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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

Verstand sich ohnehin, denn mehr empfangend als gebend stand der Vater früh
schon der überlegnen Klarheit dieses groß angelegten Kopfes gegenüber. Der
vierte Sohn, Max, trat schon 1843 (nicht erst nach 1848, wie im Lexikon
steht) zum Katholizismus und ging noch später ins ultramontane Lager über.

Überhaupt wußte sich der Vater, als echter Sprößling der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts, in seiner Gutmütigkeit mit den großen Gegensätzen
des Lebens nicht besser abzufinden, als indem er versuchte, das Unversöhnliche
zu versöhnen; und so trieb der unermüdliche Mann nur zu oft in eine all¬
bereite Vielgeschäftigkeit hinein und spielte nicht selten, zum Unbehagen des
feinfühligen ältesten Sohnes, die Rolle des ungerufnen Ratgebers. Aber diese
Schwächen traten weit zurück hinter dem unerschöpflichen väterlichen Wohl¬
wollen und der stets von edler Sittlichkeit durchwehten geistigen Regsamkeit.
So konnte es nicht ausbleiben, daß ihm die Familie mit inniger Liebe anhing;
Friedrich von Gagern schreibt als Fünfzigjähriger in seinem "indischen Tage¬
buche" über den Vater: "Die Eigenheiten, in denen er sich schon mit vierzig
Jahren gefiel, wird er mit achtzig nicht ablegen, aber bewundernswürdig bleibt
die Frische seines Geistes, die Wärme und Energie, die Harmonie und der
gehaltene Ton durch ein so langes Leben" -- und er sagt an andrer Stelle
über Lord Hardinge, den damaligen Generalgouvemeur von Indien: "Es ist
nicht möglich, einen artigern, einfachern, offnem und liebenswürdigem Greis
zu finden als ihn -- wenn ich meinen Vater ausnehme!" Auch die Mutter
war eine hochgesinnte, sich ganz dem Wohlergehen der Familie hingebende
deutsche Frau. Was Wunder, wenn dem Sohne in der Fremde der Aufent¬
halt in Hornau bei jedem Urlaub als Glanzpunkt seines pflichtgetreuen, an
Ereignissen wie an Auszeichnungen nicht kargen Lebens erschien. Zog ihn doch
alles nach der Heimat, zum Wirken für sein Vaterland.

Friedrich war als Hauptmann im Generalstab in die neugeschaffne nieder¬
ländische Armee eingetreten, focht 1814 neben den Preußen in Holland, kämpfte
bei Waterloo mit und wurde uach dein Frieden dem Vater, der Luxemburg
beim Bundestage vertrat, attachirt, hatte aber in Frankfurt so wenig zu thun,
daß er gleichzeitig, wie sein Bruder Heinrich, in Heidelberg seine Studien fort¬
setzte. Im Dezember 1816 kehrte er nach den Niederlanden zurück und war
als Generalstabsoffizier namentlich an der großen Landesvermessung beteiligt.
Im Jahre 1824 wurde er der Bundesmilitärkoinmission in Frankfurt zugeteilt,
1826 wurde er zum Major befördert und dann bis 1830 als Generalstcibs-
vfsizier innerhalb der belgischen Provinzen verwandt. Nach dem Ausbruch
der belgischen Revolution wurde er Chef des Generalstabes beim Herzog
Bernhard von Weimar; es folgten die kriegerischen Vorgänge, die Ende dieses
Jahres mit der Räumung Belgiens ihren voreiligen Abschluß fanden, und
dann im August 1831 der zehntägige, für die niederländischen Waffen höchst
ehrenvolle, aber durch das Einschreiten Englands und Frankreichs unterbrochne


General Friedrich von Gagern

Verstand sich ohnehin, denn mehr empfangend als gebend stand der Vater früh
schon der überlegnen Klarheit dieses groß angelegten Kopfes gegenüber. Der
vierte Sohn, Max, trat schon 1843 (nicht erst nach 1848, wie im Lexikon
steht) zum Katholizismus und ging noch später ins ultramontane Lager über.

Überhaupt wußte sich der Vater, als echter Sprößling der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts, in seiner Gutmütigkeit mit den großen Gegensätzen
des Lebens nicht besser abzufinden, als indem er versuchte, das Unversöhnliche
zu versöhnen; und so trieb der unermüdliche Mann nur zu oft in eine all¬
bereite Vielgeschäftigkeit hinein und spielte nicht selten, zum Unbehagen des
feinfühligen ältesten Sohnes, die Rolle des ungerufnen Ratgebers. Aber diese
Schwächen traten weit zurück hinter dem unerschöpflichen väterlichen Wohl¬
wollen und der stets von edler Sittlichkeit durchwehten geistigen Regsamkeit.
So konnte es nicht ausbleiben, daß ihm die Familie mit inniger Liebe anhing;
Friedrich von Gagern schreibt als Fünfzigjähriger in seinem „indischen Tage¬
buche" über den Vater: „Die Eigenheiten, in denen er sich schon mit vierzig
Jahren gefiel, wird er mit achtzig nicht ablegen, aber bewundernswürdig bleibt
die Frische seines Geistes, die Wärme und Energie, die Harmonie und der
gehaltene Ton durch ein so langes Leben" — und er sagt an andrer Stelle
über Lord Hardinge, den damaligen Generalgouvemeur von Indien: „Es ist
nicht möglich, einen artigern, einfachern, offnem und liebenswürdigem Greis
zu finden als ihn — wenn ich meinen Vater ausnehme!" Auch die Mutter
war eine hochgesinnte, sich ganz dem Wohlergehen der Familie hingebende
deutsche Frau. Was Wunder, wenn dem Sohne in der Fremde der Aufent¬
halt in Hornau bei jedem Urlaub als Glanzpunkt seines pflichtgetreuen, an
Ereignissen wie an Auszeichnungen nicht kargen Lebens erschien. Zog ihn doch
alles nach der Heimat, zum Wirken für sein Vaterland.

Friedrich war als Hauptmann im Generalstab in die neugeschaffne nieder¬
ländische Armee eingetreten, focht 1814 neben den Preußen in Holland, kämpfte
bei Waterloo mit und wurde uach dein Frieden dem Vater, der Luxemburg
beim Bundestage vertrat, attachirt, hatte aber in Frankfurt so wenig zu thun,
daß er gleichzeitig, wie sein Bruder Heinrich, in Heidelberg seine Studien fort¬
setzte. Im Dezember 1816 kehrte er nach den Niederlanden zurück und war
als Generalstabsoffizier namentlich an der großen Landesvermessung beteiligt.
Im Jahre 1824 wurde er der Bundesmilitärkoinmission in Frankfurt zugeteilt,
1826 wurde er zum Major befördert und dann bis 1830 als Generalstcibs-
vfsizier innerhalb der belgischen Provinzen verwandt. Nach dem Ausbruch
der belgischen Revolution wurde er Chef des Generalstabes beim Herzog
Bernhard von Weimar; es folgten die kriegerischen Vorgänge, die Ende dieses
Jahres mit der Räumung Belgiens ihren voreiligen Abschluß fanden, und
dann im August 1831 der zehntägige, für die niederländischen Waffen höchst
ehrenvolle, aber durch das Einschreiten Englands und Frankreichs unterbrochne


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[0269] General Friedrich von Gagern Verstand sich ohnehin, denn mehr empfangend als gebend stand der Vater früh schon der überlegnen Klarheit dieses groß angelegten Kopfes gegenüber. Der vierte Sohn, Max, trat schon 1843 (nicht erst nach 1848, wie im Lexikon steht) zum Katholizismus und ging noch später ins ultramontane Lager über. Überhaupt wußte sich der Vater, als echter Sprößling der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in seiner Gutmütigkeit mit den großen Gegensätzen des Lebens nicht besser abzufinden, als indem er versuchte, das Unversöhnliche zu versöhnen; und so trieb der unermüdliche Mann nur zu oft in eine all¬ bereite Vielgeschäftigkeit hinein und spielte nicht selten, zum Unbehagen des feinfühligen ältesten Sohnes, die Rolle des ungerufnen Ratgebers. Aber diese Schwächen traten weit zurück hinter dem unerschöpflichen väterlichen Wohl¬ wollen und der stets von edler Sittlichkeit durchwehten geistigen Regsamkeit. So konnte es nicht ausbleiben, daß ihm die Familie mit inniger Liebe anhing; Friedrich von Gagern schreibt als Fünfzigjähriger in seinem „indischen Tage¬ buche" über den Vater: „Die Eigenheiten, in denen er sich schon mit vierzig Jahren gefiel, wird er mit achtzig nicht ablegen, aber bewundernswürdig bleibt die Frische seines Geistes, die Wärme und Energie, die Harmonie und der gehaltene Ton durch ein so langes Leben" — und er sagt an andrer Stelle über Lord Hardinge, den damaligen Generalgouvemeur von Indien: „Es ist nicht möglich, einen artigern, einfachern, offnem und liebenswürdigem Greis zu finden als ihn — wenn ich meinen Vater ausnehme!" Auch die Mutter war eine hochgesinnte, sich ganz dem Wohlergehen der Familie hingebende deutsche Frau. Was Wunder, wenn dem Sohne in der Fremde der Aufent¬ halt in Hornau bei jedem Urlaub als Glanzpunkt seines pflichtgetreuen, an Ereignissen wie an Auszeichnungen nicht kargen Lebens erschien. Zog ihn doch alles nach der Heimat, zum Wirken für sein Vaterland. Friedrich war als Hauptmann im Generalstab in die neugeschaffne nieder¬ ländische Armee eingetreten, focht 1814 neben den Preußen in Holland, kämpfte bei Waterloo mit und wurde uach dein Frieden dem Vater, der Luxemburg beim Bundestage vertrat, attachirt, hatte aber in Frankfurt so wenig zu thun, daß er gleichzeitig, wie sein Bruder Heinrich, in Heidelberg seine Studien fort¬ setzte. Im Dezember 1816 kehrte er nach den Niederlanden zurück und war als Generalstabsoffizier namentlich an der großen Landesvermessung beteiligt. Im Jahre 1824 wurde er der Bundesmilitärkoinmission in Frankfurt zugeteilt, 1826 wurde er zum Major befördert und dann bis 1830 als Generalstcibs- vfsizier innerhalb der belgischen Provinzen verwandt. Nach dem Ausbruch der belgischen Revolution wurde er Chef des Generalstabes beim Herzog Bernhard von Weimar; es folgten die kriegerischen Vorgänge, die Ende dieses Jahres mit der Räumung Belgiens ihren voreiligen Abschluß fanden, und dann im August 1831 der zehntägige, für die niederländischen Waffen höchst ehrenvolle, aber durch das Einschreiten Englands und Frankreichs unterbrochne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/269>, abgerufen am 23.07.2024.