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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Joseph Lhamberlain

Hand, ja er fand sie fast radikaler, als er selbst war. Endlich war die Auf¬
hebung des Schulgelds ein großes Zugeständnis, das ihm die Regierung
machte. Alles in allem trug das Abkommen der beiden "monistischen Parteien
gute Früchte und hätte wohl mehr Anerkennung bei den Wählern verdient,
als ihm zuteil wurde.

Doch eine große Anzahl der weisen Wähler weiß nie, zu welcher Seite
sie eigentlich gehört, und Pflegt gewöhnlich im Sinne eines Regierungswechsels
zu stimmen. Die allgemeinen Wahlen von 1892 brachten daher den alten
Gladstone wieder ins Amt mit einer nur durch die irischen Parteien erreichten
Mehrheit von zweiundvierzig Sitzen, wodurch er mehr denn je zum Sklaven
der Iren wurde. Daß an irgend welche heilsame Gesetzgebung nicht zu denken
war, lag auf der Hand, daß Homerule für Irland nicht erreicht werden konnte,
war ebenso offenkundig. Trotzdem preßte Gladstone eine Homerulevorlage
durch das Unterhaus, nur um sie vom Oberhause mit erdrückender Mehrheit
verworfen zu sehen. Andre radikale Maßregeln hatten ein gleiches Schicksal,
und eine Agitation gegen das Hans der Lords wollte nicht in Gang kommen,
weil die Masse der öffentlichen Meinung in England kein Vertrauen zu Glad-
stones gewagten Versuchen hatte und sich auf die Seite der Lords stellte. Auch
als Gladstone vom öffentlichen Leben zurücktrat, war der Erfolg nicht größer,
und die Schwäche der liberalen Regierung vermehrte sich unter Rosebery noch
dadurch, daß die Radikalen, die nach dem Ausscheiden der Whigs die Oberhand
in der Partei hatten, einem Lord an der Spitze der Geschäfte abgeneigt waren.
Unrühmlich und arm an Ergebnissen endete die Amtszeit der Liberalen im
Jahre 1895.

Bis zu diesem Zeitpunkte waren die liberalen Unionisten nur Berater der
Konservativen gewesen, mit voller Freiheit zu handeln, wie ihnen beliebte.
Jetzt, mit der Bildung der dritten Verwaltung Salisburhs traten sie in ein
festes Bündnis ein. Außer Goschen erhielten auch Devonshire, Chamberlain
und Sir Henry James, jetzt Lord James, Sitz und Stimme im Kabinett.
Die Organisation der beiden Parteien blieb noch selbständig und getrennt, aber
für praktische Zwecke bildeten sie ein Ganzes. Für alle Thaten des Koalitions¬
ministeriums sind die liberalen Unionisten daher so gut verantwortlich wie die
Konservativen, und diese Gemeinsamkeit der Verantwortung hält sie stärker zu¬
sammen als jedes andre Band. Vorbedingung war natürlich die Ausschließung
aller Fragen, in denen eine grundsätzliche Verschiedenheit der Anschauungen
besteht; doch das gemeinsame soziale Programm, worin sich alle zusammen¬
finden, ist reichhaltig genug, und bis dies erschöpft ist, wird noch viel Wasser
die Themse hinab ins Meer fließen.

Soziale Reform war es, was Chamberlain mit den Konservativen gemein¬
same Sache machen ließ, soziale Reform ist auch die Devise des Koalitivns-
kabinetts, während die radikal-liberale Partei, in sich zerfallen, an Homernle


Joseph Lhamberlain

Hand, ja er fand sie fast radikaler, als er selbst war. Endlich war die Auf¬
hebung des Schulgelds ein großes Zugeständnis, das ihm die Regierung
machte. Alles in allem trug das Abkommen der beiden »monistischen Parteien
gute Früchte und hätte wohl mehr Anerkennung bei den Wählern verdient,
als ihm zuteil wurde.

Doch eine große Anzahl der weisen Wähler weiß nie, zu welcher Seite
sie eigentlich gehört, und Pflegt gewöhnlich im Sinne eines Regierungswechsels
zu stimmen. Die allgemeinen Wahlen von 1892 brachten daher den alten
Gladstone wieder ins Amt mit einer nur durch die irischen Parteien erreichten
Mehrheit von zweiundvierzig Sitzen, wodurch er mehr denn je zum Sklaven
der Iren wurde. Daß an irgend welche heilsame Gesetzgebung nicht zu denken
war, lag auf der Hand, daß Homerule für Irland nicht erreicht werden konnte,
war ebenso offenkundig. Trotzdem preßte Gladstone eine Homerulevorlage
durch das Unterhaus, nur um sie vom Oberhause mit erdrückender Mehrheit
verworfen zu sehen. Andre radikale Maßregeln hatten ein gleiches Schicksal,
und eine Agitation gegen das Hans der Lords wollte nicht in Gang kommen,
weil die Masse der öffentlichen Meinung in England kein Vertrauen zu Glad-
stones gewagten Versuchen hatte und sich auf die Seite der Lords stellte. Auch
als Gladstone vom öffentlichen Leben zurücktrat, war der Erfolg nicht größer,
und die Schwäche der liberalen Regierung vermehrte sich unter Rosebery noch
dadurch, daß die Radikalen, die nach dem Ausscheiden der Whigs die Oberhand
in der Partei hatten, einem Lord an der Spitze der Geschäfte abgeneigt waren.
Unrühmlich und arm an Ergebnissen endete die Amtszeit der Liberalen im
Jahre 1895.

Bis zu diesem Zeitpunkte waren die liberalen Unionisten nur Berater der
Konservativen gewesen, mit voller Freiheit zu handeln, wie ihnen beliebte.
Jetzt, mit der Bildung der dritten Verwaltung Salisburhs traten sie in ein
festes Bündnis ein. Außer Goschen erhielten auch Devonshire, Chamberlain
und Sir Henry James, jetzt Lord James, Sitz und Stimme im Kabinett.
Die Organisation der beiden Parteien blieb noch selbständig und getrennt, aber
für praktische Zwecke bildeten sie ein Ganzes. Für alle Thaten des Koalitions¬
ministeriums sind die liberalen Unionisten daher so gut verantwortlich wie die
Konservativen, und diese Gemeinsamkeit der Verantwortung hält sie stärker zu¬
sammen als jedes andre Band. Vorbedingung war natürlich die Ausschließung
aller Fragen, in denen eine grundsätzliche Verschiedenheit der Anschauungen
besteht; doch das gemeinsame soziale Programm, worin sich alle zusammen¬
finden, ist reichhaltig genug, und bis dies erschöpft ist, wird noch viel Wasser
die Themse hinab ins Meer fließen.

Soziale Reform war es, was Chamberlain mit den Konservativen gemein¬
same Sache machen ließ, soziale Reform ist auch die Devise des Koalitivns-
kabinetts, während die radikal-liberale Partei, in sich zerfallen, an Homernle


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[0237] Joseph Lhamberlain Hand, ja er fand sie fast radikaler, als er selbst war. Endlich war die Auf¬ hebung des Schulgelds ein großes Zugeständnis, das ihm die Regierung machte. Alles in allem trug das Abkommen der beiden »monistischen Parteien gute Früchte und hätte wohl mehr Anerkennung bei den Wählern verdient, als ihm zuteil wurde. Doch eine große Anzahl der weisen Wähler weiß nie, zu welcher Seite sie eigentlich gehört, und Pflegt gewöhnlich im Sinne eines Regierungswechsels zu stimmen. Die allgemeinen Wahlen von 1892 brachten daher den alten Gladstone wieder ins Amt mit einer nur durch die irischen Parteien erreichten Mehrheit von zweiundvierzig Sitzen, wodurch er mehr denn je zum Sklaven der Iren wurde. Daß an irgend welche heilsame Gesetzgebung nicht zu denken war, lag auf der Hand, daß Homerule für Irland nicht erreicht werden konnte, war ebenso offenkundig. Trotzdem preßte Gladstone eine Homerulevorlage durch das Unterhaus, nur um sie vom Oberhause mit erdrückender Mehrheit verworfen zu sehen. Andre radikale Maßregeln hatten ein gleiches Schicksal, und eine Agitation gegen das Hans der Lords wollte nicht in Gang kommen, weil die Masse der öffentlichen Meinung in England kein Vertrauen zu Glad- stones gewagten Versuchen hatte und sich auf die Seite der Lords stellte. Auch als Gladstone vom öffentlichen Leben zurücktrat, war der Erfolg nicht größer, und die Schwäche der liberalen Regierung vermehrte sich unter Rosebery noch dadurch, daß die Radikalen, die nach dem Ausscheiden der Whigs die Oberhand in der Partei hatten, einem Lord an der Spitze der Geschäfte abgeneigt waren. Unrühmlich und arm an Ergebnissen endete die Amtszeit der Liberalen im Jahre 1895. Bis zu diesem Zeitpunkte waren die liberalen Unionisten nur Berater der Konservativen gewesen, mit voller Freiheit zu handeln, wie ihnen beliebte. Jetzt, mit der Bildung der dritten Verwaltung Salisburhs traten sie in ein festes Bündnis ein. Außer Goschen erhielten auch Devonshire, Chamberlain und Sir Henry James, jetzt Lord James, Sitz und Stimme im Kabinett. Die Organisation der beiden Parteien blieb noch selbständig und getrennt, aber für praktische Zwecke bildeten sie ein Ganzes. Für alle Thaten des Koalitions¬ ministeriums sind die liberalen Unionisten daher so gut verantwortlich wie die Konservativen, und diese Gemeinsamkeit der Verantwortung hält sie stärker zu¬ sammen als jedes andre Band. Vorbedingung war natürlich die Ausschließung aller Fragen, in denen eine grundsätzliche Verschiedenheit der Anschauungen besteht; doch das gemeinsame soziale Programm, worin sich alle zusammen¬ finden, ist reichhaltig genug, und bis dies erschöpft ist, wird noch viel Wasser die Themse hinab ins Meer fließen. Soziale Reform war es, was Chamberlain mit den Konservativen gemein¬ same Sache machen ließ, soziale Reform ist auch die Devise des Koalitivns- kabinetts, während die radikal-liberale Partei, in sich zerfallen, an Homernle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/237>, abgerufen am 23.07.2024.