Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich Nietzsche

Tapferkeit und Ausdauer, Überlegenheit der Führer, Einheit und Gehorsam
unter den Geführten, kurz Elemente, die nichts mit der Kultur zu thun haben,
verhalfen uns zum Siege über Gegner, denen die wichtigsten dieser Elemente
fehlten: nur darüber kann man sich wundern, daß das, was sich jetzt ^es
war die Zeit der Tingeltangels in Deutschland Kultur nennt, so wenig
hemmend zwischen diese militärischen Erfordernisse zu einem großen Erfolge
getreten ist, vielleicht nur, weil dieses Kultur sich nennende Etwas ^der Epi-
kurüismus und Mammonismus) es für sich vorteilhafter erachtete, sich diesmal
dienstfertig zu erweisen. Läßt man es heranwachsen und fortwuchern, ver¬
wöhnt man es durch den schmeichelnden Wahn, daß es siegreich gewesen sei,
so hat es die Kraft, den deutschen Geist zu exstirpiren"(I, 179).

Diese Sätze sind der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung: David Strauß,
der Bekenner und Schriftsteller, entnommen. In Strauß verspottet er den
durch Bier dumm gewordnen Bildungsphilistcr, der sichs in den Errungen¬
schaften der modernen Kultur wohl sein läßt. S. 202 parodirt er die selbst¬
gefällige Beschreibung, die Strauß von seinem und seiner Gesinnungsgenossen
Leben, dem Philisterhimmel, entworfen hatte. Das ist unser Mann, läßt er
den Philister ausrufen. "Wie schön er die Dinge zu umschreiben weiß! Was
kann er z. B. unter den geschichtlichen Studien, mit denen wir dem Ver¬
ständnis der politischen Lage nachhelfen, mehr verstehen, als die Zeitungs¬
lektüre, was unter dem lebendigen Anteil an der Aufrichtung des deutschen
Staates, als unsre täglichen Besuche im Vierhans? und sollte nicht ein
Spaziergang im zoologischen Garten das gemeinte "gemeinverständliche Hilfs¬
mittel" sein, durch das wir unsre Naturerkenntnis erweitern? Und zum
Schluß -- Theater und Konzert, von denen wir "Anregungen für Phantasie
und Humor" mit nach Hanse bringen, "die nichts zu wünschen übrig lassen" --
wie würdig und witzig er das Bedenkliche sagt! Das ist unser Mann, denn
sein Himmel ist unser Himmel!" Es empört Nietzsche, daß Strauß in seinem
"leichtgeschürzten Vnchc" -- so hatte dieser sein Bekenntnis: der alte und der
neue Glaube, selbst genannt -- an den ernsten und schrecklichen Lebensfragen
vorübergaukclt. In der Seele sind sie ihm zuwider, diese "Heiterlinge," die
vor allem Ernster und Furchtbaren die Augen schließen und an nichts denken,
als wie man sich das Leben angenehm machen könne. Er selbst ruft: Tod
aller Weichlichkeit, Bequemlichkeit! (X, 296), und läßt Zarathustra predigen:
"Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett und von den
Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer
Tugend" (VI, 111). Den Krieg erklärt Zarathustra für gut, nicht das "Hübsche
und Rührende."



") Für eine Kritik der Zwssprkche Nietzsches, die hier bloß zusammengestellt werden,
um seine Persönlichkeit zu chnrnkterisiren, bietet dieser einleitende Artikel keinen Raum.
Grembntcn II 1808 L4
Friedrich Nietzsche

Tapferkeit und Ausdauer, Überlegenheit der Führer, Einheit und Gehorsam
unter den Geführten, kurz Elemente, die nichts mit der Kultur zu thun haben,
verhalfen uns zum Siege über Gegner, denen die wichtigsten dieser Elemente
fehlten: nur darüber kann man sich wundern, daß das, was sich jetzt ^es
war die Zeit der Tingeltangels in Deutschland Kultur nennt, so wenig
hemmend zwischen diese militärischen Erfordernisse zu einem großen Erfolge
getreten ist, vielleicht nur, weil dieses Kultur sich nennende Etwas ^der Epi-
kurüismus und Mammonismus) es für sich vorteilhafter erachtete, sich diesmal
dienstfertig zu erweisen. Läßt man es heranwachsen und fortwuchern, ver¬
wöhnt man es durch den schmeichelnden Wahn, daß es siegreich gewesen sei,
so hat es die Kraft, den deutschen Geist zu exstirpiren"(I, 179).

Diese Sätze sind der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung: David Strauß,
der Bekenner und Schriftsteller, entnommen. In Strauß verspottet er den
durch Bier dumm gewordnen Bildungsphilistcr, der sichs in den Errungen¬
schaften der modernen Kultur wohl sein läßt. S. 202 parodirt er die selbst¬
gefällige Beschreibung, die Strauß von seinem und seiner Gesinnungsgenossen
Leben, dem Philisterhimmel, entworfen hatte. Das ist unser Mann, läßt er
den Philister ausrufen. „Wie schön er die Dinge zu umschreiben weiß! Was
kann er z. B. unter den geschichtlichen Studien, mit denen wir dem Ver¬
ständnis der politischen Lage nachhelfen, mehr verstehen, als die Zeitungs¬
lektüre, was unter dem lebendigen Anteil an der Aufrichtung des deutschen
Staates, als unsre täglichen Besuche im Vierhans? und sollte nicht ein
Spaziergang im zoologischen Garten das gemeinte »gemeinverständliche Hilfs¬
mittel« sein, durch das wir unsre Naturerkenntnis erweitern? Und zum
Schluß — Theater und Konzert, von denen wir »Anregungen für Phantasie
und Humor« mit nach Hanse bringen, »die nichts zu wünschen übrig lassen« —
wie würdig und witzig er das Bedenkliche sagt! Das ist unser Mann, denn
sein Himmel ist unser Himmel!" Es empört Nietzsche, daß Strauß in seinem
„leichtgeschürzten Vnchc" — so hatte dieser sein Bekenntnis: der alte und der
neue Glaube, selbst genannt — an den ernsten und schrecklichen Lebensfragen
vorübergaukclt. In der Seele sind sie ihm zuwider, diese „Heiterlinge," die
vor allem Ernster und Furchtbaren die Augen schließen und an nichts denken,
als wie man sich das Leben angenehm machen könne. Er selbst ruft: Tod
aller Weichlichkeit, Bequemlichkeit! (X, 296), und läßt Zarathustra predigen:
„Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett und von den
Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer
Tugend" (VI, 111). Den Krieg erklärt Zarathustra für gut, nicht das „Hübsche
und Rührende."



») Für eine Kritik der Zwssprkche Nietzsches, die hier bloß zusammengestellt werden,
um seine Persönlichkeit zu chnrnkterisiren, bietet dieser einleitende Artikel keinen Raum.
Grembntcn II 1808 L4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227829"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich Nietzsche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_515" prev="#ID_514"> Tapferkeit und Ausdauer, Überlegenheit der Führer, Einheit und Gehorsam<lb/>
unter den Geführten, kurz Elemente, die nichts mit der Kultur zu thun haben,<lb/>
verhalfen uns zum Siege über Gegner, denen die wichtigsten dieser Elemente<lb/>
fehlten: nur darüber kann man sich wundern, daß das, was sich jetzt ^es<lb/>
war die Zeit der Tingeltangels in Deutschland Kultur nennt, so wenig<lb/>
hemmend zwischen diese militärischen Erfordernisse zu einem großen Erfolge<lb/>
getreten ist, vielleicht nur, weil dieses Kultur sich nennende Etwas ^der Epi-<lb/>
kurüismus und Mammonismus) es für sich vorteilhafter erachtete, sich diesmal<lb/>
dienstfertig zu erweisen. Läßt man es heranwachsen und fortwuchern, ver¬<lb/>
wöhnt man es durch den schmeichelnden Wahn, daß es siegreich gewesen sei,<lb/>
so hat es die Kraft, den deutschen Geist zu exstirpiren"(I, 179).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516"> Diese Sätze sind der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung: David Strauß,<lb/>
der Bekenner und Schriftsteller, entnommen. In Strauß verspottet er den<lb/>
durch Bier dumm gewordnen Bildungsphilistcr, der sichs in den Errungen¬<lb/>
schaften der modernen Kultur wohl sein läßt. S. 202 parodirt er die selbst¬<lb/>
gefällige Beschreibung, die Strauß von seinem und seiner Gesinnungsgenossen<lb/>
Leben, dem Philisterhimmel, entworfen hatte. Das ist unser Mann, läßt er<lb/>
den Philister ausrufen. &#x201E;Wie schön er die Dinge zu umschreiben weiß! Was<lb/>
kann er z. B. unter den geschichtlichen Studien, mit denen wir dem Ver¬<lb/>
ständnis der politischen Lage nachhelfen, mehr verstehen, als die Zeitungs¬<lb/>
lektüre, was unter dem lebendigen Anteil an der Aufrichtung des deutschen<lb/>
Staates, als unsre täglichen Besuche im Vierhans? und sollte nicht ein<lb/>
Spaziergang im zoologischen Garten das gemeinte »gemeinverständliche Hilfs¬<lb/>
mittel« sein, durch das wir unsre Naturerkenntnis erweitern? Und zum<lb/>
Schluß &#x2014; Theater und Konzert, von denen wir »Anregungen für Phantasie<lb/>
und Humor« mit nach Hanse bringen, »die nichts zu wünschen übrig lassen« &#x2014;<lb/>
wie würdig und witzig er das Bedenkliche sagt! Das ist unser Mann, denn<lb/>
sein Himmel ist unser Himmel!" Es empört Nietzsche, daß Strauß in seinem<lb/>
&#x201E;leichtgeschürzten Vnchc" &#x2014; so hatte dieser sein Bekenntnis: der alte und der<lb/>
neue Glaube, selbst genannt &#x2014; an den ernsten und schrecklichen Lebensfragen<lb/>
vorübergaukclt. In der Seele sind sie ihm zuwider, diese &#x201E;Heiterlinge," die<lb/>
vor allem Ernster und Furchtbaren die Augen schließen und an nichts denken,<lb/>
als wie man sich das Leben angenehm machen könne. Er selbst ruft: Tod<lb/>
aller Weichlichkeit, Bequemlichkeit! (X, 296), und läßt Zarathustra predigen:<lb/>
&#x201E;Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett und von den<lb/>
Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer<lb/>
Tugend" (VI, 111). Den Krieg erklärt Zarathustra für gut, nicht das &#x201E;Hübsche<lb/>
und Rührende."</p><lb/>
          <note xml:id="FID_12" place="foot"> ») Für eine Kritik der Zwssprkche Nietzsches, die hier bloß zusammengestellt werden,<lb/>
um seine Persönlichkeit zu chnrnkterisiren, bietet dieser einleitende Artikel keinen Raum.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grembntcn II 1808 L4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0193] Friedrich Nietzsche Tapferkeit und Ausdauer, Überlegenheit der Führer, Einheit und Gehorsam unter den Geführten, kurz Elemente, die nichts mit der Kultur zu thun haben, verhalfen uns zum Siege über Gegner, denen die wichtigsten dieser Elemente fehlten: nur darüber kann man sich wundern, daß das, was sich jetzt ^es war die Zeit der Tingeltangels in Deutschland Kultur nennt, so wenig hemmend zwischen diese militärischen Erfordernisse zu einem großen Erfolge getreten ist, vielleicht nur, weil dieses Kultur sich nennende Etwas ^der Epi- kurüismus und Mammonismus) es für sich vorteilhafter erachtete, sich diesmal dienstfertig zu erweisen. Läßt man es heranwachsen und fortwuchern, ver¬ wöhnt man es durch den schmeichelnden Wahn, daß es siegreich gewesen sei, so hat es die Kraft, den deutschen Geist zu exstirpiren"(I, 179). Diese Sätze sind der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung: David Strauß, der Bekenner und Schriftsteller, entnommen. In Strauß verspottet er den durch Bier dumm gewordnen Bildungsphilistcr, der sichs in den Errungen¬ schaften der modernen Kultur wohl sein läßt. S. 202 parodirt er die selbst¬ gefällige Beschreibung, die Strauß von seinem und seiner Gesinnungsgenossen Leben, dem Philisterhimmel, entworfen hatte. Das ist unser Mann, läßt er den Philister ausrufen. „Wie schön er die Dinge zu umschreiben weiß! Was kann er z. B. unter den geschichtlichen Studien, mit denen wir dem Ver¬ ständnis der politischen Lage nachhelfen, mehr verstehen, als die Zeitungs¬ lektüre, was unter dem lebendigen Anteil an der Aufrichtung des deutschen Staates, als unsre täglichen Besuche im Vierhans? und sollte nicht ein Spaziergang im zoologischen Garten das gemeinte »gemeinverständliche Hilfs¬ mittel« sein, durch das wir unsre Naturerkenntnis erweitern? Und zum Schluß — Theater und Konzert, von denen wir »Anregungen für Phantasie und Humor« mit nach Hanse bringen, »die nichts zu wünschen übrig lassen« — wie würdig und witzig er das Bedenkliche sagt! Das ist unser Mann, denn sein Himmel ist unser Himmel!" Es empört Nietzsche, daß Strauß in seinem „leichtgeschürzten Vnchc" — so hatte dieser sein Bekenntnis: der alte und der neue Glaube, selbst genannt — an den ernsten und schrecklichen Lebensfragen vorübergaukclt. In der Seele sind sie ihm zuwider, diese „Heiterlinge," die vor allem Ernster und Furchtbaren die Augen schließen und an nichts denken, als wie man sich das Leben angenehm machen könne. Er selbst ruft: Tod aller Weichlichkeit, Bequemlichkeit! (X, 296), und läßt Zarathustra predigen: „Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett und von den Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer Tugend" (VI, 111). Den Krieg erklärt Zarathustra für gut, nicht das „Hübsche und Rührende." ») Für eine Kritik der Zwssprkche Nietzsches, die hier bloß zusammengestellt werden, um seine Persönlichkeit zu chnrnkterisiren, bietet dieser einleitende Artikel keinen Raum. Grembntcn II 1808 L4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/193
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/193>, abgerufen am 23.07.2024.