Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
General Friedrich von Gagern

ist es doch wohl am Platze, darauf hinzuweisen, daß in jener gührenden Zeit,
in der so viel redliches Wollen und alle nationale Begeisterung an dem gänz¬
lichen Mangel an diplomatischen und politischen Fähigkeiten scheiterten, ein
deutscher Mann vorhanden war, ein wahrer Vorläufer Bismarcks, der über
diese Mittel verfügte, und dem Ziel und Wege zur deutschen Einheit klar vor
Augen standen. Familienverbindungen und die unglückliche politische Lage
unsers Vaterlands hatten es mit sich gebracht, daß er im entscheidenden Mo¬
mente nicht an einer ihm gebührenden Stelle stand, und als er versuchte, aus
eigner Kraft in die Wirrnisse des Tages einzugreifen, streckte ihn eine feind¬
liche Kugel nieder.

Es soll hier keineswegs behauptet werden, daß das Jahr 1848 die Er¬
füllung der deutschen nationalen Wünsche hätte bringen können, wenn Friedrich
von Gagern eine leitende Stelle in Preußen oder in Frankfurt eingenommen
hätte. Dazu war wohl die Unklarheit jeuer Tage noch zu groß, und in
Berlin fehlte die Entschlossenheit. Aber so viel darf als sicher angenommen
werden, daß manche verfehlte Maßregel unterblieben und mancher zweckmüßigere
Schritt in Frankfurt gethan worden wäre, wenn sich Friedrich von Gagerns
Augen nicht so früh geschlossen hätten. Die weitere politische Entwicklung der
beiden Schwurgenossen vom Ostermontag des Jahres 1836, nachdem ihnen der
führende Geist, der abgöttisch verehrte Bruder, genommen worden war, liefert
dafür den unwiderleglicher Beweis. Kaum zwei Monate ruhte Friedrich vou
Gagern im Grabe, da stellte Heinrich in der Paulskirche auf eigne Faust den
verhängnisvollen Antrag, den Erzherzog Johann zum Reichsverweser zu
wühlen. Es entsprach durchaus der gefühlsseligen Unklarheit jener Zeit, daß
der Vorschlag mit Begeisterung aufgenommen wurde; Heinrich von Gagern
war wieder der von allen Gefeierte. Und was hatte man erreicht? Die
Regierungen hatte man schwer, Preußens Krone und Volk unvergeßlich be¬
leidigt und keine nationale Macht gewonnen. Es konnte doch billigerweise
nicht angenommen werden, daß ein Mitglied des Hauses Habsburg dem Könige
von Preußen redlich den Weg zum deutscheu Kaiserthrone ebnen hülfe! Dieser
Antrag wäre sicher nicht gestellt worden, wenn Friedrich noch gelebt hätte,
aber bei Heinrich war die alte Gagernsche Hauspolitik und die Tradition der
süddeutschen Mittelstaaten wieder zum Durchbruch gekommen. Er beteiligte
sich zwar noch am Erfurter Parlament, wandte sich aber 1859 gänzlich von
Preußen ab und ging 1862 vollkommen in das österreichische Lager über.
Seinen 1842 gebornen ältesten Sohn Friedrich Balduin ließ er in öster¬
reichische Dienste treten, wo dieser bis 1871 Marineoffizier war; später kehrte
er nach Deutschland zurück. Dieser, dem Oheim gleichnamige Neffe war
1881 bis 1893 Mitglied des Deutschen Reichstags für Kronach als Mit¬
glied -- des bayrischen Zentrums. Max von Gagern war schon 1354 in
österreichische Dienste getreten.


General Friedrich von Gagern

ist es doch wohl am Platze, darauf hinzuweisen, daß in jener gührenden Zeit,
in der so viel redliches Wollen und alle nationale Begeisterung an dem gänz¬
lichen Mangel an diplomatischen und politischen Fähigkeiten scheiterten, ein
deutscher Mann vorhanden war, ein wahrer Vorläufer Bismarcks, der über
diese Mittel verfügte, und dem Ziel und Wege zur deutschen Einheit klar vor
Augen standen. Familienverbindungen und die unglückliche politische Lage
unsers Vaterlands hatten es mit sich gebracht, daß er im entscheidenden Mo¬
mente nicht an einer ihm gebührenden Stelle stand, und als er versuchte, aus
eigner Kraft in die Wirrnisse des Tages einzugreifen, streckte ihn eine feind¬
liche Kugel nieder.

Es soll hier keineswegs behauptet werden, daß das Jahr 1848 die Er¬
füllung der deutschen nationalen Wünsche hätte bringen können, wenn Friedrich
von Gagern eine leitende Stelle in Preußen oder in Frankfurt eingenommen
hätte. Dazu war wohl die Unklarheit jeuer Tage noch zu groß, und in
Berlin fehlte die Entschlossenheit. Aber so viel darf als sicher angenommen
werden, daß manche verfehlte Maßregel unterblieben und mancher zweckmüßigere
Schritt in Frankfurt gethan worden wäre, wenn sich Friedrich von Gagerns
Augen nicht so früh geschlossen hätten. Die weitere politische Entwicklung der
beiden Schwurgenossen vom Ostermontag des Jahres 1836, nachdem ihnen der
führende Geist, der abgöttisch verehrte Bruder, genommen worden war, liefert
dafür den unwiderleglicher Beweis. Kaum zwei Monate ruhte Friedrich vou
Gagern im Grabe, da stellte Heinrich in der Paulskirche auf eigne Faust den
verhängnisvollen Antrag, den Erzherzog Johann zum Reichsverweser zu
wühlen. Es entsprach durchaus der gefühlsseligen Unklarheit jener Zeit, daß
der Vorschlag mit Begeisterung aufgenommen wurde; Heinrich von Gagern
war wieder der von allen Gefeierte. Und was hatte man erreicht? Die
Regierungen hatte man schwer, Preußens Krone und Volk unvergeßlich be¬
leidigt und keine nationale Macht gewonnen. Es konnte doch billigerweise
nicht angenommen werden, daß ein Mitglied des Hauses Habsburg dem Könige
von Preußen redlich den Weg zum deutscheu Kaiserthrone ebnen hülfe! Dieser
Antrag wäre sicher nicht gestellt worden, wenn Friedrich noch gelebt hätte,
aber bei Heinrich war die alte Gagernsche Hauspolitik und die Tradition der
süddeutschen Mittelstaaten wieder zum Durchbruch gekommen. Er beteiligte
sich zwar noch am Erfurter Parlament, wandte sich aber 1859 gänzlich von
Preußen ab und ging 1862 vollkommen in das österreichische Lager über.
Seinen 1842 gebornen ältesten Sohn Friedrich Balduin ließ er in öster¬
reichische Dienste treten, wo dieser bis 1871 Marineoffizier war; später kehrte
er nach Deutschland zurück. Dieser, dem Oheim gleichnamige Neffe war
1881 bis 1893 Mitglied des Deutschen Reichstags für Kronach als Mit¬
glied — des bayrischen Zentrums. Max von Gagern war schon 1354 in
österreichische Dienste getreten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227976"/>
          <fw type="header" place="top"> General Friedrich von Gagern</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_916" prev="#ID_915"> ist es doch wohl am Platze, darauf hinzuweisen, daß in jener gührenden Zeit,<lb/>
in der so viel redliches Wollen und alle nationale Begeisterung an dem gänz¬<lb/>
lichen Mangel an diplomatischen und politischen Fähigkeiten scheiterten, ein<lb/>
deutscher Mann vorhanden war, ein wahrer Vorläufer Bismarcks, der über<lb/>
diese Mittel verfügte, und dem Ziel und Wege zur deutschen Einheit klar vor<lb/>
Augen standen. Familienverbindungen und die unglückliche politische Lage<lb/>
unsers Vaterlands hatten es mit sich gebracht, daß er im entscheidenden Mo¬<lb/>
mente nicht an einer ihm gebührenden Stelle stand, und als er versuchte, aus<lb/>
eigner Kraft in die Wirrnisse des Tages einzugreifen, streckte ihn eine feind¬<lb/>
liche Kugel nieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_917"> Es soll hier keineswegs behauptet werden, daß das Jahr 1848 die Er¬<lb/>
füllung der deutschen nationalen Wünsche hätte bringen können, wenn Friedrich<lb/>
von Gagern eine leitende Stelle in Preußen oder in Frankfurt eingenommen<lb/>
hätte. Dazu war wohl die Unklarheit jeuer Tage noch zu groß, und in<lb/>
Berlin fehlte die Entschlossenheit. Aber so viel darf als sicher angenommen<lb/>
werden, daß manche verfehlte Maßregel unterblieben und mancher zweckmüßigere<lb/>
Schritt in Frankfurt gethan worden wäre, wenn sich Friedrich von Gagerns<lb/>
Augen nicht so früh geschlossen hätten. Die weitere politische Entwicklung der<lb/>
beiden Schwurgenossen vom Ostermontag des Jahres 1836, nachdem ihnen der<lb/>
führende Geist, der abgöttisch verehrte Bruder, genommen worden war, liefert<lb/>
dafür den unwiderleglicher Beweis. Kaum zwei Monate ruhte Friedrich vou<lb/>
Gagern im Grabe, da stellte Heinrich in der Paulskirche auf eigne Faust den<lb/>
verhängnisvollen Antrag, den Erzherzog Johann zum Reichsverweser zu<lb/>
wühlen. Es entsprach durchaus der gefühlsseligen Unklarheit jener Zeit, daß<lb/>
der Vorschlag mit Begeisterung aufgenommen wurde; Heinrich von Gagern<lb/>
war wieder der von allen Gefeierte. Und was hatte man erreicht? Die<lb/>
Regierungen hatte man schwer, Preußens Krone und Volk unvergeßlich be¬<lb/>
leidigt und keine nationale Macht gewonnen. Es konnte doch billigerweise<lb/>
nicht angenommen werden, daß ein Mitglied des Hauses Habsburg dem Könige<lb/>
von Preußen redlich den Weg zum deutscheu Kaiserthrone ebnen hülfe! Dieser<lb/>
Antrag wäre sicher nicht gestellt worden, wenn Friedrich noch gelebt hätte,<lb/>
aber bei Heinrich war die alte Gagernsche Hauspolitik und die Tradition der<lb/>
süddeutschen Mittelstaaten wieder zum Durchbruch gekommen. Er beteiligte<lb/>
sich zwar noch am Erfurter Parlament, wandte sich aber 1859 gänzlich von<lb/>
Preußen ab und ging 1862 vollkommen in das österreichische Lager über.<lb/>
Seinen 1842 gebornen ältesten Sohn Friedrich Balduin ließ er in öster¬<lb/>
reichische Dienste treten, wo dieser bis 1871 Marineoffizier war; später kehrte<lb/>
er nach Deutschland zurück. Dieser, dem Oheim gleichnamige Neffe war<lb/>
1881 bis 1893 Mitglied des Deutschen Reichstags für Kronach als Mit¬<lb/>
glied &#x2014; des bayrischen Zentrums. Max von Gagern war schon 1354 in<lb/>
österreichische Dienste getreten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] General Friedrich von Gagern ist es doch wohl am Platze, darauf hinzuweisen, daß in jener gührenden Zeit, in der so viel redliches Wollen und alle nationale Begeisterung an dem gänz¬ lichen Mangel an diplomatischen und politischen Fähigkeiten scheiterten, ein deutscher Mann vorhanden war, ein wahrer Vorläufer Bismarcks, der über diese Mittel verfügte, und dem Ziel und Wege zur deutschen Einheit klar vor Augen standen. Familienverbindungen und die unglückliche politische Lage unsers Vaterlands hatten es mit sich gebracht, daß er im entscheidenden Mo¬ mente nicht an einer ihm gebührenden Stelle stand, und als er versuchte, aus eigner Kraft in die Wirrnisse des Tages einzugreifen, streckte ihn eine feind¬ liche Kugel nieder. Es soll hier keineswegs behauptet werden, daß das Jahr 1848 die Er¬ füllung der deutschen nationalen Wünsche hätte bringen können, wenn Friedrich von Gagern eine leitende Stelle in Preußen oder in Frankfurt eingenommen hätte. Dazu war wohl die Unklarheit jeuer Tage noch zu groß, und in Berlin fehlte die Entschlossenheit. Aber so viel darf als sicher angenommen werden, daß manche verfehlte Maßregel unterblieben und mancher zweckmüßigere Schritt in Frankfurt gethan worden wäre, wenn sich Friedrich von Gagerns Augen nicht so früh geschlossen hätten. Die weitere politische Entwicklung der beiden Schwurgenossen vom Ostermontag des Jahres 1836, nachdem ihnen der führende Geist, der abgöttisch verehrte Bruder, genommen worden war, liefert dafür den unwiderleglicher Beweis. Kaum zwei Monate ruhte Friedrich vou Gagern im Grabe, da stellte Heinrich in der Paulskirche auf eigne Faust den verhängnisvollen Antrag, den Erzherzog Johann zum Reichsverweser zu wühlen. Es entsprach durchaus der gefühlsseligen Unklarheit jener Zeit, daß der Vorschlag mit Begeisterung aufgenommen wurde; Heinrich von Gagern war wieder der von allen Gefeierte. Und was hatte man erreicht? Die Regierungen hatte man schwer, Preußens Krone und Volk unvergeßlich be¬ leidigt und keine nationale Macht gewonnen. Es konnte doch billigerweise nicht angenommen werden, daß ein Mitglied des Hauses Habsburg dem Könige von Preußen redlich den Weg zum deutscheu Kaiserthrone ebnen hülfe! Dieser Antrag wäre sicher nicht gestellt worden, wenn Friedrich noch gelebt hätte, aber bei Heinrich war die alte Gagernsche Hauspolitik und die Tradition der süddeutschen Mittelstaaten wieder zum Durchbruch gekommen. Er beteiligte sich zwar noch am Erfurter Parlament, wandte sich aber 1859 gänzlich von Preußen ab und ging 1862 vollkommen in das österreichische Lager über. Seinen 1842 gebornen ältesten Sohn Friedrich Balduin ließ er in öster¬ reichische Dienste treten, wo dieser bis 1871 Marineoffizier war; später kehrte er nach Deutschland zurück. Dieser, dem Oheim gleichnamige Neffe war 1881 bis 1893 Mitglied des Deutschen Reichstags für Kronach als Mit¬ glied — des bayrischen Zentrums. Max von Gagern war schon 1354 in österreichische Dienste getreten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/340>, abgerufen am 23.07.2024.