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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die hannoverschen Nationalliberalen

sehr bedeutenden Angelegenheit für die Regierungsvorlage, Laster mit seinem
Gefolge aber mit der Opposition stimmten. Die Hannoveraner mit Bennigsen
und Miquel hatten wenig Sympathie für die Fortschrittspartei, desto mehr
für die Freikonservativen, die sie ja anch bei Wahlen zuweilen unterstützten,
während Laster, Forckenbeck und Stciuffenberg in vielen wichtigen Fragen mit
den Ansichten und Forderungen der Fortschrittler völlig übereinstimmten und
diese Übereinstimmung zuweilen auch durch Fraktionszwang für die Gesamt¬
haltung der Partei durchsetzten. Im Gegensatz zu der preußischen Fortschritts¬
partei, deren Vergangenheit sie nicht berührte, haben die hannoverschen
Nationalliberalen von Anfang an ihre Stellung zu der preußischen Regierung
und zu der Reichsverwaltung niemals so aufgefaßt, wie die der Opposition
eines parlamentarisch regierten Landes, die da weiß oder erwartet, daß sie
früher oder später die Regierung ablösen werde. Die Nationalliberalen waren
klug genug, einzusehen, daß die realen Machtverhültnisfe in Preußen und im
Reiche, sowie die historische Entwicklung des Staates die Herstellung einer
Regierung lediglich durch Volkswillen auf lange Zeit ausschlossen, während
die Fortschrittspartei so that, als ob die Verwirklichung des parlamentarischen
Staatswesens in Preußen schon in naher und sicherer Aussicht stünde.

Die Hannoveraner haben viel dazu beigetragen, die nationalliberale Partei
einigermaßen von den Schlacken der doktrinären Sätze, die die preußischen
Gründer aus dem Arsenale der Fortschrittspartei mit übernommen hatten, zu
reinigen. Sie waren es namentlich, die den nationalen Zug der Partei in
den Vordergrund stellten, und die den Satz "durch Freiheit zur Einheit," der
auch ein Vermächtnis der Liberalen war, in den Satz "durch Einheit zur
Freiheit" umwandelten. In ihrem politischen Empfinden wurden sie nicht,
wie die altpreußischen Liberalen, auf Schritt und Tritt durch die unliebsamen
Erinnerungen an die Konfliktszeit und deren persönliche Fatalitäten gestört,
sie huldigten von dem Beginn ihrer parlamentarischen Thätigkeit einem ge¬
wissen Optimismus und betrachteten die innere und die deutsche Politik des
Ministerpräsidenten mit andern Augen als viele liberale Altpreußen. Sie
hatten in manchen Richtungen einen weit freiern Blick als diese, ein Vorzug,
den sie mit ihren Parteigenossen aus Holstein, Hessen-Nassau und den deutschen
Kleinstaaten teilten.

Übrigens war die liberale Gesinnung und Denkweise der damaligen han¬
noverschen Mitglieder der Partei durchaus nicht zu beanstanden; die meisten
von ihnen waren liberal bis "in die Knochen," und viele von ihnen hatten
in der Zeit der kleinlichen Reaktion unter den Nadelstichen des Ministeriums
Borries ihre liberale Überzeugung festigen können. Sie waren Anhänger des
allgemeinen und direkten Wahlrechts, sie kämpften gegen die reichlichen Über¬
bleibsel des alten Polizeistaats, waren Gegner büreaukratischer Auswüchse und
schwärmten sür ausgedehnte Selbstverwaltung, für Gewerbefreiheit, Preßfreiheit


Die hannoverschen Nationalliberalen

sehr bedeutenden Angelegenheit für die Regierungsvorlage, Laster mit seinem
Gefolge aber mit der Opposition stimmten. Die Hannoveraner mit Bennigsen
und Miquel hatten wenig Sympathie für die Fortschrittspartei, desto mehr
für die Freikonservativen, die sie ja anch bei Wahlen zuweilen unterstützten,
während Laster, Forckenbeck und Stciuffenberg in vielen wichtigen Fragen mit
den Ansichten und Forderungen der Fortschrittler völlig übereinstimmten und
diese Übereinstimmung zuweilen auch durch Fraktionszwang für die Gesamt¬
haltung der Partei durchsetzten. Im Gegensatz zu der preußischen Fortschritts¬
partei, deren Vergangenheit sie nicht berührte, haben die hannoverschen
Nationalliberalen von Anfang an ihre Stellung zu der preußischen Regierung
und zu der Reichsverwaltung niemals so aufgefaßt, wie die der Opposition
eines parlamentarisch regierten Landes, die da weiß oder erwartet, daß sie
früher oder später die Regierung ablösen werde. Die Nationalliberalen waren
klug genug, einzusehen, daß die realen Machtverhültnisfe in Preußen und im
Reiche, sowie die historische Entwicklung des Staates die Herstellung einer
Regierung lediglich durch Volkswillen auf lange Zeit ausschlossen, während
die Fortschrittspartei so that, als ob die Verwirklichung des parlamentarischen
Staatswesens in Preußen schon in naher und sicherer Aussicht stünde.

Die Hannoveraner haben viel dazu beigetragen, die nationalliberale Partei
einigermaßen von den Schlacken der doktrinären Sätze, die die preußischen
Gründer aus dem Arsenale der Fortschrittspartei mit übernommen hatten, zu
reinigen. Sie waren es namentlich, die den nationalen Zug der Partei in
den Vordergrund stellten, und die den Satz „durch Freiheit zur Einheit," der
auch ein Vermächtnis der Liberalen war, in den Satz „durch Einheit zur
Freiheit" umwandelten. In ihrem politischen Empfinden wurden sie nicht,
wie die altpreußischen Liberalen, auf Schritt und Tritt durch die unliebsamen
Erinnerungen an die Konfliktszeit und deren persönliche Fatalitäten gestört,
sie huldigten von dem Beginn ihrer parlamentarischen Thätigkeit einem ge¬
wissen Optimismus und betrachteten die innere und die deutsche Politik des
Ministerpräsidenten mit andern Augen als viele liberale Altpreußen. Sie
hatten in manchen Richtungen einen weit freiern Blick als diese, ein Vorzug,
den sie mit ihren Parteigenossen aus Holstein, Hessen-Nassau und den deutschen
Kleinstaaten teilten.

Übrigens war die liberale Gesinnung und Denkweise der damaligen han¬
noverschen Mitglieder der Partei durchaus nicht zu beanstanden; die meisten
von ihnen waren liberal bis „in die Knochen," und viele von ihnen hatten
in der Zeit der kleinlichen Reaktion unter den Nadelstichen des Ministeriums
Borries ihre liberale Überzeugung festigen können. Sie waren Anhänger des
allgemeinen und direkten Wahlrechts, sie kämpften gegen die reichlichen Über¬
bleibsel des alten Polizeistaats, waren Gegner büreaukratischer Auswüchse und
schwärmten sür ausgedehnte Selbstverwaltung, für Gewerbefreiheit, Preßfreiheit


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[0318] Die hannoverschen Nationalliberalen sehr bedeutenden Angelegenheit für die Regierungsvorlage, Laster mit seinem Gefolge aber mit der Opposition stimmten. Die Hannoveraner mit Bennigsen und Miquel hatten wenig Sympathie für die Fortschrittspartei, desto mehr für die Freikonservativen, die sie ja anch bei Wahlen zuweilen unterstützten, während Laster, Forckenbeck und Stciuffenberg in vielen wichtigen Fragen mit den Ansichten und Forderungen der Fortschrittler völlig übereinstimmten und diese Übereinstimmung zuweilen auch durch Fraktionszwang für die Gesamt¬ haltung der Partei durchsetzten. Im Gegensatz zu der preußischen Fortschritts¬ partei, deren Vergangenheit sie nicht berührte, haben die hannoverschen Nationalliberalen von Anfang an ihre Stellung zu der preußischen Regierung und zu der Reichsverwaltung niemals so aufgefaßt, wie die der Opposition eines parlamentarisch regierten Landes, die da weiß oder erwartet, daß sie früher oder später die Regierung ablösen werde. Die Nationalliberalen waren klug genug, einzusehen, daß die realen Machtverhültnisfe in Preußen und im Reiche, sowie die historische Entwicklung des Staates die Herstellung einer Regierung lediglich durch Volkswillen auf lange Zeit ausschlossen, während die Fortschrittspartei so that, als ob die Verwirklichung des parlamentarischen Staatswesens in Preußen schon in naher und sicherer Aussicht stünde. Die Hannoveraner haben viel dazu beigetragen, die nationalliberale Partei einigermaßen von den Schlacken der doktrinären Sätze, die die preußischen Gründer aus dem Arsenale der Fortschrittspartei mit übernommen hatten, zu reinigen. Sie waren es namentlich, die den nationalen Zug der Partei in den Vordergrund stellten, und die den Satz „durch Freiheit zur Einheit," der auch ein Vermächtnis der Liberalen war, in den Satz „durch Einheit zur Freiheit" umwandelten. In ihrem politischen Empfinden wurden sie nicht, wie die altpreußischen Liberalen, auf Schritt und Tritt durch die unliebsamen Erinnerungen an die Konfliktszeit und deren persönliche Fatalitäten gestört, sie huldigten von dem Beginn ihrer parlamentarischen Thätigkeit einem ge¬ wissen Optimismus und betrachteten die innere und die deutsche Politik des Ministerpräsidenten mit andern Augen als viele liberale Altpreußen. Sie hatten in manchen Richtungen einen weit freiern Blick als diese, ein Vorzug, den sie mit ihren Parteigenossen aus Holstein, Hessen-Nassau und den deutschen Kleinstaaten teilten. Übrigens war die liberale Gesinnung und Denkweise der damaligen han¬ noverschen Mitglieder der Partei durchaus nicht zu beanstanden; die meisten von ihnen waren liberal bis „in die Knochen," und viele von ihnen hatten in der Zeit der kleinlichen Reaktion unter den Nadelstichen des Ministeriums Borries ihre liberale Überzeugung festigen können. Sie waren Anhänger des allgemeinen und direkten Wahlrechts, sie kämpften gegen die reichlichen Über¬ bleibsel des alten Polizeistaats, waren Gegner büreaukratischer Auswüchse und schwärmten sür ausgedehnte Selbstverwaltung, für Gewerbefreiheit, Preßfreiheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/318>, abgerufen am 23.07.2024.