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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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hat, das Schönste bleibt doch, daß er lebendig geblieben ist. Er war nur ein¬
geschlafen. In einem Schlaf, den Not und Verkümmerung so tief gemacht
haben, entstanden die ärmlichen Neustädte mit den unglaublich kleinen, absolut
schmucklosen Häusern, die man hierzulande einstöckig nennt; in Wirklichkeit be¬
stehen sie ja nur aus einem Erdgeschoß. Aber als Friede und Gedeihen ein¬
zogen, da wachte sogleich der alte Schönheitssinn wieder auf. Karlsruhes Bau-
geschichte zeigt die Stufen dieses Aufsteigens sehr deutlich. In der,, 1740 ge¬
gründeten Stadt gab es außer dem zopfigen Schloß nur Kleines, Ärmliches;
selbst die Ministerien und die Wohnungen der Prinzen sahen nur größern
Bürgerhäusern gleich. In den ersten beiden Jahrzehnten unsers Jahrhunderts
mit der auf diese dörfliche Residenz zurückwirkenden Vergrößerung Badens
wurden einfache Kirchen in antikisirendem Stil, zwar nüchtern, aber durch die
großen Verhältnisse wirkungsvoll von Weinbrenner gebaut, der besonders als
theoretischer Kenner der antiken Baukunst geschätzt war. Das jetzt durch den
pompösen Prachtbau des Erbgroßherzogschlosscs verdrängte "Schlößle," damals
für eine der Prinzessinen gebaut und später von der Mutter des regierenden
Großherzogs bewohnt, entsprach als einfache Villa, schmucklos, aber mit großen
Räumen, auf originellem Felseuunterbau dem Streben nach größern Dimen¬
sionen bei einfachster Haltung im Äußern. Auch die innere Ausstattung dieses
Schlößchens war bis zu seinem Abbruch einfacher als die von Tausenden von
Wohnhäusern und Villen moderner Geldprotzen. In dieser Zeit wohnten die
Würdenträger des Hoff und des Staats und die Aristokraten, die sich in
Karlsruhe niederließen, fast alle in der Stefanienstraße in bürgerlich einfachen,
äußerlich absolut schmucklosen Häusern, die im Innern ein eben zureichendes
Maß von Bequemlichkeit hatten. In vielen waren die Wohnungen, wie im
Bauernhaus, gar nicht vom Hausgang abgeschlossen. Der Eintretende ge¬
langte ohne Hindernis bis an die Eingänge der Küche, Wohn- und Diener¬
zimmer, die alle in derselben Flucht lagen. Das Schöne an diesen Häusern
war, daß ihre tiefen, schattigen, obstreichen Gärten bis an den damals noch nicht
"angelegten" Hardtwald reichten. In einem solchen Haus, das Stadt und
Land verband, hat Scheffel seine Knabenjahre verlebt. Ich habe nie eine
stillere Straße gesehen als diese. Man mag das langweilig nennen, man kann
es auch poetisch finden. Scheffel hat als Mann gern in dieser Straße ge¬
wohnt. Viele Stunden des Tages konnte man sie durchwandern, ohne einem
Menschen zu begegnen. Die BePflanzung mit Bäumen, wie in andern deutschen
Städten in den fünfziger Jahren durchgeführt, hatte sie wesentlich verschönert.

Mit dem Meister des neuromanischcn Stils, Hübsch, trat ein neuer Ab¬
schnitt der Baugeschichte Karlsruhes ein. Die Kuusthalle in ihrer alten, jetzt
durch Vergrößerungen wesentlich umgestalteten Form, das neue Theater zeigen
einen feinen Sinn und ein Vermögen, mit geringen Mitteln Großes zu wirken
und die romantischen Stilformen der Gegenwart anzupassen. Wenn die Ge¬
schichte der deutsche" Kunst einst in einem das Kunstgewerbe umfassenden Sinn
geschrieben werde" wird, werden die Thonreliefs des Hoftheaters von Reich
in Hüfingen hoffentlich nicht vergessen werden. In diese Zeit fallen die
schönen Bauten Eisenlohrs, die besonders durch die virtuose Verwendung des
bunten Sandsteins hervorragen. In den fünfziger Jahren war das Wohnhaus
Eisenlohrs in der Karlsstraße eine Sehenswürdigkeit. Heute verschwindet es
neben dem pompösen palastähnlichen Bau des Bürgers S. gegenüber. Auch der
ältere Teil der Technischen Hochschule gehört noch dieser Zeit edler Einfach-


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hat, das Schönste bleibt doch, daß er lebendig geblieben ist. Er war nur ein¬
geschlafen. In einem Schlaf, den Not und Verkümmerung so tief gemacht
haben, entstanden die ärmlichen Neustädte mit den unglaublich kleinen, absolut
schmucklosen Häusern, die man hierzulande einstöckig nennt; in Wirklichkeit be¬
stehen sie ja nur aus einem Erdgeschoß. Aber als Friede und Gedeihen ein¬
zogen, da wachte sogleich der alte Schönheitssinn wieder auf. Karlsruhes Bau-
geschichte zeigt die Stufen dieses Aufsteigens sehr deutlich. In der,, 1740 ge¬
gründeten Stadt gab es außer dem zopfigen Schloß nur Kleines, Ärmliches;
selbst die Ministerien und die Wohnungen der Prinzen sahen nur größern
Bürgerhäusern gleich. In den ersten beiden Jahrzehnten unsers Jahrhunderts
mit der auf diese dörfliche Residenz zurückwirkenden Vergrößerung Badens
wurden einfache Kirchen in antikisirendem Stil, zwar nüchtern, aber durch die
großen Verhältnisse wirkungsvoll von Weinbrenner gebaut, der besonders als
theoretischer Kenner der antiken Baukunst geschätzt war. Das jetzt durch den
pompösen Prachtbau des Erbgroßherzogschlosscs verdrängte „Schlößle," damals
für eine der Prinzessinen gebaut und später von der Mutter des regierenden
Großherzogs bewohnt, entsprach als einfache Villa, schmucklos, aber mit großen
Räumen, auf originellem Felseuunterbau dem Streben nach größern Dimen¬
sionen bei einfachster Haltung im Äußern. Auch die innere Ausstattung dieses
Schlößchens war bis zu seinem Abbruch einfacher als die von Tausenden von
Wohnhäusern und Villen moderner Geldprotzen. In dieser Zeit wohnten die
Würdenträger des Hoff und des Staats und die Aristokraten, die sich in
Karlsruhe niederließen, fast alle in der Stefanienstraße in bürgerlich einfachen,
äußerlich absolut schmucklosen Häusern, die im Innern ein eben zureichendes
Maß von Bequemlichkeit hatten. In vielen waren die Wohnungen, wie im
Bauernhaus, gar nicht vom Hausgang abgeschlossen. Der Eintretende ge¬
langte ohne Hindernis bis an die Eingänge der Küche, Wohn- und Diener¬
zimmer, die alle in derselben Flucht lagen. Das Schöne an diesen Häusern
war, daß ihre tiefen, schattigen, obstreichen Gärten bis an den damals noch nicht
„angelegten" Hardtwald reichten. In einem solchen Haus, das Stadt und
Land verband, hat Scheffel seine Knabenjahre verlebt. Ich habe nie eine
stillere Straße gesehen als diese. Man mag das langweilig nennen, man kann
es auch poetisch finden. Scheffel hat als Mann gern in dieser Straße ge¬
wohnt. Viele Stunden des Tages konnte man sie durchwandern, ohne einem
Menschen zu begegnen. Die BePflanzung mit Bäumen, wie in andern deutschen
Städten in den fünfziger Jahren durchgeführt, hatte sie wesentlich verschönert.

Mit dem Meister des neuromanischcn Stils, Hübsch, trat ein neuer Ab¬
schnitt der Baugeschichte Karlsruhes ein. Die Kuusthalle in ihrer alten, jetzt
durch Vergrößerungen wesentlich umgestalteten Form, das neue Theater zeigen
einen feinen Sinn und ein Vermögen, mit geringen Mitteln Großes zu wirken
und die romantischen Stilformen der Gegenwart anzupassen. Wenn die Ge¬
schichte der deutsche» Kunst einst in einem das Kunstgewerbe umfassenden Sinn
geschrieben werde» wird, werden die Thonreliefs des Hoftheaters von Reich
in Hüfingen hoffentlich nicht vergessen werden. In diese Zeit fallen die
schönen Bauten Eisenlohrs, die besonders durch die virtuose Verwendung des
bunten Sandsteins hervorragen. In den fünfziger Jahren war das Wohnhaus
Eisenlohrs in der Karlsstraße eine Sehenswürdigkeit. Heute verschwindet es
neben dem pompösen palastähnlichen Bau des Bürgers S. gegenüber. Auch der
ältere Teil der Technischen Hochschule gehört noch dieser Zeit edler Einfach-


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[0402] Südwestdeutsche Wanderungen hat, das Schönste bleibt doch, daß er lebendig geblieben ist. Er war nur ein¬ geschlafen. In einem Schlaf, den Not und Verkümmerung so tief gemacht haben, entstanden die ärmlichen Neustädte mit den unglaublich kleinen, absolut schmucklosen Häusern, die man hierzulande einstöckig nennt; in Wirklichkeit be¬ stehen sie ja nur aus einem Erdgeschoß. Aber als Friede und Gedeihen ein¬ zogen, da wachte sogleich der alte Schönheitssinn wieder auf. Karlsruhes Bau- geschichte zeigt die Stufen dieses Aufsteigens sehr deutlich. In der,, 1740 ge¬ gründeten Stadt gab es außer dem zopfigen Schloß nur Kleines, Ärmliches; selbst die Ministerien und die Wohnungen der Prinzen sahen nur größern Bürgerhäusern gleich. In den ersten beiden Jahrzehnten unsers Jahrhunderts mit der auf diese dörfliche Residenz zurückwirkenden Vergrößerung Badens wurden einfache Kirchen in antikisirendem Stil, zwar nüchtern, aber durch die großen Verhältnisse wirkungsvoll von Weinbrenner gebaut, der besonders als theoretischer Kenner der antiken Baukunst geschätzt war. Das jetzt durch den pompösen Prachtbau des Erbgroßherzogschlosscs verdrängte „Schlößle," damals für eine der Prinzessinen gebaut und später von der Mutter des regierenden Großherzogs bewohnt, entsprach als einfache Villa, schmucklos, aber mit großen Räumen, auf originellem Felseuunterbau dem Streben nach größern Dimen¬ sionen bei einfachster Haltung im Äußern. Auch die innere Ausstattung dieses Schlößchens war bis zu seinem Abbruch einfacher als die von Tausenden von Wohnhäusern und Villen moderner Geldprotzen. In dieser Zeit wohnten die Würdenträger des Hoff und des Staats und die Aristokraten, die sich in Karlsruhe niederließen, fast alle in der Stefanienstraße in bürgerlich einfachen, äußerlich absolut schmucklosen Häusern, die im Innern ein eben zureichendes Maß von Bequemlichkeit hatten. In vielen waren die Wohnungen, wie im Bauernhaus, gar nicht vom Hausgang abgeschlossen. Der Eintretende ge¬ langte ohne Hindernis bis an die Eingänge der Küche, Wohn- und Diener¬ zimmer, die alle in derselben Flucht lagen. Das Schöne an diesen Häusern war, daß ihre tiefen, schattigen, obstreichen Gärten bis an den damals noch nicht „angelegten" Hardtwald reichten. In einem solchen Haus, das Stadt und Land verband, hat Scheffel seine Knabenjahre verlebt. Ich habe nie eine stillere Straße gesehen als diese. Man mag das langweilig nennen, man kann es auch poetisch finden. Scheffel hat als Mann gern in dieser Straße ge¬ wohnt. Viele Stunden des Tages konnte man sie durchwandern, ohne einem Menschen zu begegnen. Die BePflanzung mit Bäumen, wie in andern deutschen Städten in den fünfziger Jahren durchgeführt, hatte sie wesentlich verschönert. Mit dem Meister des neuromanischcn Stils, Hübsch, trat ein neuer Ab¬ schnitt der Baugeschichte Karlsruhes ein. Die Kuusthalle in ihrer alten, jetzt durch Vergrößerungen wesentlich umgestalteten Form, das neue Theater zeigen einen feinen Sinn und ein Vermögen, mit geringen Mitteln Großes zu wirken und die romantischen Stilformen der Gegenwart anzupassen. Wenn die Ge¬ schichte der deutsche» Kunst einst in einem das Kunstgewerbe umfassenden Sinn geschrieben werde» wird, werden die Thonreliefs des Hoftheaters von Reich in Hüfingen hoffentlich nicht vergessen werden. In diese Zeit fallen die schönen Bauten Eisenlohrs, die besonders durch die virtuose Verwendung des bunten Sandsteins hervorragen. In den fünfziger Jahren war das Wohnhaus Eisenlohrs in der Karlsstraße eine Sehenswürdigkeit. Heute verschwindet es neben dem pompösen palastähnlichen Bau des Bürgers S. gegenüber. Auch der ältere Teil der Technischen Hochschule gehört noch dieser Zeit edler Einfach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/402>, abgerufen am 30.12.2024.