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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Südwestdeutsche Wanderungen

er geniale Verfasser der "Geschichte der Sage," der viel zu früh
verstorbne Julius Braun, pflegte sein badisches Ländle das Reich
der Mitte zu nennen. Er, Badenser dnrch Geburt und auch von
Humor, kannte sehr gut die stolze Selbstzufriedenheit und das
warme Behagen seiner zwischen Rhein und Schwarzwald so schön
warm gebetteten Landsleute. Er legte aber seinem Scherz einen
tiefern Gedanken unter: Baden ist im räumlichen Sinne wirklich ein Land der
Mitte. Zwischen der Schweiz und dem Elsaß, der Pfalz und Württemberg,
sich im Nordosten bei Wertheim und Prozelten mit dem bayrischen Franken,
an der obern Donau mit Hohenzollern-Preußen berührend und endlich im Süd¬
osten noch durch den Bodensee mit Österreich verbunden, steht es den aller-
verschiedensten und entlegensten Einflüssen offen. Neulich wurde Baden in
einer altbayrischen Zeitung als das "Probirlandl" von Deutschland bezeichnet,
wozu die überaufgeklärte Bureaukratie es gemacht haben sollte. Lange vor
der Bureaukratie hat die Natur selbst Baden zum Probirlandl gemacht. Denn
so wie es in Badens Lage geschrieben steht, daß auf dem Schwarzwald alpine
und an den heißen Geländen des Rheinthals südfranzösische Pflanzen wachsen, oder
daß der Wein von Durbach mehr an den Elsässer, der Bauländer an den
Württemberger und der feurige Gerlachsheimer an den Frankenwein erinnert,
so fliegen den offnen Köpfen in diesem offnen Lande hier französische und
dort schweizerische Ideen an, und in diesem Winkel herrschen Würzburger und
ü> jenem Heilbrouner Einflüsse vor. Wenn dies nun auch leider gar nicht
selten zu dem Ergebnis geführt hat, daß der von allen Seiten befruchtete
Volksgeist einem Acker glich, in dessen Saaten von allen Himmelsgenden Samen
blühenden Unkrauts verweht wird, so hat es doch zu der Art von Bildung
beigetragen, die, nach dem badischen Ausdruck, den Mann gewürfelt macht.
Nicht umsonst trägt der Rhein seine grüngrauer Fluten durch die ganze Länge
des Landes, wobei er an beiden Ufern die reichsten Sammlungen alpiner Ge¬
steine in endlosen Kiesbänken ablagert. Einst wurden die abgeschliffnen Berg-
krhstalle, die "Nheinkiesel," bald wasserklar, bald gelblich und rötlich, als Halb¬
edelsteine wert gehalten. Heute haben sie sehr an Schätzung verloren. Auch das
Gold des Rheines wird kaum mehr gewaschen, seitdem der Tagelohn das doppelte
und dreifache des durchschnittlichen Ertrages einer mühsamen Tagesarbeit mit
dem Waschtrog beträgt. Mitte der fünfziger Jahre, als Handel und Wandel
darniederlagen, lohnte es sich noch, einen Verdienst von vierundzwanzig Kreuzern
zu erwaschen. Damals prägte die Karlsruher Münze noch die schönen hell¬
gelben Dukaten aus Rheingold, die heute nur noch der Sammler sieht, und


Grenzboten II 1898 87


Südwestdeutsche Wanderungen

er geniale Verfasser der „Geschichte der Sage," der viel zu früh
verstorbne Julius Braun, pflegte sein badisches Ländle das Reich
der Mitte zu nennen. Er, Badenser dnrch Geburt und auch von
Humor, kannte sehr gut die stolze Selbstzufriedenheit und das
warme Behagen seiner zwischen Rhein und Schwarzwald so schön
warm gebetteten Landsleute. Er legte aber seinem Scherz einen
tiefern Gedanken unter: Baden ist im räumlichen Sinne wirklich ein Land der
Mitte. Zwischen der Schweiz und dem Elsaß, der Pfalz und Württemberg,
sich im Nordosten bei Wertheim und Prozelten mit dem bayrischen Franken,
an der obern Donau mit Hohenzollern-Preußen berührend und endlich im Süd¬
osten noch durch den Bodensee mit Österreich verbunden, steht es den aller-
verschiedensten und entlegensten Einflüssen offen. Neulich wurde Baden in
einer altbayrischen Zeitung als das „Probirlandl" von Deutschland bezeichnet,
wozu die überaufgeklärte Bureaukratie es gemacht haben sollte. Lange vor
der Bureaukratie hat die Natur selbst Baden zum Probirlandl gemacht. Denn
so wie es in Badens Lage geschrieben steht, daß auf dem Schwarzwald alpine
und an den heißen Geländen des Rheinthals südfranzösische Pflanzen wachsen, oder
daß der Wein von Durbach mehr an den Elsässer, der Bauländer an den
Württemberger und der feurige Gerlachsheimer an den Frankenwein erinnert,
so fliegen den offnen Köpfen in diesem offnen Lande hier französische und
dort schweizerische Ideen an, und in diesem Winkel herrschen Würzburger und
ü> jenem Heilbrouner Einflüsse vor. Wenn dies nun auch leider gar nicht
selten zu dem Ergebnis geführt hat, daß der von allen Seiten befruchtete
Volksgeist einem Acker glich, in dessen Saaten von allen Himmelsgenden Samen
blühenden Unkrauts verweht wird, so hat es doch zu der Art von Bildung
beigetragen, die, nach dem badischen Ausdruck, den Mann gewürfelt macht.
Nicht umsonst trägt der Rhein seine grüngrauer Fluten durch die ganze Länge
des Landes, wobei er an beiden Ufern die reichsten Sammlungen alpiner Ge¬
steine in endlosen Kiesbänken ablagert. Einst wurden die abgeschliffnen Berg-
krhstalle, die „Nheinkiesel," bald wasserklar, bald gelblich und rötlich, als Halb¬
edelsteine wert gehalten. Heute haben sie sehr an Schätzung verloren. Auch das
Gold des Rheines wird kaum mehr gewaschen, seitdem der Tagelohn das doppelte
und dreifache des durchschnittlichen Ertrages einer mühsamen Tagesarbeit mit
dem Waschtrog beträgt. Mitte der fünfziger Jahre, als Handel und Wandel
darniederlagen, lohnte es sich noch, einen Verdienst von vierundzwanzig Kreuzern
zu erwaschen. Damals prägte die Karlsruher Münze noch die schönen hell¬
gelben Dukaten aus Rheingold, die heute nur noch der Sammler sieht, und


Grenzboten II 1898 87
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[0297] [Abbildung] Südwestdeutsche Wanderungen er geniale Verfasser der „Geschichte der Sage," der viel zu früh verstorbne Julius Braun, pflegte sein badisches Ländle das Reich der Mitte zu nennen. Er, Badenser dnrch Geburt und auch von Humor, kannte sehr gut die stolze Selbstzufriedenheit und das warme Behagen seiner zwischen Rhein und Schwarzwald so schön warm gebetteten Landsleute. Er legte aber seinem Scherz einen tiefern Gedanken unter: Baden ist im räumlichen Sinne wirklich ein Land der Mitte. Zwischen der Schweiz und dem Elsaß, der Pfalz und Württemberg, sich im Nordosten bei Wertheim und Prozelten mit dem bayrischen Franken, an der obern Donau mit Hohenzollern-Preußen berührend und endlich im Süd¬ osten noch durch den Bodensee mit Österreich verbunden, steht es den aller- verschiedensten und entlegensten Einflüssen offen. Neulich wurde Baden in einer altbayrischen Zeitung als das „Probirlandl" von Deutschland bezeichnet, wozu die überaufgeklärte Bureaukratie es gemacht haben sollte. Lange vor der Bureaukratie hat die Natur selbst Baden zum Probirlandl gemacht. Denn so wie es in Badens Lage geschrieben steht, daß auf dem Schwarzwald alpine und an den heißen Geländen des Rheinthals südfranzösische Pflanzen wachsen, oder daß der Wein von Durbach mehr an den Elsässer, der Bauländer an den Württemberger und der feurige Gerlachsheimer an den Frankenwein erinnert, so fliegen den offnen Köpfen in diesem offnen Lande hier französische und dort schweizerische Ideen an, und in diesem Winkel herrschen Würzburger und ü> jenem Heilbrouner Einflüsse vor. Wenn dies nun auch leider gar nicht selten zu dem Ergebnis geführt hat, daß der von allen Seiten befruchtete Volksgeist einem Acker glich, in dessen Saaten von allen Himmelsgenden Samen blühenden Unkrauts verweht wird, so hat es doch zu der Art von Bildung beigetragen, die, nach dem badischen Ausdruck, den Mann gewürfelt macht. Nicht umsonst trägt der Rhein seine grüngrauer Fluten durch die ganze Länge des Landes, wobei er an beiden Ufern die reichsten Sammlungen alpiner Ge¬ steine in endlosen Kiesbänken ablagert. Einst wurden die abgeschliffnen Berg- krhstalle, die „Nheinkiesel," bald wasserklar, bald gelblich und rötlich, als Halb¬ edelsteine wert gehalten. Heute haben sie sehr an Schätzung verloren. Auch das Gold des Rheines wird kaum mehr gewaschen, seitdem der Tagelohn das doppelte und dreifache des durchschnittlichen Ertrages einer mühsamen Tagesarbeit mit dem Waschtrog beträgt. Mitte der fünfziger Jahre, als Handel und Wandel darniederlagen, lohnte es sich noch, einen Verdienst von vierundzwanzig Kreuzern zu erwaschen. Damals prägte die Karlsruher Münze noch die schönen hell¬ gelben Dukaten aus Rheingold, die heute nur noch der Sammler sieht, und Grenzboten II 1898 87

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/297>, abgerufen am 23.07.2024.