Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

denkmal der Annette von Droste-Hülshoff steht, bis über Hagenau hinaus ist
der ganze sanfte Abhang ein einziger Weingarten; das lichte Mattgrün der
Neben bedeckt einförmig dieses Gestade, so wie in Flachländern Wiesen oder
Rübenfelder weite Flächen einnehmen. Steigt man auf engen Wegen die heißen
Wände hinauf, wo der edelste Seewein, der Mersburger, ausgebrütet wird, so
sieht man auf der Hochebne Hopfengürten, Obstbüume, Kleefelder, aber
meilenweit kein Getreide. Dahinter steht in der Ferne wieder der dunkle
Rand des Waldes.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Kolonialleitung im Auswärtigen Amt.

Die Ernennung des bis¬
herigen Direktors der Kolonicilabteilung des Auswärtigen Amts zum Unterstaats¬
sekretär und Vorsteher der ersten (politischen, d. h. diplomatischen) Abteilung dieses
Amtes beweist, daß die Ausgestaltung der Kolonialverwaltung zu einem selbständigen
obersten Reichsamt für absehbare Zeit nicht vorgesehen ist, da sonst Freiherr von
Nichthofen lieber Staatssekretär eines unabhängigen Kolonialamts geworden wäre,
als Inhaber des am meisten überlasteten Postens des Auswärtigen Amts, der zu¬
gleich wenig Initiative erlaubt, weil der thatsächliche Chef der ersten Abteilung der
Staatssekretär selbst ist. Es darf wohl zunächst als Aufmerksamkeit gegen den
Herzog-Regenten von Mecklenburg, den rührigen Präsidenten der Kolonialgesellschaft,
und sodann gegen den regierungsfreundlichen Teil der Konservativen betrachtet
werden, daß nach langem Suchen der mecklenburgische Konservative, Herr von Buchka,
zum Direktor der Kolouialabteilung ernannt worden ist.

Der etwas häufige Wechsel läßt einen Rückblick auf die bisherigen leitenden
Persönlichkeiten angebracht erscheinen, zumal da nun ein gänzlicher Neuling im aus¬
wärtigen Dienste die Kolonialabteilung übernimmt. Die offiziösen Empfehlungen des
Herrn von Buchka auf Grund seiner Mitgliedschaft der Kolonialgesellschaft klingen
wunderlich. Die juristische Thätigkeit ist auch keine glückliche Vorbereitung, da es
sich hier um eine praktische Verwaltung handelt. Die Kolonialabteilung ist bei dem
Beginn der Einrichtung der Schutzgebiete nur ein Referat der ersten Abteilung des
Auswärtigen Amts gewesen, um das sich der große Kanzler anfänglich selbst be¬
kümmerte, sodaß der Referent, Geheimer Legationsrat Dr. Krauel, nur Bismarcks
Willen auszuführen hatte. Damals wurde die Kolonialpolitik noch nicht hoch be¬
wertet, sonst hätte gerade Herr Krauel nicht Referent werden können. Er hieß im
Amt bloß der Mann mit dem leichten Herzen, da er als Generalkonsul in Sydney
die deutschen Ansprüche auf den Fidschi- und Tongainseln gegenüber den englischen
Anmaßungen schlecht gewahrt und allzu wohlfeil preisgegeben hatte. Der Sansibar¬
vertrag war bei solcher Auffassung unschwer vorauszusehen. Während bei der Auf¬
nahme der Kolonialpolitik Bismarck selbst mit genialen Blick eingriff und höchst¬
eigenhändig die Weisungen gab, blieb die spätere Ausführung mehr dem damaligen
Staatssekretär, Herbert Bismarck, und dem genannten Sachreferenten überlassen.
Beide ließen sich von England völlig übertölpeln, als Dr. Krauel in London auf


Maßgebliches und Unmaßgebliches

denkmal der Annette von Droste-Hülshoff steht, bis über Hagenau hinaus ist
der ganze sanfte Abhang ein einziger Weingarten; das lichte Mattgrün der
Neben bedeckt einförmig dieses Gestade, so wie in Flachländern Wiesen oder
Rübenfelder weite Flächen einnehmen. Steigt man auf engen Wegen die heißen
Wände hinauf, wo der edelste Seewein, der Mersburger, ausgebrütet wird, so
sieht man auf der Hochebne Hopfengürten, Obstbüume, Kleefelder, aber
meilenweit kein Getreide. Dahinter steht in der Ferne wieder der dunkle
Rand des Waldes.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Kolonialleitung im Auswärtigen Amt.

Die Ernennung des bis¬
herigen Direktors der Kolonicilabteilung des Auswärtigen Amts zum Unterstaats¬
sekretär und Vorsteher der ersten (politischen, d. h. diplomatischen) Abteilung dieses
Amtes beweist, daß die Ausgestaltung der Kolonialverwaltung zu einem selbständigen
obersten Reichsamt für absehbare Zeit nicht vorgesehen ist, da sonst Freiherr von
Nichthofen lieber Staatssekretär eines unabhängigen Kolonialamts geworden wäre,
als Inhaber des am meisten überlasteten Postens des Auswärtigen Amts, der zu¬
gleich wenig Initiative erlaubt, weil der thatsächliche Chef der ersten Abteilung der
Staatssekretär selbst ist. Es darf wohl zunächst als Aufmerksamkeit gegen den
Herzog-Regenten von Mecklenburg, den rührigen Präsidenten der Kolonialgesellschaft,
und sodann gegen den regierungsfreundlichen Teil der Konservativen betrachtet
werden, daß nach langem Suchen der mecklenburgische Konservative, Herr von Buchka,
zum Direktor der Kolouialabteilung ernannt worden ist.

Der etwas häufige Wechsel läßt einen Rückblick auf die bisherigen leitenden
Persönlichkeiten angebracht erscheinen, zumal da nun ein gänzlicher Neuling im aus¬
wärtigen Dienste die Kolonialabteilung übernimmt. Die offiziösen Empfehlungen des
Herrn von Buchka auf Grund seiner Mitgliedschaft der Kolonialgesellschaft klingen
wunderlich. Die juristische Thätigkeit ist auch keine glückliche Vorbereitung, da es
sich hier um eine praktische Verwaltung handelt. Die Kolonialabteilung ist bei dem
Beginn der Einrichtung der Schutzgebiete nur ein Referat der ersten Abteilung des
Auswärtigen Amts gewesen, um das sich der große Kanzler anfänglich selbst be¬
kümmerte, sodaß der Referent, Geheimer Legationsrat Dr. Krauel, nur Bismarcks
Willen auszuführen hatte. Damals wurde die Kolonialpolitik noch nicht hoch be¬
wertet, sonst hätte gerade Herr Krauel nicht Referent werden können. Er hieß im
Amt bloß der Mann mit dem leichten Herzen, da er als Generalkonsul in Sydney
die deutschen Ansprüche auf den Fidschi- und Tongainseln gegenüber den englischen
Anmaßungen schlecht gewahrt und allzu wohlfeil preisgegeben hatte. Der Sansibar¬
vertrag war bei solcher Auffassung unschwer vorauszusehen. Während bei der Auf¬
nahme der Kolonialpolitik Bismarck selbst mit genialen Blick eingriff und höchst¬
eigenhändig die Weisungen gab, blieb die spätere Ausführung mehr dem damaligen
Staatssekretär, Herbert Bismarck, und dem genannten Sachreferenten überlassen.
Beide ließen sich von England völlig übertölpeln, als Dr. Krauel in London auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228042"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1110" prev="#ID_1109"> denkmal der Annette von Droste-Hülshoff steht, bis über Hagenau hinaus ist<lb/>
der ganze sanfte Abhang ein einziger Weingarten; das lichte Mattgrün der<lb/>
Neben bedeckt einförmig dieses Gestade, so wie in Flachländern Wiesen oder<lb/>
Rübenfelder weite Flächen einnehmen. Steigt man auf engen Wegen die heißen<lb/>
Wände hinauf, wo der edelste Seewein, der Mersburger, ausgebrütet wird, so<lb/>
sieht man auf der Hochebne Hopfengürten, Obstbüume, Kleefelder, aber<lb/>
meilenweit kein Getreide. Dahinter steht in der Ferne wieder der dunkle<lb/>
Rand des Waldes.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Die Kolonialleitung im Auswärtigen Amt.</head>
            <p xml:id="ID_1111"> Die Ernennung des bis¬<lb/>
herigen Direktors der Kolonicilabteilung des Auswärtigen Amts zum Unterstaats¬<lb/>
sekretär und Vorsteher der ersten (politischen, d. h. diplomatischen) Abteilung dieses<lb/>
Amtes beweist, daß die Ausgestaltung der Kolonialverwaltung zu einem selbständigen<lb/>
obersten Reichsamt für absehbare Zeit nicht vorgesehen ist, da sonst Freiherr von<lb/>
Nichthofen lieber Staatssekretär eines unabhängigen Kolonialamts geworden wäre,<lb/>
als Inhaber des am meisten überlasteten Postens des Auswärtigen Amts, der zu¬<lb/>
gleich wenig Initiative erlaubt, weil der thatsächliche Chef der ersten Abteilung der<lb/>
Staatssekretär selbst ist. Es darf wohl zunächst als Aufmerksamkeit gegen den<lb/>
Herzog-Regenten von Mecklenburg, den rührigen Präsidenten der Kolonialgesellschaft,<lb/>
und sodann gegen den regierungsfreundlichen Teil der Konservativen betrachtet<lb/>
werden, daß nach langem Suchen der mecklenburgische Konservative, Herr von Buchka,<lb/>
zum Direktor der Kolouialabteilung ernannt worden ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1112" next="#ID_1113"> Der etwas häufige Wechsel läßt einen Rückblick auf die bisherigen leitenden<lb/>
Persönlichkeiten angebracht erscheinen, zumal da nun ein gänzlicher Neuling im aus¬<lb/>
wärtigen Dienste die Kolonialabteilung übernimmt. Die offiziösen Empfehlungen des<lb/>
Herrn von Buchka auf Grund seiner Mitgliedschaft der Kolonialgesellschaft klingen<lb/>
wunderlich. Die juristische Thätigkeit ist auch keine glückliche Vorbereitung, da es<lb/>
sich hier um eine praktische Verwaltung handelt. Die Kolonialabteilung ist bei dem<lb/>
Beginn der Einrichtung der Schutzgebiete nur ein Referat der ersten Abteilung des<lb/>
Auswärtigen Amts gewesen, um das sich der große Kanzler anfänglich selbst be¬<lb/>
kümmerte, sodaß der Referent, Geheimer Legationsrat Dr. Krauel, nur Bismarcks<lb/>
Willen auszuführen hatte. Damals wurde die Kolonialpolitik noch nicht hoch be¬<lb/>
wertet, sonst hätte gerade Herr Krauel nicht Referent werden können. Er hieß im<lb/>
Amt bloß der Mann mit dem leichten Herzen, da er als Generalkonsul in Sydney<lb/>
die deutschen Ansprüche auf den Fidschi- und Tongainseln gegenüber den englischen<lb/>
Anmaßungen schlecht gewahrt und allzu wohlfeil preisgegeben hatte. Der Sansibar¬<lb/>
vertrag war bei solcher Auffassung unschwer vorauszusehen. Während bei der Auf¬<lb/>
nahme der Kolonialpolitik Bismarck selbst mit genialen Blick eingriff und höchst¬<lb/>
eigenhändig die Weisungen gab, blieb die spätere Ausführung mehr dem damaligen<lb/>
Staatssekretär, Herbert Bismarck, und dem genannten Sachreferenten überlassen.<lb/>
Beide ließen sich von England völlig übertölpeln, als Dr. Krauel in London auf</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Maßgebliches und Unmaßgebliches denkmal der Annette von Droste-Hülshoff steht, bis über Hagenau hinaus ist der ganze sanfte Abhang ein einziger Weingarten; das lichte Mattgrün der Neben bedeckt einförmig dieses Gestade, so wie in Flachländern Wiesen oder Rübenfelder weite Flächen einnehmen. Steigt man auf engen Wegen die heißen Wände hinauf, wo der edelste Seewein, der Mersburger, ausgebrütet wird, so sieht man auf der Hochebne Hopfengürten, Obstbüume, Kleefelder, aber meilenweit kein Getreide. Dahinter steht in der Ferne wieder der dunkle Rand des Waldes. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Kolonialleitung im Auswärtigen Amt. Die Ernennung des bis¬ herigen Direktors der Kolonicilabteilung des Auswärtigen Amts zum Unterstaats¬ sekretär und Vorsteher der ersten (politischen, d. h. diplomatischen) Abteilung dieses Amtes beweist, daß die Ausgestaltung der Kolonialverwaltung zu einem selbständigen obersten Reichsamt für absehbare Zeit nicht vorgesehen ist, da sonst Freiherr von Nichthofen lieber Staatssekretär eines unabhängigen Kolonialamts geworden wäre, als Inhaber des am meisten überlasteten Postens des Auswärtigen Amts, der zu¬ gleich wenig Initiative erlaubt, weil der thatsächliche Chef der ersten Abteilung der Staatssekretär selbst ist. Es darf wohl zunächst als Aufmerksamkeit gegen den Herzog-Regenten von Mecklenburg, den rührigen Präsidenten der Kolonialgesellschaft, und sodann gegen den regierungsfreundlichen Teil der Konservativen betrachtet werden, daß nach langem Suchen der mecklenburgische Konservative, Herr von Buchka, zum Direktor der Kolouialabteilung ernannt worden ist. Der etwas häufige Wechsel läßt einen Rückblick auf die bisherigen leitenden Persönlichkeiten angebracht erscheinen, zumal da nun ein gänzlicher Neuling im aus¬ wärtigen Dienste die Kolonialabteilung übernimmt. Die offiziösen Empfehlungen des Herrn von Buchka auf Grund seiner Mitgliedschaft der Kolonialgesellschaft klingen wunderlich. Die juristische Thätigkeit ist auch keine glückliche Vorbereitung, da es sich hier um eine praktische Verwaltung handelt. Die Kolonialabteilung ist bei dem Beginn der Einrichtung der Schutzgebiete nur ein Referat der ersten Abteilung des Auswärtigen Amts gewesen, um das sich der große Kanzler anfänglich selbst be¬ kümmerte, sodaß der Referent, Geheimer Legationsrat Dr. Krauel, nur Bismarcks Willen auszuführen hatte. Damals wurde die Kolonialpolitik noch nicht hoch be¬ wertet, sonst hätte gerade Herr Krauel nicht Referent werden können. Er hieß im Amt bloß der Mann mit dem leichten Herzen, da er als Generalkonsul in Sydney die deutschen Ansprüche auf den Fidschi- und Tongainseln gegenüber den englischen Anmaßungen schlecht gewahrt und allzu wohlfeil preisgegeben hatte. Der Sansibar¬ vertrag war bei solcher Auffassung unschwer vorauszusehen. Während bei der Auf¬ nahme der Kolonialpolitik Bismarck selbst mit genialen Blick eingriff und höchst¬ eigenhändig die Weisungen gab, blieb die spätere Ausführung mehr dem damaligen Staatssekretär, Herbert Bismarck, und dem genannten Sachreferenten überlassen. Beide ließen sich von England völlig übertölpeln, als Dr. Krauel in London auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/406>, abgerufen am 27.12.2024.