Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die hannoverschen Nationalliberalen

Politik im liberalen Sinne. Sie waren anfangs vielleicht weniger gute Preußen
als vielmehr gute Deutsche, aber sie suchten sich, so gut es ging, auch mit
den altpreußischen. dem Hannoveraner oft recht lästig fallenden Einrichtungen,
mit der altpreußischen Bureaukratie, der altpreußischen Überlieferung und selbst
den altpreußischen Äußerlichkeiten von zweifelhafter Anmut, soweit alles dies
nicht geradezu antiliberal erschien, abzufinden.

Länger als ein Jahrzehnt gab es nach 1866 in der Provinz Hannover
eigentlich'nur zwei politische Parteien: die deutsch-hannoversche oder Welfen-
pcirtei, die sich aus Anhängern der Vertriebnen Dynastie, ans doktrinären Gro߬
deutschen und preußenfeiudlichen Demokraten zusammensetzte, und die national-
liberale, die sich um Herrn von Bennigsen und seinen Stab Scharte. Die
Fortschrittspartei und später der Freisinn fanden und finden bis heute im
Hannoverschen im allgemeinen wenig Anhänger, sie haben dort ebenso wenig
wie die preußischen Konservativen ostelbischer Richtung auf eine beachtungs¬
werte Anzahl von sympathischen Seelen rechnen können. Die Hannoveraner,
die der Geschichte und der Entwicklung dieser Parteien fremd gegenüber standen,
haben sich mit beiden memals recht befreunden können, und nur ganz besondre
Zufällige Umstände waren es, die den Fortschrittlern einmal in einem Kreise
einen Wahlsieg und zuweilen in andern nennenswerte Minoritäten ver¬
schafften. Die Ultramontanen in der Provinz, die anfangs nur als eine
Spezies der Weisen erschienen, gingen auch nach der Bildung der Zentrums-
p"reel mit deu Welsen wie diese mit jenen, ein Verhältnis, das bis auf die
Gegenwart besteht und bekanntermaßen auch in den parlamentarischen Körper¬
schaften zum deutlichen Ausdrucke gelangt ist. Konservative von altprenßischer
Art gab es, wie schon angedeutet worden ist. in der eingesessener Bevölkerung
'"ehe; und selbst als gelegentlich einige aus dem Osten stammende hohe Ver-
waltungsbeamte von beschränktem politischem Blicke den Versuch machten, ihre
östlichen Ansichten und Überzeugungen unter den Provinzlern einzubürgern.
f"nden sie dort nur geringes Verständnis und hatten daher auch nur geringe
und vorübergehende Erfolge. Auch die Freikonservativen hatten in Hannover
^me eigentliche Partei hinter sich - es hat unsers Wissens dort nie einen
sreikonservativen Verein gegeben dennoch sind vom Beginn der preußischen
Herrschaft an in dem einen und andern Wahlkreise Abgeordnete gewählt worden,
d-e ans ihrer freikonservativen, d. h. gouvernementalen Gesinnung kein Hehl
wachten und von vornherein erklärten, daß sie sich einer Fraktion der Rechten
anschließen würden. Die Wahlen geschahen mit Hilfe der Nationalliberalen.
die nach einigem Schwanken und Zaudern, mit Rücksicht auf das Persönliche
Ansehen der Kandidaten im Wahlkreise oder wegen besondrer lokaler Umstände,
auf eigne Kandidaten Verzicht leisteten, um die nationalen Elemente nicht zu
zersplittern. Selbst der damaligen altkonservativen Fraktion schloß sich der
eine oder der andre dieser Gewählten - die fast ausschließlich Verwaltung-


Die hannoverschen Nationalliberalen

Politik im liberalen Sinne. Sie waren anfangs vielleicht weniger gute Preußen
als vielmehr gute Deutsche, aber sie suchten sich, so gut es ging, auch mit
den altpreußischen. dem Hannoveraner oft recht lästig fallenden Einrichtungen,
mit der altpreußischen Bureaukratie, der altpreußischen Überlieferung und selbst
den altpreußischen Äußerlichkeiten von zweifelhafter Anmut, soweit alles dies
nicht geradezu antiliberal erschien, abzufinden.

Länger als ein Jahrzehnt gab es nach 1866 in der Provinz Hannover
eigentlich'nur zwei politische Parteien: die deutsch-hannoversche oder Welfen-
pcirtei, die sich aus Anhängern der Vertriebnen Dynastie, ans doktrinären Gro߬
deutschen und preußenfeiudlichen Demokraten zusammensetzte, und die national-
liberale, die sich um Herrn von Bennigsen und seinen Stab Scharte. Die
Fortschrittspartei und später der Freisinn fanden und finden bis heute im
Hannoverschen im allgemeinen wenig Anhänger, sie haben dort ebenso wenig
wie die preußischen Konservativen ostelbischer Richtung auf eine beachtungs¬
werte Anzahl von sympathischen Seelen rechnen können. Die Hannoveraner,
die der Geschichte und der Entwicklung dieser Parteien fremd gegenüber standen,
haben sich mit beiden memals recht befreunden können, und nur ganz besondre
Zufällige Umstände waren es, die den Fortschrittlern einmal in einem Kreise
einen Wahlsieg und zuweilen in andern nennenswerte Minoritäten ver¬
schafften. Die Ultramontanen in der Provinz, die anfangs nur als eine
Spezies der Weisen erschienen, gingen auch nach der Bildung der Zentrums-
p"reel mit deu Welsen wie diese mit jenen, ein Verhältnis, das bis auf die
Gegenwart besteht und bekanntermaßen auch in den parlamentarischen Körper¬
schaften zum deutlichen Ausdrucke gelangt ist. Konservative von altprenßischer
Art gab es, wie schon angedeutet worden ist. in der eingesessener Bevölkerung
'"ehe; und selbst als gelegentlich einige aus dem Osten stammende hohe Ver-
waltungsbeamte von beschränktem politischem Blicke den Versuch machten, ihre
östlichen Ansichten und Überzeugungen unter den Provinzlern einzubürgern.
f"nden sie dort nur geringes Verständnis und hatten daher auch nur geringe
und vorübergehende Erfolge. Auch die Freikonservativen hatten in Hannover
^me eigentliche Partei hinter sich - es hat unsers Wissens dort nie einen
sreikonservativen Verein gegeben dennoch sind vom Beginn der preußischen
Herrschaft an in dem einen und andern Wahlkreise Abgeordnete gewählt worden,
d-e ans ihrer freikonservativen, d. h. gouvernementalen Gesinnung kein Hehl
wachten und von vornherein erklärten, daß sie sich einer Fraktion der Rechten
anschließen würden. Die Wahlen geschahen mit Hilfe der Nationalliberalen.
die nach einigem Schwanken und Zaudern, mit Rücksicht auf das Persönliche
Ansehen der Kandidaten im Wahlkreise oder wegen besondrer lokaler Umstände,
auf eigne Kandidaten Verzicht leisteten, um die nationalen Elemente nicht zu
zersplittern. Selbst der damaligen altkonservativen Fraktion schloß sich der
eine oder der andre dieser Gewählten - die fast ausschließlich Verwaltung-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227951"/>
          <fw type="header" place="top"> Die hannoverschen Nationalliberalen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_833" prev="#ID_832"> Politik im liberalen Sinne. Sie waren anfangs vielleicht weniger gute Preußen<lb/>
als vielmehr gute Deutsche, aber sie suchten sich, so gut es ging, auch mit<lb/>
den altpreußischen. dem Hannoveraner oft recht lästig fallenden Einrichtungen,<lb/>
mit der altpreußischen Bureaukratie, der altpreußischen Überlieferung und selbst<lb/>
den altpreußischen Äußerlichkeiten von zweifelhafter Anmut, soweit alles dies<lb/>
nicht geradezu antiliberal erschien, abzufinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_834" next="#ID_835"> Länger als ein Jahrzehnt gab es nach 1866 in der Provinz Hannover<lb/>
eigentlich'nur zwei politische Parteien: die deutsch-hannoversche oder Welfen-<lb/>
pcirtei, die sich aus Anhängern der Vertriebnen Dynastie, ans doktrinären Gro߬<lb/>
deutschen und preußenfeiudlichen Demokraten zusammensetzte, und die national-<lb/>
liberale, die sich um Herrn von Bennigsen und seinen Stab Scharte. Die<lb/>
Fortschrittspartei und später der Freisinn fanden und finden bis heute im<lb/>
Hannoverschen im allgemeinen wenig Anhänger, sie haben dort ebenso wenig<lb/>
wie die preußischen Konservativen ostelbischer Richtung auf eine beachtungs¬<lb/>
werte Anzahl von sympathischen Seelen rechnen können. Die Hannoveraner,<lb/>
die der Geschichte und der Entwicklung dieser Parteien fremd gegenüber standen,<lb/>
haben sich mit beiden memals recht befreunden können, und nur ganz besondre<lb/>
Zufällige Umstände waren es, die den Fortschrittlern einmal in einem Kreise<lb/>
einen Wahlsieg und zuweilen in andern nennenswerte Minoritäten ver¬<lb/>
schafften. Die Ultramontanen in der Provinz, die anfangs nur als eine<lb/>
Spezies der Weisen erschienen, gingen auch nach der Bildung der Zentrums-<lb/>
p"reel mit deu Welsen wie diese mit jenen, ein Verhältnis, das bis auf die<lb/>
Gegenwart besteht und bekanntermaßen auch in den parlamentarischen Körper¬<lb/>
schaften zum deutlichen Ausdrucke gelangt ist. Konservative von altprenßischer<lb/>
Art gab es, wie schon angedeutet worden ist. in der eingesessener Bevölkerung<lb/>
'"ehe; und selbst als gelegentlich einige aus dem Osten stammende hohe Ver-<lb/>
waltungsbeamte von beschränktem politischem Blicke den Versuch machten, ihre<lb/>
östlichen Ansichten und Überzeugungen unter den Provinzlern einzubürgern.<lb/>
f"nden sie dort nur geringes Verständnis und hatten daher auch nur geringe<lb/>
und vorübergehende Erfolge. Auch die Freikonservativen hatten in Hannover<lb/>
^me eigentliche Partei hinter sich - es hat unsers Wissens dort nie einen<lb/>
sreikonservativen Verein gegeben dennoch sind vom Beginn der preußischen<lb/>
Herrschaft an in dem einen und andern Wahlkreise Abgeordnete gewählt worden,<lb/>
d-e ans ihrer freikonservativen, d. h. gouvernementalen Gesinnung kein Hehl<lb/>
wachten und von vornherein erklärten, daß sie sich einer Fraktion der Rechten<lb/>
anschließen würden. Die Wahlen geschahen mit Hilfe der Nationalliberalen.<lb/>
die nach einigem Schwanken und Zaudern, mit Rücksicht auf das Persönliche<lb/>
Ansehen der Kandidaten im Wahlkreise oder wegen besondrer lokaler Umstände,<lb/>
auf eigne Kandidaten Verzicht leisteten, um die nationalen Elemente nicht zu<lb/>
zersplittern. Selbst der damaligen altkonservativen Fraktion schloß sich der<lb/>
eine oder der andre dieser Gewählten - die fast ausschließlich Verwaltung-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] Die hannoverschen Nationalliberalen Politik im liberalen Sinne. Sie waren anfangs vielleicht weniger gute Preußen als vielmehr gute Deutsche, aber sie suchten sich, so gut es ging, auch mit den altpreußischen. dem Hannoveraner oft recht lästig fallenden Einrichtungen, mit der altpreußischen Bureaukratie, der altpreußischen Überlieferung und selbst den altpreußischen Äußerlichkeiten von zweifelhafter Anmut, soweit alles dies nicht geradezu antiliberal erschien, abzufinden. Länger als ein Jahrzehnt gab es nach 1866 in der Provinz Hannover eigentlich'nur zwei politische Parteien: die deutsch-hannoversche oder Welfen- pcirtei, die sich aus Anhängern der Vertriebnen Dynastie, ans doktrinären Gro߬ deutschen und preußenfeiudlichen Demokraten zusammensetzte, und die national- liberale, die sich um Herrn von Bennigsen und seinen Stab Scharte. Die Fortschrittspartei und später der Freisinn fanden und finden bis heute im Hannoverschen im allgemeinen wenig Anhänger, sie haben dort ebenso wenig wie die preußischen Konservativen ostelbischer Richtung auf eine beachtungs¬ werte Anzahl von sympathischen Seelen rechnen können. Die Hannoveraner, die der Geschichte und der Entwicklung dieser Parteien fremd gegenüber standen, haben sich mit beiden memals recht befreunden können, und nur ganz besondre Zufällige Umstände waren es, die den Fortschrittlern einmal in einem Kreise einen Wahlsieg und zuweilen in andern nennenswerte Minoritäten ver¬ schafften. Die Ultramontanen in der Provinz, die anfangs nur als eine Spezies der Weisen erschienen, gingen auch nach der Bildung der Zentrums- p"reel mit deu Welsen wie diese mit jenen, ein Verhältnis, das bis auf die Gegenwart besteht und bekanntermaßen auch in den parlamentarischen Körper¬ schaften zum deutlichen Ausdrucke gelangt ist. Konservative von altprenßischer Art gab es, wie schon angedeutet worden ist. in der eingesessener Bevölkerung '"ehe; und selbst als gelegentlich einige aus dem Osten stammende hohe Ver- waltungsbeamte von beschränktem politischem Blicke den Versuch machten, ihre östlichen Ansichten und Überzeugungen unter den Provinzlern einzubürgern. f"nden sie dort nur geringes Verständnis und hatten daher auch nur geringe und vorübergehende Erfolge. Auch die Freikonservativen hatten in Hannover ^me eigentliche Partei hinter sich - es hat unsers Wissens dort nie einen sreikonservativen Verein gegeben dennoch sind vom Beginn der preußischen Herrschaft an in dem einen und andern Wahlkreise Abgeordnete gewählt worden, d-e ans ihrer freikonservativen, d. h. gouvernementalen Gesinnung kein Hehl wachten und von vornherein erklärten, daß sie sich einer Fraktion der Rechten anschließen würden. Die Wahlen geschahen mit Hilfe der Nationalliberalen. die nach einigem Schwanken und Zaudern, mit Rücksicht auf das Persönliche Ansehen der Kandidaten im Wahlkreise oder wegen besondrer lokaler Umstände, auf eigne Kandidaten Verzicht leisteten, um die nationalen Elemente nicht zu zersplittern. Selbst der damaligen altkonservativen Fraktion schloß sich der eine oder der andre dieser Gewählten - die fast ausschließlich Verwaltung-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/315>, abgerufen am 23.07.2024.