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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Schäden der preußischen Verwaltung

Man muß wissen, was es bedeutet, wenn in Preußen der König für irgend
eine Angelegenheit besondres Interesse gezeigt hat, oder etwa seine Anwesenheit
in einer Provinz erwartet wird. Da wird Tag und Nacht gearbeitet, tele-
graphirt und telephonirt, daß es eine Lust ist, und in kurzer Zeit sind
Schwierigkeiten beseitigt, zu deren Bewältigung sonst Jahre nicht genügt
hätten. So würde die dauernde Aufsicht des Monarchen einen ganz andern
Geist in die Verwaltung bringen, und mit Leichtigkeit würden sich dann die
Änderungen durchführen lassen, auf die man im andern Falle noch lange wird
vergeblich warten können.

Was not thut sind besonders drei Dinge: Vereinfachung der Verwaltung,
Beschleunigung des Verkehrs mit dem Publikum, und die Erwerbung genauer
Kenntnisse des Landes und seiner Verhältnisse. Soeben ist bei Carl Heymann
in Berlin der erste Teil einer kleinen Schrift des Oberverwaltungsgerichtsrats
Dr. Scheffer erschienen mit dem Titel: Einführung der Meerbuchten in die
innere Verwaltung. Der Verfasser bespricht kurz die Vorschläge die für eine
grundsätzliche Änderung der zur Zeit bestehenden Organisation gemacht worden
sind: Übertragung der gesamten obrigkeitlichen Verwaltung erster Instanz,
soweit sie noch bei den Regierungen ist, auf die Landräte; Verminderung der
Instanzen durch Beseitigung der Bezirksregierungen. Er kommt zu dem unsers
Erachtens berechtigten Schlüsse, daß gegen diese Änderungen sehr große Be¬
denken bestünden. Es würden viele historisch gewordne und bewährte Ein¬
richtungen beseitigt werden, und wenn auch mancherlei durch Bericht und Ver¬
fügung verursachtes Schreibwerk wegfallen würde, so wäre doch über diesen
äußerlichen Erfolg hinaus eine durchgreifende Änderung der bestehenden dienst¬
lichen Gewohnheiten nicht verbürgt. Scheffer hält es deshalb für zweckmäßiger,
unter Verzicht auf eine tiefgehende Umwälzung eine Neuerung zu versuchen,
die sich im Rahmen der bestehenden Verwaltungsorganisation lediglich auf
praktischem Boden bewegt. Er sagt, daß die Schriftlichkeit im Verwaltungs¬
dienst einen zu großen Raum einnehme, und daß sich die Thätigkeit im wesent¬
lichen verkörpere im Berichte und in der Verfügung. Persönliche Anregung,
sicheres Vorgehen, organisatorische Thätigkeit würden vielfach zurückgestellt
hinter die Anforderungen, die an einen nach Form und Inhalt geschickten,
mühevoll ausgearbeiteten Bericht gestellt würden. Ähnlich sei es bei der Ver¬
fügung, die der Dezernent meistenteils nach dem Inhalt des ihm vorgelegten
Berichts entwerfe. Scheffer schlägt deshalb vor, die Mündlichkeit durch Ein¬
fügung von obligatorisch und regelmäßig abzuhaltenden Verhandlungstagen
in den Dienstorganismus grundsätzlich einzuführen. Auf diesen Verhandlungs¬
tagen sollen etwa folgende Angelegenheiten erledigt werden: 1. die von der
Zentralstelle zur Erörterung gebrachten Angelegenheiten wichtigern Charakters,
die im Runderlaß und Rundbericht behandelt zu werden Pflegen; 2. all¬
gemeine, von den Vorgesetzten zur Erörterung gebrachte Angelegenheiten niederer


Schäden der preußischen Verwaltung

Man muß wissen, was es bedeutet, wenn in Preußen der König für irgend
eine Angelegenheit besondres Interesse gezeigt hat, oder etwa seine Anwesenheit
in einer Provinz erwartet wird. Da wird Tag und Nacht gearbeitet, tele-
graphirt und telephonirt, daß es eine Lust ist, und in kurzer Zeit sind
Schwierigkeiten beseitigt, zu deren Bewältigung sonst Jahre nicht genügt
hätten. So würde die dauernde Aufsicht des Monarchen einen ganz andern
Geist in die Verwaltung bringen, und mit Leichtigkeit würden sich dann die
Änderungen durchführen lassen, auf die man im andern Falle noch lange wird
vergeblich warten können.

Was not thut sind besonders drei Dinge: Vereinfachung der Verwaltung,
Beschleunigung des Verkehrs mit dem Publikum, und die Erwerbung genauer
Kenntnisse des Landes und seiner Verhältnisse. Soeben ist bei Carl Heymann
in Berlin der erste Teil einer kleinen Schrift des Oberverwaltungsgerichtsrats
Dr. Scheffer erschienen mit dem Titel: Einführung der Meerbuchten in die
innere Verwaltung. Der Verfasser bespricht kurz die Vorschläge die für eine
grundsätzliche Änderung der zur Zeit bestehenden Organisation gemacht worden
sind: Übertragung der gesamten obrigkeitlichen Verwaltung erster Instanz,
soweit sie noch bei den Regierungen ist, auf die Landräte; Verminderung der
Instanzen durch Beseitigung der Bezirksregierungen. Er kommt zu dem unsers
Erachtens berechtigten Schlüsse, daß gegen diese Änderungen sehr große Be¬
denken bestünden. Es würden viele historisch gewordne und bewährte Ein¬
richtungen beseitigt werden, und wenn auch mancherlei durch Bericht und Ver¬
fügung verursachtes Schreibwerk wegfallen würde, so wäre doch über diesen
äußerlichen Erfolg hinaus eine durchgreifende Änderung der bestehenden dienst¬
lichen Gewohnheiten nicht verbürgt. Scheffer hält es deshalb für zweckmäßiger,
unter Verzicht auf eine tiefgehende Umwälzung eine Neuerung zu versuchen,
die sich im Rahmen der bestehenden Verwaltungsorganisation lediglich auf
praktischem Boden bewegt. Er sagt, daß die Schriftlichkeit im Verwaltungs¬
dienst einen zu großen Raum einnehme, und daß sich die Thätigkeit im wesent¬
lichen verkörpere im Berichte und in der Verfügung. Persönliche Anregung,
sicheres Vorgehen, organisatorische Thätigkeit würden vielfach zurückgestellt
hinter die Anforderungen, die an einen nach Form und Inhalt geschickten,
mühevoll ausgearbeiteten Bericht gestellt würden. Ähnlich sei es bei der Ver¬
fügung, die der Dezernent meistenteils nach dem Inhalt des ihm vorgelegten
Berichts entwerfe. Scheffer schlägt deshalb vor, die Mündlichkeit durch Ein¬
fügung von obligatorisch und regelmäßig abzuhaltenden Verhandlungstagen
in den Dienstorganismus grundsätzlich einzuführen. Auf diesen Verhandlungs¬
tagen sollen etwa folgende Angelegenheiten erledigt werden: 1. die von der
Zentralstelle zur Erörterung gebrachten Angelegenheiten wichtigern Charakters,
die im Runderlaß und Rundbericht behandelt zu werden Pflegen; 2. all¬
gemeine, von den Vorgesetzten zur Erörterung gebrachte Angelegenheiten niederer


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[0175] Schäden der preußischen Verwaltung Man muß wissen, was es bedeutet, wenn in Preußen der König für irgend eine Angelegenheit besondres Interesse gezeigt hat, oder etwa seine Anwesenheit in einer Provinz erwartet wird. Da wird Tag und Nacht gearbeitet, tele- graphirt und telephonirt, daß es eine Lust ist, und in kurzer Zeit sind Schwierigkeiten beseitigt, zu deren Bewältigung sonst Jahre nicht genügt hätten. So würde die dauernde Aufsicht des Monarchen einen ganz andern Geist in die Verwaltung bringen, und mit Leichtigkeit würden sich dann die Änderungen durchführen lassen, auf die man im andern Falle noch lange wird vergeblich warten können. Was not thut sind besonders drei Dinge: Vereinfachung der Verwaltung, Beschleunigung des Verkehrs mit dem Publikum, und die Erwerbung genauer Kenntnisse des Landes und seiner Verhältnisse. Soeben ist bei Carl Heymann in Berlin der erste Teil einer kleinen Schrift des Oberverwaltungsgerichtsrats Dr. Scheffer erschienen mit dem Titel: Einführung der Meerbuchten in die innere Verwaltung. Der Verfasser bespricht kurz die Vorschläge die für eine grundsätzliche Änderung der zur Zeit bestehenden Organisation gemacht worden sind: Übertragung der gesamten obrigkeitlichen Verwaltung erster Instanz, soweit sie noch bei den Regierungen ist, auf die Landräte; Verminderung der Instanzen durch Beseitigung der Bezirksregierungen. Er kommt zu dem unsers Erachtens berechtigten Schlüsse, daß gegen diese Änderungen sehr große Be¬ denken bestünden. Es würden viele historisch gewordne und bewährte Ein¬ richtungen beseitigt werden, und wenn auch mancherlei durch Bericht und Ver¬ fügung verursachtes Schreibwerk wegfallen würde, so wäre doch über diesen äußerlichen Erfolg hinaus eine durchgreifende Änderung der bestehenden dienst¬ lichen Gewohnheiten nicht verbürgt. Scheffer hält es deshalb für zweckmäßiger, unter Verzicht auf eine tiefgehende Umwälzung eine Neuerung zu versuchen, die sich im Rahmen der bestehenden Verwaltungsorganisation lediglich auf praktischem Boden bewegt. Er sagt, daß die Schriftlichkeit im Verwaltungs¬ dienst einen zu großen Raum einnehme, und daß sich die Thätigkeit im wesent¬ lichen verkörpere im Berichte und in der Verfügung. Persönliche Anregung, sicheres Vorgehen, organisatorische Thätigkeit würden vielfach zurückgestellt hinter die Anforderungen, die an einen nach Form und Inhalt geschickten, mühevoll ausgearbeiteten Bericht gestellt würden. Ähnlich sei es bei der Ver¬ fügung, die der Dezernent meistenteils nach dem Inhalt des ihm vorgelegten Berichts entwerfe. Scheffer schlägt deshalb vor, die Mündlichkeit durch Ein¬ fügung von obligatorisch und regelmäßig abzuhaltenden Verhandlungstagen in den Dienstorganismus grundsätzlich einzuführen. Auf diesen Verhandlungs¬ tagen sollen etwa folgende Angelegenheiten erledigt werden: 1. die von der Zentralstelle zur Erörterung gebrachten Angelegenheiten wichtigern Charakters, die im Runderlaß und Rundbericht behandelt zu werden Pflegen; 2. all¬ gemeine, von den Vorgesetzten zur Erörterung gebrachte Angelegenheiten niederer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/175>, abgerufen am 23.07.2024.