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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Joseph Lhamberlain

Wenn Gladstone in der innern Politik keine großen Erfolge mehr erringen
konnte, so war dies noch mehr der Fall in den äußern Angelegenheiten. Mit
Beaconssield ging der Mann von der Bühne, der es trotz seines theatralischen
Auftretens verstanden hatte, Englands Stimme im europäischen Völkerrate
gewichtig zu machen. Beaconsfields triumphartige Rückkehr vom Kongreß in
Berlin bezeichnete auch den Höhepunkt des britischen Einflusses. Gladstone
kehrte sofort die Politik seines Vorgängers um, oder, wo er sie beibehielt,
wie in der Transvaalangelegenheit, führte er sie in solcher Weise weiter, daß
er das Unglück geradezu heraufbeschwor. Die Niederlage von Mcijuba Hill
wie der Tod Gordons fallen ihm zur Last, und seine Schuld wird nur da¬
durch gemindert, daß das ganze Kabinett mitschuldig war. In Afghanistan
wurden errungne Erfolge aufgegeben, und die Rolle eines Beschützers der
Türkei verwandelte sich in die eines kleinlichen Gegners, wodurch das Ansehen
Englands im Orient keineswegs verbessert, die Türkei aber dem russischen
Bären in die Hände getrieben wurde.

Das Kabinett, das Friede, Einschränkung und Reform auf seine Fahne
geschrieben hatte, sah sich so in einer Reihe von Verwicklungen, die Ein¬
schränkung und Reform einfach unmöglich machten und nicht immer rühmlich
verliefen. In der ganzen Gladftonischen äußern Politik herrscht ein zögernder
Geist, der, anstatt den Ereignissen entgegenzugehen, sie abwartet oder von
ihnen überrascht wird, dabei niemand Vertrauen schenkt und dementsprechend
auch kein Vertrauen erweckt. Mehr oder weniger ist diese Politik auch auf
die Nachfolger übergegangen. Sie trägt jedenfalls die Hauptschuld an der
Vereinsamung Englands. Zwar nennt man das Ding svIsQäick Isolation,
doch der Stolz, mit dem sich John Bull brüstet, hat eine verzweifelte Ähn¬
lichkeit mit der Gemütstimmung unsers alten Freundes Reineke, als er die
Trciubeu so hoch hängen sah. Wieweit Chamberlain diese auswärtige Politik
Gladstones beeinflußte, ist fürs erste dem profanen Auge verschlossen. Aber
Türkenfeindschaft und Kurzsichtigkeit in äußern Angelegenheiten sind so sehr
radikale Eigentümlichkeiten, daß es wunderbar wäre, hätte er ihr nicht mit
vollem Herzen beigepflichtet und Gladstone in seinem Vorgehen bestärkt.
Imperialistische Ideen brauchen dem nicht im Wege zu stehen.

In innern Fragen trat der Mangel an Einheit im Kabinett bald, in
voller Schürfe zu Tage. Die äußern Verwicklungen bewogen den friedlichen
Quäker John Vright, das Kabinett zu verlassen, die innern führten zum Rück¬
tritte von drei andern hervorragenden Politikern, von denen der Herzog
von Argyll sich später den Unionisten angeschlossen hat.

Die Hauptschwierigkeit, die alle übrigen überragte, war die irische.
Parnells Genie hatte es verstanden, die beiden ungleichartigen Stiere, die
Homerulepartei und die Landliga, die politische und die agrarische Bewegung,
zusammen ins Joch zu spannen und durch ihre vereinte Wucht die englische


Joseph Lhamberlain

Wenn Gladstone in der innern Politik keine großen Erfolge mehr erringen
konnte, so war dies noch mehr der Fall in den äußern Angelegenheiten. Mit
Beaconssield ging der Mann von der Bühne, der es trotz seines theatralischen
Auftretens verstanden hatte, Englands Stimme im europäischen Völkerrate
gewichtig zu machen. Beaconsfields triumphartige Rückkehr vom Kongreß in
Berlin bezeichnete auch den Höhepunkt des britischen Einflusses. Gladstone
kehrte sofort die Politik seines Vorgängers um, oder, wo er sie beibehielt,
wie in der Transvaalangelegenheit, führte er sie in solcher Weise weiter, daß
er das Unglück geradezu heraufbeschwor. Die Niederlage von Mcijuba Hill
wie der Tod Gordons fallen ihm zur Last, und seine Schuld wird nur da¬
durch gemindert, daß das ganze Kabinett mitschuldig war. In Afghanistan
wurden errungne Erfolge aufgegeben, und die Rolle eines Beschützers der
Türkei verwandelte sich in die eines kleinlichen Gegners, wodurch das Ansehen
Englands im Orient keineswegs verbessert, die Türkei aber dem russischen
Bären in die Hände getrieben wurde.

Das Kabinett, das Friede, Einschränkung und Reform auf seine Fahne
geschrieben hatte, sah sich so in einer Reihe von Verwicklungen, die Ein¬
schränkung und Reform einfach unmöglich machten und nicht immer rühmlich
verliefen. In der ganzen Gladftonischen äußern Politik herrscht ein zögernder
Geist, der, anstatt den Ereignissen entgegenzugehen, sie abwartet oder von
ihnen überrascht wird, dabei niemand Vertrauen schenkt und dementsprechend
auch kein Vertrauen erweckt. Mehr oder weniger ist diese Politik auch auf
die Nachfolger übergegangen. Sie trägt jedenfalls die Hauptschuld an der
Vereinsamung Englands. Zwar nennt man das Ding svIsQäick Isolation,
doch der Stolz, mit dem sich John Bull brüstet, hat eine verzweifelte Ähn¬
lichkeit mit der Gemütstimmung unsers alten Freundes Reineke, als er die
Trciubeu so hoch hängen sah. Wieweit Chamberlain diese auswärtige Politik
Gladstones beeinflußte, ist fürs erste dem profanen Auge verschlossen. Aber
Türkenfeindschaft und Kurzsichtigkeit in äußern Angelegenheiten sind so sehr
radikale Eigentümlichkeiten, daß es wunderbar wäre, hätte er ihr nicht mit
vollem Herzen beigepflichtet und Gladstone in seinem Vorgehen bestärkt.
Imperialistische Ideen brauchen dem nicht im Wege zu stehen.

In innern Fragen trat der Mangel an Einheit im Kabinett bald, in
voller Schürfe zu Tage. Die äußern Verwicklungen bewogen den friedlichen
Quäker John Vright, das Kabinett zu verlassen, die innern führten zum Rück¬
tritte von drei andern hervorragenden Politikern, von denen der Herzog
von Argyll sich später den Unionisten angeschlossen hat.

Die Hauptschwierigkeit, die alle übrigen überragte, war die irische.
Parnells Genie hatte es verstanden, die beiden ungleichartigen Stiere, die
Homerulepartei und die Landliga, die politische und die agrarische Bewegung,
zusammen ins Joch zu spannen und durch ihre vereinte Wucht die englische


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[0167] Joseph Lhamberlain Wenn Gladstone in der innern Politik keine großen Erfolge mehr erringen konnte, so war dies noch mehr der Fall in den äußern Angelegenheiten. Mit Beaconssield ging der Mann von der Bühne, der es trotz seines theatralischen Auftretens verstanden hatte, Englands Stimme im europäischen Völkerrate gewichtig zu machen. Beaconsfields triumphartige Rückkehr vom Kongreß in Berlin bezeichnete auch den Höhepunkt des britischen Einflusses. Gladstone kehrte sofort die Politik seines Vorgängers um, oder, wo er sie beibehielt, wie in der Transvaalangelegenheit, führte er sie in solcher Weise weiter, daß er das Unglück geradezu heraufbeschwor. Die Niederlage von Mcijuba Hill wie der Tod Gordons fallen ihm zur Last, und seine Schuld wird nur da¬ durch gemindert, daß das ganze Kabinett mitschuldig war. In Afghanistan wurden errungne Erfolge aufgegeben, und die Rolle eines Beschützers der Türkei verwandelte sich in die eines kleinlichen Gegners, wodurch das Ansehen Englands im Orient keineswegs verbessert, die Türkei aber dem russischen Bären in die Hände getrieben wurde. Das Kabinett, das Friede, Einschränkung und Reform auf seine Fahne geschrieben hatte, sah sich so in einer Reihe von Verwicklungen, die Ein¬ schränkung und Reform einfach unmöglich machten und nicht immer rühmlich verliefen. In der ganzen Gladftonischen äußern Politik herrscht ein zögernder Geist, der, anstatt den Ereignissen entgegenzugehen, sie abwartet oder von ihnen überrascht wird, dabei niemand Vertrauen schenkt und dementsprechend auch kein Vertrauen erweckt. Mehr oder weniger ist diese Politik auch auf die Nachfolger übergegangen. Sie trägt jedenfalls die Hauptschuld an der Vereinsamung Englands. Zwar nennt man das Ding svIsQäick Isolation, doch der Stolz, mit dem sich John Bull brüstet, hat eine verzweifelte Ähn¬ lichkeit mit der Gemütstimmung unsers alten Freundes Reineke, als er die Trciubeu so hoch hängen sah. Wieweit Chamberlain diese auswärtige Politik Gladstones beeinflußte, ist fürs erste dem profanen Auge verschlossen. Aber Türkenfeindschaft und Kurzsichtigkeit in äußern Angelegenheiten sind so sehr radikale Eigentümlichkeiten, daß es wunderbar wäre, hätte er ihr nicht mit vollem Herzen beigepflichtet und Gladstone in seinem Vorgehen bestärkt. Imperialistische Ideen brauchen dem nicht im Wege zu stehen. In innern Fragen trat der Mangel an Einheit im Kabinett bald, in voller Schürfe zu Tage. Die äußern Verwicklungen bewogen den friedlichen Quäker John Vright, das Kabinett zu verlassen, die innern führten zum Rück¬ tritte von drei andern hervorragenden Politikern, von denen der Herzog von Argyll sich später den Unionisten angeschlossen hat. Die Hauptschwierigkeit, die alle übrigen überragte, war die irische. Parnells Genie hatte es verstanden, die beiden ungleichartigen Stiere, die Homerulepartei und die Landliga, die politische und die agrarische Bewegung, zusammen ins Joch zu spannen und durch ihre vereinte Wucht die englische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/167>, abgerufen am 23.07.2024.