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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Nietzsche

der allgemeinen oder besondern Gemeinschaft so gut wie völlig aussterben
und nur in einer verschwindenden Anzahl von Fällen vertragsmäßige Fest¬
setzung finden werden. Häufiger wird sich ein Bedürfnis zur Vereinbarung
der Gütertrennung ergeben. Für alle Eheverträge einer längern Übergangszeit
ist im Reichstage Gebührenfreiheit gefordert worden; daß dies nicht durch¬
gedrungen ist, ist zu billigen. Selbstverständlich dürfen finanzielle Rücksichten
bei einer solchen Frage keine Rolle spielen; wenn aber das Recht die Ver-
mögensverhältnisse der Eheleute in einer Weise regelt, die nicht allein dem
Nutzen beider Ehegatten gerecht wird und den Anschauungen des weit über¬
wiegenden Teiles des Volkes entspricht, sondern auch in ganz beträchtlichem
Maße dem öffentlichen Interesse dient, so ist es wohl Fug und Recht des
Staates, auf den sanften Zwang zur Unterwerfung unter das Eherecht nicht
zu verzichten, den die Rücksicht auf die Kosten eines Ehevertrags ausübt. Es
sührt dies dazu, die Ausschließung des gesetzlichen Güterrechts auf die Fülle
zu beschränken, wo sie nicht auf willkürlicher Laune oder vorübergehender
Modeansicht beruht, sondern durch ein wirkliches wirtschaftliches Bedürfnis
gefordert wird.




Friedrich Nietzsche
Lark Jentsch von 2

ietzsche ist also der moderne Mikrokosmus im strengsten und zu¬
gleich umfangreichsten Sinne des Wortes. Wenn ich nun in
dieser kleinen Welt einen Orientirungsversuch unternehme, so
versteht es sich bei ihrem Reichtum von selbst, daß er in dem
hier zugemessenen Raume sehr unvollständig und, wenn man
will, fehlerhaft ausfallen muß, da ja jede unvollständige Abbildung eines
Gegenstands ein in mancher Beziehung falsches Bild ergiebt, weshalb ich anch
allem, was vou Verehrern wie von Gegnern Nietzsches gegen meine Dar¬
stellung und Beleuchtung einiger seiner Ansichten gesagt werden wird, im voraus
Recht gebe.

Nietzsche war Philologe, und so bildete denn das Helleuentum die Pforte,
durch die er in das Reich der wissenschaftlichen Welterkenntnis eintrat. Er
war schon mit vierzehn Jahren tüchtiger Klavierspieler und Komponist gewesen,


Friedrich Nietzsche

der allgemeinen oder besondern Gemeinschaft so gut wie völlig aussterben
und nur in einer verschwindenden Anzahl von Fällen vertragsmäßige Fest¬
setzung finden werden. Häufiger wird sich ein Bedürfnis zur Vereinbarung
der Gütertrennung ergeben. Für alle Eheverträge einer längern Übergangszeit
ist im Reichstage Gebührenfreiheit gefordert worden; daß dies nicht durch¬
gedrungen ist, ist zu billigen. Selbstverständlich dürfen finanzielle Rücksichten
bei einer solchen Frage keine Rolle spielen; wenn aber das Recht die Ver-
mögensverhältnisse der Eheleute in einer Weise regelt, die nicht allein dem
Nutzen beider Ehegatten gerecht wird und den Anschauungen des weit über¬
wiegenden Teiles des Volkes entspricht, sondern auch in ganz beträchtlichem
Maße dem öffentlichen Interesse dient, so ist es wohl Fug und Recht des
Staates, auf den sanften Zwang zur Unterwerfung unter das Eherecht nicht
zu verzichten, den die Rücksicht auf die Kosten eines Ehevertrags ausübt. Es
sührt dies dazu, die Ausschließung des gesetzlichen Güterrechts auf die Fülle
zu beschränken, wo sie nicht auf willkürlicher Laune oder vorübergehender
Modeansicht beruht, sondern durch ein wirkliches wirtschaftliches Bedürfnis
gefordert wird.




Friedrich Nietzsche
Lark Jentsch von 2

ietzsche ist also der moderne Mikrokosmus im strengsten und zu¬
gleich umfangreichsten Sinne des Wortes. Wenn ich nun in
dieser kleinen Welt einen Orientirungsversuch unternehme, so
versteht es sich bei ihrem Reichtum von selbst, daß er in dem
hier zugemessenen Raume sehr unvollständig und, wenn man
will, fehlerhaft ausfallen muß, da ja jede unvollständige Abbildung eines
Gegenstands ein in mancher Beziehung falsches Bild ergiebt, weshalb ich anch
allem, was vou Verehrern wie von Gegnern Nietzsches gegen meine Dar¬
stellung und Beleuchtung einiger seiner Ansichten gesagt werden wird, im voraus
Recht gebe.

Nietzsche war Philologe, und so bildete denn das Helleuentum die Pforte,
durch die er in das Reich der wissenschaftlichen Welterkenntnis eintrat. Er
war schon mit vierzehn Jahren tüchtiger Klavierspieler und Komponist gewesen,


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[0284] Friedrich Nietzsche der allgemeinen oder besondern Gemeinschaft so gut wie völlig aussterben und nur in einer verschwindenden Anzahl von Fällen vertragsmäßige Fest¬ setzung finden werden. Häufiger wird sich ein Bedürfnis zur Vereinbarung der Gütertrennung ergeben. Für alle Eheverträge einer längern Übergangszeit ist im Reichstage Gebührenfreiheit gefordert worden; daß dies nicht durch¬ gedrungen ist, ist zu billigen. Selbstverständlich dürfen finanzielle Rücksichten bei einer solchen Frage keine Rolle spielen; wenn aber das Recht die Ver- mögensverhältnisse der Eheleute in einer Weise regelt, die nicht allein dem Nutzen beider Ehegatten gerecht wird und den Anschauungen des weit über¬ wiegenden Teiles des Volkes entspricht, sondern auch in ganz beträchtlichem Maße dem öffentlichen Interesse dient, so ist es wohl Fug und Recht des Staates, auf den sanften Zwang zur Unterwerfung unter das Eherecht nicht zu verzichten, den die Rücksicht auf die Kosten eines Ehevertrags ausübt. Es sührt dies dazu, die Ausschließung des gesetzlichen Güterrechts auf die Fülle zu beschränken, wo sie nicht auf willkürlicher Laune oder vorübergehender Modeansicht beruht, sondern durch ein wirkliches wirtschaftliches Bedürfnis gefordert wird. Friedrich Nietzsche Lark Jentsch von 2 ietzsche ist also der moderne Mikrokosmus im strengsten und zu¬ gleich umfangreichsten Sinne des Wortes. Wenn ich nun in dieser kleinen Welt einen Orientirungsversuch unternehme, so versteht es sich bei ihrem Reichtum von selbst, daß er in dem hier zugemessenen Raume sehr unvollständig und, wenn man will, fehlerhaft ausfallen muß, da ja jede unvollständige Abbildung eines Gegenstands ein in mancher Beziehung falsches Bild ergiebt, weshalb ich anch allem, was vou Verehrern wie von Gegnern Nietzsches gegen meine Dar¬ stellung und Beleuchtung einiger seiner Ansichten gesagt werden wird, im voraus Recht gebe. Nietzsche war Philologe, und so bildete denn das Helleuentum die Pforte, durch die er in das Reich der wissenschaftlichen Welterkenntnis eintrat. Er war schon mit vierzehn Jahren tüchtiger Klavierspieler und Komponist gewesen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/284>, abgerufen am 27.12.2024.