Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Äidwestdeutsche Wanderungen Man nehme nur das Leben Johann Peter Hebels mit seinen innigen Be¬ Für den unbefangnen Betrachter hob sich gerade von dem Schweizer Der Vadenser hat ja auch sonst allerlei an dem Schweizer auszusetzen, Grenzboten II 1M8 M
Äidwestdeutsche Wanderungen Man nehme nur das Leben Johann Peter Hebels mit seinen innigen Be¬ Für den unbefangnen Betrachter hob sich gerade von dem Schweizer Der Vadenser hat ja auch sonst allerlei an dem Schweizer auszusetzen, Grenzboten II 1M8 M
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227941"/> <fw type="header" place="top"> Äidwestdeutsche Wanderungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_810" prev="#ID_809"> Man nehme nur das Leben Johann Peter Hebels mit seinen innigen Be¬<lb/> ziehungen zur Schweiz und seinem gewaltigen Einfluß aus die elsässische<lb/> Dialektlitteratur. Hebel ist der Vertreter des erwachenden alemannischen Ge-<lb/> meinbewußtseins. das sich allerdings sehr bald durch die politischen Grenzen<lb/> Deutschlands, Frankreichs, der Schweiz wieder trennen ließ. Indessen sind<lb/> die badisch-elsässischen Beziehungen noch bis 1870 in engen Kreisen sehr warm<lb/> geblieben; Familienbande, die seitdem zerrissen sind, waren bis dahin gepflegt<lb/> worden, und Straßburg war trotz der Zollschranken die alte Hauptstadt auch<lb/> für den gegenüberliegenden Teil von Baden. Der französirende Elsässer ver¬<lb/> spottete die Kleinstaaterei der benachbarten „Schwowe." aber der Bürger und<lb/> der Bauer des Elsaß hegten das lebhafte Gefühl der Verwandtschaft, das<lb/> sich erst von der Ensisheimer Gegend an auf Grund alter geschichtlicher Ver¬<lb/> bindungen mehr dem schweizerischen Alemannentume zuwandte.</p><lb/> <p xml:id="ID_811"> Für den unbefangnen Betrachter hob sich gerade von dem Schweizer<lb/> sowohl der badische wie der elsässische Alemanne durch die übereinstimmende<lb/> Eigenschaft einer gewissen Weichheit und Nachgiebigkeit ab, die den Eigensinn<lb/> der Einzelnen nicht ausschließt. Ob sich nun die kräftigern Leute des ale¬<lb/> mannischen Stammes in die Alpen gezogen haben, oder ob die Burgunder, deren<lb/> Neste man in der Westschweiz vermuten darf, ein besonders reckenhafter Stamm<lb/> gewesen sind, weiß niemand zu sagen. Vielleicht genügt aber zur Erklärung der<lb/> härtern, knochiger» Züge, die das Volk jenseits des Rheins und des Bodensees<lb/> merklich auszeichnen, die Einwirkung der den Körper und die Seele stählenden<lb/> Gebirgsluft und überhaupt der Ge'birgsnatur. Wer von den weichen Ober¬<lb/> deutschen in Bausch und Bogen redet, vergißt, daß an Kriegsruhm und Staats¬<lb/> sinn kein deutscher Staunn dem schweizerisch-alemannischen voransteht. Daran<lb/> ändert gar nichts die Neigung des Badensers. seinen freundnachbarlichen Spott<lb/> über die militärischen Bestrebungen der Schweizer auszugießen, die im ganzen<lb/> achtunggebietend sind, im einzelnen aber natürlich viel Lächerliches haben.<lb/> Seitdem indessen die schweizerische Miliz durch einsichtige und energische Führer<lb/> wesentlich nach deutschem Grundgedanken reformirt ist, sieht der benachbarte<lb/> Süddeutsche das Kriegswesen der Eidgenossen wieder mit günstigern Blick an.<lb/> Er erkennt mit alemannischer Billigkeit an. daß der Deutschschweizer doch ein<lb/> natürliches Talent zu strammen Auftreten hat. Daß der liederliche französische<lb/> Pumphosenschnitt aufgegeben ist. bedeutet nur eine Äußerlichkeit, aber die<lb/> Haltung hat entschieden dadurch schou gewonnen. Man sieht jetzt Schweizer<lb/> "> Uniform, die das „Herausdrücken" der Wade» versteh«, als hätten sie bei<lb/> der Garde in Berlin Parademarsch studiert.</p><lb/> <p xml:id="ID_812" next="#ID_813"> Der Vadenser hat ja auch sonst allerlei an dem Schweizer auszusetzen,<lb/> »ut umgekehrt. Und doch, wie eng hängen die Länder geschichtlich zusammen.<lb/> Man kann sagen, sie haben eine gemeinsame Geschichte von tausend Jahren<lb/> von den Römern an. Die Zühringer haben auf heute schweizerischem Boden<lb/> früher eine rühmliche Thätigkeit entfaltet als auf dem. wo das badische<lb/> Fürstenhaus ihnen entsprossen ist. Man braucht nur an die Bedeutung dieser<lb/> Dynastie in der Westschweiz zu erinnern, die sich in der Geschichte Beruf und<lb/> Freiburgs im Uechtland ausprägt. Ihre Stellung ist auf die Habsburger<lb/> "hergegangen, die sie nicht so glücklich zu wahren wußten. Kann man die<lb/> Geschichte von Glarus schreiben ohne die Säckingens, der alten klösterlichen<lb/> Schutzherrschaft und der Stadt des heiligen Fridolin? Von dem gemeinsam<lb/> alemannischen Grundstrom, der die Schweiz mit Oberdeutschland auch da»»</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1M8 M</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0305]
Äidwestdeutsche Wanderungen
Man nehme nur das Leben Johann Peter Hebels mit seinen innigen Be¬
ziehungen zur Schweiz und seinem gewaltigen Einfluß aus die elsässische
Dialektlitteratur. Hebel ist der Vertreter des erwachenden alemannischen Ge-
meinbewußtseins. das sich allerdings sehr bald durch die politischen Grenzen
Deutschlands, Frankreichs, der Schweiz wieder trennen ließ. Indessen sind
die badisch-elsässischen Beziehungen noch bis 1870 in engen Kreisen sehr warm
geblieben; Familienbande, die seitdem zerrissen sind, waren bis dahin gepflegt
worden, und Straßburg war trotz der Zollschranken die alte Hauptstadt auch
für den gegenüberliegenden Teil von Baden. Der französirende Elsässer ver¬
spottete die Kleinstaaterei der benachbarten „Schwowe." aber der Bürger und
der Bauer des Elsaß hegten das lebhafte Gefühl der Verwandtschaft, das
sich erst von der Ensisheimer Gegend an auf Grund alter geschichtlicher Ver¬
bindungen mehr dem schweizerischen Alemannentume zuwandte.
Für den unbefangnen Betrachter hob sich gerade von dem Schweizer
sowohl der badische wie der elsässische Alemanne durch die übereinstimmende
Eigenschaft einer gewissen Weichheit und Nachgiebigkeit ab, die den Eigensinn
der Einzelnen nicht ausschließt. Ob sich nun die kräftigern Leute des ale¬
mannischen Stammes in die Alpen gezogen haben, oder ob die Burgunder, deren
Neste man in der Westschweiz vermuten darf, ein besonders reckenhafter Stamm
gewesen sind, weiß niemand zu sagen. Vielleicht genügt aber zur Erklärung der
härtern, knochiger» Züge, die das Volk jenseits des Rheins und des Bodensees
merklich auszeichnen, die Einwirkung der den Körper und die Seele stählenden
Gebirgsluft und überhaupt der Ge'birgsnatur. Wer von den weichen Ober¬
deutschen in Bausch und Bogen redet, vergißt, daß an Kriegsruhm und Staats¬
sinn kein deutscher Staunn dem schweizerisch-alemannischen voransteht. Daran
ändert gar nichts die Neigung des Badensers. seinen freundnachbarlichen Spott
über die militärischen Bestrebungen der Schweizer auszugießen, die im ganzen
achtunggebietend sind, im einzelnen aber natürlich viel Lächerliches haben.
Seitdem indessen die schweizerische Miliz durch einsichtige und energische Führer
wesentlich nach deutschem Grundgedanken reformirt ist, sieht der benachbarte
Süddeutsche das Kriegswesen der Eidgenossen wieder mit günstigern Blick an.
Er erkennt mit alemannischer Billigkeit an. daß der Deutschschweizer doch ein
natürliches Talent zu strammen Auftreten hat. Daß der liederliche französische
Pumphosenschnitt aufgegeben ist. bedeutet nur eine Äußerlichkeit, aber die
Haltung hat entschieden dadurch schou gewonnen. Man sieht jetzt Schweizer
"> Uniform, die das „Herausdrücken" der Wade» versteh«, als hätten sie bei
der Garde in Berlin Parademarsch studiert.
Der Vadenser hat ja auch sonst allerlei an dem Schweizer auszusetzen,
»ut umgekehrt. Und doch, wie eng hängen die Länder geschichtlich zusammen.
Man kann sagen, sie haben eine gemeinsame Geschichte von tausend Jahren
von den Römern an. Die Zühringer haben auf heute schweizerischem Boden
früher eine rühmliche Thätigkeit entfaltet als auf dem. wo das badische
Fürstenhaus ihnen entsprossen ist. Man braucht nur an die Bedeutung dieser
Dynastie in der Westschweiz zu erinnern, die sich in der Geschichte Beruf und
Freiburgs im Uechtland ausprägt. Ihre Stellung ist auf die Habsburger
"hergegangen, die sie nicht so glücklich zu wahren wußten. Kann man die
Geschichte von Glarus schreiben ohne die Säckingens, der alten klösterlichen
Schutzherrschaft und der Stadt des heiligen Fridolin? Von dem gemeinsam
alemannischen Grundstrom, der die Schweiz mit Oberdeutschland auch da»»
Grenzboten II 1M8 M
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |