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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

nungslosesten Agrariern auf die Beine helfen. Der Verfasser des Romans
"Quitt!" steht auf den Schultern von Spielhagen und Sudermann. Wir
wollen ihm daraus keinen Vorwurf machen. Er mag im einzelnen Nachahmer
fein; aber seine Hauptfiguren hat er an demselben Urquell geschöpft wie seine
Vorgänger, mit denen er auch in der glänzenden Schilderungsweise, in der
Art, zu denken und zu empfinden, und in der schonungsloser Kritik des Adels
verwandt ist. Jener gemeinsame Urquell führt uns in den tiefen Schacht der
Heldensage, unmittelbar auf Siegfried und Brunhild, ans den Necken, der sich
die wehrhafte Maid durch seine überlegne Körperstürke unterthänig macht. In
unserm Zeitalter werden solche Kämpfe natürlich nur mit den Waffen des
Geistes und des Witzes ausgefochten, aber das letzte Ergebnis ist schließlich
dasselbe. Man kann über die rührende Geduld der deutschen Leser spotten,
die sich immer dieselbe Liebesgeschichte auftischen lassen, ohne ihrer überdrüssig
zu werden. Aber es ist immer leichter zu spotten als zu verstehen, ^chou
Tcicitus ist über die Stellung der germanischen Frauen in seiner Zeit
erstaunt gewesen. Im Gegensatz zu den leichtfertigen Römerinnen, deren
geistiger und sittlicher Gesichtskreis sich ungefähr mit dein der modernen
Pariserinnen deckte, waren sie den Männern, die sie nun einmal errungen
hatten, treue Gefährtinnen und Teilnehmerinnen an allen ihren Sorgen und
Gefahren. Im Mittelalter hat sich dieses Verhältnis zwischen dem germanischen
Manne und dem germanischen Weibe noch veredelt und verklärt, und es ist
so tief in das sittliche Bewußtsein unsers Volkes eingedrungen, daß eine Dich¬
tung, die im deutschen Volke Wurzeln fassen will, den Kampf zwischen Mann
"ut Weib bis zur völligen Abmessung ihrer Kräfte in den Vordergrund stellen
Muß. Es ist darum bezeichnend für den grundsätzlichen Unterschied zwischen
der französischen und der deutschen, vielleicht sogar zwischen der romanischen
und der germanischen Litteratur, daß in ersterer die Ehestands-, in letzterer
die Liebesromane überwiegen.

Der deutsche Leser und 'die deutsche Leserin, d. h. die echt deutschen, wie
wir sie uns vorstellen, die, die noch nicht durch die Lektüre der gallischen
Litteratur für Phryne und Genossinnen verdorben sind, sie haben immer einen
Hang zum Unerwartetem, zum Romantischen. Eine Liebesgeschichte ohne heftigen,
möglichst lang ausgesponnenen Kampf hat für sie nur ein müßiges Interesse.
Sie wollen ebenso gut dramatische Erregungen haben wie die Franzosen; aber
sie ziehen es vor, wenn aus den heftigsten Konflikten am Ende doch eine sanfte
Harmonie aufsteigt. Richard zur Megede ist -- aber nur in diesem einen
Punkte -- zu sehr Schüler seiner Meister, um von der Mode des Tages ab¬
zuweichen, die gerade einmal tragische Erregungen, bittere Schmerzgefühle statt
süßen Wohlbehagens braucht, nachdem Sudermann die Parole dazu aus¬
gegeben und in verschiednen Maskeraden vom Grafen Trask bis zu Johannes
dem Täufer wiederholt hat.


Neue Romane und Novellen

nungslosesten Agrariern auf die Beine helfen. Der Verfasser des Romans
„Quitt!" steht auf den Schultern von Spielhagen und Sudermann. Wir
wollen ihm daraus keinen Vorwurf machen. Er mag im einzelnen Nachahmer
fein; aber seine Hauptfiguren hat er an demselben Urquell geschöpft wie seine
Vorgänger, mit denen er auch in der glänzenden Schilderungsweise, in der
Art, zu denken und zu empfinden, und in der schonungsloser Kritik des Adels
verwandt ist. Jener gemeinsame Urquell führt uns in den tiefen Schacht der
Heldensage, unmittelbar auf Siegfried und Brunhild, ans den Necken, der sich
die wehrhafte Maid durch seine überlegne Körperstürke unterthänig macht. In
unserm Zeitalter werden solche Kämpfe natürlich nur mit den Waffen des
Geistes und des Witzes ausgefochten, aber das letzte Ergebnis ist schließlich
dasselbe. Man kann über die rührende Geduld der deutschen Leser spotten,
die sich immer dieselbe Liebesgeschichte auftischen lassen, ohne ihrer überdrüssig
zu werden. Aber es ist immer leichter zu spotten als zu verstehen, ^chou
Tcicitus ist über die Stellung der germanischen Frauen in seiner Zeit
erstaunt gewesen. Im Gegensatz zu den leichtfertigen Römerinnen, deren
geistiger und sittlicher Gesichtskreis sich ungefähr mit dein der modernen
Pariserinnen deckte, waren sie den Männern, die sie nun einmal errungen
hatten, treue Gefährtinnen und Teilnehmerinnen an allen ihren Sorgen und
Gefahren. Im Mittelalter hat sich dieses Verhältnis zwischen dem germanischen
Manne und dem germanischen Weibe noch veredelt und verklärt, und es ist
so tief in das sittliche Bewußtsein unsers Volkes eingedrungen, daß eine Dich¬
tung, die im deutschen Volke Wurzeln fassen will, den Kampf zwischen Mann
"ut Weib bis zur völligen Abmessung ihrer Kräfte in den Vordergrund stellen
Muß. Es ist darum bezeichnend für den grundsätzlichen Unterschied zwischen
der französischen und der deutschen, vielleicht sogar zwischen der romanischen
und der germanischen Litteratur, daß in ersterer die Ehestands-, in letzterer
die Liebesromane überwiegen.

Der deutsche Leser und 'die deutsche Leserin, d. h. die echt deutschen, wie
wir sie uns vorstellen, die, die noch nicht durch die Lektüre der gallischen
Litteratur für Phryne und Genossinnen verdorben sind, sie haben immer einen
Hang zum Unerwartetem, zum Romantischen. Eine Liebesgeschichte ohne heftigen,
möglichst lang ausgesponnenen Kampf hat für sie nur ein müßiges Interesse.
Sie wollen ebenso gut dramatische Erregungen haben wie die Franzosen; aber
sie ziehen es vor, wenn aus den heftigsten Konflikten am Ende doch eine sanfte
Harmonie aufsteigt. Richard zur Megede ist — aber nur in diesem einen
Punkte — zu sehr Schüler seiner Meister, um von der Mode des Tages ab¬
zuweichen, die gerade einmal tragische Erregungen, bittere Schmerzgefühle statt
süßen Wohlbehagens braucht, nachdem Sudermann die Parole dazu aus¬
gegeben und in verschiednen Maskeraden vom Grafen Trask bis zu Johannes
dem Täufer wiederholt hat.


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[0031] Neue Romane und Novellen nungslosesten Agrariern auf die Beine helfen. Der Verfasser des Romans „Quitt!" steht auf den Schultern von Spielhagen und Sudermann. Wir wollen ihm daraus keinen Vorwurf machen. Er mag im einzelnen Nachahmer fein; aber seine Hauptfiguren hat er an demselben Urquell geschöpft wie seine Vorgänger, mit denen er auch in der glänzenden Schilderungsweise, in der Art, zu denken und zu empfinden, und in der schonungsloser Kritik des Adels verwandt ist. Jener gemeinsame Urquell führt uns in den tiefen Schacht der Heldensage, unmittelbar auf Siegfried und Brunhild, ans den Necken, der sich die wehrhafte Maid durch seine überlegne Körperstürke unterthänig macht. In unserm Zeitalter werden solche Kämpfe natürlich nur mit den Waffen des Geistes und des Witzes ausgefochten, aber das letzte Ergebnis ist schließlich dasselbe. Man kann über die rührende Geduld der deutschen Leser spotten, die sich immer dieselbe Liebesgeschichte auftischen lassen, ohne ihrer überdrüssig zu werden. Aber es ist immer leichter zu spotten als zu verstehen, ^chou Tcicitus ist über die Stellung der germanischen Frauen in seiner Zeit erstaunt gewesen. Im Gegensatz zu den leichtfertigen Römerinnen, deren geistiger und sittlicher Gesichtskreis sich ungefähr mit dein der modernen Pariserinnen deckte, waren sie den Männern, die sie nun einmal errungen hatten, treue Gefährtinnen und Teilnehmerinnen an allen ihren Sorgen und Gefahren. Im Mittelalter hat sich dieses Verhältnis zwischen dem germanischen Manne und dem germanischen Weibe noch veredelt und verklärt, und es ist so tief in das sittliche Bewußtsein unsers Volkes eingedrungen, daß eine Dich¬ tung, die im deutschen Volke Wurzeln fassen will, den Kampf zwischen Mann "ut Weib bis zur völligen Abmessung ihrer Kräfte in den Vordergrund stellen Muß. Es ist darum bezeichnend für den grundsätzlichen Unterschied zwischen der französischen und der deutschen, vielleicht sogar zwischen der romanischen und der germanischen Litteratur, daß in ersterer die Ehestands-, in letzterer die Liebesromane überwiegen. Der deutsche Leser und 'die deutsche Leserin, d. h. die echt deutschen, wie wir sie uns vorstellen, die, die noch nicht durch die Lektüre der gallischen Litteratur für Phryne und Genossinnen verdorben sind, sie haben immer einen Hang zum Unerwartetem, zum Romantischen. Eine Liebesgeschichte ohne heftigen, möglichst lang ausgesponnenen Kampf hat für sie nur ein müßiges Interesse. Sie wollen ebenso gut dramatische Erregungen haben wie die Franzosen; aber sie ziehen es vor, wenn aus den heftigsten Konflikten am Ende doch eine sanfte Harmonie aufsteigt. Richard zur Megede ist — aber nur in diesem einen Punkte — zu sehr Schüler seiner Meister, um von der Mode des Tages ab¬ zuweichen, die gerade einmal tragische Erregungen, bittere Schmerzgefühle statt süßen Wohlbehagens braucht, nachdem Sudermann die Parole dazu aus¬ gegeben und in verschiednen Maskeraden vom Grafen Trask bis zu Johannes dem Täufer wiederholt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/31>, abgerufen am 23.07.2024.