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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Joseph Chamberlain

Die Schwierigkeiten des Födcrationsplans haben wir schon berührt. Sie
liegen in der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein britischer
Zollverein mit Freihandel zwischen den Mitgliedern bessert die Kolonien nicht,
da bei allen Fortschritten andrer Staaten, besonders Deutschlands und der Ver¬
einigten Staaten, die Hauptmasse der Einfuhr doch aus England kommt.
Bevor daher die Kolonien nicht auch industriell auf eignen Füßen stehen,
werden sie sich schwerlich für Freihandel erwärmen, sondern an ihren Zöllen
festhalten.

Eine Beratung kolonialer Staatsmänner, die Chamberlain bei Gelegenheit
des Jubiläums der Königin veranlaßte, kam nur zu dem Schlüsse, daß Föde¬
ration wünschenswert sei, zu praktischen Vorschlägen gelangte sie nicht. Einzig
Kanada erklärte sich bereit, nach Kündigung der die Meistbegünstigungsklausel
enthaltenden Handelsverträge mit Deutschland und Belgien, das Mutterland
im Zolltarif gelinder zu behandeln. An Freihandel jedoch denkt Kanada nicht.
Wenns an die Tasche geht, sind die Kolonien sehr zugeknöpft. Ebenso ge¬
ringen Eindruck machte die Jubiläumsbegeisterung in der Frage der gemein¬
samen Verteidigung. Bisher hatte nur Australien etwas gethan. Groß war
daher die Freude, als es laut wurde, die Kapkolonie habe das Mutterland mit
einem Schiffe, nicht einem kleinen Torpedoboote, sondern mit einem aus¬
gewachsenen Schlachtschiffe zum Preise von einer Million Pfund Sterling be¬
schenkt. Das Lob der Kapkolonie wurde in allen Tonarten gesungen, und alle
Welt erwartete, die übrigen Kolonien würden sofort in gleicher Weise ihren
Patriotismus beweisen. Doch keine frohe Botschaft kam von jenseits des großen
Wassers, und die heiße Freude wurde auf den Gefrierpunkt hinabgedrückt, als
von Kapstadt die nüchterne Nachricht einlief, daß die Kapregierung und das
Kapparlament von einem Schlachtschiffe nichts wüßten. Der gute Sir Gordon
Spriggs hatte in der Weinlaune den Mund etwas zu voll genommen, und
Goschen, der das Geschenk ankündigte, hatte die Weisheit der alten Germanen
vergessen, die als1i,v6rg,ut> cluin tivZsrs nosoiuQt, oonstituunt, äuirr "zrrArs mein
xossunt,. Die Herren am Kap, denen die Rinderpest die Gebelaune durchaus
nicht erhöht hat, halten sich durch die Versprechungen ihres Premierministers
nicht für gebunden. Wir fürchten, auf absehbare Zeit ist ein wesentlicher
Fortschritt in der Verwirklichung des Föderationsgedankens nicht anzunehmen,
und der Lorbeer des Gründers des britischen Zoll- und Kriegsvereins wird
Chamberlains Schläfe nicht kränzen.

Bessern Erfolg hatte Chamberlain mit dem zweiten Teile seines Pro¬
gramms, dem Bestreben, möglichst große Strecken auf der Landkarte rot anzu¬
malen. Im Nigergebiete folgt eine Expedition auf die andre, um den Fran¬
zosen den Rang abzulaufen. Ein Negerkönig nach dem andern wird mit eng¬
lischen Flinten von der Schändlichkeit der Menschenopfer und dem Segen der
Zivilisation, sowie der Preiswürdigkeit baumwollner Jacken und Beinkleider


Joseph Chamberlain

Die Schwierigkeiten des Födcrationsplans haben wir schon berührt. Sie
liegen in der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein britischer
Zollverein mit Freihandel zwischen den Mitgliedern bessert die Kolonien nicht,
da bei allen Fortschritten andrer Staaten, besonders Deutschlands und der Ver¬
einigten Staaten, die Hauptmasse der Einfuhr doch aus England kommt.
Bevor daher die Kolonien nicht auch industriell auf eignen Füßen stehen,
werden sie sich schwerlich für Freihandel erwärmen, sondern an ihren Zöllen
festhalten.

Eine Beratung kolonialer Staatsmänner, die Chamberlain bei Gelegenheit
des Jubiläums der Königin veranlaßte, kam nur zu dem Schlüsse, daß Föde¬
ration wünschenswert sei, zu praktischen Vorschlägen gelangte sie nicht. Einzig
Kanada erklärte sich bereit, nach Kündigung der die Meistbegünstigungsklausel
enthaltenden Handelsverträge mit Deutschland und Belgien, das Mutterland
im Zolltarif gelinder zu behandeln. An Freihandel jedoch denkt Kanada nicht.
Wenns an die Tasche geht, sind die Kolonien sehr zugeknöpft. Ebenso ge¬
ringen Eindruck machte die Jubiläumsbegeisterung in der Frage der gemein¬
samen Verteidigung. Bisher hatte nur Australien etwas gethan. Groß war
daher die Freude, als es laut wurde, die Kapkolonie habe das Mutterland mit
einem Schiffe, nicht einem kleinen Torpedoboote, sondern mit einem aus¬
gewachsenen Schlachtschiffe zum Preise von einer Million Pfund Sterling be¬
schenkt. Das Lob der Kapkolonie wurde in allen Tonarten gesungen, und alle
Welt erwartete, die übrigen Kolonien würden sofort in gleicher Weise ihren
Patriotismus beweisen. Doch keine frohe Botschaft kam von jenseits des großen
Wassers, und die heiße Freude wurde auf den Gefrierpunkt hinabgedrückt, als
von Kapstadt die nüchterne Nachricht einlief, daß die Kapregierung und das
Kapparlament von einem Schlachtschiffe nichts wüßten. Der gute Sir Gordon
Spriggs hatte in der Weinlaune den Mund etwas zu voll genommen, und
Goschen, der das Geschenk ankündigte, hatte die Weisheit der alten Germanen
vergessen, die als1i,v6rg,ut> cluin tivZsrs nosoiuQt, oonstituunt, äuirr «zrrArs mein
xossunt,. Die Herren am Kap, denen die Rinderpest die Gebelaune durchaus
nicht erhöht hat, halten sich durch die Versprechungen ihres Premierministers
nicht für gebunden. Wir fürchten, auf absehbare Zeit ist ein wesentlicher
Fortschritt in der Verwirklichung des Föderationsgedankens nicht anzunehmen,
und der Lorbeer des Gründers des britischen Zoll- und Kriegsvereins wird
Chamberlains Schläfe nicht kränzen.

Bessern Erfolg hatte Chamberlain mit dem zweiten Teile seines Pro¬
gramms, dem Bestreben, möglichst große Strecken auf der Landkarte rot anzu¬
malen. Im Nigergebiete folgt eine Expedition auf die andre, um den Fran¬
zosen den Rang abzulaufen. Ein Negerkönig nach dem andern wird mit eng¬
lischen Flinten von der Schändlichkeit der Menschenopfer und dem Segen der
Zivilisation, sowie der Preiswürdigkeit baumwollner Jacken und Beinkleider


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[0240] Joseph Chamberlain Die Schwierigkeiten des Födcrationsplans haben wir schon berührt. Sie liegen in der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein britischer Zollverein mit Freihandel zwischen den Mitgliedern bessert die Kolonien nicht, da bei allen Fortschritten andrer Staaten, besonders Deutschlands und der Ver¬ einigten Staaten, die Hauptmasse der Einfuhr doch aus England kommt. Bevor daher die Kolonien nicht auch industriell auf eignen Füßen stehen, werden sie sich schwerlich für Freihandel erwärmen, sondern an ihren Zöllen festhalten. Eine Beratung kolonialer Staatsmänner, die Chamberlain bei Gelegenheit des Jubiläums der Königin veranlaßte, kam nur zu dem Schlüsse, daß Föde¬ ration wünschenswert sei, zu praktischen Vorschlägen gelangte sie nicht. Einzig Kanada erklärte sich bereit, nach Kündigung der die Meistbegünstigungsklausel enthaltenden Handelsverträge mit Deutschland und Belgien, das Mutterland im Zolltarif gelinder zu behandeln. An Freihandel jedoch denkt Kanada nicht. Wenns an die Tasche geht, sind die Kolonien sehr zugeknöpft. Ebenso ge¬ ringen Eindruck machte die Jubiläumsbegeisterung in der Frage der gemein¬ samen Verteidigung. Bisher hatte nur Australien etwas gethan. Groß war daher die Freude, als es laut wurde, die Kapkolonie habe das Mutterland mit einem Schiffe, nicht einem kleinen Torpedoboote, sondern mit einem aus¬ gewachsenen Schlachtschiffe zum Preise von einer Million Pfund Sterling be¬ schenkt. Das Lob der Kapkolonie wurde in allen Tonarten gesungen, und alle Welt erwartete, die übrigen Kolonien würden sofort in gleicher Weise ihren Patriotismus beweisen. Doch keine frohe Botschaft kam von jenseits des großen Wassers, und die heiße Freude wurde auf den Gefrierpunkt hinabgedrückt, als von Kapstadt die nüchterne Nachricht einlief, daß die Kapregierung und das Kapparlament von einem Schlachtschiffe nichts wüßten. Der gute Sir Gordon Spriggs hatte in der Weinlaune den Mund etwas zu voll genommen, und Goschen, der das Geschenk ankündigte, hatte die Weisheit der alten Germanen vergessen, die als1i,v6rg,ut> cluin tivZsrs nosoiuQt, oonstituunt, äuirr «zrrArs mein xossunt,. Die Herren am Kap, denen die Rinderpest die Gebelaune durchaus nicht erhöht hat, halten sich durch die Versprechungen ihres Premierministers nicht für gebunden. Wir fürchten, auf absehbare Zeit ist ein wesentlicher Fortschritt in der Verwirklichung des Föderationsgedankens nicht anzunehmen, und der Lorbeer des Gründers des britischen Zoll- und Kriegsvereins wird Chamberlains Schläfe nicht kränzen. Bessern Erfolg hatte Chamberlain mit dem zweiten Teile seines Pro¬ gramms, dem Bestreben, möglichst große Strecken auf der Landkarte rot anzu¬ malen. Im Nigergebiete folgt eine Expedition auf die andre, um den Fran¬ zosen den Rang abzulaufen. Ein Negerkönig nach dem andern wird mit eng¬ lischen Flinten von der Schändlichkeit der Menschenopfer und dem Segen der Zivilisation, sowie der Preiswürdigkeit baumwollner Jacken und Beinkleider

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/240>, abgerufen am 28.12.2024.