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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

mit seinen Ansichten nur die Täuschungen der meisten seiner Zeitgenossen. Nie
war ihm vergönnt gewesen, in einem wirklichen Staate die harte Schule der
Politik zu durchlaufen und eine ernste Verantwortlichkeit zu tragen. So blieb
er immer ein kleinstaatlicher Politiker; daraus erwuchs auch seine Vorliebe sür
die Mittelstaaten, der unverwüstliche Glaube an den loyalen Sinn der deutschen
Bundesfürsten. Sein vager Idealismus dehnte den Begriff des Vaterlands
weit über seine politischen Grenzen aus, bis zum Texel und zum Genfersee.
So ließ er auch den geliebtesten und begabtesten seiner Söhne in holländische
Dienste treten, ohne zu ahnen, daß er ihn in die Fremde schicke. Er sah in
den Niederlanden wohl nicht einen "Bundesgenossen," aber einen "Vundes-
verwandten," der in die deutsche "Gesamtmacht" eintreten müsse, was ja auch
für das Großherzogtum Luxemburg bewerkstelligt wurde. Die künstliche
Schöpfung hielt bloß fünfzehn Jahre vor, darnach fiel Belgien davon ab.
Aber neben so großer Verworrenheit in nationalen Fragen berührt es bei dem
alten Gagern doch wohlthuend, daß er schon im Herbst 1813 Elsaß und
Lothringen für Deutschland zurückverlangte, sich mit andern Staatsmännern
für die Rückführung der geraubten Kunstschätze aus den napoleonischen Museen
bemühte und schließlich der erste war, der -- schon im April 1818 -- der
von Metternich gewollten "Epuration" des Bundestags zum Opfer fiel, weil
er einem redlichen Ausbau der Bundesverfassung das Wort redete.

Hans Christoph zog sich nach dem bescheidnen Gute Hornau im Taunus
in der Nähe von Soden, am Fuß des Staufen zurück, das er 1818 gekauft
hatte, und das seit 1322 der ständige Wohnsitz der Familie wurde. Es war
ein schönes Bild deutschen Lebens, das sich dort entwickelte. Lebte ein Sinn,
wie der des alten Reichsritters, in vielen unsrer deutschen Familien, so stünde
es anders um unser Volk. Das gastliche Haus war der Mittelpunkt eines
überaus angeregten geselligen Lebens. Er gab den Söhnen die eiceronianische
Losung: (ÄvssÄts röinpubliög.in (Widmet euch der Sache des Vaterlands) und
schärfte ihnen sein: Lxg.rta,in naotus Sö, nemo sxvrng. fort und fort ein. War
der Vater der Typus des leichtgebauten, geschmeidigen, sanguinischen Rhein¬
franken, so schien sein Ältester mehr nach dem rügenschen Stamme geartet zu
sein, er war von hoher Statur, breiter Brust, mit stämmigen Unterbau und
kräftigem Gange. Kraft war das vorherrschende Gepräge der breiten, offnen
Stirn und des tiefen, ruhigen Auges; der Ausdruck der Züge war freundlich
ernst, gewinnend und vertrauenerweckend. Talleyrand hatte freilich an dem
zwölfjährigen Knaben den eng-ters as g'Moos vermißt, aber dafür zeichnete diesen
während seines ganzen Lebens deutsche Gediegenheit aus. Abgesehen von dem
tiefen Ernst, die Söhne für das Vaterland zu erziehen, ließ der Vater ihnen
volle Freiheit der Entwicklung. Ob auch diplomatische Freunde ihn an seinen
makellosen Namen und zur Strenge mahnten, durfte doch Heinrich unbehelligt
seine liberalen Wege gehen. Daß der Alte seinen Liebling Fritz nicht störte,


General Friedrich von Gagern

mit seinen Ansichten nur die Täuschungen der meisten seiner Zeitgenossen. Nie
war ihm vergönnt gewesen, in einem wirklichen Staate die harte Schule der
Politik zu durchlaufen und eine ernste Verantwortlichkeit zu tragen. So blieb
er immer ein kleinstaatlicher Politiker; daraus erwuchs auch seine Vorliebe sür
die Mittelstaaten, der unverwüstliche Glaube an den loyalen Sinn der deutschen
Bundesfürsten. Sein vager Idealismus dehnte den Begriff des Vaterlands
weit über seine politischen Grenzen aus, bis zum Texel und zum Genfersee.
So ließ er auch den geliebtesten und begabtesten seiner Söhne in holländische
Dienste treten, ohne zu ahnen, daß er ihn in die Fremde schicke. Er sah in
den Niederlanden wohl nicht einen „Bundesgenossen," aber einen „Vundes-
verwandten," der in die deutsche „Gesamtmacht" eintreten müsse, was ja auch
für das Großherzogtum Luxemburg bewerkstelligt wurde. Die künstliche
Schöpfung hielt bloß fünfzehn Jahre vor, darnach fiel Belgien davon ab.
Aber neben so großer Verworrenheit in nationalen Fragen berührt es bei dem
alten Gagern doch wohlthuend, daß er schon im Herbst 1813 Elsaß und
Lothringen für Deutschland zurückverlangte, sich mit andern Staatsmännern
für die Rückführung der geraubten Kunstschätze aus den napoleonischen Museen
bemühte und schließlich der erste war, der — schon im April 1818 — der
von Metternich gewollten „Epuration" des Bundestags zum Opfer fiel, weil
er einem redlichen Ausbau der Bundesverfassung das Wort redete.

Hans Christoph zog sich nach dem bescheidnen Gute Hornau im Taunus
in der Nähe von Soden, am Fuß des Staufen zurück, das er 1818 gekauft
hatte, und das seit 1322 der ständige Wohnsitz der Familie wurde. Es war
ein schönes Bild deutschen Lebens, das sich dort entwickelte. Lebte ein Sinn,
wie der des alten Reichsritters, in vielen unsrer deutschen Familien, so stünde
es anders um unser Volk. Das gastliche Haus war der Mittelpunkt eines
überaus angeregten geselligen Lebens. Er gab den Söhnen die eiceronianische
Losung: (ÄvssÄts röinpubliög.in (Widmet euch der Sache des Vaterlands) und
schärfte ihnen sein: Lxg.rta,in naotus Sö, nemo sxvrng. fort und fort ein. War
der Vater der Typus des leichtgebauten, geschmeidigen, sanguinischen Rhein¬
franken, so schien sein Ältester mehr nach dem rügenschen Stamme geartet zu
sein, er war von hoher Statur, breiter Brust, mit stämmigen Unterbau und
kräftigem Gange. Kraft war das vorherrschende Gepräge der breiten, offnen
Stirn und des tiefen, ruhigen Auges; der Ausdruck der Züge war freundlich
ernst, gewinnend und vertrauenerweckend. Talleyrand hatte freilich an dem
zwölfjährigen Knaben den eng-ters as g'Moos vermißt, aber dafür zeichnete diesen
während seines ganzen Lebens deutsche Gediegenheit aus. Abgesehen von dem
tiefen Ernst, die Söhne für das Vaterland zu erziehen, ließ der Vater ihnen
volle Freiheit der Entwicklung. Ob auch diplomatische Freunde ihn an seinen
makellosen Namen und zur Strenge mahnten, durfte doch Heinrich unbehelligt
seine liberalen Wege gehen. Daß der Alte seinen Liebling Fritz nicht störte,


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[0268] General Friedrich von Gagern mit seinen Ansichten nur die Täuschungen der meisten seiner Zeitgenossen. Nie war ihm vergönnt gewesen, in einem wirklichen Staate die harte Schule der Politik zu durchlaufen und eine ernste Verantwortlichkeit zu tragen. So blieb er immer ein kleinstaatlicher Politiker; daraus erwuchs auch seine Vorliebe sür die Mittelstaaten, der unverwüstliche Glaube an den loyalen Sinn der deutschen Bundesfürsten. Sein vager Idealismus dehnte den Begriff des Vaterlands weit über seine politischen Grenzen aus, bis zum Texel und zum Genfersee. So ließ er auch den geliebtesten und begabtesten seiner Söhne in holländische Dienste treten, ohne zu ahnen, daß er ihn in die Fremde schicke. Er sah in den Niederlanden wohl nicht einen „Bundesgenossen," aber einen „Vundes- verwandten," der in die deutsche „Gesamtmacht" eintreten müsse, was ja auch für das Großherzogtum Luxemburg bewerkstelligt wurde. Die künstliche Schöpfung hielt bloß fünfzehn Jahre vor, darnach fiel Belgien davon ab. Aber neben so großer Verworrenheit in nationalen Fragen berührt es bei dem alten Gagern doch wohlthuend, daß er schon im Herbst 1813 Elsaß und Lothringen für Deutschland zurückverlangte, sich mit andern Staatsmännern für die Rückführung der geraubten Kunstschätze aus den napoleonischen Museen bemühte und schließlich der erste war, der — schon im April 1818 — der von Metternich gewollten „Epuration" des Bundestags zum Opfer fiel, weil er einem redlichen Ausbau der Bundesverfassung das Wort redete. Hans Christoph zog sich nach dem bescheidnen Gute Hornau im Taunus in der Nähe von Soden, am Fuß des Staufen zurück, das er 1818 gekauft hatte, und das seit 1322 der ständige Wohnsitz der Familie wurde. Es war ein schönes Bild deutschen Lebens, das sich dort entwickelte. Lebte ein Sinn, wie der des alten Reichsritters, in vielen unsrer deutschen Familien, so stünde es anders um unser Volk. Das gastliche Haus war der Mittelpunkt eines überaus angeregten geselligen Lebens. Er gab den Söhnen die eiceronianische Losung: (ÄvssÄts röinpubliög.in (Widmet euch der Sache des Vaterlands) und schärfte ihnen sein: Lxg.rta,in naotus Sö, nemo sxvrng. fort und fort ein. War der Vater der Typus des leichtgebauten, geschmeidigen, sanguinischen Rhein¬ franken, so schien sein Ältester mehr nach dem rügenschen Stamme geartet zu sein, er war von hoher Statur, breiter Brust, mit stämmigen Unterbau und kräftigem Gange. Kraft war das vorherrschende Gepräge der breiten, offnen Stirn und des tiefen, ruhigen Auges; der Ausdruck der Züge war freundlich ernst, gewinnend und vertrauenerweckend. Talleyrand hatte freilich an dem zwölfjährigen Knaben den eng-ters as g'Moos vermißt, aber dafür zeichnete diesen während seines ganzen Lebens deutsche Gediegenheit aus. Abgesehen von dem tiefen Ernst, die Söhne für das Vaterland zu erziehen, ließ der Vater ihnen volle Freiheit der Entwicklung. Ob auch diplomatische Freunde ihn an seinen makellosen Namen und zur Strenge mahnten, durfte doch Heinrich unbehelligt seine liberalen Wege gehen. Daß der Alte seinen Liebling Fritz nicht störte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/268>, abgerufen am 23.07.2024.