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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Joseph Chamberlain

, Wie wir schon oben angedeutet haben, sind Chamberlains Lieblingspläne
sozialer Natur und nur ausführbar, wenn Handel und Gewerbe blühen, und
weiter ist er bei allem Radikalismus kein Prinzipienreiter, der die Teilnahme
für ein unterdrücktes Volk bis zur Schädigung des eignen treibt. Die Forde¬
rungen der Iren gingen zu weit, als daß sie mit der Sicherheit des Reichs
vereinbar gewesen wären. Vermöge seiner Lage konnte ein selbständiges und
feindliches Irland zur größten Gefahr für Großbritannien werden. Was er
zu gewähren bereit war, genügte den Iren jetzt so wenig wie seinerzeit die
Lamballe von 1881. Der große Fehler, den Chamberlain beging, war also,
daß er Gladstone auf eine Bahn trieb, die er nicht mehr verlassen konnte,
während er selbst nicht Willens war, ihm mehr als eine gewisse Länge Wegs
zu folgen. Die alten Whigs, wie Hartington, Goschen, James und Lubbock,
lehnten von vornherein ab, sich auf Homerule einzulassen. Chamberlain trat
zwar noch in das neue Kabinett ein, aber schon am 15. März trennte er sich
von seinem Führer, wenn Gladstone als Führer dessen betrachtet werden kann,
der den Weg in den Sumpf gewiesen hat.

Feindschaft verfolgte hinfort die Liberalen, die eine Beteiligung an Glad-
stones Abenteuer ablehnten, aber giftiger, grimmiger Haß war das Los Cham-
berlains. Er war ein Verräter, ja es wurde ihm nachgesagt, er sei in das
neue Kabinett nur eingetreten in der teuflischen Absicht, das Schiff zum
Scheitern zu bringen. Daß dem nicht so war, liegt auf der Hand. Ein
Verräter hat persönliche Vorteile im Auge, und sür Chamberlain bedeutete
sein Rücktritt den Verlust der Anwartschaft auf die Führung der liberalen
Partei nach Gladstone und, da die Zukunft sich nicht voraussehen läßt, viel¬
leicht die Zurückgezogenheit des Privatlebens für den Nest seiner irdischen
Laufbahn. Der Politiker hat die kurzsichtigen Fehler des Staatsmannes zu
büßen. Manch andrer hätte freiwillig seine politische Thätigkeit nach einem
solchen Bruche mit den Parteigenossen eingestellt. Nicht so Chamberlain. Der
Politiker sällt wie eine Katze immer auf die Füße und bricht sich so leicht
nicht das Rückgrat. Die radikal-liberale Ära schloß ab sür ihn, das war alles,
und die radikal-konservative begann.

Freilich so schnell, wie es sich schreiben läßt, vollzog sich die Scheidung
nicht. Ein erbitterter Feind der Konservativen konnte nicht über Nacht zum
Freunde und Teilhaber der Firma Salisbury und Komp. werden. Solange
als möglich suchte er den alten Genossen gegenüber eine wohlwollende Neutra¬
lität zu bewahren, und bis zur Abstimmung über Gladstones Homerulevvrlage
mag er noch eine Verständigung sür möglich gehalten haben, obgleich er seinen
Einfluß im nationalen Verbände der liberalen Vereine verloren hatte und
selbst in seiner eignen Feste Birmingham angegriffen worden war. Die Ab¬
stimmung besiegelte die Trennung. Chamberlain war einer der viernndneunzig
Liberalen, die mit den Konservativen die Vorlage zu Fall brachten. Noch


Joseph Chamberlain

, Wie wir schon oben angedeutet haben, sind Chamberlains Lieblingspläne
sozialer Natur und nur ausführbar, wenn Handel und Gewerbe blühen, und
weiter ist er bei allem Radikalismus kein Prinzipienreiter, der die Teilnahme
für ein unterdrücktes Volk bis zur Schädigung des eignen treibt. Die Forde¬
rungen der Iren gingen zu weit, als daß sie mit der Sicherheit des Reichs
vereinbar gewesen wären. Vermöge seiner Lage konnte ein selbständiges und
feindliches Irland zur größten Gefahr für Großbritannien werden. Was er
zu gewähren bereit war, genügte den Iren jetzt so wenig wie seinerzeit die
Lamballe von 1881. Der große Fehler, den Chamberlain beging, war also,
daß er Gladstone auf eine Bahn trieb, die er nicht mehr verlassen konnte,
während er selbst nicht Willens war, ihm mehr als eine gewisse Länge Wegs
zu folgen. Die alten Whigs, wie Hartington, Goschen, James und Lubbock,
lehnten von vornherein ab, sich auf Homerule einzulassen. Chamberlain trat
zwar noch in das neue Kabinett ein, aber schon am 15. März trennte er sich
von seinem Führer, wenn Gladstone als Führer dessen betrachtet werden kann,
der den Weg in den Sumpf gewiesen hat.

Feindschaft verfolgte hinfort die Liberalen, die eine Beteiligung an Glad-
stones Abenteuer ablehnten, aber giftiger, grimmiger Haß war das Los Cham-
berlains. Er war ein Verräter, ja es wurde ihm nachgesagt, er sei in das
neue Kabinett nur eingetreten in der teuflischen Absicht, das Schiff zum
Scheitern zu bringen. Daß dem nicht so war, liegt auf der Hand. Ein
Verräter hat persönliche Vorteile im Auge, und sür Chamberlain bedeutete
sein Rücktritt den Verlust der Anwartschaft auf die Führung der liberalen
Partei nach Gladstone und, da die Zukunft sich nicht voraussehen läßt, viel¬
leicht die Zurückgezogenheit des Privatlebens für den Nest seiner irdischen
Laufbahn. Der Politiker hat die kurzsichtigen Fehler des Staatsmannes zu
büßen. Manch andrer hätte freiwillig seine politische Thätigkeit nach einem
solchen Bruche mit den Parteigenossen eingestellt. Nicht so Chamberlain. Der
Politiker sällt wie eine Katze immer auf die Füße und bricht sich so leicht
nicht das Rückgrat. Die radikal-liberale Ära schloß ab sür ihn, das war alles,
und die radikal-konservative begann.

Freilich so schnell, wie es sich schreiben läßt, vollzog sich die Scheidung
nicht. Ein erbitterter Feind der Konservativen konnte nicht über Nacht zum
Freunde und Teilhaber der Firma Salisbury und Komp. werden. Solange
als möglich suchte er den alten Genossen gegenüber eine wohlwollende Neutra¬
lität zu bewahren, und bis zur Abstimmung über Gladstones Homerulevvrlage
mag er noch eine Verständigung sür möglich gehalten haben, obgleich er seinen
Einfluß im nationalen Verbände der liberalen Vereine verloren hatte und
selbst in seiner eignen Feste Birmingham angegriffen worden war. Die Ab¬
stimmung besiegelte die Trennung. Chamberlain war einer der viernndneunzig
Liberalen, die mit den Konservativen die Vorlage zu Fall brachten. Noch


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[0170] Joseph Chamberlain , Wie wir schon oben angedeutet haben, sind Chamberlains Lieblingspläne sozialer Natur und nur ausführbar, wenn Handel und Gewerbe blühen, und weiter ist er bei allem Radikalismus kein Prinzipienreiter, der die Teilnahme für ein unterdrücktes Volk bis zur Schädigung des eignen treibt. Die Forde¬ rungen der Iren gingen zu weit, als daß sie mit der Sicherheit des Reichs vereinbar gewesen wären. Vermöge seiner Lage konnte ein selbständiges und feindliches Irland zur größten Gefahr für Großbritannien werden. Was er zu gewähren bereit war, genügte den Iren jetzt so wenig wie seinerzeit die Lamballe von 1881. Der große Fehler, den Chamberlain beging, war also, daß er Gladstone auf eine Bahn trieb, die er nicht mehr verlassen konnte, während er selbst nicht Willens war, ihm mehr als eine gewisse Länge Wegs zu folgen. Die alten Whigs, wie Hartington, Goschen, James und Lubbock, lehnten von vornherein ab, sich auf Homerule einzulassen. Chamberlain trat zwar noch in das neue Kabinett ein, aber schon am 15. März trennte er sich von seinem Führer, wenn Gladstone als Führer dessen betrachtet werden kann, der den Weg in den Sumpf gewiesen hat. Feindschaft verfolgte hinfort die Liberalen, die eine Beteiligung an Glad- stones Abenteuer ablehnten, aber giftiger, grimmiger Haß war das Los Cham- berlains. Er war ein Verräter, ja es wurde ihm nachgesagt, er sei in das neue Kabinett nur eingetreten in der teuflischen Absicht, das Schiff zum Scheitern zu bringen. Daß dem nicht so war, liegt auf der Hand. Ein Verräter hat persönliche Vorteile im Auge, und sür Chamberlain bedeutete sein Rücktritt den Verlust der Anwartschaft auf die Führung der liberalen Partei nach Gladstone und, da die Zukunft sich nicht voraussehen läßt, viel¬ leicht die Zurückgezogenheit des Privatlebens für den Nest seiner irdischen Laufbahn. Der Politiker hat die kurzsichtigen Fehler des Staatsmannes zu büßen. Manch andrer hätte freiwillig seine politische Thätigkeit nach einem solchen Bruche mit den Parteigenossen eingestellt. Nicht so Chamberlain. Der Politiker sällt wie eine Katze immer auf die Füße und bricht sich so leicht nicht das Rückgrat. Die radikal-liberale Ära schloß ab sür ihn, das war alles, und die radikal-konservative begann. Freilich so schnell, wie es sich schreiben läßt, vollzog sich die Scheidung nicht. Ein erbitterter Feind der Konservativen konnte nicht über Nacht zum Freunde und Teilhaber der Firma Salisbury und Komp. werden. Solange als möglich suchte er den alten Genossen gegenüber eine wohlwollende Neutra¬ lität zu bewahren, und bis zur Abstimmung über Gladstones Homerulevvrlage mag er noch eine Verständigung sür möglich gehalten haben, obgleich er seinen Einfluß im nationalen Verbände der liberalen Vereine verloren hatte und selbst in seiner eignen Feste Birmingham angegriffen worden war. Die Ab¬ stimmung besiegelte die Trennung. Chamberlain war einer der viernndneunzig Liberalen, die mit den Konservativen die Vorlage zu Fall brachten. Noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/170>, abgerufen am 28.12.2024.