Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Regierung auf die Kniee zu zwingen. Noch nie hatte ein irischer Führer, nicht
einmal der große Volkstribuu O'Connell, eine solche, dazu vortrefflich diszi-
plinirte Macht in die Arena geführt. Nur eine von einem Willen beseelte
Negierung hätte der Bewegung Einhalt gebieten können. Statt dessen war
das Kabinett in sich gespalten. Zwei Parteien hielten sich die Wage, beide
bestrebt, den schwankenden Gladstone zu sich herüberzuziehen; und Gladstone,
bemüht, einen offnen Streit im Kabinett zu verhüten, sah unthätig mit ver¬
schränkten Armen zu, wie Irland mehr und mehr der Anarchie heimfiel. Der
irische Staatssekretär Forster verlangte außerordentliche Gewalten zur Aufrecht¬
erhaltung des Gesetzes, Chamberlain dagegen sah das Heil Irlands einzig in
Reformen. Als aber die Gesetzlosigkeit weiter zunahm, gab Gladstone dem
Verlangen Forsters nach, und Chamberlain hatte außerdem die bittere Pille
zu schlucken, daß die Lamballe von 1881, von der er sich die Heilung aller
Wunden versprochen hatte, vou Parnell verächtlich als elendes Almosen be¬
zeichnet wurde. In der That läßt sich nicht viel zu Gunsten der Akte sagen.
Sie hat nur die Grundbesitzer beraubt und erbittert, ohne die Pächter im
geringsten zufrieden zu stellen.

Bei dem Zustande offnen Aufruhrs, worin sich Irland befand, war
Chamberlains Widerstand gegen Ausnahmegesetze dem Drängen Forsters nicht
gewachsen. Doch nur für den Augenblick. Als trotz der Gefangennehmung
Parnells und andrer irischer Führer, trotz der Aufhebung der Landliga die
Beruhigung Irlands nicht gelingen wollte, erhielt er wieder Oberwasser. Er
überredete Gladstone, den Iren auf gütlichem Wege entgegenzugehen, d. h. vor
Parnell die Flagge zu streichen. Durch Vermittlung Chamberlains, der sich
mit den Iren immer gut gestanden hatte, kam der berühmte Kilmainhamvertrag
zu stände. Gladstone verpflichtete sich zu eiuer von Parnell aufzusetzenden
Vorlage zur Regelung der Pachtrückstände, wogegen Parnell die liberale Partei
zu unterstützen versprach. Für Förster war das genug, er trat von einem Amte
zurück, dessen Führung ihm durch seine Kollegen unmöglich gemacht wurde.

Eine solche Kapitulation kann unter keinen Umständen ehrenvoll genannt
werden und ist nur entschuldbar, wenn ein wirklicher Friede damit erkauft
wird. Aber gerade dieses Ziel wurde durch die würdelose Demütigung der
Regierung nicht im entferntesten erreicht. Parnell war der Führer der Iren,
doch über die amerikanischen Feiner hatte er keine Gewalt. Diese wollten
keinen Frieden, und um den Ausgleich zu hintertreiben, metzelten sie Forsters
Nachfolger, Lord Frederick Cavendish und den ihn begleitenden Burke im
Phönixparke zu Dublin nieder. Für keinen war das Verbrechen ein größerer
Schlag als sür Parnell. Fast am Ziele, sah er die Frucht seiner Arbeit auf
einmal vernichtet. Denn an eine gütliche Auseinandersetzung war fürs erste
nicht mehr zu denken. Nicht daß die Ausführung des Kilmaiuhamvertrags
seine Wünsche erfüllt hatte. Er war nur der erste Schritt auf dem Wege,


Regierung auf die Kniee zu zwingen. Noch nie hatte ein irischer Führer, nicht
einmal der große Volkstribuu O'Connell, eine solche, dazu vortrefflich diszi-
plinirte Macht in die Arena geführt. Nur eine von einem Willen beseelte
Negierung hätte der Bewegung Einhalt gebieten können. Statt dessen war
das Kabinett in sich gespalten. Zwei Parteien hielten sich die Wage, beide
bestrebt, den schwankenden Gladstone zu sich herüberzuziehen; und Gladstone,
bemüht, einen offnen Streit im Kabinett zu verhüten, sah unthätig mit ver¬
schränkten Armen zu, wie Irland mehr und mehr der Anarchie heimfiel. Der
irische Staatssekretär Forster verlangte außerordentliche Gewalten zur Aufrecht¬
erhaltung des Gesetzes, Chamberlain dagegen sah das Heil Irlands einzig in
Reformen. Als aber die Gesetzlosigkeit weiter zunahm, gab Gladstone dem
Verlangen Forsters nach, und Chamberlain hatte außerdem die bittere Pille
zu schlucken, daß die Lamballe von 1881, von der er sich die Heilung aller
Wunden versprochen hatte, vou Parnell verächtlich als elendes Almosen be¬
zeichnet wurde. In der That läßt sich nicht viel zu Gunsten der Akte sagen.
Sie hat nur die Grundbesitzer beraubt und erbittert, ohne die Pächter im
geringsten zufrieden zu stellen.

Bei dem Zustande offnen Aufruhrs, worin sich Irland befand, war
Chamberlains Widerstand gegen Ausnahmegesetze dem Drängen Forsters nicht
gewachsen. Doch nur für den Augenblick. Als trotz der Gefangennehmung
Parnells und andrer irischer Führer, trotz der Aufhebung der Landliga die
Beruhigung Irlands nicht gelingen wollte, erhielt er wieder Oberwasser. Er
überredete Gladstone, den Iren auf gütlichem Wege entgegenzugehen, d. h. vor
Parnell die Flagge zu streichen. Durch Vermittlung Chamberlains, der sich
mit den Iren immer gut gestanden hatte, kam der berühmte Kilmainhamvertrag
zu stände. Gladstone verpflichtete sich zu eiuer von Parnell aufzusetzenden
Vorlage zur Regelung der Pachtrückstände, wogegen Parnell die liberale Partei
zu unterstützen versprach. Für Förster war das genug, er trat von einem Amte
zurück, dessen Führung ihm durch seine Kollegen unmöglich gemacht wurde.

Eine solche Kapitulation kann unter keinen Umständen ehrenvoll genannt
werden und ist nur entschuldbar, wenn ein wirklicher Friede damit erkauft
wird. Aber gerade dieses Ziel wurde durch die würdelose Demütigung der
Regierung nicht im entferntesten erreicht. Parnell war der Führer der Iren,
doch über die amerikanischen Feiner hatte er keine Gewalt. Diese wollten
keinen Frieden, und um den Ausgleich zu hintertreiben, metzelten sie Forsters
Nachfolger, Lord Frederick Cavendish und den ihn begleitenden Burke im
Phönixparke zu Dublin nieder. Für keinen war das Verbrechen ein größerer
Schlag als sür Parnell. Fast am Ziele, sah er die Frucht seiner Arbeit auf
einmal vernichtet. Denn an eine gütliche Auseinandersetzung war fürs erste
nicht mehr zu denken. Nicht daß die Ausführung des Kilmaiuhamvertrags
seine Wünsche erfüllt hatte. Er war nur der erste Schritt auf dem Wege,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227804"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_447" prev="#ID_446"> Regierung auf die Kniee zu zwingen. Noch nie hatte ein irischer Führer, nicht<lb/>
einmal der große Volkstribuu O'Connell, eine solche, dazu vortrefflich diszi-<lb/>
plinirte Macht in die Arena geführt. Nur eine von einem Willen beseelte<lb/>
Negierung hätte der Bewegung Einhalt gebieten können. Statt dessen war<lb/>
das Kabinett in sich gespalten. Zwei Parteien hielten sich die Wage, beide<lb/>
bestrebt, den schwankenden Gladstone zu sich herüberzuziehen; und Gladstone,<lb/>
bemüht, einen offnen Streit im Kabinett zu verhüten, sah unthätig mit ver¬<lb/>
schränkten Armen zu, wie Irland mehr und mehr der Anarchie heimfiel. Der<lb/>
irische Staatssekretär Forster verlangte außerordentliche Gewalten zur Aufrecht¬<lb/>
erhaltung des Gesetzes, Chamberlain dagegen sah das Heil Irlands einzig in<lb/>
Reformen. Als aber die Gesetzlosigkeit weiter zunahm, gab Gladstone dem<lb/>
Verlangen Forsters nach, und Chamberlain hatte außerdem die bittere Pille<lb/>
zu schlucken, daß die Lamballe von 1881, von der er sich die Heilung aller<lb/>
Wunden versprochen hatte, vou Parnell verächtlich als elendes Almosen be¬<lb/>
zeichnet wurde. In der That läßt sich nicht viel zu Gunsten der Akte sagen.<lb/>
Sie hat nur die Grundbesitzer beraubt und erbittert, ohne die Pächter im<lb/>
geringsten zufrieden zu stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_448"> Bei dem Zustande offnen Aufruhrs, worin sich Irland befand, war<lb/>
Chamberlains Widerstand gegen Ausnahmegesetze dem Drängen Forsters nicht<lb/>
gewachsen. Doch nur für den Augenblick. Als trotz der Gefangennehmung<lb/>
Parnells und andrer irischer Führer, trotz der Aufhebung der Landliga die<lb/>
Beruhigung Irlands nicht gelingen wollte, erhielt er wieder Oberwasser. Er<lb/>
überredete Gladstone, den Iren auf gütlichem Wege entgegenzugehen, d. h. vor<lb/>
Parnell die Flagge zu streichen. Durch Vermittlung Chamberlains, der sich<lb/>
mit den Iren immer gut gestanden hatte, kam der berühmte Kilmainhamvertrag<lb/>
zu stände. Gladstone verpflichtete sich zu eiuer von Parnell aufzusetzenden<lb/>
Vorlage zur Regelung der Pachtrückstände, wogegen Parnell die liberale Partei<lb/>
zu unterstützen versprach. Für Förster war das genug, er trat von einem Amte<lb/>
zurück, dessen Führung ihm durch seine Kollegen unmöglich gemacht wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_449" next="#ID_450"> Eine solche Kapitulation kann unter keinen Umständen ehrenvoll genannt<lb/>
werden und ist nur entschuldbar, wenn ein wirklicher Friede damit erkauft<lb/>
wird. Aber gerade dieses Ziel wurde durch die würdelose Demütigung der<lb/>
Regierung nicht im entferntesten erreicht. Parnell war der Führer der Iren,<lb/>
doch über die amerikanischen Feiner hatte er keine Gewalt. Diese wollten<lb/>
keinen Frieden, und um den Ausgleich zu hintertreiben, metzelten sie Forsters<lb/>
Nachfolger, Lord Frederick Cavendish und den ihn begleitenden Burke im<lb/>
Phönixparke zu Dublin nieder. Für keinen war das Verbrechen ein größerer<lb/>
Schlag als sür Parnell. Fast am Ziele, sah er die Frucht seiner Arbeit auf<lb/>
einmal vernichtet. Denn an eine gütliche Auseinandersetzung war fürs erste<lb/>
nicht mehr zu denken. Nicht daß die Ausführung des Kilmaiuhamvertrags<lb/>
seine Wünsche erfüllt hatte.  Er war nur der erste Schritt auf dem Wege,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0168] Regierung auf die Kniee zu zwingen. Noch nie hatte ein irischer Führer, nicht einmal der große Volkstribuu O'Connell, eine solche, dazu vortrefflich diszi- plinirte Macht in die Arena geführt. Nur eine von einem Willen beseelte Negierung hätte der Bewegung Einhalt gebieten können. Statt dessen war das Kabinett in sich gespalten. Zwei Parteien hielten sich die Wage, beide bestrebt, den schwankenden Gladstone zu sich herüberzuziehen; und Gladstone, bemüht, einen offnen Streit im Kabinett zu verhüten, sah unthätig mit ver¬ schränkten Armen zu, wie Irland mehr und mehr der Anarchie heimfiel. Der irische Staatssekretär Forster verlangte außerordentliche Gewalten zur Aufrecht¬ erhaltung des Gesetzes, Chamberlain dagegen sah das Heil Irlands einzig in Reformen. Als aber die Gesetzlosigkeit weiter zunahm, gab Gladstone dem Verlangen Forsters nach, und Chamberlain hatte außerdem die bittere Pille zu schlucken, daß die Lamballe von 1881, von der er sich die Heilung aller Wunden versprochen hatte, vou Parnell verächtlich als elendes Almosen be¬ zeichnet wurde. In der That läßt sich nicht viel zu Gunsten der Akte sagen. Sie hat nur die Grundbesitzer beraubt und erbittert, ohne die Pächter im geringsten zufrieden zu stellen. Bei dem Zustande offnen Aufruhrs, worin sich Irland befand, war Chamberlains Widerstand gegen Ausnahmegesetze dem Drängen Forsters nicht gewachsen. Doch nur für den Augenblick. Als trotz der Gefangennehmung Parnells und andrer irischer Führer, trotz der Aufhebung der Landliga die Beruhigung Irlands nicht gelingen wollte, erhielt er wieder Oberwasser. Er überredete Gladstone, den Iren auf gütlichem Wege entgegenzugehen, d. h. vor Parnell die Flagge zu streichen. Durch Vermittlung Chamberlains, der sich mit den Iren immer gut gestanden hatte, kam der berühmte Kilmainhamvertrag zu stände. Gladstone verpflichtete sich zu eiuer von Parnell aufzusetzenden Vorlage zur Regelung der Pachtrückstände, wogegen Parnell die liberale Partei zu unterstützen versprach. Für Förster war das genug, er trat von einem Amte zurück, dessen Führung ihm durch seine Kollegen unmöglich gemacht wurde. Eine solche Kapitulation kann unter keinen Umständen ehrenvoll genannt werden und ist nur entschuldbar, wenn ein wirklicher Friede damit erkauft wird. Aber gerade dieses Ziel wurde durch die würdelose Demütigung der Regierung nicht im entferntesten erreicht. Parnell war der Führer der Iren, doch über die amerikanischen Feiner hatte er keine Gewalt. Diese wollten keinen Frieden, und um den Ausgleich zu hintertreiben, metzelten sie Forsters Nachfolger, Lord Frederick Cavendish und den ihn begleitenden Burke im Phönixparke zu Dublin nieder. Für keinen war das Verbrechen ein größerer Schlag als sür Parnell. Fast am Ziele, sah er die Frucht seiner Arbeit auf einmal vernichtet. Denn an eine gütliche Auseinandersetzung war fürs erste nicht mehr zu denken. Nicht daß die Ausführung des Kilmaiuhamvertrags seine Wünsche erfüllt hatte. Er war nur der erste Schritt auf dem Wege,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/168
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/168>, abgerufen am 28.12.2024.