zusammengestellt hat. Schmarsow wird an Vielseitigkeit
nur von wenigen seiner deutschen Fachgenossen erreicht; er hat sich mit
nordischer sowohl wie italienischer Kunst, mit Architektur nicht minder als mit
Skulptur und Malerei sowie mit vielen Zweigen der Kunstdekoration ein¬
gehend und erfolgreich beschäftigt. Er kennt aber auch, wie wenige, die zeit¬
geschichtliche Litteratur und verwertet sie mit historischem Blick zur Erläuterung
des einzelnen Kunstwerks, und er weiß ebenso gut in dem heutigen Leben die
Fäden zu finden, durch die die Kunst mit Landes- und Volksart zusammenhängt.
So ordnet anstatt willkürlich üsthetisirender Betrachtung die wissenschaftliche,
historische Auffassung alle einzelnen Überbleibsel zu einem wieder lebendig ge-
wordnen Ganzen.

Um nur vou dem Wichtigsten des reichen Inhalts in einer kurzen Über¬
sicht eine Vorstellung zu geben, sei zunächst auf eine Charakteristik der Bild¬
hauer Niccolc» und Giovanni Pisano hingewiesen, in der der Versuch gemacht


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[0042] Italienische Kunst in deutscher Bearbeitung der vortreffliche Morelli war nicht ganz frei von dergleichen auf Eifersucht zurückzuführenden kritischen Anwandlungen. In Hans Trogs eben erschienener Biographie von Jakob Burckhardt, auf die wir demnächst zurückkommen werden (Basel. Reich), kann mau es ja lesen, wie spät sich die Herren Akademiker von San Luca, und die sich einst um ihres Scharfblicks willen als Luchse be¬ namsten, die Lincei, entschlossen, den zu ihrem Ehrenmitgliede zu machen, durch den ihnen selbst erst das Verständnis ihrer eignen Kunst war erschlossen worden. Oder sollten sie die vielen Wendungen einer rührenden litterarischen Bescheidenheit, mit denen der feinfühlende Fremde sich gewissermaßen als Ein¬ dringling in das Besitztum der Berechtigten vorzustellen und zu entschuldigen pflegt, sollten sie sich das wirklich dahin ausgelegt haben, als verstünden sie das alles noch viel besser? Warum hat denn keiner von ihnen etwas ähn¬ liches geschrieben, und warum lebt man in Italien bis auf den heutigen Tag von den übersetzten Handbüchern der Fremden? Cavaleaselle ist tot, Adolfo Venturi ist ein weißer Rabe, die Kupferstichschätze der italienischen Samm¬ lungen muß ein junger deutscher Gelehrter ordnen. — So hart und unfreund¬ lich das klingt — aber man kann doch nicht jemand immer bloß deshalb verehren, weil seine Väter ihm recht viel hinterlassen haben, womit er nicht umzugehen weiß oder Lust hat! Ein Buch, aus dem die Italiener aufs neue sehen können, wie man in Deutschland die herrliche alte Kunst ihres Landes nicht nur zu schätzen, sondern auch zu bearbeiten versteht, ist die kürzlich erschienene Festschrift zu Ehren des kunsthistorischen Instituts in Florenz, dargebracht vom kunsthistorischen Institut der Universität Leipzig, ein stattlicher, reich illustrirter Folioband (Leipzig, Liebeskind) mit nicht weniger als neun Aufsätzen oder vielmehr Bündeln von einzelnen Abhandlungen, die der Leipziger Professor der Kunst¬ geschichte, A. Schmarsow, aus seinen frühern Arbeiten ausgewählt und in neuer Überarbeitung zusammengestellt hat. Schmarsow wird an Vielseitigkeit nur von wenigen seiner deutschen Fachgenossen erreicht; er hat sich mit nordischer sowohl wie italienischer Kunst, mit Architektur nicht minder als mit Skulptur und Malerei sowie mit vielen Zweigen der Kunstdekoration ein¬ gehend und erfolgreich beschäftigt. Er kennt aber auch, wie wenige, die zeit¬ geschichtliche Litteratur und verwertet sie mit historischem Blick zur Erläuterung des einzelnen Kunstwerks, und er weiß ebenso gut in dem heutigen Leben die Fäden zu finden, durch die die Kunst mit Landes- und Volksart zusammenhängt. So ordnet anstatt willkürlich üsthetisirender Betrachtung die wissenschaftliche, historische Auffassung alle einzelnen Überbleibsel zu einem wieder lebendig ge- wordnen Ganzen. Um nur vou dem Wichtigsten des reichen Inhalts in einer kurzen Über¬ sicht eine Vorstellung zu geben, sei zunächst auf eine Charakteristik der Bild¬ hauer Niccolc» und Giovanni Pisano hingewiesen, in der der Versuch gemacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/42>, abgerufen am 23.07.2024.