Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altösterreichische Versündigungen am Deutschtum

Städte begünstigte eine fortschreitende Berwelschung dieses deutschen Gebiets
in Norditalien.

Allmählich ergoß sich auch ein Einwcindrerstrom aus dem armen und
zerrütteten Süden in das wohlangebaute Land. Die kleinen Rcmbfttrsten
stammten fast sämtlich aus Mittel- und Süditalien jenseits der Apenninen, so
die Sforzas in Mailand, übrigens von niedrigster Herkunft, so die Medici,
diese Florentiner Apotheker auf dem Herzogsstuhl, die auch dem alten deutschen
Lehnsadel Italiens nicht ebenbürtig waren. Rudolf, der erste Habsburger
unter der deutschen Krone, hat die unselige Römerpolitik mit Recht, wenn auch
notgedrungen, aufgegeben, aber verständnislos zugleich dem deutschen Volks-
tum jenseits der Alpen den machtvolle" Schutz des Reiches entzogen. Ein
andrer Herrscher dieses Hauses, Karl V., hat zwar die alte Römerpolitik
wieder aufgenommen, jedoch nicht als deutscher König, sondern als spanischer
Machthaber. Seine deutschen Söldner setzten spanische Vizekönige ein, und
sein Sohn übernahm als spanischer König das italienische Erbe ohne Rück¬
sicht darauf, daß das nördliche Oberitalien nur ein vorgeschobner Posten
unsrer alten Stammesherzogtümer Schwaben und Bayern war. Freilich war
Venedig stets ein Pfahl im deutschen Fleische dieses Gebietes. Aquileja war
ein deutsches Patriarchat trotz seines römischen Namens aus der Zeit vor der
germanischen Einwanderung. Venedig gehörte zu seinem Sprengel. Aber auch
in kirchlicher Hinsicht entwand sich diese aristokratische Kaufmannsrepnblik bald
der Gewalt der geistlichen deutschen Reichsfürsten, die auch stets geborne
Deutsche waren. Venedigs von Deutschland unabhängige Herrschaft bedeutete
aber zugleich ein Vordringen italienischen Wesens. Aus der Lombardei und
Friciul, Aquilejas Herrschaftsbereich, schnitt sich die Lagunenstadt in den end¬
losen Kämpfen der Ghibellinen schöne Stücke heraus, indem sie bald für die
kaiserliche, bald für die päpstlich-italienische Partei eintrat, um stets reichlichen
Lohn an Land und Leuten für ihre Unterstützung zu heischen und zu erhalten.
Auf diese Weise wurde das Deutschtum bis Verona zurückgedrängt, sodaß es
sich schließlich nur noch in den Alpenthülern des Südabhaugs hielt, freilich
auch unter venetianischen Machtgebot. Eben jene vom Reiche verlassenen
Deutschen jenseits des Alpenkammes lieferten Venedig die einheimischen Krieger.
Obwohl das Haus Österreich Aquileja bald zu seinem Erbbesitz zog, opferte es
das alte deutsche Volkstum gleichgiltig der italienischen Kultur. Das Deutsch¬
tum hielt sich nur noch in dem nördlichen Gebirgsland in der Grafschaft Görz,
diesem östlichen stammten von Aquileja.

Nach dem spanischen Erbfolgekriege trat Österreich in Oberitalien die
spanische Herrschaft an, und man sollte meinen, daß das unterdrückte Volks¬
tum von der neuen deutschen Regierung Förderung erfahren hätte. Aber die
Habsburger haben nie ein deutsches Gewissen gehabt, und zu Beginn des acht¬
zehnten Jahrhunderts gab es auch im übrigen Deutschland noch kein National-


Grenzboten II 1898 2
Altösterreichische Versündigungen am Deutschtum

Städte begünstigte eine fortschreitende Berwelschung dieses deutschen Gebiets
in Norditalien.

Allmählich ergoß sich auch ein Einwcindrerstrom aus dem armen und
zerrütteten Süden in das wohlangebaute Land. Die kleinen Rcmbfttrsten
stammten fast sämtlich aus Mittel- und Süditalien jenseits der Apenninen, so
die Sforzas in Mailand, übrigens von niedrigster Herkunft, so die Medici,
diese Florentiner Apotheker auf dem Herzogsstuhl, die auch dem alten deutschen
Lehnsadel Italiens nicht ebenbürtig waren. Rudolf, der erste Habsburger
unter der deutschen Krone, hat die unselige Römerpolitik mit Recht, wenn auch
notgedrungen, aufgegeben, aber verständnislos zugleich dem deutschen Volks-
tum jenseits der Alpen den machtvolle» Schutz des Reiches entzogen. Ein
andrer Herrscher dieses Hauses, Karl V., hat zwar die alte Römerpolitik
wieder aufgenommen, jedoch nicht als deutscher König, sondern als spanischer
Machthaber. Seine deutschen Söldner setzten spanische Vizekönige ein, und
sein Sohn übernahm als spanischer König das italienische Erbe ohne Rück¬
sicht darauf, daß das nördliche Oberitalien nur ein vorgeschobner Posten
unsrer alten Stammesherzogtümer Schwaben und Bayern war. Freilich war
Venedig stets ein Pfahl im deutschen Fleische dieses Gebietes. Aquileja war
ein deutsches Patriarchat trotz seines römischen Namens aus der Zeit vor der
germanischen Einwanderung. Venedig gehörte zu seinem Sprengel. Aber auch
in kirchlicher Hinsicht entwand sich diese aristokratische Kaufmannsrepnblik bald
der Gewalt der geistlichen deutschen Reichsfürsten, die auch stets geborne
Deutsche waren. Venedigs von Deutschland unabhängige Herrschaft bedeutete
aber zugleich ein Vordringen italienischen Wesens. Aus der Lombardei und
Friciul, Aquilejas Herrschaftsbereich, schnitt sich die Lagunenstadt in den end¬
losen Kämpfen der Ghibellinen schöne Stücke heraus, indem sie bald für die
kaiserliche, bald für die päpstlich-italienische Partei eintrat, um stets reichlichen
Lohn an Land und Leuten für ihre Unterstützung zu heischen und zu erhalten.
Auf diese Weise wurde das Deutschtum bis Verona zurückgedrängt, sodaß es
sich schließlich nur noch in den Alpenthülern des Südabhaugs hielt, freilich
auch unter venetianischen Machtgebot. Eben jene vom Reiche verlassenen
Deutschen jenseits des Alpenkammes lieferten Venedig die einheimischen Krieger.
Obwohl das Haus Österreich Aquileja bald zu seinem Erbbesitz zog, opferte es
das alte deutsche Volkstum gleichgiltig der italienischen Kultur. Das Deutsch¬
tum hielt sich nur noch in dem nördlichen Gebirgsland in der Grafschaft Görz,
diesem östlichen stammten von Aquileja.

Nach dem spanischen Erbfolgekriege trat Österreich in Oberitalien die
spanische Herrschaft an, und man sollte meinen, daß das unterdrückte Volks¬
tum von der neuen deutschen Regierung Förderung erfahren hätte. Aber die
Habsburger haben nie ein deutsches Gewissen gehabt, und zu Beginn des acht¬
zehnten Jahrhunderts gab es auch im übrigen Deutschland noch kein National-


Grenzboten II 1898 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227653"/>
          <fw type="header" place="top"> Altösterreichische Versündigungen am Deutschtum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> Städte begünstigte eine fortschreitende Berwelschung dieses deutschen Gebiets<lb/>
in Norditalien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_33"> Allmählich ergoß sich auch ein Einwcindrerstrom aus dem armen und<lb/>
zerrütteten Süden in das wohlangebaute Land. Die kleinen Rcmbfttrsten<lb/>
stammten fast sämtlich aus Mittel- und Süditalien jenseits der Apenninen, so<lb/>
die Sforzas in Mailand, übrigens von niedrigster Herkunft, so die Medici,<lb/>
diese Florentiner Apotheker auf dem Herzogsstuhl, die auch dem alten deutschen<lb/>
Lehnsadel Italiens nicht ebenbürtig waren. Rudolf, der erste Habsburger<lb/>
unter der deutschen Krone, hat die unselige Römerpolitik mit Recht, wenn auch<lb/>
notgedrungen, aufgegeben, aber verständnislos zugleich dem deutschen Volks-<lb/>
tum jenseits der Alpen den machtvolle» Schutz des Reiches entzogen. Ein<lb/>
andrer Herrscher dieses Hauses, Karl V., hat zwar die alte Römerpolitik<lb/>
wieder aufgenommen, jedoch nicht als deutscher König, sondern als spanischer<lb/>
Machthaber. Seine deutschen Söldner setzten spanische Vizekönige ein, und<lb/>
sein Sohn übernahm als spanischer König das italienische Erbe ohne Rück¬<lb/>
sicht darauf, daß das nördliche Oberitalien nur ein vorgeschobner Posten<lb/>
unsrer alten Stammesherzogtümer Schwaben und Bayern war. Freilich war<lb/>
Venedig stets ein Pfahl im deutschen Fleische dieses Gebietes. Aquileja war<lb/>
ein deutsches Patriarchat trotz seines römischen Namens aus der Zeit vor der<lb/>
germanischen Einwanderung. Venedig gehörte zu seinem Sprengel. Aber auch<lb/>
in kirchlicher Hinsicht entwand sich diese aristokratische Kaufmannsrepnblik bald<lb/>
der Gewalt der geistlichen deutschen Reichsfürsten, die auch stets geborne<lb/>
Deutsche waren. Venedigs von Deutschland unabhängige Herrschaft bedeutete<lb/>
aber zugleich ein Vordringen italienischen Wesens. Aus der Lombardei und<lb/>
Friciul, Aquilejas Herrschaftsbereich, schnitt sich die Lagunenstadt in den end¬<lb/>
losen Kämpfen der Ghibellinen schöne Stücke heraus, indem sie bald für die<lb/>
kaiserliche, bald für die päpstlich-italienische Partei eintrat, um stets reichlichen<lb/>
Lohn an Land und Leuten für ihre Unterstützung zu heischen und zu erhalten.<lb/>
Auf diese Weise wurde das Deutschtum bis Verona zurückgedrängt, sodaß es<lb/>
sich schließlich nur noch in den Alpenthülern des Südabhaugs hielt, freilich<lb/>
auch unter venetianischen Machtgebot. Eben jene vom Reiche verlassenen<lb/>
Deutschen jenseits des Alpenkammes lieferten Venedig die einheimischen Krieger.<lb/>
Obwohl das Haus Österreich Aquileja bald zu seinem Erbbesitz zog, opferte es<lb/>
das alte deutsche Volkstum gleichgiltig der italienischen Kultur. Das Deutsch¬<lb/>
tum hielt sich nur noch in dem nördlichen Gebirgsland in der Grafschaft Görz,<lb/>
diesem östlichen stammten von Aquileja.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_34" next="#ID_35"> Nach dem spanischen Erbfolgekriege trat Österreich in Oberitalien die<lb/>
spanische Herrschaft an, und man sollte meinen, daß das unterdrückte Volks¬<lb/>
tum von der neuen deutschen Regierung Förderung erfahren hätte. Aber die<lb/>
Habsburger haben nie ein deutsches Gewissen gehabt, und zu Beginn des acht¬<lb/>
zehnten Jahrhunderts gab es auch im übrigen Deutschland noch kein National-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1898 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Altösterreichische Versündigungen am Deutschtum Städte begünstigte eine fortschreitende Berwelschung dieses deutschen Gebiets in Norditalien. Allmählich ergoß sich auch ein Einwcindrerstrom aus dem armen und zerrütteten Süden in das wohlangebaute Land. Die kleinen Rcmbfttrsten stammten fast sämtlich aus Mittel- und Süditalien jenseits der Apenninen, so die Sforzas in Mailand, übrigens von niedrigster Herkunft, so die Medici, diese Florentiner Apotheker auf dem Herzogsstuhl, die auch dem alten deutschen Lehnsadel Italiens nicht ebenbürtig waren. Rudolf, der erste Habsburger unter der deutschen Krone, hat die unselige Römerpolitik mit Recht, wenn auch notgedrungen, aufgegeben, aber verständnislos zugleich dem deutschen Volks- tum jenseits der Alpen den machtvolle» Schutz des Reiches entzogen. Ein andrer Herrscher dieses Hauses, Karl V., hat zwar die alte Römerpolitik wieder aufgenommen, jedoch nicht als deutscher König, sondern als spanischer Machthaber. Seine deutschen Söldner setzten spanische Vizekönige ein, und sein Sohn übernahm als spanischer König das italienische Erbe ohne Rück¬ sicht darauf, daß das nördliche Oberitalien nur ein vorgeschobner Posten unsrer alten Stammesherzogtümer Schwaben und Bayern war. Freilich war Venedig stets ein Pfahl im deutschen Fleische dieses Gebietes. Aquileja war ein deutsches Patriarchat trotz seines römischen Namens aus der Zeit vor der germanischen Einwanderung. Venedig gehörte zu seinem Sprengel. Aber auch in kirchlicher Hinsicht entwand sich diese aristokratische Kaufmannsrepnblik bald der Gewalt der geistlichen deutschen Reichsfürsten, die auch stets geborne Deutsche waren. Venedigs von Deutschland unabhängige Herrschaft bedeutete aber zugleich ein Vordringen italienischen Wesens. Aus der Lombardei und Friciul, Aquilejas Herrschaftsbereich, schnitt sich die Lagunenstadt in den end¬ losen Kämpfen der Ghibellinen schöne Stücke heraus, indem sie bald für die kaiserliche, bald für die päpstlich-italienische Partei eintrat, um stets reichlichen Lohn an Land und Leuten für ihre Unterstützung zu heischen und zu erhalten. Auf diese Weise wurde das Deutschtum bis Verona zurückgedrängt, sodaß es sich schließlich nur noch in den Alpenthülern des Südabhaugs hielt, freilich auch unter venetianischen Machtgebot. Eben jene vom Reiche verlassenen Deutschen jenseits des Alpenkammes lieferten Venedig die einheimischen Krieger. Obwohl das Haus Österreich Aquileja bald zu seinem Erbbesitz zog, opferte es das alte deutsche Volkstum gleichgiltig der italienischen Kultur. Das Deutsch¬ tum hielt sich nur noch in dem nördlichen Gebirgsland in der Grafschaft Görz, diesem östlichen stammten von Aquileja. Nach dem spanischen Erbfolgekriege trat Österreich in Oberitalien die spanische Herrschaft an, und man sollte meinen, daß das unterdrückte Volks¬ tum von der neuen deutschen Regierung Förderung erfahren hätte. Aber die Habsburger haben nie ein deutsches Gewissen gehabt, und zu Beginn des acht¬ zehnten Jahrhunderts gab es auch im übrigen Deutschland noch kein National- Grenzboten II 1898 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/17>, abgerufen am 27.12.2024.