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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

wird es an berufnen und unberufner Ratgebern nicht fehlen." Am nächsten
Tage hatte er Urlaub. "Ich habe es nicht länger aushalten können," schrieb
er an Heinrich, der Brief des Bruders Max vom 3. April mit der Auf¬
forderung, seine Entlassung zu nehmen, "wir bedürfen deiner," hatte ihn nicht
mehr erreicht. Er traf am 5. April bei den Brüdern in Frankfurt ein.

Die republikanische Linke hatte aus ihrer Niederlage im Vorparlament
bei den Wahlen zum Fünfzigerausschuß ohne weiteres das Recht abgeleitet,
zur Revolution zu schreiten. Konstanz und der ganze, im Rücken durch die
Schweiz gedeckte Seekreis waren der Hauptsitz der Bewegung, die sich über den
Südwesten verbreitet hatte und mit den Pariser Revolutionären in Verbindung
stand. In Frankfurt und weiterhin nahm man an, daß der geringste Erfolg
einer republikanischen Schilderhebung die Anerkennung und die kriegerische Ein¬
mischung Frankreichs zur Folge haben werde. Der Bundestag hatte in solcher
Voraussicht das siebente und achte Bundesarmeekorps mobil gemacht, und
Markgraf Wilhelm von Baden hatte das Kommando über das achte, sowie
über die badische Division niedergelegt, damit nicht ein Prinz des großherzog¬
lichen Hauses in den Kampf mit Landesangehörigen verwickelt werde. In
Baden bedürfte man eines kriegskundigen Führers der Truppen, und das
liberale Ministerium richtete seine Blicke auf den ihm wohlbekannten, aus
Indien mit großer Anerkennung zurückgekehrten General Friedrich von Gagern.
Der Vater und Bruder Heinrich waren damit nicht einverstanden; der Vater
dachte an eine Ersetzung des niederländischen Gesandten von saberse durch ihn am
Bundestag, wovon aber die Brüder nichts wissen wollten; dem Bruder Heinrich
erschien die badische Stellung zu gering, er wußte, daß nach der Lage der Dinge
bei einem ausbrechenden Kriege dem Bruder ein höheres Kommando gar nicht
entgehen konnte. Friedrich machte diesen Bedenken mit einem energischen:
"Du willst also, daß ich gar nichts thue," ein Ende, Vater und Bruder
fügten sich wie immer seinem festen Entschluß. Auch er sah in dem republi¬
kanischen Putschversuch die nächste ernste Gefahr für die günstig fortschreitende
nationale Einheitsbewegung und war bereit, mit seiner Person dagegen ein¬
zutreten. Rang und Stellung kamen dabei für ihn nicht in Betracht, er wäre
bei einer kriegerischen Gefahr des Vaterlands auch als Freiwilliger mitge¬
gangen, falls sich keine andre Verwendung für ihn gefunden hätte.

Es kam ihm nun darauf an, sein dienstliches Verhältnis in den Nieder¬
landen mit Schonung zu lösen. Schon am 11. April hatte er nach der ersten
badischen Anfrage an den Kriegsminister, General Nepveu, ein Schreiben ge¬
richtet mit der Bitte, ihm in Anbetracht der außerordentlichen europäischen
Lage entweder die Erlaubnis zur zeitweiligen Übernahme des badischen Kom¬
mandos oder seinen Abschied mit der ihm vertragsmäßig zustehenden Pension
auszuwirken. Ehe eine Entscheidung darüber eintreffen konnte, hatten die Er¬
eignisse in Baden zu weitern Schritten gedrängt. Friedrich von Gagern war


General Friedrich von Gagern

wird es an berufnen und unberufner Ratgebern nicht fehlen." Am nächsten
Tage hatte er Urlaub. „Ich habe es nicht länger aushalten können," schrieb
er an Heinrich, der Brief des Bruders Max vom 3. April mit der Auf¬
forderung, seine Entlassung zu nehmen, „wir bedürfen deiner," hatte ihn nicht
mehr erreicht. Er traf am 5. April bei den Brüdern in Frankfurt ein.

Die republikanische Linke hatte aus ihrer Niederlage im Vorparlament
bei den Wahlen zum Fünfzigerausschuß ohne weiteres das Recht abgeleitet,
zur Revolution zu schreiten. Konstanz und der ganze, im Rücken durch die
Schweiz gedeckte Seekreis waren der Hauptsitz der Bewegung, die sich über den
Südwesten verbreitet hatte und mit den Pariser Revolutionären in Verbindung
stand. In Frankfurt und weiterhin nahm man an, daß der geringste Erfolg
einer republikanischen Schilderhebung die Anerkennung und die kriegerische Ein¬
mischung Frankreichs zur Folge haben werde. Der Bundestag hatte in solcher
Voraussicht das siebente und achte Bundesarmeekorps mobil gemacht, und
Markgraf Wilhelm von Baden hatte das Kommando über das achte, sowie
über die badische Division niedergelegt, damit nicht ein Prinz des großherzog¬
lichen Hauses in den Kampf mit Landesangehörigen verwickelt werde. In
Baden bedürfte man eines kriegskundigen Führers der Truppen, und das
liberale Ministerium richtete seine Blicke auf den ihm wohlbekannten, aus
Indien mit großer Anerkennung zurückgekehrten General Friedrich von Gagern.
Der Vater und Bruder Heinrich waren damit nicht einverstanden; der Vater
dachte an eine Ersetzung des niederländischen Gesandten von saberse durch ihn am
Bundestag, wovon aber die Brüder nichts wissen wollten; dem Bruder Heinrich
erschien die badische Stellung zu gering, er wußte, daß nach der Lage der Dinge
bei einem ausbrechenden Kriege dem Bruder ein höheres Kommando gar nicht
entgehen konnte. Friedrich machte diesen Bedenken mit einem energischen:
„Du willst also, daß ich gar nichts thue," ein Ende, Vater und Bruder
fügten sich wie immer seinem festen Entschluß. Auch er sah in dem republi¬
kanischen Putschversuch die nächste ernste Gefahr für die günstig fortschreitende
nationale Einheitsbewegung und war bereit, mit seiner Person dagegen ein¬
zutreten. Rang und Stellung kamen dabei für ihn nicht in Betracht, er wäre
bei einer kriegerischen Gefahr des Vaterlands auch als Freiwilliger mitge¬
gangen, falls sich keine andre Verwendung für ihn gefunden hätte.

Es kam ihm nun darauf an, sein dienstliches Verhältnis in den Nieder¬
landen mit Schonung zu lösen. Schon am 11. April hatte er nach der ersten
badischen Anfrage an den Kriegsminister, General Nepveu, ein Schreiben ge¬
richtet mit der Bitte, ihm in Anbetracht der außerordentlichen europäischen
Lage entweder die Erlaubnis zur zeitweiligen Übernahme des badischen Kom¬
mandos oder seinen Abschied mit der ihm vertragsmäßig zustehenden Pension
auszuwirken. Ehe eine Entscheidung darüber eintreffen konnte, hatten die Er¬
eignisse in Baden zu weitern Schritten gedrängt. Friedrich von Gagern war


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[0334] General Friedrich von Gagern wird es an berufnen und unberufner Ratgebern nicht fehlen." Am nächsten Tage hatte er Urlaub. „Ich habe es nicht länger aushalten können," schrieb er an Heinrich, der Brief des Bruders Max vom 3. April mit der Auf¬ forderung, seine Entlassung zu nehmen, „wir bedürfen deiner," hatte ihn nicht mehr erreicht. Er traf am 5. April bei den Brüdern in Frankfurt ein. Die republikanische Linke hatte aus ihrer Niederlage im Vorparlament bei den Wahlen zum Fünfzigerausschuß ohne weiteres das Recht abgeleitet, zur Revolution zu schreiten. Konstanz und der ganze, im Rücken durch die Schweiz gedeckte Seekreis waren der Hauptsitz der Bewegung, die sich über den Südwesten verbreitet hatte und mit den Pariser Revolutionären in Verbindung stand. In Frankfurt und weiterhin nahm man an, daß der geringste Erfolg einer republikanischen Schilderhebung die Anerkennung und die kriegerische Ein¬ mischung Frankreichs zur Folge haben werde. Der Bundestag hatte in solcher Voraussicht das siebente und achte Bundesarmeekorps mobil gemacht, und Markgraf Wilhelm von Baden hatte das Kommando über das achte, sowie über die badische Division niedergelegt, damit nicht ein Prinz des großherzog¬ lichen Hauses in den Kampf mit Landesangehörigen verwickelt werde. In Baden bedürfte man eines kriegskundigen Führers der Truppen, und das liberale Ministerium richtete seine Blicke auf den ihm wohlbekannten, aus Indien mit großer Anerkennung zurückgekehrten General Friedrich von Gagern. Der Vater und Bruder Heinrich waren damit nicht einverstanden; der Vater dachte an eine Ersetzung des niederländischen Gesandten von saberse durch ihn am Bundestag, wovon aber die Brüder nichts wissen wollten; dem Bruder Heinrich erschien die badische Stellung zu gering, er wußte, daß nach der Lage der Dinge bei einem ausbrechenden Kriege dem Bruder ein höheres Kommando gar nicht entgehen konnte. Friedrich machte diesen Bedenken mit einem energischen: „Du willst also, daß ich gar nichts thue," ein Ende, Vater und Bruder fügten sich wie immer seinem festen Entschluß. Auch er sah in dem republi¬ kanischen Putschversuch die nächste ernste Gefahr für die günstig fortschreitende nationale Einheitsbewegung und war bereit, mit seiner Person dagegen ein¬ zutreten. Rang und Stellung kamen dabei für ihn nicht in Betracht, er wäre bei einer kriegerischen Gefahr des Vaterlands auch als Freiwilliger mitge¬ gangen, falls sich keine andre Verwendung für ihn gefunden hätte. Es kam ihm nun darauf an, sein dienstliches Verhältnis in den Nieder¬ landen mit Schonung zu lösen. Schon am 11. April hatte er nach der ersten badischen Anfrage an den Kriegsminister, General Nepveu, ein Schreiben ge¬ richtet mit der Bitte, ihm in Anbetracht der außerordentlichen europäischen Lage entweder die Erlaubnis zur zeitweiligen Übernahme des badischen Kom¬ mandos oder seinen Abschied mit der ihm vertragsmäßig zustehenden Pension auszuwirken. Ehe eine Entscheidung darüber eintreffen konnte, hatten die Er¬ eignisse in Baden zu weitern Schritten gedrängt. Friedrich von Gagern war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/334>, abgerufen am 28.12.2024.