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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Grund englischer Admiralitätskarten den berüchtigten Sansibarvertrag abschloß, der
Bismarcks Werk arg beschnitt. Helgoland hätten wir schließlich umsonst bekommen,
jedenfalls hätte das diplomatische Geschick der amtlich Beteiligten auch bei der Er¬
werbung von Helgoland das Ansehen und den Vorteil des Reiches wahren müssen.
Wenn es auch feststeht, daß Herbert Bismarck an erster Stelle für den Sansibar¬
vertrag verantwortlich zu machen ist, so ist doch anzunehmen, daß der Vater schlie߬
lich eine andre Entscheidung getroffen hätte. Caprivi trifft hier nicht der Vorwurf
des Mangels an nationalem Verständnis, da er bloß noch seinen Namen unter den
Vertrag zu setzen hatte, ohne noch einwirken zu können. Die Wirkung im Aus¬
wärtigen Amt selbst war auch derartig, daß Dr. Krauel einfach weggelobt wurde
nud als ausländischer Gesandter die Zentralstelle verlassen mußte. Es wäre aber
unbillig, wenn man nicht anerkennen wollte, daß er sich als deutscher Vertreter in
Brasilien der nationalen Interessen besonders im Süden des Landes, dem alten
deutschen Siedlungsgebiete, mit nachdrücklichem Eifer angenommen hat; diese natio¬
nale Richtung unsrer dortigen Politik entsprang allerdings unmittelbaren Weisungen
von Berlin aus, da jetzt erfreulicherweise in der Wilhelmstraße ein nationaler Wind
weht, und auch die jüngern Diplomaten nicht mehr im internationalen, gesell¬
schaftlichen Verkehr das nationale Gefühl verlieren, was man leider von der ältern
Schule nicht sagen kann, obwohl sie doch Bismarcks Beispiel hätte bekehren sollen.

Der Jurist Kayser übernahm nach Krauels Ausscheiden das Referat, das nunmehr
zu einer selbständigen Abteilung erhoben wurde. Dank Caprivis und Marschalls
erklärlicher Unkenntnis der Verhältnisse ihres Ressorts gelang es auch dem neuen
Dirigenten, die Kolonialabteilung thatsächlich unabhängiger zu machen als die andern
Abteilungen, was deu Kolonialinteressen nur förderlich war. Allerdings haftete
Kayser trotz seines praktischen Verstandes noch juristischer Formalismus an, aber der
Systemwechsel fällt ihm nicht zur Last. Das Soldatenspielen mußte in den Schutz¬
gebieten aufhören, und Herr von Soden war in Kamerun keineswegs ein Bureaukrat,
sondern ein gewandter Geschäftsmann gewesen, dem das Schutzgebiet seinen Auf¬
schwung verdankt. Die zweite Regierung Wißmanns in Ostafrika hat gezeigt, daß
er kein stetiger Arbeiter ist. Das Leben des Expeditiousführers taugt nicht für
die stille, rastlose Thätigkeit des Verwalters einer Kolonie, dem doch nur beschränkte
Geldmittel zur Verfügung stehen. Deshalb war auch Wißmanns Kandidatur für
die Leitung der Kolonialabteilung niemals ernstlich in den maßgebenden Kreisen
erwogen worden. Auch der Kolonialrat hielt ihn nicht dafür geeignet. Daß Soden
in Ostafrika eine unglückliche Hand hatte, konnte Kayser nicht voraussehen. Er hat
sich gegen den teuern und zwecklosen Militarismus unsrer Kolonien weidlich gewehrt.
Die persönliche Tüchtigkeit des Gouverneurs Liebert und des Landeshauptmanns
Leutwein kann an dem verfehlten System nichts ändern. Der Assessor und
der Leutnant müssen sich erst sehr mausern, ehe sie dort unter nützen sollen.
Beide geben sich im übrigen persönlich redliche Mühe. Kayser hatte darunter zu
leiden, daß uuter dem Kolonialseind Caprivi die Kolonialpolitik das Stiefkind des
Auswärtigen Amts war. Der Zustand in Sttdwestafrika war geradezu schmählich,
ohne daß die Kolonialabteilung oder der dortige Reichskommissar das geringste von
dem unverständigen Starrsinne des zweiten Kanzlers erreichen konnten. Da sich
das deutsche Kapital nicht ganz mit Unrecht einer so schlechten Kolonialpolitik
versagte, die sogar den etwaigen Verkauf von Südwestafrika an England erwägen
konnte, so blieb Kayser nichts andres übrig, als andre Finanzkräfte anzuregen.
Daß es leider englisches Kapital in dem gerade von Albion bedrohten Südwest-
afrikn war, mußte den Zorn der nationalen Kolonialfreunde erregen, die aber doch


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Grund englischer Admiralitätskarten den berüchtigten Sansibarvertrag abschloß, der
Bismarcks Werk arg beschnitt. Helgoland hätten wir schließlich umsonst bekommen,
jedenfalls hätte das diplomatische Geschick der amtlich Beteiligten auch bei der Er¬
werbung von Helgoland das Ansehen und den Vorteil des Reiches wahren müssen.
Wenn es auch feststeht, daß Herbert Bismarck an erster Stelle für den Sansibar¬
vertrag verantwortlich zu machen ist, so ist doch anzunehmen, daß der Vater schlie߬
lich eine andre Entscheidung getroffen hätte. Caprivi trifft hier nicht der Vorwurf
des Mangels an nationalem Verständnis, da er bloß noch seinen Namen unter den
Vertrag zu setzen hatte, ohne noch einwirken zu können. Die Wirkung im Aus¬
wärtigen Amt selbst war auch derartig, daß Dr. Krauel einfach weggelobt wurde
nud als ausländischer Gesandter die Zentralstelle verlassen mußte. Es wäre aber
unbillig, wenn man nicht anerkennen wollte, daß er sich als deutscher Vertreter in
Brasilien der nationalen Interessen besonders im Süden des Landes, dem alten
deutschen Siedlungsgebiete, mit nachdrücklichem Eifer angenommen hat; diese natio¬
nale Richtung unsrer dortigen Politik entsprang allerdings unmittelbaren Weisungen
von Berlin aus, da jetzt erfreulicherweise in der Wilhelmstraße ein nationaler Wind
weht, und auch die jüngern Diplomaten nicht mehr im internationalen, gesell¬
schaftlichen Verkehr das nationale Gefühl verlieren, was man leider von der ältern
Schule nicht sagen kann, obwohl sie doch Bismarcks Beispiel hätte bekehren sollen.

Der Jurist Kayser übernahm nach Krauels Ausscheiden das Referat, das nunmehr
zu einer selbständigen Abteilung erhoben wurde. Dank Caprivis und Marschalls
erklärlicher Unkenntnis der Verhältnisse ihres Ressorts gelang es auch dem neuen
Dirigenten, die Kolonialabteilung thatsächlich unabhängiger zu machen als die andern
Abteilungen, was deu Kolonialinteressen nur förderlich war. Allerdings haftete
Kayser trotz seines praktischen Verstandes noch juristischer Formalismus an, aber der
Systemwechsel fällt ihm nicht zur Last. Das Soldatenspielen mußte in den Schutz¬
gebieten aufhören, und Herr von Soden war in Kamerun keineswegs ein Bureaukrat,
sondern ein gewandter Geschäftsmann gewesen, dem das Schutzgebiet seinen Auf¬
schwung verdankt. Die zweite Regierung Wißmanns in Ostafrika hat gezeigt, daß
er kein stetiger Arbeiter ist. Das Leben des Expeditiousführers taugt nicht für
die stille, rastlose Thätigkeit des Verwalters einer Kolonie, dem doch nur beschränkte
Geldmittel zur Verfügung stehen. Deshalb war auch Wißmanns Kandidatur für
die Leitung der Kolonialabteilung niemals ernstlich in den maßgebenden Kreisen
erwogen worden. Auch der Kolonialrat hielt ihn nicht dafür geeignet. Daß Soden
in Ostafrika eine unglückliche Hand hatte, konnte Kayser nicht voraussehen. Er hat
sich gegen den teuern und zwecklosen Militarismus unsrer Kolonien weidlich gewehrt.
Die persönliche Tüchtigkeit des Gouverneurs Liebert und des Landeshauptmanns
Leutwein kann an dem verfehlten System nichts ändern. Der Assessor und
der Leutnant müssen sich erst sehr mausern, ehe sie dort unter nützen sollen.
Beide geben sich im übrigen persönlich redliche Mühe. Kayser hatte darunter zu
leiden, daß uuter dem Kolonialseind Caprivi die Kolonialpolitik das Stiefkind des
Auswärtigen Amts war. Der Zustand in Sttdwestafrika war geradezu schmählich,
ohne daß die Kolonialabteilung oder der dortige Reichskommissar das geringste von
dem unverständigen Starrsinne des zweiten Kanzlers erreichen konnten. Da sich
das deutsche Kapital nicht ganz mit Unrecht einer so schlechten Kolonialpolitik
versagte, die sogar den etwaigen Verkauf von Südwestafrika an England erwägen
konnte, so blieb Kayser nichts andres übrig, als andre Finanzkräfte anzuregen.
Daß es leider englisches Kapital in dem gerade von Albion bedrohten Südwest-
afrikn war, mußte den Zorn der nationalen Kolonialfreunde erregen, die aber doch


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[0407] Maßgebliches und Unmaßgebliches Grund englischer Admiralitätskarten den berüchtigten Sansibarvertrag abschloß, der Bismarcks Werk arg beschnitt. Helgoland hätten wir schließlich umsonst bekommen, jedenfalls hätte das diplomatische Geschick der amtlich Beteiligten auch bei der Er¬ werbung von Helgoland das Ansehen und den Vorteil des Reiches wahren müssen. Wenn es auch feststeht, daß Herbert Bismarck an erster Stelle für den Sansibar¬ vertrag verantwortlich zu machen ist, so ist doch anzunehmen, daß der Vater schlie߬ lich eine andre Entscheidung getroffen hätte. Caprivi trifft hier nicht der Vorwurf des Mangels an nationalem Verständnis, da er bloß noch seinen Namen unter den Vertrag zu setzen hatte, ohne noch einwirken zu können. Die Wirkung im Aus¬ wärtigen Amt selbst war auch derartig, daß Dr. Krauel einfach weggelobt wurde nud als ausländischer Gesandter die Zentralstelle verlassen mußte. Es wäre aber unbillig, wenn man nicht anerkennen wollte, daß er sich als deutscher Vertreter in Brasilien der nationalen Interessen besonders im Süden des Landes, dem alten deutschen Siedlungsgebiete, mit nachdrücklichem Eifer angenommen hat; diese natio¬ nale Richtung unsrer dortigen Politik entsprang allerdings unmittelbaren Weisungen von Berlin aus, da jetzt erfreulicherweise in der Wilhelmstraße ein nationaler Wind weht, und auch die jüngern Diplomaten nicht mehr im internationalen, gesell¬ schaftlichen Verkehr das nationale Gefühl verlieren, was man leider von der ältern Schule nicht sagen kann, obwohl sie doch Bismarcks Beispiel hätte bekehren sollen. Der Jurist Kayser übernahm nach Krauels Ausscheiden das Referat, das nunmehr zu einer selbständigen Abteilung erhoben wurde. Dank Caprivis und Marschalls erklärlicher Unkenntnis der Verhältnisse ihres Ressorts gelang es auch dem neuen Dirigenten, die Kolonialabteilung thatsächlich unabhängiger zu machen als die andern Abteilungen, was deu Kolonialinteressen nur förderlich war. Allerdings haftete Kayser trotz seines praktischen Verstandes noch juristischer Formalismus an, aber der Systemwechsel fällt ihm nicht zur Last. Das Soldatenspielen mußte in den Schutz¬ gebieten aufhören, und Herr von Soden war in Kamerun keineswegs ein Bureaukrat, sondern ein gewandter Geschäftsmann gewesen, dem das Schutzgebiet seinen Auf¬ schwung verdankt. Die zweite Regierung Wißmanns in Ostafrika hat gezeigt, daß er kein stetiger Arbeiter ist. Das Leben des Expeditiousführers taugt nicht für die stille, rastlose Thätigkeit des Verwalters einer Kolonie, dem doch nur beschränkte Geldmittel zur Verfügung stehen. Deshalb war auch Wißmanns Kandidatur für die Leitung der Kolonialabteilung niemals ernstlich in den maßgebenden Kreisen erwogen worden. Auch der Kolonialrat hielt ihn nicht dafür geeignet. Daß Soden in Ostafrika eine unglückliche Hand hatte, konnte Kayser nicht voraussehen. Er hat sich gegen den teuern und zwecklosen Militarismus unsrer Kolonien weidlich gewehrt. Die persönliche Tüchtigkeit des Gouverneurs Liebert und des Landeshauptmanns Leutwein kann an dem verfehlten System nichts ändern. Der Assessor und der Leutnant müssen sich erst sehr mausern, ehe sie dort unter nützen sollen. Beide geben sich im übrigen persönlich redliche Mühe. Kayser hatte darunter zu leiden, daß uuter dem Kolonialseind Caprivi die Kolonialpolitik das Stiefkind des Auswärtigen Amts war. Der Zustand in Sttdwestafrika war geradezu schmählich, ohne daß die Kolonialabteilung oder der dortige Reichskommissar das geringste von dem unverständigen Starrsinne des zweiten Kanzlers erreichen konnten. Da sich das deutsche Kapital nicht ganz mit Unrecht einer so schlechten Kolonialpolitik versagte, die sogar den etwaigen Verkauf von Südwestafrika an England erwägen konnte, so blieb Kayser nichts andres übrig, als andre Finanzkräfte anzuregen. Daß es leider englisches Kapital in dem gerade von Albion bedrohten Südwest- afrikn war, mußte den Zorn der nationalen Kolonialfreunde erregen, die aber doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/407>, abgerufen am 27.12.2024.