Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch

entweder Festhalten an eingewurzelten Vorurteilen oder aber den Grundsatz:
das Recht des Stärkern." Und der Abgeordnete Rickert nahm kopfschüttelnd
an einer in dem Kommissionsberichte enthaltnen "wunderbaren Definition der
sittlichen Grundlage der Ehe" Anstoß: "Es heißt da wörtlich: Wollte die
Frau dem Manne sich nicht unterordnen, so bedeutete das eine bedenkliche Locke¬
rung der Familienbande und einen ganz anomalen Zustand der Familie. Ja,
meine Herren, hier haben die Herren der Welt doch zu sehr das Bedürfnis
gefühlt, ihre Hoheit und ihre Machtvollkommenheit erkennen zu lassen." Das
ist alles. Nur in den Reden des Professors Planck, der im Auftrage des
Bundesrath die Vorlage zu vertreten hatte, spürt man den Geist rechter
deutscher Sitte, wie denn überhaupt die Reden der Regierungsvertreter im
Reichstage zu dem Besten gehören, was über das bürgerliche Gesetzbuch gesagt
und geschrieben worden ist; bei manchen kann man nur bedauern, daß sie in den
stenographischen Berichten des Reichstags so gut wie begraben sind.") Man
vergleiche z. B. die Schilderung der allmählichen Entwicklung einer Ehe, wie sie
der Freiherr von Stumm giebt, mit den Worten Plancks: "Wer eine Ehe
eingeht, muß einen gewissen Teil seiner Selbständigkeit immer opfern, um von
dem andern Teil dasselbe Opfer zu erhalten. Und ich meine, bei der wahren,
rechten Ehe ist der der glücklichste Teil, der dem andern das meiste giebt."
Den Reden Plancks wird denn auch von Freund und Feind ein "gewaltiger
Eindruck" nachgerühmt, und in einem Punkte werden sie zweifellos auch un¬
mittelbar für die Rechtsprechung Bedeutung gewinnen, nämlich in der schönen
Bestimmung des im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossenen "Mißbrauchs" der
ehelichen Gewalt; sie verbietet: "Jede Entscheidung des Ehemannes, die mit
der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbar ist, wenn er eine Entscheidung
so trifft, daß man sagen muß: bei der rechten Liebe würde diese Entscheidung
nicht getroffen sein." Aber auch Planck läßt das öffentliche Interesse an der
Gestaltung des Eherechts zu kurz kommen; einen entschiednen Hinweis auf den
innern Zusammenhang der Sozialdemokratie mit den Forderungen der Frauen¬
bewegung sucht man vergeblich, und nur ganz schüchtern findet sich eine An¬
deutung, daß der Frauenbewegung im Grnnde die große Bedeutung gar nicht
zukomme, die ihr von allen Seiten des hohen Hauses beigemessen werde.

Riehl hat diese Reichstagsverhandlungen noch erlebt; er wird sich wohl
nicht sonderlich darüber gegrämt haben, daß sein Gedankengang, sein Name



*) Die stenographischen Berichte über die zweite und dritte Lesung des bürgerlichen Gesetz¬
buchs sind besonders herausgegeben worden ^.Berlin, I. Guttcntag, 18!>6); die drei großen
Reden, die bei der ersten Lesung "zur Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs" am 3,, 4- und
'>, Februar 1896 vom Staatssekretär Nicbcrding, von Planck und von Sohm gehalten morden
sind, sind unter den: hervorgehobnen Titel zu einem Sonderabdruck vereinigt (Berlin, Heumann,
1806; Preis 60 Pfennige), Es giebt kein besseres Hilfsmittel für einen, der sich ,in großen
Zügen über Ziel und Wesen der neuen Rechtseinheit unterrichten will.
Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch

entweder Festhalten an eingewurzelten Vorurteilen oder aber den Grundsatz:
das Recht des Stärkern." Und der Abgeordnete Rickert nahm kopfschüttelnd
an einer in dem Kommissionsberichte enthaltnen „wunderbaren Definition der
sittlichen Grundlage der Ehe" Anstoß: „Es heißt da wörtlich: Wollte die
Frau dem Manne sich nicht unterordnen, so bedeutete das eine bedenkliche Locke¬
rung der Familienbande und einen ganz anomalen Zustand der Familie. Ja,
meine Herren, hier haben die Herren der Welt doch zu sehr das Bedürfnis
gefühlt, ihre Hoheit und ihre Machtvollkommenheit erkennen zu lassen." Das
ist alles. Nur in den Reden des Professors Planck, der im Auftrage des
Bundesrath die Vorlage zu vertreten hatte, spürt man den Geist rechter
deutscher Sitte, wie denn überhaupt die Reden der Regierungsvertreter im
Reichstage zu dem Besten gehören, was über das bürgerliche Gesetzbuch gesagt
und geschrieben worden ist; bei manchen kann man nur bedauern, daß sie in den
stenographischen Berichten des Reichstags so gut wie begraben sind.") Man
vergleiche z. B. die Schilderung der allmählichen Entwicklung einer Ehe, wie sie
der Freiherr von Stumm giebt, mit den Worten Plancks: „Wer eine Ehe
eingeht, muß einen gewissen Teil seiner Selbständigkeit immer opfern, um von
dem andern Teil dasselbe Opfer zu erhalten. Und ich meine, bei der wahren,
rechten Ehe ist der der glücklichste Teil, der dem andern das meiste giebt."
Den Reden Plancks wird denn auch von Freund und Feind ein „gewaltiger
Eindruck" nachgerühmt, und in einem Punkte werden sie zweifellos auch un¬
mittelbar für die Rechtsprechung Bedeutung gewinnen, nämlich in der schönen
Bestimmung des im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossenen „Mißbrauchs" der
ehelichen Gewalt; sie verbietet: „Jede Entscheidung des Ehemannes, die mit
der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbar ist, wenn er eine Entscheidung
so trifft, daß man sagen muß: bei der rechten Liebe würde diese Entscheidung
nicht getroffen sein." Aber auch Planck läßt das öffentliche Interesse an der
Gestaltung des Eherechts zu kurz kommen; einen entschiednen Hinweis auf den
innern Zusammenhang der Sozialdemokratie mit den Forderungen der Frauen¬
bewegung sucht man vergeblich, und nur ganz schüchtern findet sich eine An¬
deutung, daß der Frauenbewegung im Grnnde die große Bedeutung gar nicht
zukomme, die ihr von allen Seiten des hohen Hauses beigemessen werde.

Riehl hat diese Reichstagsverhandlungen noch erlebt; er wird sich wohl
nicht sonderlich darüber gegrämt haben, daß sein Gedankengang, sein Name



*) Die stenographischen Berichte über die zweite und dritte Lesung des bürgerlichen Gesetz¬
buchs sind besonders herausgegeben worden ^.Berlin, I. Guttcntag, 18!>6); die drei großen
Reden, die bei der ersten Lesung „zur Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs" am 3,, 4- und
'>, Februar 1896 vom Staatssekretär Nicbcrding, von Planck und von Sohm gehalten morden
sind, sind unter den: hervorgehobnen Titel zu einem Sonderabdruck vereinigt (Berlin, Heumann,
1806; Preis 60 Pfennige), Es giebt kein besseres Hilfsmittel für einen, der sich ,in großen
Zügen über Ziel und Wesen der neuen Rechtseinheit unterrichten will.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227854"/>
            <fw type="header" place="top"> Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_582" prev="#ID_581"> entweder Festhalten an eingewurzelten Vorurteilen oder aber den Grundsatz:<lb/>
das Recht des Stärkern." Und der Abgeordnete Rickert nahm kopfschüttelnd<lb/>
an einer in dem Kommissionsberichte enthaltnen &#x201E;wunderbaren Definition der<lb/>
sittlichen Grundlage der Ehe" Anstoß: &#x201E;Es heißt da wörtlich: Wollte die<lb/>
Frau dem Manne sich nicht unterordnen, so bedeutete das eine bedenkliche Locke¬<lb/>
rung der Familienbande und einen ganz anomalen Zustand der Familie. Ja,<lb/>
meine Herren, hier haben die Herren der Welt doch zu sehr das Bedürfnis<lb/>
gefühlt, ihre Hoheit und ihre Machtvollkommenheit erkennen zu lassen." Das<lb/>
ist alles. Nur in den Reden des Professors Planck, der im Auftrage des<lb/>
Bundesrath die Vorlage zu vertreten hatte, spürt man den Geist rechter<lb/>
deutscher Sitte, wie denn überhaupt die Reden der Regierungsvertreter im<lb/>
Reichstage zu dem Besten gehören, was über das bürgerliche Gesetzbuch gesagt<lb/>
und geschrieben worden ist; bei manchen kann man nur bedauern, daß sie in den<lb/>
stenographischen Berichten des Reichstags so gut wie begraben sind.") Man<lb/>
vergleiche z. B. die Schilderung der allmählichen Entwicklung einer Ehe, wie sie<lb/>
der Freiherr von Stumm giebt, mit den Worten Plancks: &#x201E;Wer eine Ehe<lb/>
eingeht, muß einen gewissen Teil seiner Selbständigkeit immer opfern, um von<lb/>
dem andern Teil dasselbe Opfer zu erhalten. Und ich meine, bei der wahren,<lb/>
rechten Ehe ist der der glücklichste Teil, der dem andern das meiste giebt."<lb/>
Den Reden Plancks wird denn auch von Freund und Feind ein &#x201E;gewaltiger<lb/>
Eindruck" nachgerühmt, und in einem Punkte werden sie zweifellos auch un¬<lb/>
mittelbar für die Rechtsprechung Bedeutung gewinnen, nämlich in der schönen<lb/>
Bestimmung des im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossenen &#x201E;Mißbrauchs" der<lb/>
ehelichen Gewalt; sie verbietet: &#x201E;Jede Entscheidung des Ehemannes, die mit<lb/>
der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbar ist, wenn er eine Entscheidung<lb/>
so trifft, daß man sagen muß: bei der rechten Liebe würde diese Entscheidung<lb/>
nicht getroffen sein." Aber auch Planck läßt das öffentliche Interesse an der<lb/>
Gestaltung des Eherechts zu kurz kommen; einen entschiednen Hinweis auf den<lb/>
innern Zusammenhang der Sozialdemokratie mit den Forderungen der Frauen¬<lb/>
bewegung sucht man vergeblich, und nur ganz schüchtern findet sich eine An¬<lb/>
deutung, daß der Frauenbewegung im Grnnde die große Bedeutung gar nicht<lb/>
zukomme, die ihr von allen Seiten des hohen Hauses beigemessen werde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_583" next="#ID_584"> Riehl hat diese Reichstagsverhandlungen noch erlebt; er wird sich wohl<lb/>
nicht sonderlich darüber gegrämt haben, daß sein Gedankengang, sein Name</p><lb/>
            <note xml:id="FID_18" place="foot"> *) Die stenographischen Berichte über die zweite und dritte Lesung des bürgerlichen Gesetz¬<lb/>
buchs sind besonders herausgegeben worden ^.Berlin, I. Guttcntag, 18!&gt;6); die drei großen<lb/>
Reden, die bei der ersten Lesung &#x201E;zur Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs" am 3,, 4- und<lb/>
'&gt;, Februar 1896 vom Staatssekretär Nicbcrding, von Planck und von Sohm gehalten morden<lb/>
sind, sind unter den: hervorgehobnen Titel zu einem Sonderabdruck vereinigt (Berlin, Heumann,<lb/>
1806; Preis 60 Pfennige), Es giebt kein besseres Hilfsmittel für einen, der sich ,in großen<lb/>
Zügen über Ziel und Wesen der neuen Rechtseinheit unterrichten will.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch entweder Festhalten an eingewurzelten Vorurteilen oder aber den Grundsatz: das Recht des Stärkern." Und der Abgeordnete Rickert nahm kopfschüttelnd an einer in dem Kommissionsberichte enthaltnen „wunderbaren Definition der sittlichen Grundlage der Ehe" Anstoß: „Es heißt da wörtlich: Wollte die Frau dem Manne sich nicht unterordnen, so bedeutete das eine bedenkliche Locke¬ rung der Familienbande und einen ganz anomalen Zustand der Familie. Ja, meine Herren, hier haben die Herren der Welt doch zu sehr das Bedürfnis gefühlt, ihre Hoheit und ihre Machtvollkommenheit erkennen zu lassen." Das ist alles. Nur in den Reden des Professors Planck, der im Auftrage des Bundesrath die Vorlage zu vertreten hatte, spürt man den Geist rechter deutscher Sitte, wie denn überhaupt die Reden der Regierungsvertreter im Reichstage zu dem Besten gehören, was über das bürgerliche Gesetzbuch gesagt und geschrieben worden ist; bei manchen kann man nur bedauern, daß sie in den stenographischen Berichten des Reichstags so gut wie begraben sind.") Man vergleiche z. B. die Schilderung der allmählichen Entwicklung einer Ehe, wie sie der Freiherr von Stumm giebt, mit den Worten Plancks: „Wer eine Ehe eingeht, muß einen gewissen Teil seiner Selbständigkeit immer opfern, um von dem andern Teil dasselbe Opfer zu erhalten. Und ich meine, bei der wahren, rechten Ehe ist der der glücklichste Teil, der dem andern das meiste giebt." Den Reden Plancks wird denn auch von Freund und Feind ein „gewaltiger Eindruck" nachgerühmt, und in einem Punkte werden sie zweifellos auch un¬ mittelbar für die Rechtsprechung Bedeutung gewinnen, nämlich in der schönen Bestimmung des im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossenen „Mißbrauchs" der ehelichen Gewalt; sie verbietet: „Jede Entscheidung des Ehemannes, die mit der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbar ist, wenn er eine Entscheidung so trifft, daß man sagen muß: bei der rechten Liebe würde diese Entscheidung nicht getroffen sein." Aber auch Planck läßt das öffentliche Interesse an der Gestaltung des Eherechts zu kurz kommen; einen entschiednen Hinweis auf den innern Zusammenhang der Sozialdemokratie mit den Forderungen der Frauen¬ bewegung sucht man vergeblich, und nur ganz schüchtern findet sich eine An¬ deutung, daß der Frauenbewegung im Grnnde die große Bedeutung gar nicht zukomme, die ihr von allen Seiten des hohen Hauses beigemessen werde. Riehl hat diese Reichstagsverhandlungen noch erlebt; er wird sich wohl nicht sonderlich darüber gegrämt haben, daß sein Gedankengang, sein Name *) Die stenographischen Berichte über die zweite und dritte Lesung des bürgerlichen Gesetz¬ buchs sind besonders herausgegeben worden ^.Berlin, I. Guttcntag, 18!>6); die drei großen Reden, die bei der ersten Lesung „zur Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs" am 3,, 4- und '>, Februar 1896 vom Staatssekretär Nicbcrding, von Planck und von Sohm gehalten morden sind, sind unter den: hervorgehobnen Titel zu einem Sonderabdruck vereinigt (Berlin, Heumann, 1806; Preis 60 Pfennige), Es giebt kein besseres Hilfsmittel für einen, der sich ,in großen Zügen über Ziel und Wesen der neuen Rechtseinheit unterrichten will.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/218>, abgerufen am 23.07.2024.