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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Gegen zwei Strömungen haben sich in neuerer Zeit die beiden alten Parteien
im Hannoverschen ganz besonders zu Mehrer, gegen die Sozialdemokratin?
und gegen den Bund der Landwirte. Die Sozialdemokraten sind, wie überall,
in den arbeiterreichen Gegenden gefährliche Gegner gegen alle bürgerlichen Par¬
teien, sie haben den Welsen unmittelbar vielleicht größern Schaden zugefügt
als den Liberalen, indem ein Teil der niedern Bevölkerung, der jahrzehntelang
den Welsen folgte, neuerdings die Zahl ihrer Mitgänger vermehrt hat, mittelbar
aber sind sie nicht selten für jene von großem Vorteil gewesen, indem sie den
welfischen Kandidaten gegen den nationalliberalen mit Erfolg unterstützten.
Zwischen Nationalliberalen und Sozialdemokraten giebt es keine Verständigung,
sie sind und müssen geschworne Feinde sein, und es ist daher für die Liberalen
recht schlimm, daß der sozialdemokratische Anhang, der noch immer im Wachsen
ist, bei den Stichwahlen häufiger als je von ausschlaggebender Bedeutung zu
werden droht.

Aber die Sozialdemokratie ist es nicht, die Heuer den alten Parteien den
heftigsten Kummer macht. Am meisten bedroht werden sie durch den Bund
der Landwirte, der hier erst vor kurzem in einer namentlich die National-
liberalen beunruhigenden Gestalt auf den politischen Plan getreten ist. Schon
vor der Gründung dieses Bundes freilich gab es in der Provinz Hannover
starke agrarische Strömungen, die zuweilen bei Aufstellung vou Wahlkandida¬
turen auch innerhalb der nationalliberalen Partei hervortraten und einen ge¬
wisse,: Gegensatz zwischen Stadt und Land feststellten. Gar nicht selten mußte
ein Wahlkomitee den vorgeschlagnen Kandidaten fallen lassen, weil die länd¬
lichen Wühler mehr Gewicht darauf legten, daß der Abgeordnete ein Landwirt
als ein politisch gebildeter und erfahrner Mann sei. Bei der Welfenpartei
machten sich solche MißHelligkeiten nicht geltend, weil ihr Programm von
vornherein mit Rücksicht auf die große Menge ihrer ländlichen Anhänger
agrarisch gefärbt war und in dieser Richtung im Laufe der Zeit eine Ände¬
rung nicht erlitten hatte. Die Welfenpartei wird daher, so sehr sich auch
einige ihrer Führer gesträubt haben, dem neuen wirtschaftlichen Bunde beizu¬
treten, in ihrem Bestände längst nicht so gestört werden wie die National-
liberalen, die bis zum verflossenen Jahre das Auftreten des Bundes in der
Provinz durch ihre Presse scharf bekämpfen ließen und jetzt, wo ihnen die
Augen ganz aufgegangen sind, die einheimischen Stimmführer des Bundes
in das Land wünschen, wo der Pfeffer wächst. Die welfischen Mitglieder des
Bundes denken nicht daran, ihre Zugehörigkeit zur deutsch-hannoverschen
Partei aufzugeben, und diese Partei ist in dem dreißigjährigen Kriege zu ge¬
festigt, um den mit ihrem Programm etwa unvereinbarer politischen Forde¬
rungen des Bundes der Landwirte zu weichen.

Die Mitglieder des Bundes der Landwirte im Hannoverschen sind nament¬
lich in den Gegenden zahlreich, wo von einer wirklichen Notlage der Land¬
wirtschaft kaum die Rede sein kann, in Gegenden, wo die Landwirte im Gegen-


Gegen zwei Strömungen haben sich in neuerer Zeit die beiden alten Parteien
im Hannoverschen ganz besonders zu Mehrer, gegen die Sozialdemokratin?
und gegen den Bund der Landwirte. Die Sozialdemokraten sind, wie überall,
in den arbeiterreichen Gegenden gefährliche Gegner gegen alle bürgerlichen Par¬
teien, sie haben den Welsen unmittelbar vielleicht größern Schaden zugefügt
als den Liberalen, indem ein Teil der niedern Bevölkerung, der jahrzehntelang
den Welsen folgte, neuerdings die Zahl ihrer Mitgänger vermehrt hat, mittelbar
aber sind sie nicht selten für jene von großem Vorteil gewesen, indem sie den
welfischen Kandidaten gegen den nationalliberalen mit Erfolg unterstützten.
Zwischen Nationalliberalen und Sozialdemokraten giebt es keine Verständigung,
sie sind und müssen geschworne Feinde sein, und es ist daher für die Liberalen
recht schlimm, daß der sozialdemokratische Anhang, der noch immer im Wachsen
ist, bei den Stichwahlen häufiger als je von ausschlaggebender Bedeutung zu
werden droht.

Aber die Sozialdemokratie ist es nicht, die Heuer den alten Parteien den
heftigsten Kummer macht. Am meisten bedroht werden sie durch den Bund
der Landwirte, der hier erst vor kurzem in einer namentlich die National-
liberalen beunruhigenden Gestalt auf den politischen Plan getreten ist. Schon
vor der Gründung dieses Bundes freilich gab es in der Provinz Hannover
starke agrarische Strömungen, die zuweilen bei Aufstellung vou Wahlkandida¬
turen auch innerhalb der nationalliberalen Partei hervortraten und einen ge¬
wisse,: Gegensatz zwischen Stadt und Land feststellten. Gar nicht selten mußte
ein Wahlkomitee den vorgeschlagnen Kandidaten fallen lassen, weil die länd¬
lichen Wühler mehr Gewicht darauf legten, daß der Abgeordnete ein Landwirt
als ein politisch gebildeter und erfahrner Mann sei. Bei der Welfenpartei
machten sich solche MißHelligkeiten nicht geltend, weil ihr Programm von
vornherein mit Rücksicht auf die große Menge ihrer ländlichen Anhänger
agrarisch gefärbt war und in dieser Richtung im Laufe der Zeit eine Ände¬
rung nicht erlitten hatte. Die Welfenpartei wird daher, so sehr sich auch
einige ihrer Führer gesträubt haben, dem neuen wirtschaftlichen Bunde beizu¬
treten, in ihrem Bestände längst nicht so gestört werden wie die National-
liberalen, die bis zum verflossenen Jahre das Auftreten des Bundes in der
Provinz durch ihre Presse scharf bekämpfen ließen und jetzt, wo ihnen die
Augen ganz aufgegangen sind, die einheimischen Stimmführer des Bundes
in das Land wünschen, wo der Pfeffer wächst. Die welfischen Mitglieder des
Bundes denken nicht daran, ihre Zugehörigkeit zur deutsch-hannoverschen
Partei aufzugeben, und diese Partei ist in dem dreißigjährigen Kriege zu ge¬
festigt, um den mit ihrem Programm etwa unvereinbarer politischen Forde¬
rungen des Bundes der Landwirte zu weichen.

Die Mitglieder des Bundes der Landwirte im Hannoverschen sind nament¬
lich in den Gegenden zahlreich, wo von einer wirklichen Notlage der Land¬
wirtschaft kaum die Rede sein kann, in Gegenden, wo die Landwirte im Gegen-


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[0378] Gegen zwei Strömungen haben sich in neuerer Zeit die beiden alten Parteien im Hannoverschen ganz besonders zu Mehrer, gegen die Sozialdemokratin? und gegen den Bund der Landwirte. Die Sozialdemokraten sind, wie überall, in den arbeiterreichen Gegenden gefährliche Gegner gegen alle bürgerlichen Par¬ teien, sie haben den Welsen unmittelbar vielleicht größern Schaden zugefügt als den Liberalen, indem ein Teil der niedern Bevölkerung, der jahrzehntelang den Welsen folgte, neuerdings die Zahl ihrer Mitgänger vermehrt hat, mittelbar aber sind sie nicht selten für jene von großem Vorteil gewesen, indem sie den welfischen Kandidaten gegen den nationalliberalen mit Erfolg unterstützten. Zwischen Nationalliberalen und Sozialdemokraten giebt es keine Verständigung, sie sind und müssen geschworne Feinde sein, und es ist daher für die Liberalen recht schlimm, daß der sozialdemokratische Anhang, der noch immer im Wachsen ist, bei den Stichwahlen häufiger als je von ausschlaggebender Bedeutung zu werden droht. Aber die Sozialdemokratie ist es nicht, die Heuer den alten Parteien den heftigsten Kummer macht. Am meisten bedroht werden sie durch den Bund der Landwirte, der hier erst vor kurzem in einer namentlich die National- liberalen beunruhigenden Gestalt auf den politischen Plan getreten ist. Schon vor der Gründung dieses Bundes freilich gab es in der Provinz Hannover starke agrarische Strömungen, die zuweilen bei Aufstellung vou Wahlkandida¬ turen auch innerhalb der nationalliberalen Partei hervortraten und einen ge¬ wisse,: Gegensatz zwischen Stadt und Land feststellten. Gar nicht selten mußte ein Wahlkomitee den vorgeschlagnen Kandidaten fallen lassen, weil die länd¬ lichen Wühler mehr Gewicht darauf legten, daß der Abgeordnete ein Landwirt als ein politisch gebildeter und erfahrner Mann sei. Bei der Welfenpartei machten sich solche MißHelligkeiten nicht geltend, weil ihr Programm von vornherein mit Rücksicht auf die große Menge ihrer ländlichen Anhänger agrarisch gefärbt war und in dieser Richtung im Laufe der Zeit eine Ände¬ rung nicht erlitten hatte. Die Welfenpartei wird daher, so sehr sich auch einige ihrer Führer gesträubt haben, dem neuen wirtschaftlichen Bunde beizu¬ treten, in ihrem Bestände längst nicht so gestört werden wie die National- liberalen, die bis zum verflossenen Jahre das Auftreten des Bundes in der Provinz durch ihre Presse scharf bekämpfen ließen und jetzt, wo ihnen die Augen ganz aufgegangen sind, die einheimischen Stimmführer des Bundes in das Land wünschen, wo der Pfeffer wächst. Die welfischen Mitglieder des Bundes denken nicht daran, ihre Zugehörigkeit zur deutsch-hannoverschen Partei aufzugeben, und diese Partei ist in dem dreißigjährigen Kriege zu ge¬ festigt, um den mit ihrem Programm etwa unvereinbarer politischen Forde¬ rungen des Bundes der Landwirte zu weichen. Die Mitglieder des Bundes der Landwirte im Hannoverschen sind nament¬ lich in den Gegenden zahlreich, wo von einer wirklichen Notlage der Land¬ wirtschaft kaum die Rede sein kann, in Gegenden, wo die Landwirte im Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/378>, abgerufen am 23.07.2024.