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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die hannoverschen Nationalliberalen

hemmte waren -- im Abgeordnetenhause an, mehr in einem naiven Mißver¬
ständnisse über das Verhältnis dieser Gruppe zur Regierung, als um sich
völlig zu deren Anschauungen zu bekennen. Die nativnalliberalen Wahlkomitees
nahmen an solchen Erscheinungen keinen großen Anstoß. Die Furcht vor der
welfischen Strömung einerseits, die Rücksicht auf Regierungsbeamte andrerseits,
die stets ihre schwache Seite war, hinderte die Parteileitung, den Negierungs-
kandidaturen selbst da thatkräftig zu begegnen, wo sie diese im Keime ersticken
konnten; und statt die ihren Bestrebungen und politischen Gedanken geneigten
Teile der Bevölkerung durch lebendige Rede und Schrift an ihre Fahnen zu
fesseln, zog sie es vor, ihr selbständiges Auftreten einzustellen, dem gouverne-
mentalen Kandidaten zu sekundiren und auf diese Weise die ihr nahe stehenden
Kreise mehr nach rechts zu lenken, als ihr später lieb sein konnte.

Der Zwiespalt zwischen den Nationalliberalen und dem Welfentum
durchzog lange Zeit und an vielen Orten noch bis zum jüngsten Eingreifen
des Bundes der Landwirte das gesamte öffentliche Leben in der Provinz.
Gemeinde- und sonstige Korporationsallgelegenheiten, Provinzial- und Kreis¬
versammlungen, alle Arten von öffentlichen Wahlen, auch das landwirtschaft¬
liche Vereinswesen und andre gemeinnützige Angelegenheiten, die an sich in
keinem Zusammenhange mit politischen Aufgaben und Gesinnungen standen,
alles wurde in diese Parteifehde hineingezogen, und hüben und drüben ge¬
wöhnte man sich, auch ganz unpolitische Dinge unter den Gesichtswinkel der
Parteiinteressen zu bringen und vom Parteistandpunkte aus zu erörtern.
Daß darunter sehr häufig die Behandlung der Sache selbst litt, verhehlte man
sich keineswegs, aber die Parteileidenschaft war mächtiger als die Einsicht.
Namentlich waren es manche städtischen Gemeinwesen, deren Aufgaben während
dieser Kämpfe ihrer sachgemäßen Erledigung harrten.

Im Kampfe mit den Welsen und deren ultramontanen Verbündeten
glaubten die Nationalliberalen in der Provinz die werkthütige Unterstützung
der Regierungsbehörden nicht entbehren zu können; sie suchten daher Fühlung
mit diesen, oft schon früh eine innigere, als sich mit der Selbständigkeit einer
Partei, die auf eignen Füßen stehen wollte, vertragen konnte. Die kleinen
Führer in Stadt und Land, die sonst so selbstbewußten Lokalgrößen, waren
leicht geneigt, manchem in die Provinz versetzten Landrate (Amtshanptmann)
und Regierungspräsidenten (Lcinddrvsten), der in feudalen Traditionen aufge¬
wachsen war, auf Kosten der liberalen Idee politische Gefälligkeiten zu erweisen,
und, ganz wie ihre Abgeordneten in den parlamentarischen Versammlungen,
selbst den direkt antiliberalen Forderungen jener Herren mit Kompromißvor-
schlägen zu begegnen. Übrigens gab es damals -- in den siebziger Jahren,
auch noch im Anfange der achtziger -- neben den konservativen und freikonser¬
vativen Verwaltungsbeamten auch noch einige Landräte (Amtshauptleute), die
sich offen zur nationalliberalen Partei bekannten, was von den konservativen


Die hannoverschen Nationalliberalen

hemmte waren — im Abgeordnetenhause an, mehr in einem naiven Mißver¬
ständnisse über das Verhältnis dieser Gruppe zur Regierung, als um sich
völlig zu deren Anschauungen zu bekennen. Die nativnalliberalen Wahlkomitees
nahmen an solchen Erscheinungen keinen großen Anstoß. Die Furcht vor der
welfischen Strömung einerseits, die Rücksicht auf Regierungsbeamte andrerseits,
die stets ihre schwache Seite war, hinderte die Parteileitung, den Negierungs-
kandidaturen selbst da thatkräftig zu begegnen, wo sie diese im Keime ersticken
konnten; und statt die ihren Bestrebungen und politischen Gedanken geneigten
Teile der Bevölkerung durch lebendige Rede und Schrift an ihre Fahnen zu
fesseln, zog sie es vor, ihr selbständiges Auftreten einzustellen, dem gouverne-
mentalen Kandidaten zu sekundiren und auf diese Weise die ihr nahe stehenden
Kreise mehr nach rechts zu lenken, als ihr später lieb sein konnte.

Der Zwiespalt zwischen den Nationalliberalen und dem Welfentum
durchzog lange Zeit und an vielen Orten noch bis zum jüngsten Eingreifen
des Bundes der Landwirte das gesamte öffentliche Leben in der Provinz.
Gemeinde- und sonstige Korporationsallgelegenheiten, Provinzial- und Kreis¬
versammlungen, alle Arten von öffentlichen Wahlen, auch das landwirtschaft¬
liche Vereinswesen und andre gemeinnützige Angelegenheiten, die an sich in
keinem Zusammenhange mit politischen Aufgaben und Gesinnungen standen,
alles wurde in diese Parteifehde hineingezogen, und hüben und drüben ge¬
wöhnte man sich, auch ganz unpolitische Dinge unter den Gesichtswinkel der
Parteiinteressen zu bringen und vom Parteistandpunkte aus zu erörtern.
Daß darunter sehr häufig die Behandlung der Sache selbst litt, verhehlte man
sich keineswegs, aber die Parteileidenschaft war mächtiger als die Einsicht.
Namentlich waren es manche städtischen Gemeinwesen, deren Aufgaben während
dieser Kämpfe ihrer sachgemäßen Erledigung harrten.

Im Kampfe mit den Welsen und deren ultramontanen Verbündeten
glaubten die Nationalliberalen in der Provinz die werkthütige Unterstützung
der Regierungsbehörden nicht entbehren zu können; sie suchten daher Fühlung
mit diesen, oft schon früh eine innigere, als sich mit der Selbständigkeit einer
Partei, die auf eignen Füßen stehen wollte, vertragen konnte. Die kleinen
Führer in Stadt und Land, die sonst so selbstbewußten Lokalgrößen, waren
leicht geneigt, manchem in die Provinz versetzten Landrate (Amtshanptmann)
und Regierungspräsidenten (Lcinddrvsten), der in feudalen Traditionen aufge¬
wachsen war, auf Kosten der liberalen Idee politische Gefälligkeiten zu erweisen,
und, ganz wie ihre Abgeordneten in den parlamentarischen Versammlungen,
selbst den direkt antiliberalen Forderungen jener Herren mit Kompromißvor-
schlägen zu begegnen. Übrigens gab es damals — in den siebziger Jahren,
auch noch im Anfange der achtziger — neben den konservativen und freikonser¬
vativen Verwaltungsbeamten auch noch einige Landräte (Amtshauptleute), die
sich offen zur nationalliberalen Partei bekannten, was von den konservativen


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[0316] Die hannoverschen Nationalliberalen hemmte waren — im Abgeordnetenhause an, mehr in einem naiven Mißver¬ ständnisse über das Verhältnis dieser Gruppe zur Regierung, als um sich völlig zu deren Anschauungen zu bekennen. Die nativnalliberalen Wahlkomitees nahmen an solchen Erscheinungen keinen großen Anstoß. Die Furcht vor der welfischen Strömung einerseits, die Rücksicht auf Regierungsbeamte andrerseits, die stets ihre schwache Seite war, hinderte die Parteileitung, den Negierungs- kandidaturen selbst da thatkräftig zu begegnen, wo sie diese im Keime ersticken konnten; und statt die ihren Bestrebungen und politischen Gedanken geneigten Teile der Bevölkerung durch lebendige Rede und Schrift an ihre Fahnen zu fesseln, zog sie es vor, ihr selbständiges Auftreten einzustellen, dem gouverne- mentalen Kandidaten zu sekundiren und auf diese Weise die ihr nahe stehenden Kreise mehr nach rechts zu lenken, als ihr später lieb sein konnte. Der Zwiespalt zwischen den Nationalliberalen und dem Welfentum durchzog lange Zeit und an vielen Orten noch bis zum jüngsten Eingreifen des Bundes der Landwirte das gesamte öffentliche Leben in der Provinz. Gemeinde- und sonstige Korporationsallgelegenheiten, Provinzial- und Kreis¬ versammlungen, alle Arten von öffentlichen Wahlen, auch das landwirtschaft¬ liche Vereinswesen und andre gemeinnützige Angelegenheiten, die an sich in keinem Zusammenhange mit politischen Aufgaben und Gesinnungen standen, alles wurde in diese Parteifehde hineingezogen, und hüben und drüben ge¬ wöhnte man sich, auch ganz unpolitische Dinge unter den Gesichtswinkel der Parteiinteressen zu bringen und vom Parteistandpunkte aus zu erörtern. Daß darunter sehr häufig die Behandlung der Sache selbst litt, verhehlte man sich keineswegs, aber die Parteileidenschaft war mächtiger als die Einsicht. Namentlich waren es manche städtischen Gemeinwesen, deren Aufgaben während dieser Kämpfe ihrer sachgemäßen Erledigung harrten. Im Kampfe mit den Welsen und deren ultramontanen Verbündeten glaubten die Nationalliberalen in der Provinz die werkthütige Unterstützung der Regierungsbehörden nicht entbehren zu können; sie suchten daher Fühlung mit diesen, oft schon früh eine innigere, als sich mit der Selbständigkeit einer Partei, die auf eignen Füßen stehen wollte, vertragen konnte. Die kleinen Führer in Stadt und Land, die sonst so selbstbewußten Lokalgrößen, waren leicht geneigt, manchem in die Provinz versetzten Landrate (Amtshanptmann) und Regierungspräsidenten (Lcinddrvsten), der in feudalen Traditionen aufge¬ wachsen war, auf Kosten der liberalen Idee politische Gefälligkeiten zu erweisen, und, ganz wie ihre Abgeordneten in den parlamentarischen Versammlungen, selbst den direkt antiliberalen Forderungen jener Herren mit Kompromißvor- schlägen zu begegnen. Übrigens gab es damals — in den siebziger Jahren, auch noch im Anfange der achtziger — neben den konservativen und freikonser¬ vativen Verwaltungsbeamten auch noch einige Landräte (Amtshauptleute), die sich offen zur nationalliberalen Partei bekannten, was von den konservativen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/316>, abgerufen am 23.07.2024.