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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Goethe als Kriegsminister

in Jena, abends fuhr er für sich an Iphigenien fort, am 3. März hob er
Rekruten in Dornburg aus, trotzdem konnte er bei der schonen Einsamkeit "im
ruhigen und überlieblichen Dornburgcr Schlößchen" sein Stück fördern; am
5. und 6. Mürz meldete er Frau von Stein aus Apolda: "Bester hätt ich
gethan, heute noch in Dornburg zu bleiben, da wars schön, offen und ruhig.
Hier ist ein bös Nest und lärmig, und ich bin aus aller Stimmung" und
"Grüßen Sie den Herzog und sagen ihm, daß ich ihn vorläufig bitte, mit
den Rekruten säuberlich zu verfahren, wenn sie zur Schule kommen. Kein
sonderlich Vergnügen ist bei der Aushebung, da die Krüpels gerne dienten
und die schönen Leute meist Ehehafften haben wollen. Doch ist ein Trost,
mein Flügelmann von allen (11 Zoll 1 Strich) kommt mit Vergnügen, und
sein Vater giebt den Segen dazu. -- Hier will das Drama gar nicht fort,
es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpf¬
wirker in Apolde hungerte."

In Buttstädt und Allstedt wurde am 8. und 9. März das Geschäft fort¬
gesetzt. Der ganze Widerspruch seiner ursprünglichen Anlage und seiner eigent¬
lichen mit seiner augenblicklichen Lebensaufgabe kam ihm doch zum Bewußtsein,
so tapfer er sich über den Widerspruch zu erheben suchte, und in dem Briefe
vom Buttstädter Rathaus vom 8. März an Herzog Karl August prägen sich
die streitenden Gefühle einfach und deutlich aus: "Indeß die Bursche gemessen
und besichtigt werden, will ich Ihnen ein paar Worte schreiben. Es kommt
mir närrisch vor, da ich sonst in der Welt alles einzeln zu nehmen und zu
besehen pflege, ich nun nach der Physiognomik des rheinischen Strichmaßes
alle junge Bursche des Landes klassifizire. Doch muß ich sagen, daß nichts
vortheilhafter ist, als in solchem Zeuge zu kramen, von oben herein sieht man alles
falsch, und die Dinge gehen so menschlich, daß man, um was zu nutzen, sich
nicht genug im menschlichen Gesichtskreise halten kann. Übrigens laß ich mir
von allerlei erzählen, und alsdann steige ich in meine alte Burg der Poesie
und koche an meinem Töchterchen. Bei dieser Gelegenheit sah ich doch auch,
daß ich diese gute Gabe der himmlischen ein wenig zu kavalier behandle, und
ich habe wirklich Zeit, wieder häuslicher mit meinem Talent zu werden, wenn
ich ja noch was hervorbringen will." Die Gegensätze, die Goethe mit jugend¬
lichem Mute und voll Opferwilligkeit jetzt und noch manches Jahr in sich
nnszugleicheu strebte, sollten sich im Verlauf der Zeit aber doch als unüber¬
windlich erweisen.

Einstweilen war Goethe eifriger Vorsitzender der Kriegskommission. In
seinen Tagebüchern von 1779, 1780, 1781 sind die Sitzungen dieser Kom¬
mission in ziemlich rascher Aufeinanderfolge verzeichnet; mit dem energischen
Ordnungssinn seiner Natur drang er immer darauf, daß in der Kriegs-
kvmmissionsrcpositur Ordnung geschafft würde. Am 13. Mai 1780 gestand
er sich: "Hab ich das doch in anderthalb Jahren nicht können zu Stand
bringen! es wird doch! Und ich wills so sauber schaffen, als Wenns


Goethe als Kriegsminister

in Jena, abends fuhr er für sich an Iphigenien fort, am 3. März hob er
Rekruten in Dornburg aus, trotzdem konnte er bei der schonen Einsamkeit „im
ruhigen und überlieblichen Dornburgcr Schlößchen" sein Stück fördern; am
5. und 6. Mürz meldete er Frau von Stein aus Apolda: „Bester hätt ich
gethan, heute noch in Dornburg zu bleiben, da wars schön, offen und ruhig.
Hier ist ein bös Nest und lärmig, und ich bin aus aller Stimmung" und
„Grüßen Sie den Herzog und sagen ihm, daß ich ihn vorläufig bitte, mit
den Rekruten säuberlich zu verfahren, wenn sie zur Schule kommen. Kein
sonderlich Vergnügen ist bei der Aushebung, da die Krüpels gerne dienten
und die schönen Leute meist Ehehafften haben wollen. Doch ist ein Trost,
mein Flügelmann von allen (11 Zoll 1 Strich) kommt mit Vergnügen, und
sein Vater giebt den Segen dazu. — Hier will das Drama gar nicht fort,
es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpf¬
wirker in Apolde hungerte."

In Buttstädt und Allstedt wurde am 8. und 9. März das Geschäft fort¬
gesetzt. Der ganze Widerspruch seiner ursprünglichen Anlage und seiner eigent¬
lichen mit seiner augenblicklichen Lebensaufgabe kam ihm doch zum Bewußtsein,
so tapfer er sich über den Widerspruch zu erheben suchte, und in dem Briefe
vom Buttstädter Rathaus vom 8. März an Herzog Karl August prägen sich
die streitenden Gefühle einfach und deutlich aus: „Indeß die Bursche gemessen
und besichtigt werden, will ich Ihnen ein paar Worte schreiben. Es kommt
mir närrisch vor, da ich sonst in der Welt alles einzeln zu nehmen und zu
besehen pflege, ich nun nach der Physiognomik des rheinischen Strichmaßes
alle junge Bursche des Landes klassifizire. Doch muß ich sagen, daß nichts
vortheilhafter ist, als in solchem Zeuge zu kramen, von oben herein sieht man alles
falsch, und die Dinge gehen so menschlich, daß man, um was zu nutzen, sich
nicht genug im menschlichen Gesichtskreise halten kann. Übrigens laß ich mir
von allerlei erzählen, und alsdann steige ich in meine alte Burg der Poesie
und koche an meinem Töchterchen. Bei dieser Gelegenheit sah ich doch auch,
daß ich diese gute Gabe der himmlischen ein wenig zu kavalier behandle, und
ich habe wirklich Zeit, wieder häuslicher mit meinem Talent zu werden, wenn
ich ja noch was hervorbringen will." Die Gegensätze, die Goethe mit jugend¬
lichem Mute und voll Opferwilligkeit jetzt und noch manches Jahr in sich
nnszugleicheu strebte, sollten sich im Verlauf der Zeit aber doch als unüber¬
windlich erweisen.

Einstweilen war Goethe eifriger Vorsitzender der Kriegskommission. In
seinen Tagebüchern von 1779, 1780, 1781 sind die Sitzungen dieser Kom¬
mission in ziemlich rascher Aufeinanderfolge verzeichnet; mit dem energischen
Ordnungssinn seiner Natur drang er immer darauf, daß in der Kriegs-
kvmmissionsrcpositur Ordnung geschafft würde. Am 13. Mai 1780 gestand
er sich: „Hab ich das doch in anderthalb Jahren nicht können zu Stand
bringen! es wird doch! Und ich wills so sauber schaffen, als Wenns


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[0389] Goethe als Kriegsminister in Jena, abends fuhr er für sich an Iphigenien fort, am 3. März hob er Rekruten in Dornburg aus, trotzdem konnte er bei der schonen Einsamkeit „im ruhigen und überlieblichen Dornburgcr Schlößchen" sein Stück fördern; am 5. und 6. Mürz meldete er Frau von Stein aus Apolda: „Bester hätt ich gethan, heute noch in Dornburg zu bleiben, da wars schön, offen und ruhig. Hier ist ein bös Nest und lärmig, und ich bin aus aller Stimmung" und „Grüßen Sie den Herzog und sagen ihm, daß ich ihn vorläufig bitte, mit den Rekruten säuberlich zu verfahren, wenn sie zur Schule kommen. Kein sonderlich Vergnügen ist bei der Aushebung, da die Krüpels gerne dienten und die schönen Leute meist Ehehafften haben wollen. Doch ist ein Trost, mein Flügelmann von allen (11 Zoll 1 Strich) kommt mit Vergnügen, und sein Vater giebt den Segen dazu. — Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpf¬ wirker in Apolde hungerte." In Buttstädt und Allstedt wurde am 8. und 9. März das Geschäft fort¬ gesetzt. Der ganze Widerspruch seiner ursprünglichen Anlage und seiner eigent¬ lichen mit seiner augenblicklichen Lebensaufgabe kam ihm doch zum Bewußtsein, so tapfer er sich über den Widerspruch zu erheben suchte, und in dem Briefe vom Buttstädter Rathaus vom 8. März an Herzog Karl August prägen sich die streitenden Gefühle einfach und deutlich aus: „Indeß die Bursche gemessen und besichtigt werden, will ich Ihnen ein paar Worte schreiben. Es kommt mir närrisch vor, da ich sonst in der Welt alles einzeln zu nehmen und zu besehen pflege, ich nun nach der Physiognomik des rheinischen Strichmaßes alle junge Bursche des Landes klassifizire. Doch muß ich sagen, daß nichts vortheilhafter ist, als in solchem Zeuge zu kramen, von oben herein sieht man alles falsch, und die Dinge gehen so menschlich, daß man, um was zu nutzen, sich nicht genug im menschlichen Gesichtskreise halten kann. Übrigens laß ich mir von allerlei erzählen, und alsdann steige ich in meine alte Burg der Poesie und koche an meinem Töchterchen. Bei dieser Gelegenheit sah ich doch auch, daß ich diese gute Gabe der himmlischen ein wenig zu kavalier behandle, und ich habe wirklich Zeit, wieder häuslicher mit meinem Talent zu werden, wenn ich ja noch was hervorbringen will." Die Gegensätze, die Goethe mit jugend¬ lichem Mute und voll Opferwilligkeit jetzt und noch manches Jahr in sich nnszugleicheu strebte, sollten sich im Verlauf der Zeit aber doch als unüber¬ windlich erweisen. Einstweilen war Goethe eifriger Vorsitzender der Kriegskommission. In seinen Tagebüchern von 1779, 1780, 1781 sind die Sitzungen dieser Kom¬ mission in ziemlich rascher Aufeinanderfolge verzeichnet; mit dem energischen Ordnungssinn seiner Natur drang er immer darauf, daß in der Kriegs- kvmmissionsrcpositur Ordnung geschafft würde. Am 13. Mai 1780 gestand er sich: „Hab ich das doch in anderthalb Jahren nicht können zu Stand bringen! es wird doch! Und ich wills so sauber schaffen, als Wenns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/389>, abgerufen am 23.07.2024.