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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

sich in dieser Frage jemals um einen Prioritätsstreit handeln, so gebührt
Friedrich von Gagern unbedingt der Vorrang. Wir lernen daraus die Haltung
der Brüder in den Vorgängen von 1848 verstehen, begreifen aber auch, warum
die Wendung so rasch erfolgte, nachdem der führende Geist hinweggenommen
war. Besonders betont muß werden, daß bei Friedrich von Gagerns so ent-
schiedner Stellungnahme keine gemütlich bestochne Vorliebe für das Haus
Hohenzollern oder Preußen in Frage kam, da ihn die Tradition seiner Familie
wie die Ideen und Wünsche seiner Jugend nach Österreich hinlenkten, sondern
daß er lediglich durch eigne Gedankenarbeit und durch die Überwindung wider¬
strebender Einflüsse zu dem Resultat gelangte, Preußen sei als ausschlaggebende
Macht für die einheitliche Gestaltung Deutschlands zu betrachten und für Öster¬
reich bloß ein weiteres Bündnisverhältnis in Aussicht zu nehmen. Diese klare
politische Einsicht in das Wesen der dentschen Dinge schon in jenen Tagen
darf billig in Erstaunen setzen. Sicher hat Friedrich von Gagern in diesem
Punkte, wenn auch keinen Widerspruch, so doch nie die Zustimmung seines
Vaters gefunden, denn dieser beharrte bei seiner Vorliebe für die Mittelstaaten
und in zweiter Linie für Österreich. Aber der Sohn hielt an seinem Stand¬
punkt sest und schrieb noch Ende 1347, wo die Bewegung des folgenden
Jahres nicht einmal zu ahnen war, an den Bruder Heinrich: "Hoffnungen,
Wünsche, Zuneigung schweben in der Luft, eine rss nuUws, die auf den wartet,
der sie sich zueignen will. Preußen kann und muß sie gewinnen, weil Ehrgeiz
die Bedingung seiner Existenz ist." Dabei hatte er keine große Meinung von
der Energie König Friedrich Wilhelms IV. Die Brüder folgten ihm, so lange
er lebte.

Es würde unangebracht sein, weiter auf die politischen Schriften Friedrichs
von Gagern einzugehen, sie auch nur nach ihrem Inhalt aufzuzählen. Nur
eines Gegenstands sei hier noch gedacht, bei dem schlagend die Auffassungs¬
weise des jüngern aufstrebenden Politikers gegenüber der veralteten Anschauung
des Vaters hervortritt. Als Hans Christoph von Gagern aus dem Bundes¬
tage ausschied, sah er, wohl in Hinblick auf den nachteiligen Einfluß des wetter¬
wendischen Paris, in einer "alles verzehrenden Hauptstadt" ein Unglück für
Deutschland. Wenige Jahre darnach schrieb der Sohn kurz und bestimmt:
"Wir müssen eine Haupstadt anerkennen, weil wir sonst auf die Einheit ver¬
zichten müssen," und etwas später: "Läge Berlin oder Wien am Main, es
würde schon lange der Krystallisationspunkt politischer Einheit geworden sein.
Eine Hauptstadt ist für uns der feste Punkt des Archimedes, auf dem der
Hebel ruhen muß." Aus Zweckmäßigkeitsgründen war er allerdings bei dem
Ausbruch der deutschen Bewegung dafür, daß sich die deutsche Nationalver¬
sammlung "womöglich nicht in Berlin" versammeln müsse, doch war das keine
Abweichung von seiner ursprünglichen Ansicht. Im Juni 1344, kurz vor seiner
Abreise nach Indien, hatte er noch seinem Bruder Max erklärt: "Schafft einen


General Friedrich von Gagern

sich in dieser Frage jemals um einen Prioritätsstreit handeln, so gebührt
Friedrich von Gagern unbedingt der Vorrang. Wir lernen daraus die Haltung
der Brüder in den Vorgängen von 1848 verstehen, begreifen aber auch, warum
die Wendung so rasch erfolgte, nachdem der führende Geist hinweggenommen
war. Besonders betont muß werden, daß bei Friedrich von Gagerns so ent-
schiedner Stellungnahme keine gemütlich bestochne Vorliebe für das Haus
Hohenzollern oder Preußen in Frage kam, da ihn die Tradition seiner Familie
wie die Ideen und Wünsche seiner Jugend nach Österreich hinlenkten, sondern
daß er lediglich durch eigne Gedankenarbeit und durch die Überwindung wider¬
strebender Einflüsse zu dem Resultat gelangte, Preußen sei als ausschlaggebende
Macht für die einheitliche Gestaltung Deutschlands zu betrachten und für Öster¬
reich bloß ein weiteres Bündnisverhältnis in Aussicht zu nehmen. Diese klare
politische Einsicht in das Wesen der dentschen Dinge schon in jenen Tagen
darf billig in Erstaunen setzen. Sicher hat Friedrich von Gagern in diesem
Punkte, wenn auch keinen Widerspruch, so doch nie die Zustimmung seines
Vaters gefunden, denn dieser beharrte bei seiner Vorliebe für die Mittelstaaten
und in zweiter Linie für Österreich. Aber der Sohn hielt an seinem Stand¬
punkt sest und schrieb noch Ende 1347, wo die Bewegung des folgenden
Jahres nicht einmal zu ahnen war, an den Bruder Heinrich: „Hoffnungen,
Wünsche, Zuneigung schweben in der Luft, eine rss nuUws, die auf den wartet,
der sie sich zueignen will. Preußen kann und muß sie gewinnen, weil Ehrgeiz
die Bedingung seiner Existenz ist." Dabei hatte er keine große Meinung von
der Energie König Friedrich Wilhelms IV. Die Brüder folgten ihm, so lange
er lebte.

Es würde unangebracht sein, weiter auf die politischen Schriften Friedrichs
von Gagern einzugehen, sie auch nur nach ihrem Inhalt aufzuzählen. Nur
eines Gegenstands sei hier noch gedacht, bei dem schlagend die Auffassungs¬
weise des jüngern aufstrebenden Politikers gegenüber der veralteten Anschauung
des Vaters hervortritt. Als Hans Christoph von Gagern aus dem Bundes¬
tage ausschied, sah er, wohl in Hinblick auf den nachteiligen Einfluß des wetter¬
wendischen Paris, in einer „alles verzehrenden Hauptstadt" ein Unglück für
Deutschland. Wenige Jahre darnach schrieb der Sohn kurz und bestimmt:
„Wir müssen eine Haupstadt anerkennen, weil wir sonst auf die Einheit ver¬
zichten müssen," und etwas später: „Läge Berlin oder Wien am Main, es
würde schon lange der Krystallisationspunkt politischer Einheit geworden sein.
Eine Hauptstadt ist für uns der feste Punkt des Archimedes, auf dem der
Hebel ruhen muß." Aus Zweckmäßigkeitsgründen war er allerdings bei dem
Ausbruch der deutschen Bewegung dafür, daß sich die deutsche Nationalver¬
sammlung „womöglich nicht in Berlin" versammeln müsse, doch war das keine
Abweichung von seiner ursprünglichen Ansicht. Im Juni 1344, kurz vor seiner
Abreise nach Indien, hatte er noch seinem Bruder Max erklärt: „Schafft einen


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[0272] General Friedrich von Gagern sich in dieser Frage jemals um einen Prioritätsstreit handeln, so gebührt Friedrich von Gagern unbedingt der Vorrang. Wir lernen daraus die Haltung der Brüder in den Vorgängen von 1848 verstehen, begreifen aber auch, warum die Wendung so rasch erfolgte, nachdem der führende Geist hinweggenommen war. Besonders betont muß werden, daß bei Friedrich von Gagerns so ent- schiedner Stellungnahme keine gemütlich bestochne Vorliebe für das Haus Hohenzollern oder Preußen in Frage kam, da ihn die Tradition seiner Familie wie die Ideen und Wünsche seiner Jugend nach Österreich hinlenkten, sondern daß er lediglich durch eigne Gedankenarbeit und durch die Überwindung wider¬ strebender Einflüsse zu dem Resultat gelangte, Preußen sei als ausschlaggebende Macht für die einheitliche Gestaltung Deutschlands zu betrachten und für Öster¬ reich bloß ein weiteres Bündnisverhältnis in Aussicht zu nehmen. Diese klare politische Einsicht in das Wesen der dentschen Dinge schon in jenen Tagen darf billig in Erstaunen setzen. Sicher hat Friedrich von Gagern in diesem Punkte, wenn auch keinen Widerspruch, so doch nie die Zustimmung seines Vaters gefunden, denn dieser beharrte bei seiner Vorliebe für die Mittelstaaten und in zweiter Linie für Österreich. Aber der Sohn hielt an seinem Stand¬ punkt sest und schrieb noch Ende 1347, wo die Bewegung des folgenden Jahres nicht einmal zu ahnen war, an den Bruder Heinrich: „Hoffnungen, Wünsche, Zuneigung schweben in der Luft, eine rss nuUws, die auf den wartet, der sie sich zueignen will. Preußen kann und muß sie gewinnen, weil Ehrgeiz die Bedingung seiner Existenz ist." Dabei hatte er keine große Meinung von der Energie König Friedrich Wilhelms IV. Die Brüder folgten ihm, so lange er lebte. Es würde unangebracht sein, weiter auf die politischen Schriften Friedrichs von Gagern einzugehen, sie auch nur nach ihrem Inhalt aufzuzählen. Nur eines Gegenstands sei hier noch gedacht, bei dem schlagend die Auffassungs¬ weise des jüngern aufstrebenden Politikers gegenüber der veralteten Anschauung des Vaters hervortritt. Als Hans Christoph von Gagern aus dem Bundes¬ tage ausschied, sah er, wohl in Hinblick auf den nachteiligen Einfluß des wetter¬ wendischen Paris, in einer „alles verzehrenden Hauptstadt" ein Unglück für Deutschland. Wenige Jahre darnach schrieb der Sohn kurz und bestimmt: „Wir müssen eine Haupstadt anerkennen, weil wir sonst auf die Einheit ver¬ zichten müssen," und etwas später: „Läge Berlin oder Wien am Main, es würde schon lange der Krystallisationspunkt politischer Einheit geworden sein. Eine Hauptstadt ist für uns der feste Punkt des Archimedes, auf dem der Hebel ruhen muß." Aus Zweckmäßigkeitsgründen war er allerdings bei dem Ausbruch der deutschen Bewegung dafür, daß sich die deutsche Nationalver¬ sammlung „womöglich nicht in Berlin" versammeln müsse, doch war das keine Abweichung von seiner ursprünglichen Ansicht. Im Juni 1344, kurz vor seiner Abreise nach Indien, hatte er noch seinem Bruder Max erklärt: „Schafft einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/272>, abgerufen am 23.07.2024.