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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Altösterreichische Versündigungen am Deutschtum

Hausgewerbe (Strohhutflechterei) getrieben. Infolge dieser Verbindung ver-
schiedner Betriebe an gleicher Stelle ist eine verhältnismäßig dichte Bevölke¬
rung vorhanden. Die Nachkommenschaft dieser ältesten germanischen Siedler
ist gegenwärtig mindestens auf 170000 Seelen zu schützen, wenn man die
gleichzeitige Bewegung der übrigen Bevölkerung dieser Berechnung zu Grunde
legt. Die italienische Einwanderung in dieses Gebiet ist kaum nennenswert.
Die Jtalianisirung ist lediglich durch Kirche und Schule dank der nationalen
Gleichgiltigkeit der österreichischen Behörden erfolgt, die auch dort in der
fremden Sprache ihrer schlimmste" Widersacher, d. h. italienisch amtirte. Das
neuerstandne Königreich hatte 1866 nur noch wenig nachzuholen. Deutsche
hatten ihre eignen Volksgenossen einem fremden Stamme zur Unterdrückung
ihres bis dahin wunderbar erhaltnen Deutschtums überliefert.

Die andre Gruppe dieser vier Einbruchsstellen bildet Friaul. In
seiner ursprünglichen Ausdehnung und Beschränkung auf das Gebirgsland
nördlich von Udine ist das Land zunächst ein Bestandteil des Patriarchats
Aquileja gewesen und dann eine kärntische Markgrafschaft. Die venetianische
Herrschaft hat selten bis in diese Alpenthäler gereicht, sondern sich mit der
südlichern Provinz Udine des Patriarchats begnügt. Friaul ist daher sogar
als kärntisches Vorland altösterreichischer Besitz. Osterreich schlug 181^4 Friaul
zum lombardisch-venetianischen Königreich, sah es also selbst als italienischen
Besitz an, obwohl es nur wie Südtirol verwelscht war. Friaul ist mit dem
südlichern Küstenland alter deutscher Besitz gewesen; an letzterm hat sich
Venedig nach dem Verfall des deutschen Kaisertums nur zu schnell und un¬
geahndet vergriffen. Die gegenwärtige Jtalianisirung ist lediglich Folge der
venetianischen Verwaltung. Auch handelt es sich hier nicht um altgermanische
Überbleibsel, sondern um altbayrische Siedlungen. Das Patriarchat Aquileja
wäre trotz langvbardischer bäuerlicher Bevölkerung nicht so ins Deutsche Reich
hereingewachsen, wenn nicht die bayrische Besiedlung gefolgt wäre. Friaul
wurde gleich Körnten von Bayern aus bevölkert, dessen Südmark einst Tirol
bildete.

Es würde über den Rahmen dieser geschichtlich-politischen Darlegung
hinausführen, die sämtlichen deutschen Ortsnamen dieser jetzt verwelschten Ein¬
schnitte in das deutsche Alpenland zu behandeln. Teilweise geben schon die
Reisehandbücher dem Unkundigen Aufschluß. Österreich trat 1859 die Lombardei
und 1866 Venetien an Italien ab. Napoleon III. hatte Sardinien im Namen
der italienischen Nationalität unterstützt. Italien den Italienern! war die Losung.
Trotzdem fielen die drei ersten Thalgebiete rein deutscher Bevölkerung ein
Italien. Die Gegend von Duden (Dono d'Ossola) stößt freilich nicht an
österreichisches Gebiet, sondern an schweizerisches, und ein Austausch mit ost¬
schweizerischem Land wäre wohl möglich gewesen. Kleven (Chiavenna) und
Worms (Vormio) grenzen aber an Tirol, wie auch die übrigen verschiednen


Altösterreichische Versündigungen am Deutschtum

Hausgewerbe (Strohhutflechterei) getrieben. Infolge dieser Verbindung ver-
schiedner Betriebe an gleicher Stelle ist eine verhältnismäßig dichte Bevölke¬
rung vorhanden. Die Nachkommenschaft dieser ältesten germanischen Siedler
ist gegenwärtig mindestens auf 170000 Seelen zu schützen, wenn man die
gleichzeitige Bewegung der übrigen Bevölkerung dieser Berechnung zu Grunde
legt. Die italienische Einwanderung in dieses Gebiet ist kaum nennenswert.
Die Jtalianisirung ist lediglich durch Kirche und Schule dank der nationalen
Gleichgiltigkeit der österreichischen Behörden erfolgt, die auch dort in der
fremden Sprache ihrer schlimmste» Widersacher, d. h. italienisch amtirte. Das
neuerstandne Königreich hatte 1866 nur noch wenig nachzuholen. Deutsche
hatten ihre eignen Volksgenossen einem fremden Stamme zur Unterdrückung
ihres bis dahin wunderbar erhaltnen Deutschtums überliefert.

Die andre Gruppe dieser vier Einbruchsstellen bildet Friaul. In
seiner ursprünglichen Ausdehnung und Beschränkung auf das Gebirgsland
nördlich von Udine ist das Land zunächst ein Bestandteil des Patriarchats
Aquileja gewesen und dann eine kärntische Markgrafschaft. Die venetianische
Herrschaft hat selten bis in diese Alpenthäler gereicht, sondern sich mit der
südlichern Provinz Udine des Patriarchats begnügt. Friaul ist daher sogar
als kärntisches Vorland altösterreichischer Besitz. Osterreich schlug 181^4 Friaul
zum lombardisch-venetianischen Königreich, sah es also selbst als italienischen
Besitz an, obwohl es nur wie Südtirol verwelscht war. Friaul ist mit dem
südlichern Küstenland alter deutscher Besitz gewesen; an letzterm hat sich
Venedig nach dem Verfall des deutschen Kaisertums nur zu schnell und un¬
geahndet vergriffen. Die gegenwärtige Jtalianisirung ist lediglich Folge der
venetianischen Verwaltung. Auch handelt es sich hier nicht um altgermanische
Überbleibsel, sondern um altbayrische Siedlungen. Das Patriarchat Aquileja
wäre trotz langvbardischer bäuerlicher Bevölkerung nicht so ins Deutsche Reich
hereingewachsen, wenn nicht die bayrische Besiedlung gefolgt wäre. Friaul
wurde gleich Körnten von Bayern aus bevölkert, dessen Südmark einst Tirol
bildete.

Es würde über den Rahmen dieser geschichtlich-politischen Darlegung
hinausführen, die sämtlichen deutschen Ortsnamen dieser jetzt verwelschten Ein¬
schnitte in das deutsche Alpenland zu behandeln. Teilweise geben schon die
Reisehandbücher dem Unkundigen Aufschluß. Österreich trat 1859 die Lombardei
und 1866 Venetien an Italien ab. Napoleon III. hatte Sardinien im Namen
der italienischen Nationalität unterstützt. Italien den Italienern! war die Losung.
Trotzdem fielen die drei ersten Thalgebiete rein deutscher Bevölkerung ein
Italien. Die Gegend von Duden (Dono d'Ossola) stößt freilich nicht an
österreichisches Gebiet, sondern an schweizerisches, und ein Austausch mit ost¬
schweizerischem Land wäre wohl möglich gewesen. Kleven (Chiavenna) und
Worms (Vormio) grenzen aber an Tirol, wie auch die übrigen verschiednen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/20>, abgerufen am 23.07.2024.