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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Schäden der preußischen Verwaltung

est in aurato für den Juristen vielleicht brauchbar ist, für den Verwaltungs¬
beamten aber das Thörichteste ist, was es giebt. Denn in den Akten steht
das Beste niemals, das muß der Verwaltungsbeamte mit seinen Augen im
Leben sehen. Das sind goldne Worte, die auf allen Seiten des Hauses leb¬
haften Beifall hervorriefen; bei dem großen Ansehen, das der Redner genießt,
bleiben sie vielleicht auch nicht ganz ohne Wirkung. Aber verhehlen kann man
sich doch wohl kaum, daß es mit einer bessern Ausbildung der Beamten allein
nicht gethan ist. Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen. Die beste
Ausbildung kann nichts nützen, solange die Beamten gegen ihren Willen ge¬
zwungen werden, ihre Zeit und ihre Kraft am Schreibtische in der Abfassung
von Berichten zu verbrauchen. Nur eine vollständige Änderung des Systems
kann da Abhilfe bringen, an die Wurzel des Übels muß die Axt gelegt
werden.

Übrigens glauben wir, daß Herr von Koller für seine Vorschläge viel
mehr Verständnis bei den jüngern Beamten finden wird als bei denen, auf
deren guten Willen es in diesem Falle allein ankommt. Er sollte seinen Ein¬
fluß einmal dahin geltend machen, daß eine Kommission von tüchtigen Be¬
amten eingesetzt werde mit der Aufgabe, genau zu untersuchen, welche Ein¬
richtungen der Verwaltung der Verbesserung bedürfen, und bestimmte Vor¬
schlüge für Abänderungen zu machen. Die beabsichtigten Neuerungen sollte
mau, ähnlich wie das in der Armee geschieht, in einigen Regierungsbezirken
probeweise einführen, um festzustellen, wie sie sich in der Praxis bewähren.

Es gehört allerdings ein starker Wille dazu, eine Reform durchzuführen,
bei der mit vielen Vorurteilen und festgewurzelten Gewohnheiten gebrochen
werden muß. Die preußische Verwaltung verfügt aber über einen Mann,
der dieser Aufgabe gewachsen wäre. Herr von Miquel würde seinen vielen
Verdiensten ein neues großes Verdienst zufügen, wenn er seine Aufmerksamkeit
ernstlich der Reform der Verwaltung zuwenden wollte. Aber selbst wenn eine
solche Reform auf die eine oder andre Weise zu stände kommen sollte, so
fürchten wir doch, daß der Erfolg nicht von Dauer sein würde, wenn die
Verwaltung auch in Zukunft der ständigen Aufsicht des Monarchen entbehren
müßte. Ohne diese geht es nun einmal nicht in Preußen, und darum muß
es dahin kommen, daß die preußischen Könige neben der Armee auch den
Angelegenheiten der Verwaltung wieder ihre Fürsorge widmen. Wünschen
kann man nur, daß diese Änderung recht bald eintreten möge.




Schäden der preußischen Verwaltung

est in aurato für den Juristen vielleicht brauchbar ist, für den Verwaltungs¬
beamten aber das Thörichteste ist, was es giebt. Denn in den Akten steht
das Beste niemals, das muß der Verwaltungsbeamte mit seinen Augen im
Leben sehen. Das sind goldne Worte, die auf allen Seiten des Hauses leb¬
haften Beifall hervorriefen; bei dem großen Ansehen, das der Redner genießt,
bleiben sie vielleicht auch nicht ganz ohne Wirkung. Aber verhehlen kann man
sich doch wohl kaum, daß es mit einer bessern Ausbildung der Beamten allein
nicht gethan ist. Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen. Die beste
Ausbildung kann nichts nützen, solange die Beamten gegen ihren Willen ge¬
zwungen werden, ihre Zeit und ihre Kraft am Schreibtische in der Abfassung
von Berichten zu verbrauchen. Nur eine vollständige Änderung des Systems
kann da Abhilfe bringen, an die Wurzel des Übels muß die Axt gelegt
werden.

Übrigens glauben wir, daß Herr von Koller für seine Vorschläge viel
mehr Verständnis bei den jüngern Beamten finden wird als bei denen, auf
deren guten Willen es in diesem Falle allein ankommt. Er sollte seinen Ein¬
fluß einmal dahin geltend machen, daß eine Kommission von tüchtigen Be¬
amten eingesetzt werde mit der Aufgabe, genau zu untersuchen, welche Ein¬
richtungen der Verwaltung der Verbesserung bedürfen, und bestimmte Vor¬
schlüge für Abänderungen zu machen. Die beabsichtigten Neuerungen sollte
mau, ähnlich wie das in der Armee geschieht, in einigen Regierungsbezirken
probeweise einführen, um festzustellen, wie sie sich in der Praxis bewähren.

Es gehört allerdings ein starker Wille dazu, eine Reform durchzuführen,
bei der mit vielen Vorurteilen und festgewurzelten Gewohnheiten gebrochen
werden muß. Die preußische Verwaltung verfügt aber über einen Mann,
der dieser Aufgabe gewachsen wäre. Herr von Miquel würde seinen vielen
Verdiensten ein neues großes Verdienst zufügen, wenn er seine Aufmerksamkeit
ernstlich der Reform der Verwaltung zuwenden wollte. Aber selbst wenn eine
solche Reform auf die eine oder andre Weise zu stände kommen sollte, so
fürchten wir doch, daß der Erfolg nicht von Dauer sein würde, wenn die
Verwaltung auch in Zukunft der ständigen Aufsicht des Monarchen entbehren
müßte. Ohne diese geht es nun einmal nicht in Preußen, und darum muß
es dahin kommen, daß die preußischen Könige neben der Armee auch den
Angelegenheiten der Verwaltung wieder ihre Fürsorge widmen. Wünschen
kann man nur, daß diese Änderung recht bald eintreten möge.




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[0183] Schäden der preußischen Verwaltung est in aurato für den Juristen vielleicht brauchbar ist, für den Verwaltungs¬ beamten aber das Thörichteste ist, was es giebt. Denn in den Akten steht das Beste niemals, das muß der Verwaltungsbeamte mit seinen Augen im Leben sehen. Das sind goldne Worte, die auf allen Seiten des Hauses leb¬ haften Beifall hervorriefen; bei dem großen Ansehen, das der Redner genießt, bleiben sie vielleicht auch nicht ganz ohne Wirkung. Aber verhehlen kann man sich doch wohl kaum, daß es mit einer bessern Ausbildung der Beamten allein nicht gethan ist. Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen. Die beste Ausbildung kann nichts nützen, solange die Beamten gegen ihren Willen ge¬ zwungen werden, ihre Zeit und ihre Kraft am Schreibtische in der Abfassung von Berichten zu verbrauchen. Nur eine vollständige Änderung des Systems kann da Abhilfe bringen, an die Wurzel des Übels muß die Axt gelegt werden. Übrigens glauben wir, daß Herr von Koller für seine Vorschläge viel mehr Verständnis bei den jüngern Beamten finden wird als bei denen, auf deren guten Willen es in diesem Falle allein ankommt. Er sollte seinen Ein¬ fluß einmal dahin geltend machen, daß eine Kommission von tüchtigen Be¬ amten eingesetzt werde mit der Aufgabe, genau zu untersuchen, welche Ein¬ richtungen der Verwaltung der Verbesserung bedürfen, und bestimmte Vor¬ schlüge für Abänderungen zu machen. Die beabsichtigten Neuerungen sollte mau, ähnlich wie das in der Armee geschieht, in einigen Regierungsbezirken probeweise einführen, um festzustellen, wie sie sich in der Praxis bewähren. Es gehört allerdings ein starker Wille dazu, eine Reform durchzuführen, bei der mit vielen Vorurteilen und festgewurzelten Gewohnheiten gebrochen werden muß. Die preußische Verwaltung verfügt aber über einen Mann, der dieser Aufgabe gewachsen wäre. Herr von Miquel würde seinen vielen Verdiensten ein neues großes Verdienst zufügen, wenn er seine Aufmerksamkeit ernstlich der Reform der Verwaltung zuwenden wollte. Aber selbst wenn eine solche Reform auf die eine oder andre Weise zu stände kommen sollte, so fürchten wir doch, daß der Erfolg nicht von Dauer sein würde, wenn die Verwaltung auch in Zukunft der ständigen Aufsicht des Monarchen entbehren müßte. Ohne diese geht es nun einmal nicht in Preußen, und darum muß es dahin kommen, daß die preußischen Könige neben der Armee auch den Angelegenheiten der Verwaltung wieder ihre Fürsorge widmen. Wünschen kann man nur, daß diese Änderung recht bald eintreten möge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/183>, abgerufen am 23.07.2024.