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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

deuten auf Besserung. Aber eine günstige innere Entwicklung ist eine unbedingte
Notwendigkeit. Sollen wir uns endlich auf der Welt den Herrenvölkern als völlig
ebenbürtig fühlen, und becinsprucheu wir. von ihnen als Mi-W und nicht nur als
eine etwas bessere Art von Hindu angesehen zu werden, so müssen wir auch daheim
entsprechend erzogen und behandelt werden. Hier vor allem liegen die Keime, aus
denen sich unsre Weltmacht entwickeln kann. Vertrauen erzeugt Vertrauen.


Zur Gewerkvereinsfrage.

Ein Privatdozent an der Universität Greifs¬
wald, Dr. Josef schuole, arbeitet an einem umfassenden Werke über Die
sozialdemokratischen Gewerkschaften in Deutschland seit dem Erlasse des
Sozialistengesetzes. Der erste, vorbereitende Teil (Jena, Gustav Fischer, 1896)
behandelt die Geschichte dieser Gewerkschaften seit 1868 und die Rechtsprechung
in Sachen gewerkschaftlicher Organisationen. In der Einleitung führt der Verfasser
ans, wie die Sozialdemokratie daran schuld sei, daß bei uns die Gewerkvereine
nicht zu solcher Ausbreitung, Wirksamkeit und Macht hätten gelangen können wie
in England, meint aber, es werde bei uns auf einem Umwege schließlich dasselbe
erreicht werden wie in England. "Indem sich unter dem Drucke der sozialdemo-
kratischen Massenbewegung tiefgreifende Umgestaltungen vollziehen, tritt der uns
immer größere Machtentfaltung des Kapitals gerichteten Tendenz unsrer Zeit ein
paralysirendes Element entgegen, und ohne daß es im entferntesten beabsichtigt
wäre, wird, aller revolutionären Phrase zum Trotz, von der Sozialdemokratie selbst
ganz allmählich hingearbeitet ans die Hebung der untern Volksschichten in ihrer
Gesamtheit; und da gleichzeitig deu befähigtesten Elementen des Arbeiterstandes
durch die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Propaganda immer reichlichere
Gelegenheit geboten wird, sich hoch über den Durchschnitt zu erheben, eine ange¬
sehene Stellung unter der übrigen Arbeiterschaft zu gewinnen und mit Hilfe des
allgemeinen Wahlrechts sogar zu unmittelbarer Mitwirkung bei der Gesetzgebung
und der staatlichen Verwaltung zu gelangen, so rücken Gefahren allgemach in
weitere Ferne, deren Abwendung noch bei Entstehung der sozialdemokratischen Be¬
wegung für unmöglich gehalten wurde. Was erreicht die Sozialdemokratie damit
aber wesentlich verschiednes von den Erfolgen der Lra.ä<z-Hinaus Englands auf
sozialem Gebiete?" Diese unbeabsichtigten Erfolge der Sozialdemokratie brächten
es auch mit sich, daß sich die Stellung der Partei zu den Gewerkvereinen geändert
habe; während diese anfangs nnr dazu benutzt worden seien, die politisch gleich-
giltigen Arbeiter für die Partei einzufangen, sinke jetzt, wo die Unerreichbarkeit
der politischen Ziele der Sozialdemokratie erkannt werde, diese zum Nährboden der
Gewerkschaftsbildung herab. Im historischen Teil der Arbeit Hut uns besonders
zweierlei interessirt; ein Urteil über die Sozinldemokratie, das die Volkszeitung im
Jahre 1368 bei einem Wiener Arbeiterfest ausgesprochen hat: es sei begreiflich,
daß man in dem zurückgebliebnen Österreich noch fürchte, "was bei uns bereits
zur Komik herabgesunken ist"; dann der Abschnitt, worin dargestellt wird, wie die
auf Vernichtung der Fortschrittspartei abzielende, von der konservativen Partei und
von den Behörden begünstigte "Berliner Bewegung" die Sozialdemokratie gefördert
hat. Das Verhalten der Polizeibehörden und mancher Gerichte in Gcwerkvereins-
sachen wird zwar wegen der Verquickung der Gewerkschaftsbewegung mit der
Sozialdemokratie entschuldbar gefunden, aber doch für verderblich erklärt, nicht bloß
weil es das Vertrauen des Volks auf die Rechtspflege erschüttert, sondern auch
weil nun die Sozialistenführcr in der Lage sind, alle Schuld an dem revolutio¬
nären Charakter der Arbeiterbewegung auf die Behörden abzuschieben, die eine auf
Besserung der Lage der Arbeiter innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung ge-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

deuten auf Besserung. Aber eine günstige innere Entwicklung ist eine unbedingte
Notwendigkeit. Sollen wir uns endlich auf der Welt den Herrenvölkern als völlig
ebenbürtig fühlen, und becinsprucheu wir. von ihnen als Mi-W und nicht nur als
eine etwas bessere Art von Hindu angesehen zu werden, so müssen wir auch daheim
entsprechend erzogen und behandelt werden. Hier vor allem liegen die Keime, aus
denen sich unsre Weltmacht entwickeln kann. Vertrauen erzeugt Vertrauen.


Zur Gewerkvereinsfrage.

Ein Privatdozent an der Universität Greifs¬
wald, Dr. Josef schuole, arbeitet an einem umfassenden Werke über Die
sozialdemokratischen Gewerkschaften in Deutschland seit dem Erlasse des
Sozialistengesetzes. Der erste, vorbereitende Teil (Jena, Gustav Fischer, 1896)
behandelt die Geschichte dieser Gewerkschaften seit 1868 und die Rechtsprechung
in Sachen gewerkschaftlicher Organisationen. In der Einleitung führt der Verfasser
ans, wie die Sozialdemokratie daran schuld sei, daß bei uns die Gewerkvereine
nicht zu solcher Ausbreitung, Wirksamkeit und Macht hätten gelangen können wie
in England, meint aber, es werde bei uns auf einem Umwege schließlich dasselbe
erreicht werden wie in England. „Indem sich unter dem Drucke der sozialdemo-
kratischen Massenbewegung tiefgreifende Umgestaltungen vollziehen, tritt der uns
immer größere Machtentfaltung des Kapitals gerichteten Tendenz unsrer Zeit ein
paralysirendes Element entgegen, und ohne daß es im entferntesten beabsichtigt
wäre, wird, aller revolutionären Phrase zum Trotz, von der Sozialdemokratie selbst
ganz allmählich hingearbeitet ans die Hebung der untern Volksschichten in ihrer
Gesamtheit; und da gleichzeitig deu befähigtesten Elementen des Arbeiterstandes
durch die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Propaganda immer reichlichere
Gelegenheit geboten wird, sich hoch über den Durchschnitt zu erheben, eine ange¬
sehene Stellung unter der übrigen Arbeiterschaft zu gewinnen und mit Hilfe des
allgemeinen Wahlrechts sogar zu unmittelbarer Mitwirkung bei der Gesetzgebung
und der staatlichen Verwaltung zu gelangen, so rücken Gefahren allgemach in
weitere Ferne, deren Abwendung noch bei Entstehung der sozialdemokratischen Be¬
wegung für unmöglich gehalten wurde. Was erreicht die Sozialdemokratie damit
aber wesentlich verschiednes von den Erfolgen der Lra.ä<z-Hinaus Englands auf
sozialem Gebiete?" Diese unbeabsichtigten Erfolge der Sozialdemokratie brächten
es auch mit sich, daß sich die Stellung der Partei zu den Gewerkvereinen geändert
habe; während diese anfangs nnr dazu benutzt worden seien, die politisch gleich-
giltigen Arbeiter für die Partei einzufangen, sinke jetzt, wo die Unerreichbarkeit
der politischen Ziele der Sozialdemokratie erkannt werde, diese zum Nährboden der
Gewerkschaftsbildung herab. Im historischen Teil der Arbeit Hut uns besonders
zweierlei interessirt; ein Urteil über die Sozinldemokratie, das die Volkszeitung im
Jahre 1368 bei einem Wiener Arbeiterfest ausgesprochen hat: es sei begreiflich,
daß man in dem zurückgebliebnen Österreich noch fürchte, „was bei uns bereits
zur Komik herabgesunken ist"; dann der Abschnitt, worin dargestellt wird, wie die
auf Vernichtung der Fortschrittspartei abzielende, von der konservativen Partei und
von den Behörden begünstigte „Berliner Bewegung" die Sozialdemokratie gefördert
hat. Das Verhalten der Polizeibehörden und mancher Gerichte in Gcwerkvereins-
sachen wird zwar wegen der Verquickung der Gewerkschaftsbewegung mit der
Sozialdemokratie entschuldbar gefunden, aber doch für verderblich erklärt, nicht bloß
weil es das Vertrauen des Volks auf die Rechtspflege erschüttert, sondern auch
weil nun die Sozialistenführcr in der Lage sind, alle Schuld an dem revolutio¬
nären Charakter der Arbeiterbewegung auf die Behörden abzuschieben, die eine auf
Besserung der Lage der Arbeiter innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/206>, abgerufen am 27.12.2024.