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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Geistesaristokratie

bürger irgend welches Mandat zu übertragen, auch nicht allein die möglichste
persönliche Unabhängigkeit, die in ihrer Entartung zu dem schönen Typus des
"Gleichheitsflegels" geführt hat, sondern vor allem die Teilnahme an der Ver¬
waltung kleinerer und größerer Kreise; denn nur dadurch wird der Mann der
alles besser wissenden Kritik entwöhnt und zur praktischen Mitarbeit am Staate,
also zum Verständnis des Staats und zur Staatsgesinnung erzogen. Dem¬
nach fallen Freiheit und Herrschaft der Geistesaristokratie für uns zusammen.
Daß zu dieser heute herrschenden Geistesaristokratie auch die gehören müssen,
die den idealsten Beruf vertreten, den nämlich, die Menschen für das Ideale
zu erziehen und auf das Ideale hinzuweisen, versteht sich von selbst; dem
christlichen Mittelalter war der Lehrstand und der geistig herrschende Stand
sogar dasselbe, und in den beiden ersten Jahrhunderten der Neuzeit bedeutete
Geistesaristokratie fast soviel wie Gelehrtenstand, was beides heute natürlich
nicht mehr zutrifft.

Was fordern wir nun von dieser geistigen Aristokratie, die hente herrscht
oder wenigstens herrschen sollte? Sie ist unabhängig von jeder Art des Gro߬
besitzes, obwohl sie sich auch ans den Elementen, die auf diesem beruhen, fort¬
während ergänzt und alle ihre Mitglieder so gestellt sein müssen, daß sie über
die gemeine Not des Lebens erhaben sind, weil sie sonst des freien Blickes
entbehren würden. Aber die Hauptsache ist doch eine Summe geistiger und
sittlicher Eigenschaften. Für die höhern Klaffen dieser Aristokratie verlangen
wir eine wissenschaftliche Bildung, für alle eine allgemeine Bildung, derart,
daß jeder imstande ist, über den engen Kreis seiner nächsten Beziehungen
hinauszusehen, den Blick auf das Ganze zu richten und sich in der Welt zu
orientiren. Wir fordern ferner Treue gegen die übernommne Pflicht, Ver¬
zicht auf persönliche Rücksichten und Interessen, warme Teilnahme für die
Mühseligen und Beladnen der Gesellschaft, Hingebung an das Ganze, wenn
es sein muß, bis in den Tod. Denn jede echte Aristokratie hat noch immer
dem Ganzen gedient, und eben deshalb ist sie volksfreundlich gewesen; der Geld¬
protz ist so wenig ein echter Aristokrat wie der Landjunker, der mit Verachtung
auf alles herabsieht, was außerhalb seiner engen Sphäre liegt, oder der Ge¬
lehrte, der einen wissenschaftlichen Gegner mit persönlichen Schmähungen über¬
häuft und nur seine eigne Große gelten lassen möchte, oder der Beamte, der
seine Aufgabe mechanisch wie ein Steinklopfer erledigt.

Diese Eigenschaften können wohl anerzogen, aber nicht eigentlich vererbt
werden, jeder Einzelne muß sie sich selbst erwerben, mag der auch vor andern
bevorzugt sein, dem Goethe das schöne Wort zuruft: ^ > " ./


Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.

Also ist die Zugehörigkeit zu dieser Geistesaristokratie etwas höchst Person-.
liebes; sie öffnet sich weitherzig allen Elementen, die sich zu ihr emporarbeiten


Geistesaristokratie

bürger irgend welches Mandat zu übertragen, auch nicht allein die möglichste
persönliche Unabhängigkeit, die in ihrer Entartung zu dem schönen Typus des
„Gleichheitsflegels" geführt hat, sondern vor allem die Teilnahme an der Ver¬
waltung kleinerer und größerer Kreise; denn nur dadurch wird der Mann der
alles besser wissenden Kritik entwöhnt und zur praktischen Mitarbeit am Staate,
also zum Verständnis des Staats und zur Staatsgesinnung erzogen. Dem¬
nach fallen Freiheit und Herrschaft der Geistesaristokratie für uns zusammen.
Daß zu dieser heute herrschenden Geistesaristokratie auch die gehören müssen,
die den idealsten Beruf vertreten, den nämlich, die Menschen für das Ideale
zu erziehen und auf das Ideale hinzuweisen, versteht sich von selbst; dem
christlichen Mittelalter war der Lehrstand und der geistig herrschende Stand
sogar dasselbe, und in den beiden ersten Jahrhunderten der Neuzeit bedeutete
Geistesaristokratie fast soviel wie Gelehrtenstand, was beides heute natürlich
nicht mehr zutrifft.

Was fordern wir nun von dieser geistigen Aristokratie, die hente herrscht
oder wenigstens herrschen sollte? Sie ist unabhängig von jeder Art des Gro߬
besitzes, obwohl sie sich auch ans den Elementen, die auf diesem beruhen, fort¬
während ergänzt und alle ihre Mitglieder so gestellt sein müssen, daß sie über
die gemeine Not des Lebens erhaben sind, weil sie sonst des freien Blickes
entbehren würden. Aber die Hauptsache ist doch eine Summe geistiger und
sittlicher Eigenschaften. Für die höhern Klaffen dieser Aristokratie verlangen
wir eine wissenschaftliche Bildung, für alle eine allgemeine Bildung, derart,
daß jeder imstande ist, über den engen Kreis seiner nächsten Beziehungen
hinauszusehen, den Blick auf das Ganze zu richten und sich in der Welt zu
orientiren. Wir fordern ferner Treue gegen die übernommne Pflicht, Ver¬
zicht auf persönliche Rücksichten und Interessen, warme Teilnahme für die
Mühseligen und Beladnen der Gesellschaft, Hingebung an das Ganze, wenn
es sein muß, bis in den Tod. Denn jede echte Aristokratie hat noch immer
dem Ganzen gedient, und eben deshalb ist sie volksfreundlich gewesen; der Geld¬
protz ist so wenig ein echter Aristokrat wie der Landjunker, der mit Verachtung
auf alles herabsieht, was außerhalb seiner engen Sphäre liegt, oder der Ge¬
lehrte, der einen wissenschaftlichen Gegner mit persönlichen Schmähungen über¬
häuft und nur seine eigne Große gelten lassen möchte, oder der Beamte, der
seine Aufgabe mechanisch wie ein Steinklopfer erledigt.

Diese Eigenschaften können wohl anerzogen, aber nicht eigentlich vererbt
werden, jeder Einzelne muß sie sich selbst erwerben, mag der auch vor andern
bevorzugt sein, dem Goethe das schöne Wort zuruft: ^ > " ./


Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.

Also ist die Zugehörigkeit zu dieser Geistesaristokratie etwas höchst Person-.
liebes; sie öffnet sich weitherzig allen Elementen, die sich zu ihr emporarbeiten


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[0015] Geistesaristokratie bürger irgend welches Mandat zu übertragen, auch nicht allein die möglichste persönliche Unabhängigkeit, die in ihrer Entartung zu dem schönen Typus des „Gleichheitsflegels" geführt hat, sondern vor allem die Teilnahme an der Ver¬ waltung kleinerer und größerer Kreise; denn nur dadurch wird der Mann der alles besser wissenden Kritik entwöhnt und zur praktischen Mitarbeit am Staate, also zum Verständnis des Staats und zur Staatsgesinnung erzogen. Dem¬ nach fallen Freiheit und Herrschaft der Geistesaristokratie für uns zusammen. Daß zu dieser heute herrschenden Geistesaristokratie auch die gehören müssen, die den idealsten Beruf vertreten, den nämlich, die Menschen für das Ideale zu erziehen und auf das Ideale hinzuweisen, versteht sich von selbst; dem christlichen Mittelalter war der Lehrstand und der geistig herrschende Stand sogar dasselbe, und in den beiden ersten Jahrhunderten der Neuzeit bedeutete Geistesaristokratie fast soviel wie Gelehrtenstand, was beides heute natürlich nicht mehr zutrifft. Was fordern wir nun von dieser geistigen Aristokratie, die hente herrscht oder wenigstens herrschen sollte? Sie ist unabhängig von jeder Art des Gro߬ besitzes, obwohl sie sich auch ans den Elementen, die auf diesem beruhen, fort¬ während ergänzt und alle ihre Mitglieder so gestellt sein müssen, daß sie über die gemeine Not des Lebens erhaben sind, weil sie sonst des freien Blickes entbehren würden. Aber die Hauptsache ist doch eine Summe geistiger und sittlicher Eigenschaften. Für die höhern Klaffen dieser Aristokratie verlangen wir eine wissenschaftliche Bildung, für alle eine allgemeine Bildung, derart, daß jeder imstande ist, über den engen Kreis seiner nächsten Beziehungen hinauszusehen, den Blick auf das Ganze zu richten und sich in der Welt zu orientiren. Wir fordern ferner Treue gegen die übernommne Pflicht, Ver¬ zicht auf persönliche Rücksichten und Interessen, warme Teilnahme für die Mühseligen und Beladnen der Gesellschaft, Hingebung an das Ganze, wenn es sein muß, bis in den Tod. Denn jede echte Aristokratie hat noch immer dem Ganzen gedient, und eben deshalb ist sie volksfreundlich gewesen; der Geld¬ protz ist so wenig ein echter Aristokrat wie der Landjunker, der mit Verachtung auf alles herabsieht, was außerhalb seiner engen Sphäre liegt, oder der Ge¬ lehrte, der einen wissenschaftlichen Gegner mit persönlichen Schmähungen über¬ häuft und nur seine eigne Große gelten lassen möchte, oder der Beamte, der seine Aufgabe mechanisch wie ein Steinklopfer erledigt. Diese Eigenschaften können wohl anerzogen, aber nicht eigentlich vererbt werden, jeder Einzelne muß sie sich selbst erwerben, mag der auch vor andern bevorzugt sein, dem Goethe das schöne Wort zuruft: ^ > " ./ Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. Also ist die Zugehörigkeit zu dieser Geistesaristokratie etwas höchst Person-. liebes; sie öffnet sich weitherzig allen Elementen, die sich zu ihr emporarbeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/15>, abgerufen am 23.07.2024.