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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die hannoverschen Nationalliberalen

die Parteiinteressen wahrnahmen, ihren Einfluß auf Programm und Taktik
geltend machten und auf die Haltung der Presse wirkten, spielen keine ma߬
gebende Rolle mehr in der Partei; viele von ihnen haben sich vom öffentlichen
Leben zurückgezogen und sind nur noch laue Mitgänger der Partei. Der Ersatz
ist spärlich; für die Jugend haben die Nationalliberalen keine Anziehungskraft.
Anstatt der alten Herren aus dem Mittelstande, deren politische Erziehung der
Regel nach volksfreundlich gewesen war, und von denen viele eine demokratische
Vergangenheit hatten, die sie niemals ganz verleugneten, begannen die unter
der Herrschaft des Liberalismus, unter der liberalen Gesetzgebung satt ge-
wordnen Vertreter des Großgewerbes und des Großkapitals das entscheidende
Wort in der Partei zu führen. Diese hatten in der liberalen Ära allmählich
die Ansprüche, die ihre Interessen forderten, im wesentlichen befriedigt gesehen.
Ihnen genügte auch die mäßige Freiheit, die erlangt war und sür sie wenigstens
nicht auf dem Papiere stand, und gelegentliche Vorkommnisse, die mit dem
Rechtsstaate schlechterdings nicht zu vereinbaren waren, schädigten nicht sie,
sondern andre Kreise, an deren Emporkommen sie kein besondres Interesse
hatten. Der Ausbildung des Rechtsstaats, an dem noch so vieles fehlt, standen
sie ebenso gleichgiltig gegenüber wie manchen wichtigen Forderungen der poli¬
tischen Gerechtigkeit. Das Wirken dieser Elemente kann man an vielen gesetz¬
geberischen Arbeiten der letzten fünfzehn Jahre leicht erkennen und würdigen.

Es gab eine Zeit, wo die Hannoveraner in der Partei, namentlich in den
parlamentarischen Körperschaften, von großem Einfluß, oft von ausschlaggebender
Bedeutung waren. Diese Zeit ist lange vorüber. Die Zahl gescheiter Männer,
die geneigt wären, ein Mandat anzunehmen, hat sich bei den hannoverschen
Nationalliberalen gewaltig vermindert. Man ist dort schon feit mehreren Wahl¬
perioden in arger Verlegenheit um politisch gebildete Kandidaten. Es sind
ja in der Regel recht brave und in ihrem engern Horizonte nicht unverständige
Leute, die aufgestellt werden, aber selbst die glaubensstärksten Anhänger der
Partei werden nicht leugnen können, daß das Durchschnittsniveau ihrer gegen¬
wärtigen Abgeordneten tiefer steht als das der Abgeordneten aus der Blütezeit
des Nationalliberalismus. Das ist freilich eine Erscheinung, die dieser Partei
nicht eigentümlich ist, sondern auch bei andern zutrifft, z. B. bei den preußischen
Konservativen. Gewiß giebt es unter den Freunden der Nationalliberalen in
der Provinz Hannover noch manche, die auch höhern Ansprüchen als denen
der heutigen Lenker der hannoverschen Wahlen genügen würden, aber diese
Männer sind unter den jetzigen zerfcchrnen Verhältnissen innerhalb der Partei
für ein Mandat nicht zu gewinnen.

Seit Jahren segeln die hannoverschen Nationalliberalen in den Fraktionen
des Reichs- und Landtags teils bewußt, teils -- was bezeichnend ist -- un¬
bewußt im Fahrwasser einer großkapitalistischen Gruppe. Vom Rhein und von
Westfalen empfangen sie ihre Inspirationen, dort liegt der Schwerpunkt der
Partei und die treibende Kraft für ihre jeweilige Thätigkeit. Es scheint fast,


Die hannoverschen Nationalliberalen

die Parteiinteressen wahrnahmen, ihren Einfluß auf Programm und Taktik
geltend machten und auf die Haltung der Presse wirkten, spielen keine ma߬
gebende Rolle mehr in der Partei; viele von ihnen haben sich vom öffentlichen
Leben zurückgezogen und sind nur noch laue Mitgänger der Partei. Der Ersatz
ist spärlich; für die Jugend haben die Nationalliberalen keine Anziehungskraft.
Anstatt der alten Herren aus dem Mittelstande, deren politische Erziehung der
Regel nach volksfreundlich gewesen war, und von denen viele eine demokratische
Vergangenheit hatten, die sie niemals ganz verleugneten, begannen die unter
der Herrschaft des Liberalismus, unter der liberalen Gesetzgebung satt ge-
wordnen Vertreter des Großgewerbes und des Großkapitals das entscheidende
Wort in der Partei zu führen. Diese hatten in der liberalen Ära allmählich
die Ansprüche, die ihre Interessen forderten, im wesentlichen befriedigt gesehen.
Ihnen genügte auch die mäßige Freiheit, die erlangt war und sür sie wenigstens
nicht auf dem Papiere stand, und gelegentliche Vorkommnisse, die mit dem
Rechtsstaate schlechterdings nicht zu vereinbaren waren, schädigten nicht sie,
sondern andre Kreise, an deren Emporkommen sie kein besondres Interesse
hatten. Der Ausbildung des Rechtsstaats, an dem noch so vieles fehlt, standen
sie ebenso gleichgiltig gegenüber wie manchen wichtigen Forderungen der poli¬
tischen Gerechtigkeit. Das Wirken dieser Elemente kann man an vielen gesetz¬
geberischen Arbeiten der letzten fünfzehn Jahre leicht erkennen und würdigen.

Es gab eine Zeit, wo die Hannoveraner in der Partei, namentlich in den
parlamentarischen Körperschaften, von großem Einfluß, oft von ausschlaggebender
Bedeutung waren. Diese Zeit ist lange vorüber. Die Zahl gescheiter Männer,
die geneigt wären, ein Mandat anzunehmen, hat sich bei den hannoverschen
Nationalliberalen gewaltig vermindert. Man ist dort schon feit mehreren Wahl¬
perioden in arger Verlegenheit um politisch gebildete Kandidaten. Es sind
ja in der Regel recht brave und in ihrem engern Horizonte nicht unverständige
Leute, die aufgestellt werden, aber selbst die glaubensstärksten Anhänger der
Partei werden nicht leugnen können, daß das Durchschnittsniveau ihrer gegen¬
wärtigen Abgeordneten tiefer steht als das der Abgeordneten aus der Blütezeit
des Nationalliberalismus. Das ist freilich eine Erscheinung, die dieser Partei
nicht eigentümlich ist, sondern auch bei andern zutrifft, z. B. bei den preußischen
Konservativen. Gewiß giebt es unter den Freunden der Nationalliberalen in
der Provinz Hannover noch manche, die auch höhern Ansprüchen als denen
der heutigen Lenker der hannoverschen Wahlen genügen würden, aber diese
Männer sind unter den jetzigen zerfcchrnen Verhältnissen innerhalb der Partei
für ein Mandat nicht zu gewinnen.

Seit Jahren segeln die hannoverschen Nationalliberalen in den Fraktionen
des Reichs- und Landtags teils bewußt, teils — was bezeichnend ist — un¬
bewußt im Fahrwasser einer großkapitalistischen Gruppe. Vom Rhein und von
Westfalen empfangen sie ihre Inspirationen, dort liegt der Schwerpunkt der
Partei und die treibende Kraft für ihre jeweilige Thätigkeit. Es scheint fast,


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[0375] Die hannoverschen Nationalliberalen die Parteiinteressen wahrnahmen, ihren Einfluß auf Programm und Taktik geltend machten und auf die Haltung der Presse wirkten, spielen keine ma߬ gebende Rolle mehr in der Partei; viele von ihnen haben sich vom öffentlichen Leben zurückgezogen und sind nur noch laue Mitgänger der Partei. Der Ersatz ist spärlich; für die Jugend haben die Nationalliberalen keine Anziehungskraft. Anstatt der alten Herren aus dem Mittelstande, deren politische Erziehung der Regel nach volksfreundlich gewesen war, und von denen viele eine demokratische Vergangenheit hatten, die sie niemals ganz verleugneten, begannen die unter der Herrschaft des Liberalismus, unter der liberalen Gesetzgebung satt ge- wordnen Vertreter des Großgewerbes und des Großkapitals das entscheidende Wort in der Partei zu führen. Diese hatten in der liberalen Ära allmählich die Ansprüche, die ihre Interessen forderten, im wesentlichen befriedigt gesehen. Ihnen genügte auch die mäßige Freiheit, die erlangt war und sür sie wenigstens nicht auf dem Papiere stand, und gelegentliche Vorkommnisse, die mit dem Rechtsstaate schlechterdings nicht zu vereinbaren waren, schädigten nicht sie, sondern andre Kreise, an deren Emporkommen sie kein besondres Interesse hatten. Der Ausbildung des Rechtsstaats, an dem noch so vieles fehlt, standen sie ebenso gleichgiltig gegenüber wie manchen wichtigen Forderungen der poli¬ tischen Gerechtigkeit. Das Wirken dieser Elemente kann man an vielen gesetz¬ geberischen Arbeiten der letzten fünfzehn Jahre leicht erkennen und würdigen. Es gab eine Zeit, wo die Hannoveraner in der Partei, namentlich in den parlamentarischen Körperschaften, von großem Einfluß, oft von ausschlaggebender Bedeutung waren. Diese Zeit ist lange vorüber. Die Zahl gescheiter Männer, die geneigt wären, ein Mandat anzunehmen, hat sich bei den hannoverschen Nationalliberalen gewaltig vermindert. Man ist dort schon feit mehreren Wahl¬ perioden in arger Verlegenheit um politisch gebildete Kandidaten. Es sind ja in der Regel recht brave und in ihrem engern Horizonte nicht unverständige Leute, die aufgestellt werden, aber selbst die glaubensstärksten Anhänger der Partei werden nicht leugnen können, daß das Durchschnittsniveau ihrer gegen¬ wärtigen Abgeordneten tiefer steht als das der Abgeordneten aus der Blütezeit des Nationalliberalismus. Das ist freilich eine Erscheinung, die dieser Partei nicht eigentümlich ist, sondern auch bei andern zutrifft, z. B. bei den preußischen Konservativen. Gewiß giebt es unter den Freunden der Nationalliberalen in der Provinz Hannover noch manche, die auch höhern Ansprüchen als denen der heutigen Lenker der hannoverschen Wahlen genügen würden, aber diese Männer sind unter den jetzigen zerfcchrnen Verhältnissen innerhalb der Partei für ein Mandat nicht zu gewinnen. Seit Jahren segeln die hannoverschen Nationalliberalen in den Fraktionen des Reichs- und Landtags teils bewußt, teils — was bezeichnend ist — un¬ bewußt im Fahrwasser einer großkapitalistischen Gruppe. Vom Rhein und von Westfalen empfangen sie ihre Inspirationen, dort liegt der Schwerpunkt der Partei und die treibende Kraft für ihre jeweilige Thätigkeit. Es scheint fast,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/375>, abgerufen am 23.07.2024.