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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Magyarisirung der Ortsnamen

wissen, daß nach einem bestimmten Termin Kronstäbe nicht mehr so heißt,
sondern einzig und allein Brasso? Und wenn er nun i" altgewohnter Weise
seinen Brief adressirt, so könnte es vorkommen, daß der Postbeamte in Kron¬
stäbe den Brief als unbestellbar zurücksendet oder gar liegen läßt, weil er nicht
weiß, wo Kronstäbe ist (und er braucht es nicht zu wissen, er darf es eigentlich
gar nicht wissen, denn auch die Post ist eine jener Anstalten und Betriebe,
die unter der unmittelbaren Verfügung des Staates stehen). Wer ist dann
der Geschädigte, der ganz ohne eigne Schuld Geschädigte? Man darf nicht
sagen, das seien übertriebne, ausgetüftelte Fälle. Es mag sein, daß besonnene,
wohlwollende, vernünftige Beamte anders handeln. Aber wer steht dafür,
daß alle Beamte vernünftig, besonnen, wohlwollend sind? Und wenn man
schon auf deren Wohlwollen und Gefälligkeit angewiesen ist, so muß folge¬
richtig auch zugegeben werden, daß im entgegengesetzten Falle jeder denkbaren
Verschleppung und Plackerei Thür und Thor geöffnet ist. Wenn der Beamte
jetzt nicht will, so expedirt er einen Brief oder ein Telegramm an einen Herrn
Nnßbächer oder Marienburg nicht, weil es im Lande der Stefanskrone nnr
einen Herrn Ng.g'^rv8i oder IMävü,ri geben darf. Und glaubt jemand, daß ein
solcher Beamter in Ungarn, falls man ihn verklagte, verurteilt werden würde?
Er könnte im Gegenteil sicher sein, wenn sich solche Klagen wiederholten,
baldigst wegen bewiesenen Eifers befördert zu werden. Und zugleich muß die
Befürchtung ausgesprochen werden, daß dieser Vorstoß gegen die andern Na¬
tionen nicht vereinzelt bleiben werde.

Was der deutsche Kaiser bei seinem Besuch in der Hauptstadt Ungarns
in freudig gehobner Stimmung freundliches und schmeichelhaftes gesagt hat,
das kann hier nicht erörtert werden. Wenn aber der Herr Ministerialrat
Beksies jubelt: "Der germanische Kaiser hat alles Deutschtum ostwärts der
Leitha aufgegeben. Keine unsrer Nationalitüten kann noch auf eine Stütze im
Ausland rechnen. Keine Wirkung von außen her wird also noch die Einheit
der ungarischen Nation hindern. Heute können wir alles thun," so drückt er
damit aus, was die Herzen und Köpfe aller Magyaren, mit verschwindend
wenigen Ausnahmen, fühlen und denken. Er drückt aus, wie sie sich die
gesprochnen oder nicht gesprochnen Worte des deutschen Kaisers auslegen. Und
der Ministerialrat legt zugleich ein bedeutungsvolles Geständnis ab. Nicht
aus Achtung vor Recht und Gesetz, sondern aus Schen vor fremden Mächten
haben wir Magyaren uns bis jetzt eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Nun
sind die Schranken gefallen, nun haben wir freie Bahn, nun können wir alles thun,
alles. Und so muß befürchtet werden, daß nach nicht allzulanger Zeit ein ehr¬
geiziger und diensteifriger Minister einen neuen Gesetzentwurf eindringen werde,
der die Umgestaltung der Familiennamen anordnet. Es giebt ja leider so viele
Müller und Schmidt, daß da auch leicht Verwechslungen vorkommen können,
die zu verhüten der Staat das Recht und die Pflicht hat. Wenn diese Um-


Die Magyarisirung der Ortsnamen

wissen, daß nach einem bestimmten Termin Kronstäbe nicht mehr so heißt,
sondern einzig und allein Brasso? Und wenn er nun i» altgewohnter Weise
seinen Brief adressirt, so könnte es vorkommen, daß der Postbeamte in Kron¬
stäbe den Brief als unbestellbar zurücksendet oder gar liegen läßt, weil er nicht
weiß, wo Kronstäbe ist (und er braucht es nicht zu wissen, er darf es eigentlich
gar nicht wissen, denn auch die Post ist eine jener Anstalten und Betriebe,
die unter der unmittelbaren Verfügung des Staates stehen). Wer ist dann
der Geschädigte, der ganz ohne eigne Schuld Geschädigte? Man darf nicht
sagen, das seien übertriebne, ausgetüftelte Fälle. Es mag sein, daß besonnene,
wohlwollende, vernünftige Beamte anders handeln. Aber wer steht dafür,
daß alle Beamte vernünftig, besonnen, wohlwollend sind? Und wenn man
schon auf deren Wohlwollen und Gefälligkeit angewiesen ist, so muß folge¬
richtig auch zugegeben werden, daß im entgegengesetzten Falle jeder denkbaren
Verschleppung und Plackerei Thür und Thor geöffnet ist. Wenn der Beamte
jetzt nicht will, so expedirt er einen Brief oder ein Telegramm an einen Herrn
Nnßbächer oder Marienburg nicht, weil es im Lande der Stefanskrone nnr
einen Herrn Ng.g'^rv8i oder IMävü,ri geben darf. Und glaubt jemand, daß ein
solcher Beamter in Ungarn, falls man ihn verklagte, verurteilt werden würde?
Er könnte im Gegenteil sicher sein, wenn sich solche Klagen wiederholten,
baldigst wegen bewiesenen Eifers befördert zu werden. Und zugleich muß die
Befürchtung ausgesprochen werden, daß dieser Vorstoß gegen die andern Na¬
tionen nicht vereinzelt bleiben werde.

Was der deutsche Kaiser bei seinem Besuch in der Hauptstadt Ungarns
in freudig gehobner Stimmung freundliches und schmeichelhaftes gesagt hat,
das kann hier nicht erörtert werden. Wenn aber der Herr Ministerialrat
Beksies jubelt: „Der germanische Kaiser hat alles Deutschtum ostwärts der
Leitha aufgegeben. Keine unsrer Nationalitüten kann noch auf eine Stütze im
Ausland rechnen. Keine Wirkung von außen her wird also noch die Einheit
der ungarischen Nation hindern. Heute können wir alles thun," so drückt er
damit aus, was die Herzen und Köpfe aller Magyaren, mit verschwindend
wenigen Ausnahmen, fühlen und denken. Er drückt aus, wie sie sich die
gesprochnen oder nicht gesprochnen Worte des deutschen Kaisers auslegen. Und
der Ministerialrat legt zugleich ein bedeutungsvolles Geständnis ab. Nicht
aus Achtung vor Recht und Gesetz, sondern aus Schen vor fremden Mächten
haben wir Magyaren uns bis jetzt eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Nun
sind die Schranken gefallen, nun haben wir freie Bahn, nun können wir alles thun,
alles. Und so muß befürchtet werden, daß nach nicht allzulanger Zeit ein ehr¬
geiziger und diensteifriger Minister einen neuen Gesetzentwurf eindringen werde,
der die Umgestaltung der Familiennamen anordnet. Es giebt ja leider so viele
Müller und Schmidt, daß da auch leicht Verwechslungen vorkommen können,
die zu verhüten der Staat das Recht und die Pflicht hat. Wenn diese Um-


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[0328] Die Magyarisirung der Ortsnamen wissen, daß nach einem bestimmten Termin Kronstäbe nicht mehr so heißt, sondern einzig und allein Brasso? Und wenn er nun i» altgewohnter Weise seinen Brief adressirt, so könnte es vorkommen, daß der Postbeamte in Kron¬ stäbe den Brief als unbestellbar zurücksendet oder gar liegen läßt, weil er nicht weiß, wo Kronstäbe ist (und er braucht es nicht zu wissen, er darf es eigentlich gar nicht wissen, denn auch die Post ist eine jener Anstalten und Betriebe, die unter der unmittelbaren Verfügung des Staates stehen). Wer ist dann der Geschädigte, der ganz ohne eigne Schuld Geschädigte? Man darf nicht sagen, das seien übertriebne, ausgetüftelte Fälle. Es mag sein, daß besonnene, wohlwollende, vernünftige Beamte anders handeln. Aber wer steht dafür, daß alle Beamte vernünftig, besonnen, wohlwollend sind? Und wenn man schon auf deren Wohlwollen und Gefälligkeit angewiesen ist, so muß folge¬ richtig auch zugegeben werden, daß im entgegengesetzten Falle jeder denkbaren Verschleppung und Plackerei Thür und Thor geöffnet ist. Wenn der Beamte jetzt nicht will, so expedirt er einen Brief oder ein Telegramm an einen Herrn Nnßbächer oder Marienburg nicht, weil es im Lande der Stefanskrone nnr einen Herrn Ng.g'^rv8i oder IMävü,ri geben darf. Und glaubt jemand, daß ein solcher Beamter in Ungarn, falls man ihn verklagte, verurteilt werden würde? Er könnte im Gegenteil sicher sein, wenn sich solche Klagen wiederholten, baldigst wegen bewiesenen Eifers befördert zu werden. Und zugleich muß die Befürchtung ausgesprochen werden, daß dieser Vorstoß gegen die andern Na¬ tionen nicht vereinzelt bleiben werde. Was der deutsche Kaiser bei seinem Besuch in der Hauptstadt Ungarns in freudig gehobner Stimmung freundliches und schmeichelhaftes gesagt hat, das kann hier nicht erörtert werden. Wenn aber der Herr Ministerialrat Beksies jubelt: „Der germanische Kaiser hat alles Deutschtum ostwärts der Leitha aufgegeben. Keine unsrer Nationalitüten kann noch auf eine Stütze im Ausland rechnen. Keine Wirkung von außen her wird also noch die Einheit der ungarischen Nation hindern. Heute können wir alles thun," so drückt er damit aus, was die Herzen und Köpfe aller Magyaren, mit verschwindend wenigen Ausnahmen, fühlen und denken. Er drückt aus, wie sie sich die gesprochnen oder nicht gesprochnen Worte des deutschen Kaisers auslegen. Und der Ministerialrat legt zugleich ein bedeutungsvolles Geständnis ab. Nicht aus Achtung vor Recht und Gesetz, sondern aus Schen vor fremden Mächten haben wir Magyaren uns bis jetzt eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Nun sind die Schranken gefallen, nun haben wir freie Bahn, nun können wir alles thun, alles. Und so muß befürchtet werden, daß nach nicht allzulanger Zeit ein ehr¬ geiziger und diensteifriger Minister einen neuen Gesetzentwurf eindringen werde, der die Umgestaltung der Familiennamen anordnet. Es giebt ja leider so viele Müller und Schmidt, daß da auch leicht Verwechslungen vorkommen können, die zu verhüten der Staat das Recht und die Pflicht hat. Wenn diese Um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/328>, abgerufen am 23.07.2024.