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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Goethe als Kriegsminister

kommen deutlich aus. Mit dem Kriegsrat übernahm Goethe zugleich den
Fourier Christian Gottlob Schmidt und den Kriegskanzlisten und Skribenten
Karl Gottlob Uhlemann als Beamten der Kommission.

Am 10. Januar warteten die Offiziers und seine künftigen Subalternen
dem neuen Chef auf, am 13. hielt Goethe die erste Session, wobei er "fest und
ruhig in seinen Sinnen und scharf" war. Zwölf Tage lang kramte er in den
Akten, störte die unordentliche RePositur durch und bemächtigte sich der neuen,
ihm seither so fremden Aufgabe mit der in seiner Natur liegenden Naschheit
und Entschlossenheit. Er entdeckte bald genug, daß nicht nur in den Akten
Unordnung herrschte, sondern daß alle Verhältnisse, mit denen er sich jetzt
zu besassen hatte, so ziemlich verworren und verrottet waren, daß Volgstedt
dem neuen Vorsitzenden mit übeln Willen gegenüberstand, und daß ein sauer
Stück Arbeit seiner wartete, obgleich er nur das Nötigste wollte. "Die Kriegs-
Cvmmissiou werd ich gut versehen, weil ich bei dem Geschäft gar keine Imagi¬
nation habe, gar nichts hervorbringen will, nur das, was da ist, recht kennen
und ordentlich haben will," bezeugte er sich im Tagebuch vom 1. Februar 1779.
Und er wußte auch schon, daß er bei allem verantwortlichen Geschäft nur sich
selbst vertrauen dürfe. Denn an demselben Tage bekannte er: "So schwer ist
der Punkt, wenn einem ein Dritter etwas räth oder einen Mangel aufdeckt und
die Mittel anzeigt, wie dieses gehoben werden könnte, weil so oft der Eigennutz
der Menschen ins Spiel kommt, die nur neue Etats machen wollen, um bei
der Gelegenheit sich und den ihrigen eine Zulage zuzuschieben, neue Ein¬
richtungen, um sichs bequemer zu machen, Leute in Versorgung zu schieben :c.
Durch diese wiederholten Erfahrungen wird man so mißtrauisch, daß man sich
fast zuletzt scheut, den Staub abwischen zu lasse". In keine Lässigkeit und
Unthätigkeit zu fallen, ist deswegen schwer."

Die Gefahr, lässig und unthätig zu werden, kann bei Goethe nie groß
gewesen sein, von den befürchteten Ekelverhältnissen in der Kriegskommission
erhielt er gleich nach Übernahme des Vorsitzes mannigfaltige Proben. Die
Rekrutirung wartete auf ihn, die "Repositur" enthielt eine bedenkliche Menge
von Akten nnter dem Titel "Schuldensachen und Traetamcntsvorschüsse," über
das Schnldenwesen des verstorbnen Hauptmanns von Harras zu Jena und
des verstorbnen Hauptmanns von Mengersleben zu Allstedt mußte gleich im
Jahre 1779 entschieden werden, zwischen der fürstlichen Kriegskommission und
dem Rittmeister von Lichtenberg von den Husaren war eine "Differenz wegen
Abgabe der ledernen Hosen der seitherigen Gardereiter an das Husarenkorps"
entstanden, der Kommerzienrat Paulsen zu Jena (dem wir in Goethes Leben
mehrfach, namentlich vor und während der italienischen Reise begegnen) hatte
wegen einer Wechselschuld de" knrmainzischen Hauptmann von den Brincken
arretiren lassen.

Wichtiger und schlimmer als alles dies waren die Verhältnisse zu
den preußischen Militärbehörden und den Werbern. Der bayrische Erbfolge-


Goethe als Kriegsminister

kommen deutlich aus. Mit dem Kriegsrat übernahm Goethe zugleich den
Fourier Christian Gottlob Schmidt und den Kriegskanzlisten und Skribenten
Karl Gottlob Uhlemann als Beamten der Kommission.

Am 10. Januar warteten die Offiziers und seine künftigen Subalternen
dem neuen Chef auf, am 13. hielt Goethe die erste Session, wobei er „fest und
ruhig in seinen Sinnen und scharf" war. Zwölf Tage lang kramte er in den
Akten, störte die unordentliche RePositur durch und bemächtigte sich der neuen,
ihm seither so fremden Aufgabe mit der in seiner Natur liegenden Naschheit
und Entschlossenheit. Er entdeckte bald genug, daß nicht nur in den Akten
Unordnung herrschte, sondern daß alle Verhältnisse, mit denen er sich jetzt
zu besassen hatte, so ziemlich verworren und verrottet waren, daß Volgstedt
dem neuen Vorsitzenden mit übeln Willen gegenüberstand, und daß ein sauer
Stück Arbeit seiner wartete, obgleich er nur das Nötigste wollte. „Die Kriegs-
Cvmmissiou werd ich gut versehen, weil ich bei dem Geschäft gar keine Imagi¬
nation habe, gar nichts hervorbringen will, nur das, was da ist, recht kennen
und ordentlich haben will," bezeugte er sich im Tagebuch vom 1. Februar 1779.
Und er wußte auch schon, daß er bei allem verantwortlichen Geschäft nur sich
selbst vertrauen dürfe. Denn an demselben Tage bekannte er: „So schwer ist
der Punkt, wenn einem ein Dritter etwas räth oder einen Mangel aufdeckt und
die Mittel anzeigt, wie dieses gehoben werden könnte, weil so oft der Eigennutz
der Menschen ins Spiel kommt, die nur neue Etats machen wollen, um bei
der Gelegenheit sich und den ihrigen eine Zulage zuzuschieben, neue Ein¬
richtungen, um sichs bequemer zu machen, Leute in Versorgung zu schieben :c.
Durch diese wiederholten Erfahrungen wird man so mißtrauisch, daß man sich
fast zuletzt scheut, den Staub abwischen zu lasse». In keine Lässigkeit und
Unthätigkeit zu fallen, ist deswegen schwer."

Die Gefahr, lässig und unthätig zu werden, kann bei Goethe nie groß
gewesen sein, von den befürchteten Ekelverhältnissen in der Kriegskommission
erhielt er gleich nach Übernahme des Vorsitzes mannigfaltige Proben. Die
Rekrutirung wartete auf ihn, die „Repositur" enthielt eine bedenkliche Menge
von Akten nnter dem Titel „Schuldensachen und Traetamcntsvorschüsse," über
das Schnldenwesen des verstorbnen Hauptmanns von Harras zu Jena und
des verstorbnen Hauptmanns von Mengersleben zu Allstedt mußte gleich im
Jahre 1779 entschieden werden, zwischen der fürstlichen Kriegskommission und
dem Rittmeister von Lichtenberg von den Husaren war eine „Differenz wegen
Abgabe der ledernen Hosen der seitherigen Gardereiter an das Husarenkorps"
entstanden, der Kommerzienrat Paulsen zu Jena (dem wir in Goethes Leben
mehrfach, namentlich vor und während der italienischen Reise begegnen) hatte
wegen einer Wechselschuld de» knrmainzischen Hauptmann von den Brincken
arretiren lassen.

Wichtiger und schlimmer als alles dies waren die Verhältnisse zu
den preußischen Militärbehörden und den Werbern. Der bayrische Erbfolge-


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[0348] Goethe als Kriegsminister kommen deutlich aus. Mit dem Kriegsrat übernahm Goethe zugleich den Fourier Christian Gottlob Schmidt und den Kriegskanzlisten und Skribenten Karl Gottlob Uhlemann als Beamten der Kommission. Am 10. Januar warteten die Offiziers und seine künftigen Subalternen dem neuen Chef auf, am 13. hielt Goethe die erste Session, wobei er „fest und ruhig in seinen Sinnen und scharf" war. Zwölf Tage lang kramte er in den Akten, störte die unordentliche RePositur durch und bemächtigte sich der neuen, ihm seither so fremden Aufgabe mit der in seiner Natur liegenden Naschheit und Entschlossenheit. Er entdeckte bald genug, daß nicht nur in den Akten Unordnung herrschte, sondern daß alle Verhältnisse, mit denen er sich jetzt zu besassen hatte, so ziemlich verworren und verrottet waren, daß Volgstedt dem neuen Vorsitzenden mit übeln Willen gegenüberstand, und daß ein sauer Stück Arbeit seiner wartete, obgleich er nur das Nötigste wollte. „Die Kriegs- Cvmmissiou werd ich gut versehen, weil ich bei dem Geschäft gar keine Imagi¬ nation habe, gar nichts hervorbringen will, nur das, was da ist, recht kennen und ordentlich haben will," bezeugte er sich im Tagebuch vom 1. Februar 1779. Und er wußte auch schon, daß er bei allem verantwortlichen Geschäft nur sich selbst vertrauen dürfe. Denn an demselben Tage bekannte er: „So schwer ist der Punkt, wenn einem ein Dritter etwas räth oder einen Mangel aufdeckt und die Mittel anzeigt, wie dieses gehoben werden könnte, weil so oft der Eigennutz der Menschen ins Spiel kommt, die nur neue Etats machen wollen, um bei der Gelegenheit sich und den ihrigen eine Zulage zuzuschieben, neue Ein¬ richtungen, um sichs bequemer zu machen, Leute in Versorgung zu schieben :c. Durch diese wiederholten Erfahrungen wird man so mißtrauisch, daß man sich fast zuletzt scheut, den Staub abwischen zu lasse». In keine Lässigkeit und Unthätigkeit zu fallen, ist deswegen schwer." Die Gefahr, lässig und unthätig zu werden, kann bei Goethe nie groß gewesen sein, von den befürchteten Ekelverhältnissen in der Kriegskommission erhielt er gleich nach Übernahme des Vorsitzes mannigfaltige Proben. Die Rekrutirung wartete auf ihn, die „Repositur" enthielt eine bedenkliche Menge von Akten nnter dem Titel „Schuldensachen und Traetamcntsvorschüsse," über das Schnldenwesen des verstorbnen Hauptmanns von Harras zu Jena und des verstorbnen Hauptmanns von Mengersleben zu Allstedt mußte gleich im Jahre 1779 entschieden werden, zwischen der fürstlichen Kriegskommission und dem Rittmeister von Lichtenberg von den Husaren war eine „Differenz wegen Abgabe der ledernen Hosen der seitherigen Gardereiter an das Husarenkorps" entstanden, der Kommerzienrat Paulsen zu Jena (dem wir in Goethes Leben mehrfach, namentlich vor und während der italienischen Reise begegnen) hatte wegen einer Wechselschuld de» knrmainzischen Hauptmann von den Brincken arretiren lassen. Wichtiger und schlimmer als alles dies waren die Verhältnisse zu den preußischen Militärbehörden und den Werbern. Der bayrische Erbfolge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/348>, abgerufen am 23.07.2024.