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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die hannoverschen Nationalliberalen

Anteil. Als sich im Oktober 1866 eine Anzahl Fortschrittler mit andern
preußischen Liberalen in Berlin zu einer neuen Partei vereinigten, die zwar
vor allem ihren liberalen Überlieferungen folgen, aber daneben die nationale
Entwicklung der durch den Krieg geschaffnen deutschen Verhältnisse Pflegen sollte,
fand das Programm dieser Partei, die sich zutreffend eine "nationalliberale"
Partei nannte, regen Beifall auch außerhalb des alten Preußens, in den
neuen Provinzen des Staates nicht minder als in den norddeutschen und
mitteldeutschen Kleinstaaten und selbst in Süddeutschland unter den Liberalen
der verschiedensten Schattirungen. Viele und angesehene Vertreter des "klein¬
deutschen" Gedankens hatten eingesehen, daß die feindselige Haltung, die die
liberale Welt in Deutschland gegen das Ministerium Bismarcks in dessen
Streit mit der Majorität des Abgeordnetenhauses einnahm, nach den Ereig¬
nissen des Sommers aufgegeben werden mußte. Wer von den Liberalen die
"preußische Spitze" in Deutschland wollte -- und diese wollten alle Anhänger
des erst im Jahre 1859 gegründeten Nationalvereins --, der konnte, nachdem
Preußen auf den Plan getreten'war, um das Ideal des Nationalvereins, ein
Deutschland unter preußischer Führung und mit einem Volksparlamente, zu
verwirklichen, der deutschen Politik des preußischen Ministerpräsidenten trotz
aller Mißbilligung seiner jüngsten innern Politik eine werkthätige Unterstützung
nicht versagen. Die preußische Fortschrittspartei, wie sie sich in der Konflikts¬
zeit entwickelt hatte, war wegen ihrer starrköpfigen Stellung zur Heeresreform,
wegen ihres immer mehr auf das Persönliche zugespitzten feindlichen Verhält¬
nisses zu den Mitgliedern der preußischen Staatsregierung, namentlich zu
Bismarck, und wegen ihrer wenig staatsmännischen Haltung in nichtpreußischen
Angelegenheiten außer Stande, einer deutschen Bewegung unter Preußens
Führung einen zuverlässigen, noch weniger einen den preußischen Staatsmännern
wünschenswerten Beistand zu bieten. Das war die Überzeugung der preußischen
Parlamentarier, die sich soeben von der Linken abgesondert hatten, und
diese Überzeugung wurde von vielen Liberalen durch ganz Deutschland geteilt.

Herr von Bennigsen war noch im Jahre 1866 Präsident des deutschen
Nationalvereins. Er war zugleich anerkannter Führer der hannoverschen Libe¬
ralen, ein lauterer und fester Charakter, bewährt im Kampfe gegen das Mini¬
sterium Borries, ein Mann von zweifellos liberaler Gesinnung und von großem
Ansehen wie von großer Beliebtheit außerhalb und innerhalb Hannovers, vor
allem unter seinen zahlreichen politischen Freunden, die sich uuter dem rück¬
schrittlichen Regimente der meisten Vundesstaaten zusammengefunden hatten.
Die neue Partei war für Herrn von Bennigsen und seine hannoversche, meist
dem Bürgerstande und den Kreisen der wohlhabenden Bauern angehörende
Gefolgschaft wie geschaffen. Herr von Bennigsen und die Seinigen hatten
Vertrauen zu der deutscheu und auswärtigen Politik Bismarcks, und sie ver¬
zweifelten nicht wie viele Fvrtschrittsmünner an einer Wendung der innern


Die hannoverschen Nationalliberalen

Anteil. Als sich im Oktober 1866 eine Anzahl Fortschrittler mit andern
preußischen Liberalen in Berlin zu einer neuen Partei vereinigten, die zwar
vor allem ihren liberalen Überlieferungen folgen, aber daneben die nationale
Entwicklung der durch den Krieg geschaffnen deutschen Verhältnisse Pflegen sollte,
fand das Programm dieser Partei, die sich zutreffend eine „nationalliberale"
Partei nannte, regen Beifall auch außerhalb des alten Preußens, in den
neuen Provinzen des Staates nicht minder als in den norddeutschen und
mitteldeutschen Kleinstaaten und selbst in Süddeutschland unter den Liberalen
der verschiedensten Schattirungen. Viele und angesehene Vertreter des „klein¬
deutschen" Gedankens hatten eingesehen, daß die feindselige Haltung, die die
liberale Welt in Deutschland gegen das Ministerium Bismarcks in dessen
Streit mit der Majorität des Abgeordnetenhauses einnahm, nach den Ereig¬
nissen des Sommers aufgegeben werden mußte. Wer von den Liberalen die
„preußische Spitze" in Deutschland wollte — und diese wollten alle Anhänger
des erst im Jahre 1859 gegründeten Nationalvereins —, der konnte, nachdem
Preußen auf den Plan getreten'war, um das Ideal des Nationalvereins, ein
Deutschland unter preußischer Führung und mit einem Volksparlamente, zu
verwirklichen, der deutschen Politik des preußischen Ministerpräsidenten trotz
aller Mißbilligung seiner jüngsten innern Politik eine werkthätige Unterstützung
nicht versagen. Die preußische Fortschrittspartei, wie sie sich in der Konflikts¬
zeit entwickelt hatte, war wegen ihrer starrköpfigen Stellung zur Heeresreform,
wegen ihres immer mehr auf das Persönliche zugespitzten feindlichen Verhält¬
nisses zu den Mitgliedern der preußischen Staatsregierung, namentlich zu
Bismarck, und wegen ihrer wenig staatsmännischen Haltung in nichtpreußischen
Angelegenheiten außer Stande, einer deutschen Bewegung unter Preußens
Führung einen zuverlässigen, noch weniger einen den preußischen Staatsmännern
wünschenswerten Beistand zu bieten. Das war die Überzeugung der preußischen
Parlamentarier, die sich soeben von der Linken abgesondert hatten, und
diese Überzeugung wurde von vielen Liberalen durch ganz Deutschland geteilt.

Herr von Bennigsen war noch im Jahre 1866 Präsident des deutschen
Nationalvereins. Er war zugleich anerkannter Führer der hannoverschen Libe¬
ralen, ein lauterer und fester Charakter, bewährt im Kampfe gegen das Mini¬
sterium Borries, ein Mann von zweifellos liberaler Gesinnung und von großem
Ansehen wie von großer Beliebtheit außerhalb und innerhalb Hannovers, vor
allem unter seinen zahlreichen politischen Freunden, die sich uuter dem rück¬
schrittlichen Regimente der meisten Vundesstaaten zusammengefunden hatten.
Die neue Partei war für Herrn von Bennigsen und seine hannoversche, meist
dem Bürgerstande und den Kreisen der wohlhabenden Bauern angehörende
Gefolgschaft wie geschaffen. Herr von Bennigsen und die Seinigen hatten
Vertrauen zu der deutscheu und auswärtigen Politik Bismarcks, und sie ver¬
zweifelten nicht wie viele Fvrtschrittsmünner an einer Wendung der innern


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[0314] Die hannoverschen Nationalliberalen Anteil. Als sich im Oktober 1866 eine Anzahl Fortschrittler mit andern preußischen Liberalen in Berlin zu einer neuen Partei vereinigten, die zwar vor allem ihren liberalen Überlieferungen folgen, aber daneben die nationale Entwicklung der durch den Krieg geschaffnen deutschen Verhältnisse Pflegen sollte, fand das Programm dieser Partei, die sich zutreffend eine „nationalliberale" Partei nannte, regen Beifall auch außerhalb des alten Preußens, in den neuen Provinzen des Staates nicht minder als in den norddeutschen und mitteldeutschen Kleinstaaten und selbst in Süddeutschland unter den Liberalen der verschiedensten Schattirungen. Viele und angesehene Vertreter des „klein¬ deutschen" Gedankens hatten eingesehen, daß die feindselige Haltung, die die liberale Welt in Deutschland gegen das Ministerium Bismarcks in dessen Streit mit der Majorität des Abgeordnetenhauses einnahm, nach den Ereig¬ nissen des Sommers aufgegeben werden mußte. Wer von den Liberalen die „preußische Spitze" in Deutschland wollte — und diese wollten alle Anhänger des erst im Jahre 1859 gegründeten Nationalvereins —, der konnte, nachdem Preußen auf den Plan getreten'war, um das Ideal des Nationalvereins, ein Deutschland unter preußischer Führung und mit einem Volksparlamente, zu verwirklichen, der deutschen Politik des preußischen Ministerpräsidenten trotz aller Mißbilligung seiner jüngsten innern Politik eine werkthätige Unterstützung nicht versagen. Die preußische Fortschrittspartei, wie sie sich in der Konflikts¬ zeit entwickelt hatte, war wegen ihrer starrköpfigen Stellung zur Heeresreform, wegen ihres immer mehr auf das Persönliche zugespitzten feindlichen Verhält¬ nisses zu den Mitgliedern der preußischen Staatsregierung, namentlich zu Bismarck, und wegen ihrer wenig staatsmännischen Haltung in nichtpreußischen Angelegenheiten außer Stande, einer deutschen Bewegung unter Preußens Führung einen zuverlässigen, noch weniger einen den preußischen Staatsmännern wünschenswerten Beistand zu bieten. Das war die Überzeugung der preußischen Parlamentarier, die sich soeben von der Linken abgesondert hatten, und diese Überzeugung wurde von vielen Liberalen durch ganz Deutschland geteilt. Herr von Bennigsen war noch im Jahre 1866 Präsident des deutschen Nationalvereins. Er war zugleich anerkannter Führer der hannoverschen Libe¬ ralen, ein lauterer und fester Charakter, bewährt im Kampfe gegen das Mini¬ sterium Borries, ein Mann von zweifellos liberaler Gesinnung und von großem Ansehen wie von großer Beliebtheit außerhalb und innerhalb Hannovers, vor allem unter seinen zahlreichen politischen Freunden, die sich uuter dem rück¬ schrittlichen Regimente der meisten Vundesstaaten zusammengefunden hatten. Die neue Partei war für Herrn von Bennigsen und seine hannoversche, meist dem Bürgerstande und den Kreisen der wohlhabenden Bauern angehörende Gefolgschaft wie geschaffen. Herr von Bennigsen und die Seinigen hatten Vertrauen zu der deutscheu und auswärtigen Politik Bismarcks, und sie ver¬ zweifelten nicht wie viele Fvrtschrittsmünner an einer Wendung der innern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/314>, abgerufen am 23.07.2024.