Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Joseph Lhcnnberlain fest, sodaß dem folgenden Geschlechte als selbstverständlich gilt, was dem alten Chamberlain gehört entschieden zu den Radikalen, mit denen sich rechnen Der große Neformeifer der dreißiger Jahre, der aus dem mittelalterlichen Eine große städtische Verwaltung, die Polizei und öffentliche Ordnung, Joseph Lhcnnberlain fest, sodaß dem folgenden Geschlechte als selbstverständlich gilt, was dem alten Chamberlain gehört entschieden zu den Radikalen, mit denen sich rechnen Der große Neformeifer der dreißiger Jahre, der aus dem mittelalterlichen Eine große städtische Verwaltung, die Polizei und öffentliche Ordnung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227800"/> <fw type="header" place="top"> Joseph Lhcnnberlain</fw><lb/> <p xml:id="ID_433" prev="#ID_432"> fest, sodaß dem folgenden Geschlechte als selbstverständlich gilt, was dem alten<lb/> noch als eine gewagte oder gar gefährliche Neuerung erschien.</p><lb/> <p xml:id="ID_434"> Chamberlain gehört entschieden zu den Radikalen, mit denen sich rechnen<lb/> läßt, die nicht von der Begierde verzehrt werden, die Theorie sofort in die<lb/> Praxis umzusetzen, sondern erst kühl berechnen, ob das Unternehmen ausführbar<lb/> ist. Anfang der siebziger Jahre bekannten sich viele Engländer zum republi¬<lb/> kanischen Glauben; Sir Charles Dilke, Auberon Herbert und Professor Fawcett<lb/> hatten sogar den Mut, sich im Parlament, wütendem Lärm zum Trotz, als<lb/> Republikaner zu erklären, doch keiner von ihnen hat je einen Finger gerührt,<lb/> sein Ideal zu verwirklichen; sie zogen praktische Arbeit vor. Chamberlain er¬<lb/> kannte wie sie, daß England für eine Republik noch lange nicht reif sei; auch<lb/> seine republikanische Gesinnung ist nie über die graue Theorie hinausgekommen.<lb/> Für die praktische Anwendung radikaler Anschauungen dagegen fand Chamber¬<lb/> lain Gelegenheit genng im Stadträte von Birmingham, dem er seit 186!)<lb/> angehörte. Schon als einfacher Stadtratabgeordneter war er eine treibende<lb/> Kraft, und als er 1874 den Bürgermeisterstuhl einnahm, begann eine neue<lb/> Zeit für Birmingham, die Zeit des städtischen Sozialismus.</p><lb/> <p xml:id="ID_435"> Der große Neformeifer der dreißiger Jahre, der aus dem mittelalterlichen<lb/> feudalen Großbritannien einen modernen Staat machte, hatte auch die Städte<lb/> auf die gesunde Grundlage der Selbstverwaltung gestellt. Doch konservativ,<lb/> wie unsre angelsächsischen Vettern sind, machte» sie lange nur einen beschränkten<lb/> Gebrauch von der sich darbietenden Möglichkeit, das städtische Leben selbständig<lb/> zu entwickeln, und noch heute giebt es eine starke Partei, die mit Erfolg gegen<lb/> die Verleihung großer Machtbefugnisse an die städtischen Körperschaften auf¬<lb/> tritt. In Birmingham hatte diese Partei kein Glück. Chamberlain schob ohne<lb/> Gnade alles, was widerstrebte, beiseite, und als er nach zweimaliger Wieder¬<lb/> wahl seine Würde niederlegte, konnte er auf eine Amtszeit zurückblicken, die,<lb/> bei nur dreijähriger Dauer, um Fruchtbarkeit in umfassenden Neuerungen nicht<lb/> leicht übertroffen wird. Die Stadt hatte die Gasanstalten wie die Wasserwerke<lb/> angekauft, sehr zum Vorteil der Einwohner; denn nicht nur wurden Gas und<lb/> Wasser billiger, sonder« es erwuchs der Gesamtheit ein Nutzen, der sich jetzt<lb/> etwa auf hunderttausend Pfund Sterling jährlich beziffert. Außerdem hatte<lb/> sie ein großes Gut zur Anlage von Rieselfeldern erworben und endlich, nach<lb/> dem Vorbilde des Seiuepräfekten, begonnen, aus den ungesunden, schmutzigen<lb/> und winkligen Gassen in der Mitte ein neues Viertel zu schaffen, das allen<lb/> neuern Anforderungen entspricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_436" next="#ID_437"> Eine große städtische Verwaltung, die Polizei und öffentliche Ordnung,<lb/> Beleuchtung, Wasserzufuhr und Entwässerung, Gesnndheitsorge, öffentliche<lb/> Bauten und örtliche Gesetzgebung auf ihren Schultern hat, erfordert gewiß<lb/> nicht unbedeutende Gaben. Der Erfolg im städtischen Parlament reizte<lb/> Chamberlain dazu, die Kräfte auch im staatlichen zu erproben; und schon im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
Joseph Lhcnnberlain
fest, sodaß dem folgenden Geschlechte als selbstverständlich gilt, was dem alten
noch als eine gewagte oder gar gefährliche Neuerung erschien.
Chamberlain gehört entschieden zu den Radikalen, mit denen sich rechnen
läßt, die nicht von der Begierde verzehrt werden, die Theorie sofort in die
Praxis umzusetzen, sondern erst kühl berechnen, ob das Unternehmen ausführbar
ist. Anfang der siebziger Jahre bekannten sich viele Engländer zum republi¬
kanischen Glauben; Sir Charles Dilke, Auberon Herbert und Professor Fawcett
hatten sogar den Mut, sich im Parlament, wütendem Lärm zum Trotz, als
Republikaner zu erklären, doch keiner von ihnen hat je einen Finger gerührt,
sein Ideal zu verwirklichen; sie zogen praktische Arbeit vor. Chamberlain er¬
kannte wie sie, daß England für eine Republik noch lange nicht reif sei; auch
seine republikanische Gesinnung ist nie über die graue Theorie hinausgekommen.
Für die praktische Anwendung radikaler Anschauungen dagegen fand Chamber¬
lain Gelegenheit genng im Stadträte von Birmingham, dem er seit 186!)
angehörte. Schon als einfacher Stadtratabgeordneter war er eine treibende
Kraft, und als er 1874 den Bürgermeisterstuhl einnahm, begann eine neue
Zeit für Birmingham, die Zeit des städtischen Sozialismus.
Der große Neformeifer der dreißiger Jahre, der aus dem mittelalterlichen
feudalen Großbritannien einen modernen Staat machte, hatte auch die Städte
auf die gesunde Grundlage der Selbstverwaltung gestellt. Doch konservativ,
wie unsre angelsächsischen Vettern sind, machte» sie lange nur einen beschränkten
Gebrauch von der sich darbietenden Möglichkeit, das städtische Leben selbständig
zu entwickeln, und noch heute giebt es eine starke Partei, die mit Erfolg gegen
die Verleihung großer Machtbefugnisse an die städtischen Körperschaften auf¬
tritt. In Birmingham hatte diese Partei kein Glück. Chamberlain schob ohne
Gnade alles, was widerstrebte, beiseite, und als er nach zweimaliger Wieder¬
wahl seine Würde niederlegte, konnte er auf eine Amtszeit zurückblicken, die,
bei nur dreijähriger Dauer, um Fruchtbarkeit in umfassenden Neuerungen nicht
leicht übertroffen wird. Die Stadt hatte die Gasanstalten wie die Wasserwerke
angekauft, sehr zum Vorteil der Einwohner; denn nicht nur wurden Gas und
Wasser billiger, sonder« es erwuchs der Gesamtheit ein Nutzen, der sich jetzt
etwa auf hunderttausend Pfund Sterling jährlich beziffert. Außerdem hatte
sie ein großes Gut zur Anlage von Rieselfeldern erworben und endlich, nach
dem Vorbilde des Seiuepräfekten, begonnen, aus den ungesunden, schmutzigen
und winkligen Gassen in der Mitte ein neues Viertel zu schaffen, das allen
neuern Anforderungen entspricht.
Eine große städtische Verwaltung, die Polizei und öffentliche Ordnung,
Beleuchtung, Wasserzufuhr und Entwässerung, Gesnndheitsorge, öffentliche
Bauten und örtliche Gesetzgebung auf ihren Schultern hat, erfordert gewiß
nicht unbedeutende Gaben. Der Erfolg im städtischen Parlament reizte
Chamberlain dazu, die Kräfte auch im staatlichen zu erproben; und schon im
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